Paläontologie: Blutspuren aus der Kreidezeit
Das hatten Paläontologen bisher für unmöglich gehalten: Einige Dinosaurierfossilien enthalten offenbar Überreste von Proteinen. Unter günstigen Bedingungen bleiben demnach organische Substanzen viele Millionen Jahre lang in Versteinerungen erhalten.
Ungläubig starrte ich im Mikroskop auf die kleinen, roten Gebilde. Vor mir hatte ich ein Dünnschliffpräparat von einem Dinosaurierknochen. Im blassgelblichen einstigen Knochenmaterial sah ich deutlich einen feinen Blutgefäßkanal – und darin befanden sich die runden Strukturen, jedes mit einem dunklen Zentrum, das an einen Zellkern erinnerte.
Hätte ich nicht gewusst, dass das Präparat von einem Fossil stammte – ich wäre versucht gewesen, sie für rote Blutzellen zu halten. Mit Ausnahme der Säuger enthalten diese Zellen bei allen heutigen Wirbeltieren einen Zellkern, auch bei Vögeln und Reptilien. Aber hier handelte es sich um den versteinerten Knochen eines Tyrannosaurus rex, dessen 67 Millionen Jahre alte Überreste Mitarbeiter vom Museum of the Rockies in Bozeman (Montana) vor Kurzem geborgen hatten. Organische Substanz würde sich niemals über eine so lange Zeit halten – das stand damals fest.
Zugegeben, ich fühlte mich an jenem Nachmittag im Museum reichlich verunsichert. Man schrieb das Jahr 1992, ich war frischgebackene Doktorandin an der Montana State University, also beileibe kein gewiefter Profi, und untersuchte die Feinstruktur von Dinosaurierknochen. Deswegen bat ich nun Lehrkräfte und Kommilitonen, wen immer ich erreichte, um ihre Einschätzung. Irgendwann kam die Sache dem Kurator für Paläontologie Jack Horner zu Ohren, einer anerkannten Koryphäe für Dinosaurier. Er erschien an meinem Platz, um sich selbst ein Bild zu machen, und blickte mit gerunzelter Stirn ewig lange schweigend ins Mikroskop. Als er endlich aufschaute, fragte er nur: "Und Sie selbst, wofür halten Sie das?" Ich sagte, ich wüsste es nicht. Aber die Dinger hätten für rote Blutzellen die richtige Größe, Form und Farbe. Und auch der Ort passte. Darauf grummelte Horner: "Dann beweisen Sie mir, dass es keine sind!" Wenn das keine Herausforderung war! Noch heute orientiere ich mich bei meiner Forschung gern an diesem Prinzip.
Unsere Schlussfolgerungen stießen in Fachkreisen auf jede Menge Widerstand und Skepsis. Aber das gehört zur Wissenschaft. Noch vor 20 Jahren hätte wohl niemand geglaubt, dass alte organische Moleküle überhaupt noch zugänglich sind – und man mit ihrer Hilfe die Dinosaurier und ihre Evolution erforschen kann. Gemäß Jack Horners Auftrag habe ich in den letzten 20 Jahren auf jede nur erdenkliche Weise versucht zu widerlegen, dass viele Jahrmillionen alte Fossilien noch Komponenten von Weichgewebe enthalten können. Meine erste Überlegung war: Nur außergewöhnlich gut konservierte Skelettelemente hätten etwas so Empfindliches wie rote Blutzellen oder deren Bestandteile überhaupt bewahren können, also etwa verklumpte Reste des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Bei diesem Tyrannosaurus-Exemplar war das offenbar tatsächlich der Fall.
Als Nächstes ging ich an die chemische Analyse der vermeintlichen roten Blutkörperchen. Sie enthielten viel Eisen – das passte. Zudem war dessen hohe Konzentration auf diese winzigen Stellen begrenzt. Generell fand sich dort eine andere chemische Zusammensetzung als in den Knochenbereichen rund um die Kanälchen – und zudem war sie völlig verschieden von den umgebenden Sedimenten. Da traute ich mich, nach dem Hämmolekül zu fahnden. Es stellt einen wesentlichen Bestandteil des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin dar, denn es enthält in seiner Mitte ein Eisenion, das Sauerstoff bindet, und ist auch für die Farbe verantwortlich.
Ein Hämoglobinmolekül enthält vier Häms. Bei Anregung durch Laserlicht zeigt Häm ein charakteristisches Resonanzmuster; wegen seines metallischen Zentrums absorbiert es Licht auf eine ganz eigene Art. Also unterzogen wir Knochenproben spektroskopischen Tests und maßen die Lichtemission, -absorption und -streuung. Tatsächlich: In den Knochen schien so etwas wie Häm zu stecken.
Mit keinem der vielen chemischen und immunologischen Versuche, die wir insgesamt durchführten, ließ sich die These widerlegen, dass die rötlichen, runden Gebilde in den Knochen dieses T. rex rote Blutkörperchen darstellten. Wirklich beweisen konnten wir unsere Vermutung damals allerdings auch nicht. Denn die uns verfügbaren Nachweismethoden waren nicht empfindlich genug, um die aufgespürte hämoglobinähnliche Substanz genau diesen Strukturen zuzuordnen.
Entsprechend vorsichtig schrieben wir 1997 in der dazu veröffentlichten Publikation: Möglicherweise hätten sich Hämoglobinproteine erhalten, und am wahrscheinlichsten sei, dass sie aus den Zellen des Tyrannosaurus stammten. Unser Artikel fand damals sehr wenig Beachtung.
Allmählich begriff ich während dieser Forschungen, was man an organischen Resten in Fossilien alles ablesen könnte. Falls es wirklich möglich wäre, Teile alter Proteine herauszufischen, ließe sich wohl ebenfalls die Abfolge ihrer Aminosäuren – ihrer Bausteine – bestimmen ("sequenzieren"), so wie man ja inzwischen auch alte DNA entziffert. Allerdings ist die "fossile" DNA etwa des Neandertalers mit nur Zehntausenden von Jahren beträchtlich jünger – die Dinosaurier starben vor rund 65 Millionen Jahren aus. Nicht nur am Erbgut, auch an Proteinen lesen Biologen die evolutionäre Entwicklung von Tieren ab. Unterschiede in Aminosäuresequenzen, die auf Mutationen beruhen, zeigen unter anderem Verwandtschaftsgrade von Arten und neue Anpassungen auf.
Reste von Vogelkrallen
Zunächst einmal musste ich aber klären, ob noch weitere Fossilien Proteinspuren enthalten. Dabei unterstützten mich Mark Marshall, der damals an der Indiana University arbeitete, sowie Seth Pinkus und John Watt von der Montana State University. Wir nahmen uns zwei gut erhaltene Fossilfunde vor, die viel versprechend erschienen. Das eine stammte von einem frühen Vogel mit dem wissenschaftlichen Gattungsnamen Rahonavis. Paläontologen der Stony Brook University (New York) und des Macalester College in St. Paul (Minnesota) hatten das Fossil in 80 bis 70 Millionen Jahre alten Sedimenten der Oberkreide gefunden.
Weil Keratine vielerlei Schutz- und Stützfunktionen erfüllen müssen, zersetzen sie sich nicht leicht, müssten sich also lange halten können. Alle Wirbeltiere bilden alpha-Keratine. Beim Menschen bestehen daraus unter anderem Haare und Nägel. Alpha-Keratine schützen auch unsere Haut und bewahren sie vor Austrocknung. Beta-Keratine dagegen bilden heutzutage nur Vögel und Reptilien.
Wir untersuchten die weiße Substanz am Rahonavis-Fossil zunächst mit weit gehend dem gleichen Testarsenal wie zuvor den T.-rex-Knochen. Besonders das Ergebnis des Antikörpertests war bemerkenswert: Er zeigte sowohl alpha- als auch beta-Keratin an. Zusätzliche Analysen ergaben Aminosäuren genau im Bereich des rätselhaften Zehenbelags. Zudem entdeckten wir Stickstoff, der ganz ähnlich an andere Komponenten gebunden war wie normalerweise bei Proteinen, die sich aneinanderketten – nicht zuletzt auch bei Hornsubstanz. Anscheinend stammte der weißliche Belag wirklich von den Vogelkrallen.
Der zweite viel versprechende Fossilfund, den wir untersuchten, kam aus der Mongolei. Es handelte sich um einen kleinen Raubsaurier aus der späten Kreidezeit, den die Entdecker vom American Museum of Natural History in New York nicht ganz passend Shuvuuia deserti getauft hatten, "Wüstenvogel" (nach mongolisch "shuvuu" für "Vogel"). Die Art lebte vor 83 bis 70 Millionen Jahren. Als die Präparatorin Amy Davidson das Fossil säuberte, bemerkte sie im Nacken des Tiers kleine, weiße Fasern. Sie bat mich, zu prüfen, ob das Federüberreste waren.
Doch zu meiner großen Überraschung ergaben schon die ersten Tests, dass hier weder Pflanzen noch Pilze im Spiel waren. Stattdessen deuteten anschließende Analysen der Mikrostruktur auf Keratin. Nun bestehen die fertig ausgebildeten Federn moderner Vögel fast vollständig aus beta-Keratin. Sollten die weißen Fasern des mongolischen Raubsauriers von einer Art Federn herrühren, müssten sie ihnen eigentlich auch chemisch gleichen. Die Klauenreste von Rahonavis hatten dagegen außerdem alpha-Keratin enthalten. Und wirklich ergaben Antikörpertests: In den Fasern des "Wüstenvogels" fand sich reines beta-Keratin.
Ich selbst war jetzt endgültig davon überzeugt, dass in Fossilien unter glücklichen Umständen noch kleine Reste der ursprünglichen Proteine erhalten sind – und dass es gelingen kann, sie zu identifizieren. Doch ein Großteil der Fachkollegen hielt das alles für Humbug. Das verwundert nicht – stellten unsere Befunde doch alles in Frage, was man damals, 1999, über den Abbau von Molekülen und Zellen zu wissen glaubte. Laboruntersuchungen zufolge sollten Proteine bestenfalls vielleicht eine Million Jahre lang überdauern können, und DNA noch kürzer. Verkündungen von Forschern, sie hätten mehrere Millionen Jahre alte DNA gefunden, ließen sich damals nicht bestätigen. Allgemein anerkannt waren in Fachkreisen vor rund einem Jahrzehnt nur Studien, die organische Moleküle eines Alters von ein paar zehntausend Jahren nachwiesen. Als ich einmal bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift eine Arbeit einreichte, kommentierte ein anonymer Gutachter, die vermutete lange Konservierung sei unmöglich, und ungeachtet unserer Daten würde ich den oder die Betreffende niemals vom Gegenteil überzeugen.
In dieser Situation riet mir ein Kollege, es zunächst mit einem etwas weniger ehrgeizigen Projekt zu versuchen. Dass man im Prinzip uralte Proteine aufspüren konnte, sollte sich auch an etwas jüngeren Fossilien beweisen lassen. Es mussten ja nicht gleich Dinosaurier sein. So gewann ich – zusammen mit dem analytischen Chemiker John Asara von der Harvard University in Cambridge (Massachusetts) – Proteine aus schätzungsweise 300 000 bis 600 000 Jahre alten Mammutfossilien.
Diese Proteine sequenzierten wir anschließend mittels Massenspektrometrie. Das Ergebnis war eindeutig: Es handelte sich um Kollagen, einen wesentlichen Baustein unter anderem von Knochen, Sehnen und Haut. Unsere Publikation darüber von 2002 brachte uns weder viel Widerspruch noch überhaupt größere Resonanz.
Was werdende Mütter auszeichnet
Im Jahr darauf schloss in Ostmontana ein Team des Museum of the Rockies die Bergung von "Brex" ab, dem mit 68 Millionen Jahren bisher ältesten Tyrannosaurus-rex-Skelett. Den Spitznamen erhielt MOR 1125 nach seinem Entdecker Bob Harmon. Wie schon bei "Big Mike" lagen die Knochen in der Hell-Creek-Formation genannten geologischen Schicht. Wegen des abgelegenen Fundorts musste ein Hubschrauber die Skelettteile zum Lager der Forscher bringen. Dafür wurden die Knochen bündelweise eingegipst. Doch ein Block mit Beinknochen erwies sich als zu schwer für den Transport. Die Leute brachen darum den Gips wieder auf, um den Inhalt auf mehrere Frachten zu verteilen. Von den brüchigen Fossilien bröckelten bei der Prozedur allerdings kleine Stücke ab – und die bekam ich.
"Herrjeh, das ist ja ein Weibchen – mit Eiern im Bauch!" Meine Assistentin Jennifer Wittmeyer quittierte meinen Ausruf mit einem Blick, als hätte ich den Verstand verloren. Doch ich war mir praktisch sicher. Vogelweibchen bilden, wenn sie Eier produzieren, vorübergehend ein charakteristisches "medulläres Knochengewebe" aus, worin sie für die Eierschalen einen leicht mobilisierbaren Kalziumvorrat bereithalten. Genauso sah das hier aus.
Typisch für medulläres Knochengewebe und ein Zeichen für eine schnelle Neubildung ist eine wirre Anordnung der Kollagenfasern. Eine ähnlich ungeordnete Struktur tritt bei einem heilenden Knochenbruch auf – deswegen fühlt sich die Bruchstelle später verdickt an. Um bei heutigen Wirbeltieren die Orientierung der Kollagenfasern aufzuzeigen, kann man die Mineralien mit einer schwachen Säure herauslösen.
Meine Assistentin und ich beschlossen, das auch in diesem Fall zu versuchen. Trotzdem mochte ich meinen Augen nicht trauen, als die Kollegin mir später einen weichen, faserigen Gewebeklumpen zeigte. Doch so oft sie den Versuch wiederholte: Immer kam wieder solch ein dehnbares, faseriges Material zum Vorschein – genau als hätten wir medulläres Knochengewebe von Vögeln so behandelt.
Nun entmineralisierten wir auch kleine Stücke aus dem kompakteren Rindenbereich des Knochens. Wieder blieb Weichgewebe übrig, aber diesmal erschienen durchsichtige, sich verzweigende Röhren. Sie waren hohl und biegsam – und sahen genauso aus wie feine Blutgefäße. Zu unserer Freude entdeckten wir in diesen Röhrchen teils kleine, runde, rote Gebilde, teils formlose Klumpen aus einer roten Substanz. Als wir den Versuch mehrfach wiederholten, erhielten wir sogar Knochenzellen – Osteozyten –, erkennbar an ihrer etwas bizarren Form. Sie scheiden Kollagen und weitere organische Knochenbestandteile ab. Offensichtlich steckte dieses weibliche Skelett voller Überraschungen: In ihm waren Materialien bewahrt, wie sie nie zuvor jemand bei Dinosauriern bemerkt hatte.
Unsere Publikation dazu erschien 2005 in der Fachzeitschrift "Science". Diesmal erhielten wir zwar viel Aufmerksamkeit, doch blieb das Fachkollegium eher abwartend. Wir hatten in der Arbeit nicht geschrieben, dass wir bei dem Tyrannosaurus- Weibchen auf Kollagen, Blutgefäße und Knochenzellen gestoßen wären, sondern vorsichtiger formuliert, die gefundenen Strukturen würden an dergleichen erinnern. Es war ja sehr gut möglich, dass sich die organischen Substanzen nach so langer Zeit durch immer wieder andere geochemische Prozesse, denen sie ausgesetzt gewesen waren, chemisch stark verändert hatten. Klarheit konnten nur aufwändige Studien bringen.
Zusammen mit John Asara machte ich mich ans Werk. Zum Zuge kamen wieder sämtliche Verfahren, die meine Kollegen und ich beim ersten T. rex und den anderen erwähnten Fossilien angewandt und nach und nach verfeinert hatten. Auch die Reinigungs- und Sequenziermethodik für Proteine von der Mammutstudie hatte Asara inzwischen noch verbessert.
Wir spürten in dem neuen Saurierfossil tatsächlich organische Reste auf, doch erwies sich ihre Analyse als besonders schwierig. Ihre Konzentration lag um einige Größenordnungen unter der des untersuchten Mammuts, und die Proteine waren sehr stark zerfallen. Trotzdem gelang es uns schließlich, ein paar Proteinfragmente zu sequenzieren.
Diese Aminosäureabfolgen verglich unser Kollege Chris Organ von der Harvard University mit denen einiger heutiger Wirbeltiere. Demnach glichen die Proteine des T.-rex-Weibchens am meisten den entsprechenden Proteinen von Vögeln und etwas weniger denen von Krokodilen – also den beiden nächsten heutigen Verwandtschaftsgruppen der Dinosaurier.
Proteinsequenzen ähnlich denen von Vögeln
Als wir diese Ergebnisse 2007 und 2008 veröffentlichten, schlugen die Wogen hoch. Vor allem mit unserer Deutung der massenspektrometrischen Sequenzierungsdaten waren viele Kollegen nicht einverstanden. Manche von ihnen hielten die Anzahl der bestimmten Sequenzen für zu gering. Andere meinten, wir hätten die Strukturen mit Biofilmen mikrobieller Herkunft verwechselt, die später in die Knochen gelangt waren, und so weiter.
Nun wusste ich zwar: Wissenschaftler sollen misstrauisch sein und gerade neue Ideen streng hinterfragen. Andererseits gilt das Prinzip, dass die einfachste Erklärung, zu der alle Daten passen, vermutlich die richtige ist. Und wir hatten unsere Hypothese unter vielen Aspekten getestet. Doch musste ich auch eingestehen, dass ein Einzelbeispiel in der Wissenschaft letztlich wenig zählt. Die Entdeckung würde glaubwürdiger, wenn es gelänge, Proteine weiterer Dinosaurier zu sequenzieren.
In jenen Jahren fand ein Mitarbeiter auf einer unserer Sommerexpeditionen einen Entenschnabeldinosaurier oder Hadrosaurier, und zwar einen 80 Millionen Jahre alten Brachylophosaurus canadensis. Schon bevor die Bergung von "Brachy" richtig anlief, mutmaßten wir, dass dieses Fossil alte Proteine enthalten könnte. Deswegen trafen wir alle erdenklichen Vorkehrungen, um die Knochen schleunigst aus dem Sandstein zu befreien und sogleich sauber zu verpacken. Es galt, die empfindlichen Moleküle – so vorhanden – vor Luftverschmutzung, Feuchtigkeitsschwankungen, Kontaminationen und anderen Unbilden möglichst zu schützen.
Vielleicht trugen diese Maßnahmen sowie die unverzügliche Analyse dazu bei, dass uns "Brachy" noch besser erhaltene morphologische Strukturen und organische Moleküle lieferte als "Brex". Wie erhofft fanden wir im Knochen in eine Matrix aus weißen Kollagenfasern eingebettete Zellen mit langen, dünnen, verzweigten Fortsätzen: ein Merkmal von Osteozyten.
Sogar Verbindungen dieser Fortsätze zu anderen Knochenzellen ließen sich erahnen. Und ein paar wenige der Zellen schienen noch Überreste innerer Strukturen zu enthalten, möglicherweise auch von Zellkernen.
Bei Immuntests reagierten die Knochenextrakte von "Brachy" mit Antikörpern, die Kollagen erkennen sowie andere Proteine, die nicht in Mikroben vorkommen. Bakterieller Herkunft waren die Weichgewebestrukturen dieses Fossils somit sicherlich nicht. Auch gelang es wiederum, Proteinsequenzen zu bestimmen. Wie schon bei "Brex" zeigten sie am meisten Ähnlichkeiten mit Sequenzen moderner Vögel.
Zur Kontrolle schickten wir mehreren anderen Forscherteams Knochenproben des Hadrosauriers. Alle bestätigten unsere Daten. Die Veröffentlichung dazu erschien 2009 in "Science". Dieses Mal kam mir keine heftige Kritik zu Ohren.
Im Grund stehen unsere Forschungen noch am Anfang, denn es bleiben tausende ungeklärte Fragen. Zunächst gilt es zu verstehen, wie sich Weichstrukturen überhaupt so lange erhalten konnten – im völligen Widerspruch zu allen Fossilisationsmodellen. Die Molekülanalysen ihrerseits versprechen für die Zukunft ungeahnte Einblicke zum Beispiel in Verwandtschaftsbeziehungen längst verschwundener Arten und in die Geschwindigkeit von Evolutionsprozessen in einzelnen Entwicklungslinien. Solche Vergleiche erfordern aber zunächst größere Datenbanken mit Molekülsequenzen. Die Erkenntnisse daraus werden erklären helfen, wie die Dinosaurier oder auch andere ausgestorbene Tiere mit größeren Umweltveränderungen fertigwurden, wie sie sich von Naturkatastrophen erholten – und warum sie am Ende untergingen.
Hätte ich nicht gewusst, dass das Präparat von einem Fossil stammte – ich wäre versucht gewesen, sie für rote Blutzellen zu halten. Mit Ausnahme der Säuger enthalten diese Zellen bei allen heutigen Wirbeltieren einen Zellkern, auch bei Vögeln und Reptilien. Aber hier handelte es sich um den versteinerten Knochen eines Tyrannosaurus rex, dessen 67 Millionen Jahre alte Überreste Mitarbeiter vom Museum of the Rockies in Bozeman (Montana) vor Kurzem geborgen hatten. Organische Substanz würde sich niemals über eine so lange Zeit halten – das stand damals fest.
Schon seit jeher galt unter Paläontologen als abgemacht: An fossilen Knochen lassen sich nur anhand von deren Größe und Form Informationen über das Tier ablesen. Denn nach herkömmlicher Auffassung ersetzen bei der Versteinerung Mineralien aus der Umgebung allmählich sämtliche organischen Moleküle.
Zugegeben, ich fühlte mich an jenem Nachmittag im Museum reichlich verunsichert. Man schrieb das Jahr 1992, ich war frischgebackene Doktorandin an der Montana State University, also beileibe kein gewiefter Profi, und untersuchte die Feinstruktur von Dinosaurierknochen. Deswegen bat ich nun Lehrkräfte und Kommilitonen, wen immer ich erreichte, um ihre Einschätzung. Irgendwann kam die Sache dem Kurator für Paläontologie Jack Horner zu Ohren, einer anerkannten Koryphäe für Dinosaurier. Er erschien an meinem Platz, um sich selbst ein Bild zu machen, und blickte mit gerunzelter Stirn ewig lange schweigend ins Mikroskop. Als er endlich aufschaute, fragte er nur: "Und Sie selbst, wofür halten Sie das?" Ich sagte, ich wüsste es nicht. Aber die Dinger hätten für rote Blutzellen die richtige Größe, Form und Farbe. Und auch der Ort passte. Darauf grummelte Horner: "Dann beweisen Sie mir, dass es keine sind!" Wenn das keine Herausforderung war! Noch heute orientiere ich mich bei meiner Forschung gern an diesem Prinzip.
Damals vermochte ich meinen Verdacht allerdings nicht zu widerlegen. Vielmehr fand ich mehr und mehr Anzeichen dafür, dass in diesem Dinosaurierpräparat tatsächlich Reste von roten Blutkörperchen steckten. Und mittlerweile konnten meine Kollegen und ich die Palette von Bruchstücken organischer Substanzen und Strukturen in oder an Saurierfossilien noch erweitern. Sie umfasst inzwischen auch Blutgefäße, Knochenzellen, Material von Krallen und anscheinend selbst von Federn. In einem Fall offenbarte der innere Knochenbau sogar das Geschlecht des Tiers. Solche Funde mögen Ausnahmen darstellen – aber keineswegs Einzelfälle.
Unsere Schlussfolgerungen stießen in Fachkreisen auf jede Menge Widerstand und Skepsis. Aber das gehört zur Wissenschaft. Noch vor 20 Jahren hätte wohl niemand geglaubt, dass alte organische Moleküle überhaupt noch zugänglich sind – und man mit ihrer Hilfe die Dinosaurier und ihre Evolution erforschen kann. Gemäß Jack Horners Auftrag habe ich in den letzten 20 Jahren auf jede nur erdenkliche Weise versucht zu widerlegen, dass viele Jahrmillionen alte Fossilien noch Komponenten von Weichgewebe enthalten können. Meine erste Überlegung war: Nur außergewöhnlich gut konservierte Skelettelemente hätten etwas so Empfindliches wie rote Blutzellen oder deren Bestandteile überhaupt bewahren können, also etwa verklumpte Reste des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Bei diesem Tyrannosaurus-Exemplar war das offenbar tatsächlich der Fall.
"Big Mike", für die Fachwelt als MOR 555 katalogisiert, wurde in Ostmontana gefunden. Sein Skelett ist fast vollständig erhalten, sogar mit vielen sonst selten vorhandenen Knochen, was für eine rasche Abdeckung und ungestörte Lagerung des Kadavers spricht. Auf eine schnelle, gute Konservierung deutet auch hin, was man im Mikroskop an Dünnschliffen der Arm- und Beinknochen erkennt. In den dichten Knochenbereichen waren die meisten Blutgefäßkanälchen leer, hatten sich also nicht später mit abgelagerten Mineralien gefüllt, wie man es bei Dinosaurierfossilien sonst gewöhnlich antrifft. Außerdem tauchten die ominösen kleinen roten Dinger immer nur in den Gefäßkanälen auf, nie im umgebenden Knochen selbst und auch nicht in den angrenzenden Sedimenten.
Als Nächstes ging ich an die chemische Analyse der vermeintlichen roten Blutkörperchen. Sie enthielten viel Eisen – das passte. Zudem war dessen hohe Konzentration auf diese winzigen Stellen begrenzt. Generell fand sich dort eine andere chemische Zusammensetzung als in den Knochenbereichen rund um die Kanälchen – und zudem war sie völlig verschieden von den umgebenden Sedimenten. Da traute ich mich, nach dem Hämmolekül zu fahnden. Es stellt einen wesentlichen Bestandteil des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin dar, denn es enthält in seiner Mitte ein Eisenion, das Sauerstoff bindet, und ist auch für die Farbe verantwortlich.
Ein Hämoglobinmolekül enthält vier Häms. Bei Anregung durch Laserlicht zeigt Häm ein charakteristisches Resonanzmuster; wegen seines metallischen Zentrums absorbiert es Licht auf eine ganz eigene Art. Also unterzogen wir Knochenproben spektroskopischen Tests und maßen die Lichtemission, -absorption und -streuung. Tatsächlich: In den Knochen schien so etwas wie Häm zu stecken.
Noch deutlicher waren dann Ergebnisse von Immunexperimenten. Höhere Wirbeltiere produzieren zur Verteidigung gegen Fremdes in ihrem Innern Antikörper. Diese erkennen jeweils spezifisch die verdächtigen Substanzen und binden sich daran. Solch eine zielgerichtete Reaktion wollten wir provozieren. Dazu injizierten wir zunächst Mäusen Extrakte der Dinosaurierknochen. Damit gaben wir den Nagern Gelegenheit, gegen möglicherweise darin enthaltene organische Komponenten Antikörper zu bilden. Im nächsten Schritt gaben wir die aus den Mäusen gewonnenen Antikörper zu Hämoglobin aus Truthühnern und Ratten. Und es geschah: Die Antikörper banden sich an das Hämoglobin. Demnach hatte das Immunsystem der Mäuse in den Knochenextrakten eine dem Hämoglobin ähnliche Substanz ausgemacht und dann spezifische Antikörper dagegen produziert. Auch diesem Test zufolge enthielten die Knochen von "Big Mike" etwas, was dem roten Blutfarbstoff heutiger Tiere ähnelt.
Mit keinem der vielen chemischen und immunologischen Versuche, die wir insgesamt durchführten, ließ sich die These widerlegen, dass die rötlichen, runden Gebilde in den Knochen dieses T. rex rote Blutkörperchen darstellten. Wirklich beweisen konnten wir unsere Vermutung damals allerdings auch nicht. Denn die uns verfügbaren Nachweismethoden waren nicht empfindlich genug, um die aufgespürte hämoglobinähnliche Substanz genau diesen Strukturen zuzuordnen.
Entsprechend vorsichtig schrieben wir 1997 in der dazu veröffentlichten Publikation: Möglicherweise hätten sich Hämoglobinproteine erhalten, und am wahrscheinlichsten sei, dass sie aus den Zellen des Tyrannosaurus stammten. Unser Artikel fand damals sehr wenig Beachtung.
Allmählich begriff ich während dieser Forschungen, was man an organischen Resten in Fossilien alles ablesen könnte. Falls es wirklich möglich wäre, Teile alter Proteine herauszufischen, ließe sich wohl ebenfalls die Abfolge ihrer Aminosäuren – ihrer Bausteine – bestimmen ("sequenzieren"), so wie man ja inzwischen auch alte DNA entziffert. Allerdings ist die "fossile" DNA etwa des Neandertalers mit nur Zehntausenden von Jahren beträchtlich jünger – die Dinosaurier starben vor rund 65 Millionen Jahren aus. Nicht nur am Erbgut, auch an Proteinen lesen Biologen die evolutionäre Entwicklung von Tieren ab. Unterschiede in Aminosäuresequenzen, die auf Mutationen beruhen, zeigen unter anderem Verwandtschaftsgrade von Arten und neue Anpassungen auf.
Reste von Vogelkrallen
Zunächst einmal musste ich aber klären, ob noch weitere Fossilien Proteinspuren enthalten. Dabei unterstützten mich Mark Marshall, der damals an der Indiana University arbeitete, sowie Seth Pinkus und John Watt von der Montana State University. Wir nahmen uns zwei gut erhaltene Fossilfunde vor, die viel versprechend erschienen. Das eine stammte von einem frühen Vogel mit dem wissenschaftlichen Gattungsnamen Rahonavis. Paläontologen der Stony Brook University (New York) und des Macalester College in St. Paul (Minnesota) hatten das Fossil in 80 bis 70 Millionen Jahre alten Sedimenten der Oberkreide gefunden.
Schon bei der Bergung war ihnen an den Zehen eine weiße, faserige Substanz aufgefallen. Da weder die anderen Knochen noch die benachbarten Sedimente Ähnliches aufwiesen, hielten die Forscher das nicht für eine nachträgliche Ablagerung, sondern für einen Bestandteil des Vogels. Handelte es sich etwa um Reste von Krallen, somit also um Keratin, den Grundstoff von Hornsubstanz? Mit dieser Frage wandten sich die Forscher an mich.
Weil Keratine vielerlei Schutz- und Stützfunktionen erfüllen müssen, zersetzen sie sich nicht leicht, müssten sich also lange halten können. Alle Wirbeltiere bilden alpha-Keratine. Beim Menschen bestehen daraus unter anderem Haare und Nägel. Alpha-Keratine schützen auch unsere Haut und bewahren sie vor Austrocknung. Beta-Keratine dagegen bilden heutzutage nur Vögel und Reptilien.
Wir untersuchten die weiße Substanz am Rahonavis-Fossil zunächst mit weit gehend dem gleichen Testarsenal wie zuvor den T.-rex-Knochen. Besonders das Ergebnis des Antikörpertests war bemerkenswert: Er zeigte sowohl alpha- als auch beta-Keratin an. Zusätzliche Analysen ergaben Aminosäuren genau im Bereich des rätselhaften Zehenbelags. Zudem entdeckten wir Stickstoff, der ganz ähnlich an andere Komponenten gebunden war wie normalerweise bei Proteinen, die sich aneinanderketten – nicht zuletzt auch bei Hornsubstanz. Anscheinend stammte der weißliche Belag wirklich von den Vogelkrallen.
Der zweite viel versprechende Fossilfund, den wir untersuchten, kam aus der Mongolei. Es handelte sich um einen kleinen Raubsaurier aus der späten Kreidezeit, den die Entdecker vom American Museum of Natural History in New York nicht ganz passend Shuvuuia deserti getauft hatten, "Wüstenvogel" (nach mongolisch "shuvuu" für "Vogel"). Die Art lebte vor 83 bis 70 Millionen Jahren. Als die Präparatorin Amy Davidson das Fossil säuberte, bemerkte sie im Nacken des Tiers kleine, weiße Fasern. Sie bat mich, zu prüfen, ob das Federüberreste waren.
Paläontologen kannten bereits Dinosaurierfossilien mit Federabdrücken – die Vögel stammen von den Dinosauriern ab. Vielleicht trug Shuvuuia ja ein Daunenkleid.Ich konnte mir nicht vorstellen, dass etwas so Zartes viele Jahrmillionen überstehen konnte. Eher glaubte ich an eine Struktur aus heutiger Zeit, die von Pflanzen oder Pilzen herrührt.
Doch zu meiner großen Überraschung ergaben schon die ersten Tests, dass hier weder Pflanzen noch Pilze im Spiel waren. Stattdessen deuteten anschließende Analysen der Mikrostruktur auf Keratin. Nun bestehen die fertig ausgebildeten Federn moderner Vögel fast vollständig aus beta-Keratin. Sollten die weißen Fasern des mongolischen Raubsauriers von einer Art Federn herrühren, müssten sie ihnen eigentlich auch chemisch gleichen. Die Klauenreste von Rahonavis hatten dagegen außerdem alpha-Keratin enthalten. Und wirklich ergaben Antikörpertests: In den Fasern des "Wüstenvogels" fand sich reines beta-Keratin.
Ich selbst war jetzt endgültig davon überzeugt, dass in Fossilien unter glücklichen Umständen noch kleine Reste der ursprünglichen Proteine erhalten sind – und dass es gelingen kann, sie zu identifizieren. Doch ein Großteil der Fachkollegen hielt das alles für Humbug. Das verwundert nicht – stellten unsere Befunde doch alles in Frage, was man damals, 1999, über den Abbau von Molekülen und Zellen zu wissen glaubte. Laboruntersuchungen zufolge sollten Proteine bestenfalls vielleicht eine Million Jahre lang überdauern können, und DNA noch kürzer. Verkündungen von Forschern, sie hätten mehrere Millionen Jahre alte DNA gefunden, ließen sich damals nicht bestätigen. Allgemein anerkannt waren in Fachkreisen vor rund einem Jahrzehnt nur Studien, die organische Moleküle eines Alters von ein paar zehntausend Jahren nachwiesen. Als ich einmal bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift eine Arbeit einreichte, kommentierte ein anonymer Gutachter, die vermutete lange Konservierung sei unmöglich, und ungeachtet unserer Daten würde ich den oder die Betreffende niemals vom Gegenteil überzeugen.
In dieser Situation riet mir ein Kollege, es zunächst mit einem etwas weniger ehrgeizigen Projekt zu versuchen. Dass man im Prinzip uralte Proteine aufspüren konnte, sollte sich auch an etwas jüngeren Fossilien beweisen lassen. Es mussten ja nicht gleich Dinosaurier sein. So gewann ich – zusammen mit dem analytischen Chemiker John Asara von der Harvard University in Cambridge (Massachusetts) – Proteine aus schätzungsweise 300 000 bis 600 000 Jahre alten Mammutfossilien.
Diese Proteine sequenzierten wir anschließend mittels Massenspektrometrie. Das Ergebnis war eindeutig: Es handelte sich um Kollagen, einen wesentlichen Baustein unter anderem von Knochen, Sehnen und Haut. Unsere Publikation darüber von 2002 brachte uns weder viel Widerspruch noch überhaupt größere Resonanz.
Was werdende Mütter auszeichnet
Im Jahr darauf schloss in Ostmontana ein Team des Museum of the Rockies die Bergung von "Brex" ab, dem mit 68 Millionen Jahren bisher ältesten Tyrannosaurus-rex-Skelett. Den Spitznamen erhielt MOR 1125 nach seinem Entdecker Bob Harmon. Wie schon bei "Big Mike" lagen die Knochen in der Hell-Creek-Formation genannten geologischen Schicht. Wegen des abgelegenen Fundorts musste ein Hubschrauber die Skelettteile zum Lager der Forscher bringen. Dafür wurden die Knochen bündelweise eingegipst. Doch ein Block mit Beinknochen erwies sich als zu schwer für den Transport. Die Leute brachen darum den Gips wieder auf, um den Inhalt auf mehrere Frachten zu verteilen. Von den brüchigen Fossilien bröckelten bei der Prozedur allerdings kleine Stücke ab – und die bekam ich.
Gleich beim ersten Bröckchen, das ich aus der Kiste nahm (ein Fragment vom Oberschenkelknochen), wusste ich: Hier handelt es sich um etwas Besonderes. An der inneren Wand wies dieser Knochen eine dünne Schicht von einer speziellen Struktur auf, wie sie noch niemand bei einem Dinosaurier beschrieben hatte. Diese Schicht wirkte sehr faserig und war voller Blutgefäßkanälchen – in der Textur und Färbung völlig anders als die sonstige Knochensubstanz im Skelett.
"Herrjeh, das ist ja ein Weibchen – mit Eiern im Bauch!" Meine Assistentin Jennifer Wittmeyer quittierte meinen Ausruf mit einem Blick, als hätte ich den Verstand verloren. Doch ich war mir praktisch sicher. Vogelweibchen bilden, wenn sie Eier produzieren, vorübergehend ein charakteristisches "medulläres Knochengewebe" aus, worin sie für die Eierschalen einen leicht mobilisierbaren Kalziumvorrat bereithalten. Genauso sah das hier aus.
Typisch für medulläres Knochengewebe und ein Zeichen für eine schnelle Neubildung ist eine wirre Anordnung der Kollagenfasern. Eine ähnlich ungeordnete Struktur tritt bei einem heilenden Knochenbruch auf – deswegen fühlt sich die Bruchstelle später verdickt an. Um bei heutigen Wirbeltieren die Orientierung der Kollagenfasern aufzuzeigen, kann man die Mineralien mit einer schwachen Säure herauslösen.
Meine Assistentin und ich beschlossen, das auch in diesem Fall zu versuchen. Trotzdem mochte ich meinen Augen nicht trauen, als die Kollegin mir später einen weichen, faserigen Gewebeklumpen zeigte. Doch so oft sie den Versuch wiederholte: Immer kam wieder solch ein dehnbares, faseriges Material zum Vorschein – genau als hätten wir medulläres Knochengewebe von Vögeln so behandelt.
Nun entmineralisierten wir auch kleine Stücke aus dem kompakteren Rindenbereich des Knochens. Wieder blieb Weichgewebe übrig, aber diesmal erschienen durchsichtige, sich verzweigende Röhren. Sie waren hohl und biegsam – und sahen genauso aus wie feine Blutgefäße. Zu unserer Freude entdeckten wir in diesen Röhrchen teils kleine, runde, rote Gebilde, teils formlose Klumpen aus einer roten Substanz. Als wir den Versuch mehrfach wiederholten, erhielten wir sogar Knochenzellen – Osteozyten –, erkennbar an ihrer etwas bizarren Form. Sie scheiden Kollagen und weitere organische Knochenbestandteile ab. Offensichtlich steckte dieses weibliche Skelett voller Überraschungen: In ihm waren Materialien bewahrt, wie sie nie zuvor jemand bei Dinosauriern bemerkt hatte.
Unsere Publikation dazu erschien 2005 in der Fachzeitschrift "Science". Diesmal erhielten wir zwar viel Aufmerksamkeit, doch blieb das Fachkollegium eher abwartend. Wir hatten in der Arbeit nicht geschrieben, dass wir bei dem Tyrannosaurus- Weibchen auf Kollagen, Blutgefäße und Knochenzellen gestoßen wären, sondern vorsichtiger formuliert, die gefundenen Strukturen würden an dergleichen erinnern. Es war ja sehr gut möglich, dass sich die organischen Substanzen nach so langer Zeit durch immer wieder andere geochemische Prozesse, denen sie ausgesetzt gewesen waren, chemisch stark verändert hatten. Klarheit konnten nur aufwändige Studien bringen.
Zusammen mit John Asara machte ich mich ans Werk. Zum Zuge kamen wieder sämtliche Verfahren, die meine Kollegen und ich beim ersten T. rex und den anderen erwähnten Fossilien angewandt und nach und nach verfeinert hatten. Auch die Reinigungs- und Sequenziermethodik für Proteine von der Mammutstudie hatte Asara inzwischen noch verbessert.
Wir spürten in dem neuen Saurierfossil tatsächlich organische Reste auf, doch erwies sich ihre Analyse als besonders schwierig. Ihre Konzentration lag um einige Größenordnungen unter der des untersuchten Mammuts, und die Proteine waren sehr stark zerfallen. Trotzdem gelang es uns schließlich, ein paar Proteinfragmente zu sequenzieren.
Diese Aminosäureabfolgen verglich unser Kollege Chris Organ von der Harvard University mit denen einiger heutiger Wirbeltiere. Demnach glichen die Proteine des T.-rex-Weibchens am meisten den entsprechenden Proteinen von Vögeln und etwas weniger denen von Krokodilen – also den beiden nächsten heutigen Verwandtschaftsgruppen der Dinosaurier.
Proteinsequenzen ähnlich denen von Vögeln
Als wir diese Ergebnisse 2007 und 2008 veröffentlichten, schlugen die Wogen hoch. Vor allem mit unserer Deutung der massenspektrometrischen Sequenzierungsdaten waren viele Kollegen nicht einverstanden. Manche von ihnen hielten die Anzahl der bestimmten Sequenzen für zu gering. Andere meinten, wir hätten die Strukturen mit Biofilmen mikrobieller Herkunft verwechselt, die später in die Knochen gelangt waren, und so weiter.
Nun wusste ich zwar: Wissenschaftler sollen misstrauisch sein und gerade neue Ideen streng hinterfragen. Andererseits gilt das Prinzip, dass die einfachste Erklärung, zu der alle Daten passen, vermutlich die richtige ist. Und wir hatten unsere Hypothese unter vielen Aspekten getestet. Doch musste ich auch eingestehen, dass ein Einzelbeispiel in der Wissenschaft letztlich wenig zählt. Die Entdeckung würde glaubwürdiger, wenn es gelänge, Proteine weiterer Dinosaurier zu sequenzieren.
In jenen Jahren fand ein Mitarbeiter auf einer unserer Sommerexpeditionen einen Entenschnabeldinosaurier oder Hadrosaurier, und zwar einen 80 Millionen Jahre alten Brachylophosaurus canadensis. Schon bevor die Bergung von "Brachy" richtig anlief, mutmaßten wir, dass dieses Fossil alte Proteine enthalten könnte. Deswegen trafen wir alle erdenklichen Vorkehrungen, um die Knochen schleunigst aus dem Sandstein zu befreien und sogleich sauber zu verpacken. Es galt, die empfindlichen Moleküle – so vorhanden – vor Luftverschmutzung, Feuchtigkeitsschwankungen, Kontaminationen und anderen Unbilden möglichst zu schützen.
Vielleicht trugen diese Maßnahmen sowie die unverzügliche Analyse dazu bei, dass uns "Brachy" noch besser erhaltene morphologische Strukturen und organische Moleküle lieferte als "Brex". Wie erhofft fanden wir im Knochen in eine Matrix aus weißen Kollagenfasern eingebettete Zellen mit langen, dünnen, verzweigten Fortsätzen: ein Merkmal von Osteozyten.
Sogar Verbindungen dieser Fortsätze zu anderen Knochenzellen ließen sich erahnen. Und ein paar wenige der Zellen schienen noch Überreste innerer Strukturen zu enthalten, möglicherweise auch von Zellkernen.
Bei Immuntests reagierten die Knochenextrakte von "Brachy" mit Antikörpern, die Kollagen erkennen sowie andere Proteine, die nicht in Mikroben vorkommen. Bakterieller Herkunft waren die Weichgewebestrukturen dieses Fossils somit sicherlich nicht. Auch gelang es wiederum, Proteinsequenzen zu bestimmen. Wie schon bei "Brex" zeigten sie am meisten Ähnlichkeiten mit Sequenzen moderner Vögel.
Zur Kontrolle schickten wir mehreren anderen Forscherteams Knochenproben des Hadrosauriers. Alle bestätigten unsere Daten. Die Veröffentlichung dazu erschien 2009 in "Science". Dieses Mal kam mir keine heftige Kritik zu Ohren.
Im Grund stehen unsere Forschungen noch am Anfang, denn es bleiben tausende ungeklärte Fragen. Zunächst gilt es zu verstehen, wie sich Weichstrukturen überhaupt so lange erhalten konnten – im völligen Widerspruch zu allen Fossilisationsmodellen. Die Molekülanalysen ihrerseits versprechen für die Zukunft ungeahnte Einblicke zum Beispiel in Verwandtschaftsbeziehungen längst verschwundener Arten und in die Geschwindigkeit von Evolutionsprozessen in einzelnen Entwicklungslinien. Solche Vergleiche erfordern aber zunächst größere Datenbanken mit Molekülsequenzen. Die Erkenntnisse daraus werden erklären helfen, wie die Dinosaurier oder auch andere ausgestorbene Tiere mit größeren Umweltveränderungen fertigwurden, wie sie sich von Naturkatastrophen erholten – und warum sie am Ende untergingen.
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