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Ende der Offenheit?: Europa allein zu Haus

Europas Forschung soll offener für Nicht-EU-Länder werden, sagt die EU. Doch neue Regeln benachteiligen sie drastisch - und bedrohen sogar langjährige Kooperationen.
Die EU-Flagge auf einer Backsteinmauer. Oder wie man auf der anderen Seite des Kanals liest: Mene mene tekel u-parsin.

Der Teufel steckt im Detail, sagen die Engländer, und dies gilt vor allem bei so riesigen und bürokratisch unübersichtlichen Ungetümen wie dem EU-Forschungsrahmenprogramm. Im März 2019 einigten sich die Europäische Kommission, der Europäische Rat und das EU-Parlament über die Grundzüge von Horizon Europe, der nächsten Ausgabe des Programms für die Jahre von 2021 bis 2027.

Horizon Europe soll offener werden, internationale Talente anziehen und Europa gegenüber der Konkurrenz – dem populistischen Amerika und dem staatlich kontrolliertem China – zu einer Oase der freien und exzellenten Wissenschaft machen. »Open to the world«, sagte EU-Forschungskommissar Carlos Moedas und traf sich im Dezember 2018 mit Vertretern aus Ländern wie Argentinien, Brasilien, Südafrika und Kanada, um diesen Plan wahr zu machen. Liest man allerdings das Kleingedruckte, ergibt sich ein anderes Bild.

Das Programm entstand vor einem komplizierteren Hintergrund als seine acht Vorgänger. Flüchtlingskrise, rechte Populisten und Brexit prägen das politische Bild in Europa 2019. Die Erschaffer des Programms, vor allem Moedas und die beiden EU-Parlamentsvertreter Christian Ehler und Dan Nica, wollen mit Horizon Europe gegen diese negativen Strömungen arbeiten.

Der Teufel im Detail

Das EU-Forschungsrahmenprogramm steht generell auch Nicht-EU-Ländern offen, und die fallen in zwei verschiedene Kategorien. Die erste Stufe bilden Staaten, die sich »assoziieren«. Dies geht nur bei Ländern, die an die EU grenzen, zum Beispiel die Balkanstaaten und der Mittelmeerraum. Unter Horizon 2020, dem noch laufenden Forschungsprogramm, gibt es 16 assoziierte Länder, darunter Norwegen, Israel, Tunesien und die Ukraine. Sie haben jeweils einen individuellen Vertrag mit der EU abgeschlossen und nehmen gegen einen jährlichen Beitrag an Forschungsförderung teil.

Alle anderen Länder zählen als Drittländer. Bedingung für ihre Teilnahme ist, dass es ein bilaterales Abkommen zwischen der EU und dem entsprechenden Land gibt und dass die betreffende Forschung nicht ohne Forscher aus diesem Land stattfinden kann. Bis Januar 2019 nahmen 108 Drittländer an Horizon 2020 teil.

Doch Horizon Europe, steht zu befürchten, wird es ihnen eher schwerer machen. Schuld sind die Teufel im Detail. Im Artikel 12 des Programms zum Beispiel sitzen einige dieser »Teufelchen«. Unter dem alten Rahmenprogramm Horizon 2020 durften Drittländer Projekte koordinieren und auch an so genannten »monobeneficiary actions« teilnehmen, also solchen Programmen, bei denen ein einzelnes Institut direkt Gelder bekommt. Im besagten Artikel 12 fehlt jedoch diese Regelung. Es ist also nicht mehr klar, ob Drittländer noch Koordinatoren sein dürfen und ob sie überhaupt an allen Programmen teilnehmen können.

Harte Bedingungen für Partner

Neben dieser Lücke enthält Artikel 12 noch einige kontroverse Zusätze. Zum Beispiel bestimmt Absatz 4, dass der jährliche Beitrag, den diese Länder für ihre Teilnahme zu leisten haben, sich automatisch korrigiert, sollte das entsprechende Drittland viel Geld von Horizon Europe gewonnen haben. In anderen Worten, ist ein Land einmal überdurchschnittlich erfolgreich, schnellen sofort die Kosten hoch.

Dies kann fatal sein, vor allem für ärmere Länder, in denen Forscher wegen der knappen nationalen Ressourcen oft auf EU-Gelder angewiesen sind. Somit würden gerade die Länder, die am härtesten um Forschungsgelder kämpfen müssen, sofort für ihren Erfolg bestraft.

Dabei ist es keineswegs so, dass Drittländer bisher einen ungerecht hohen Anteil aus dem Rahmenprogramm abschöpfen würden. Unter Horizon 2020 zum Beispiel entfielen bis jetzt nur etwa 0,6 Prozent aller Gelder an Forscher aus Drittländern – die, das ist klar, absolut unersetzliche Beiträge zur europäischen Forschung leisteten.

Aber auch in den assoziierten Ländern sind diese Beiträge eine Quelle für Zwiespalt. Norwegen zum Beispiel zahlt etwa zwei Milliarden Euro für seine Teilnahme an Horizon 2020 – mehr, als seine Forscher zurückgewinnen. Immer wieder werden in dem Land Stimmen laut, die dieses Geld lieber in nationaler Forschung angelegt sehen würden. Liechtenstein tat 2014 diesen Schritt und entschied sich, nach Ende des siebten Rahmenprogramms nicht wieder am EU-Forschungsrahmenprogramm teilzunehmen.

Bittere Pille für britische Universitäten

Sollte der Mitgliedsbeitrag von Horizon Europe sich für Drittländer wirklich jährlich ändern und mitunter rapide in die Höhe schnellen, könnte die EU wichtige Forschungspartner verlieren. Dieses Risiko würde vor allem Universitäten betreffen, die dann auf langjährige Partnerschaften verzichten müssten. Erfolgreiche Konsortien – Zusammenschlüsse von Forschungsinstituten und Fakultäten aus verschiedenen Ländern – bewerben sich über Jahre immer wieder für neue Projekte. Der Verlust eines Partners kann eine jahrzehntelange Zusammenarbeit beenden.

Europas Universitäten sind über diese Möglichkeit so besorgt, dass sie versuchen, diesen Teufel schon vorab zu bannen. Nachdem der erste Vorschlag zum Horizon-Europe-Gesetzestext veröffentlicht wurde, sandte Allea, ein Interessenverband aller Europäischen Wissenschaftsakademien, die dringende Bitte an die EU-Kommission, den Status der »associated countries« besser zu definieren.

Auch andere Verbände, so zum Beispiel die League of European Research Universities, äußerten sich dazu, etwa die Russell Group, ein Verband der besten britischen Universitäten. Die Gruppe veröffentlichte im August 2018 einige Korrekturvorschläge für Artikel 12 und bat darum, diese ins Programm mit aufzunehmen. Das sei wichtig, um Europa auch weiterhin attraktiv für internationale Forscher zu machen.

Für die britischen Universitäten hat Artikel 12 einen ganz besonders bitteren Geschmack. Selbst mit einem wohlorganisierten Brexit verliert Großbritannien erst einmal sein Teilnahmerecht am EU-Forschungsrahmenprogramm. Ein »association deal« müsste erst langwierig verhandelt werden und würde teuer. Ob die britische Regierung im Fall von schwindender Wirtschaftskraft, Ausfall von wichtigen Subventionen und kritischem Arbeitsmangel noch Geld dafür überhat, ist fraglich.

Sollte es tatsächlich zu einem harten Brexit kommen, steht das Land sogar schlechter da als Bolivien oder der Tschad – für solche Entwicklungsländer gelten einige Ausnahmeregeln im Rahmenprogramm. Die bisherigen Rahmenprogrammregeln für Drittländer besagen, dass es sich dabei um forschungsintensive, demokratische Länder handeln muss. Forschungsintensiv bedeutet, dass ein Land mindestens 1,5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Innovation ausgibt. Im Vereinigten Königreich liegt dieser Anteil derzeit etwa 1,7 Prozent. Nur: Ohne EU-Rahmenprogramm würde dieser Wert rapide fallen.

Wie offen will Europa sein?

Auch die exzellenten britischen Universitäten könnten dem Land zum Verhängnis werden. Horizon Europe behält sich das Recht vor, Drittländer von bestimmten Programmen auszuschließen, wenn sie das grundlegende Ziel dieser Programme, nämlich Wirtschaftswachstum innerhalb der EU durch Forschung zu unterstützen, untergraben würden. Dies beinhaltet auch Situationen, in denen Forscher in Nicht-EU-Ländern unfaire Vorteile haben. Britische Akademiker gewinnen die meisten Gelder vom Europäischen Forschungsrat. Könnten sie auf dieser Basis ausgeschlossen werden?

Auf diese Frage gibt es bisher keine Antwort, genauso wenig wie eine andere, die von der Regel aufgeworfen wird, dass Partner im Programm forschungsintensive und demokratische Länder sein sollen. Auch in diesem Detail stecken gleich zwei Teufel: Argentinien, Brasilien und Südafrika – die Länder, die Moedas bevorzugt umschwärmte – geben weit weniger als 1,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Forschung aus. Und wie sieht es in China und Singapur aus mit der Demokratie?

Noch ist Horizon Europe nicht fertig. Eine Befragung, organisiert von der Kommission, läuft bis September. Im selben Monat werden sich Forscher, Akademiker, Industrievertreter und Politiker in Brüssel treffen, um weitere Details des nächsten Rahmenprogramms zu entwerfen. Der Nachteil für Drittländer hierbei ist, dass sie wenig eigene Lobby haben. Der Vorteil aber sind ihre langjährigen und bewährten Freundschaften mit europäischen Partnern. Bisher ist europäische Forschung »open to the world«. Jetzt liegt es an Forschern in der EU, sich dafür stark zu machen, dass das auch in Zukunft so bleibt.

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