Lexikon der Neurowissenschaft: Cocain
Cocains [von Quechua kuka = Cocastrauch], Kokain, Methylbenzoyl-Ecgonin, Erythroxylin, E cocain, Hauptalkaloid aus den Blättern des Cocastrauchs(Erythroxylum coca), ein Tropanalkaloid (Cocaalkaloide; siehe Abb. ). Bei einem Gesamtalkaloidgehalt von 0,5 bis 1,0% beträgt der Anteil von Cocain in den südamerikanischen Cocablättern 90%, in den Cocablättern aus Südostasien dagegen etwa nur 25%. Um Cocain besonders rein und in hoher Ausbeute zu gewinnen, wird durch Extraktion zunächst ein Rohalkaloidgemisch gewonnen, das durch Hydrolyse auf Ecgonin aufgearbeitet wird. Die Veresterung mit Methanol und anschließende Benzoylierung liefert Cocain. Wegen seiner hohen Toxizität und suchterzeugenden Wirkung ist der Gebrauch von Cocain als Lokalanästhetikum heute nicht mehr üblich (siehe unten), es dient aber als Modellsubstanz bei der Entwicklung synthetischer Lokalanästhetika. – Cocain ist ein suchterzeugendes Rausch- und Betäubungsmittel (Rauschgifte, Betäubung), dessen Symptome Enthemmung, Euphorie und Halluzinationen sind und das außerdem leistungssteigernd, blutgefäßverengend und auf das menschliche Hungerzentrum betäubend wirkt ( siehe Zusatzinfo ). Mit der Aufnahme höherer Dosen sind eine Steigerung der Pulsfrequenz, ein Blutdruckanstieg, Erhöhung der Körpertemperatur und eine Erweiterung der Pupillen verbunden; sehr hohe Dosen führen zu Krämpfen und Erregungszuständen, die in Lähmungen übergehen. Todesfälle durch Cocain (Lähmung des Atemzentrums) sind jedoch selten. Regelmäßige Cocain-Einnahmen führen zu Schlaf- und Appetitlosigkeit. Chronischer Mißbrauch (Cocainismus) kann neben sozialen und pharmakologischen Folgen das plötzliche Auftreten psychotischer Verhaltensstörungen und einen Persönlichkeitszerfall verursachen. Chronischer Cocain-Abusus ruft eine psychische Abhängigkeit hervor, bei Entzug treten ein extremes Schlafbedürfnis, Angst, Tremor und Depressionen auf. – Cocain besitzt die typischen Eigenschaften eines Lokalanästhetikums: Es blockiert vorübergehend und reversibel die Weiterleitung von Impulsen in Nervenfasern, indem es die Permeabilität der Nervenmembran für Natriumionen herabsetzt. Der Mechanismus beruht vermutlich darauf, daß sich Cocain-Moleküle (lipophiler aromatischer Ring im Molekül!) in der Lipidschicht der Membran lösen, an Rezeptoren in den Natriumkanälen binden und dadurch das Öffnen der Natriumkanäle verhindern. Dadurch ist die Erregbarkeit der Nervenfaser vermindert oder ganz unterdrückt, so daß eine Verhinderung des Schmerzempfindens (Schmerz) ohne Ausschaltung des Bewußtseins möglich ist. – Normalerweise werden bei der Signalübertragung an Synapsen die freigesetzten Neurotransmitter-Moleküle, nachdem sie die benachbarte Nervenzelle erregt haben, zum Teil abgebaut und zum Teil zurückgewonnen. Dieser Wiederaufnahmemechanismus von Transmittermolekülen aus dem synaptischen Spalt, speziell von Dopamin, wird durch die Anwesenheit von Cocain blockiert. Dadurch verbleibt Dopamin länger im synaptischen Spalt, bindet an die Dopaminrezeptoren (z.B. D3) der Nachbarzelle und ruft so eine stimulierende bzw. euphorisierende Wirkung (ein Glücksgefühl) hervor. In Ratten konnte gezeigt werden, daß der partielle Antagonist BP 897 speziell an den Rezeptor D3 bindet, wenn kein Cocain im Gehirn vorhanden ist, und so bei den Versuchstieren das Verlangen nach der Droge unterdrückt wird. Daher könnte diese Substanz in der Rückfallprophylaxe bei Cocainsüchtigen helfen. Die euphorisierende Wirkung des Cocains soll außerdem durch Hemmung der Monoamin-Oxidase und Anreicherung von Noradrenalin und Serotonin in bestimmten Teilen des Gehirns zustande kommen. Durch die Blockade der Wiederaufnahme von Noradrenalin wirkt Cocain als einziges Lokalanästhetikum vasokonstriktorisch. Die Wirkung des Cocains geht nach einiger Zeit wieder zurück, weil die Moleküle abgebaut und über den Blutstrom weggeführt werden. Im Blut ist die Pseudocholinesterase (Cholinesterase) enthalten, ein Acetylcholin abbauendes Enzym, das aber auch das Cocain-Molekül spaltet. – Als Lokalanästhetikum findet Cocain heute nur noch gelegentlich Anwendung bei Operationen an Schleimhäuten (Hals, Nase, Ohren) oder in der Augenheilkunde. In den meisten Fällen werden synthetische Anästhetika eingesetzt, z.B. Procain und Lidocain, die dem Cocain strukturverwandt sind und einen ähnlichen Wirkungsmechanismus, aber keinerlei Rauschwirkung zeigen. Zum überwachten pharmazeutischen Gebrauch wird Cocain technisch aus Ecgonin oder durch Extraktion aus Cocablättern gewonnen. Die Blattreste (nach Entfernen des Cocains) werden als Geschmacksstoff für Getränke verwendet. – Cocain wirkt auch als Insektizid durch Blockade der Wiederaufnahme des insektenspezifischen Neurotransmitters Octopamin, so daß die dadurch vermittelte Neurotransmission erhöht wird. Da Octopamin für den Säugetierorganismus keine Bedeutung aufweist, könnten durch eine Verbesserung der spezifischen Wirksamkeit Cocain-Derivate als selektive Pestizide erhalten werden, die für Säugetiere weniger toxisch sind.
E.R./Sa.K.
Lit.:Karch, S.: A Brief History of Cocaine. Berlin 1997. Redda, K., Walker, Ch.A., Barnett, G.: Cocaine Marijuana Designer Drugs Chem Pharm & Behavior. Boca Raton 1989.
Als Reaktion auf eine längere Cocain-Exposition wird die Produktion der Cyclin-abhängigen Proteinkinase 5 (Cdk5) im Gehirn erhöht. Bei Mäusen, denen wiederholt Cocain injiziert wurde, wurde gezeigt, daß Cdk5 in den Stoffwechsel eines anderen Gehirn-Proteins eingreift, des DARPP-32. Dieses wirkt wiederum auf den Wirkmechanismus des Neurotransmitters Dopamin, indem es die Sensitivität der Dopaminrezeptoren verringert. Da Dopamin dadurch immer weniger wirkt, wird immer mehr Droge benötigt, um die gewünschten Wirkungen zu erzielen.
Cocain
Cocain
Die älteste Form des Cocaingebrauchs ist das Kauen von Coca, wobei Cocain freigesetzt wird. Der Tageskonsum der Cocakauer Südamerikas ("Coquereos") kann bis zu 50 g rohe Blätter (entspricht 1-2 g Cocain) betragen. Wohl die verbreitetste Einnahmeform des Cocains, das im Schwarzhandel oft mit Amphetamin, Kohlenhydraten (Mannit oder Lactose), Procain oder Lidocain und anderem "gestreckt" wird, ist das Schnupfen, wobei das Cocain hier in der Salzform (dem Cocainhydrochlorid) rasch durch die Schleimhäute absorbiert und in den Blutstrom aufgenommen wird. Dies führt eventuell zu einer Entzündung, Perforation oder Geschwürbildung der Nasenscheidewand.
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