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News: Jenseits der Schwelle

Seit Charles Darwin wissen wir, dass alles Leben von einer einzigen Urzelle abstammt. Wirklich? Oder haben wir vielleicht mehrere Ahnen?
"Vermutlich alles Lebendige, das jemals auf dieser Erde wandelte, stammt von einer einzigen Ursprungsform ab." Als Charles Darwin 1859 diese gewagte Hypothese in die Welt setzte, löste er eine Revolution aus. Heute gilt die Darwin'sche Evolutionstheorie als eines der am besten fundierten naturwissenschaftlichen Gedankengebäude und stellt schlichtweg das Fundament der modernen Biologie dar. Doch wie sah diese allererste Zelle aus, von der alles Leben abstammt? Die Suche nach der Urzelle blieb bisher erfolglos.

Zurzeit gehen Wissenschaftler davon aus, dass sich irgendwann vor vielleicht vier Milliarden Jahren organische Moleküle zusammenschlossen und sich in der damaligen nährstoffreichen Ursuppe gütlich taten. Der entscheidende Schritt zum Leben war vermutlich, als einige dieser Aggregate lernten, RNA-Moleküle in Proteine zu "übersetzen" – die Translation war erfunden. Erst danach erfolgte gemäß diesem "RNA-Welt-Szenario" die Erfindung der Transcription, also des Umschreibens von DNA- in RNA-Moleküle. Da die DNA wiederum Kopien von sich selbst herstellen kann, war jetzt der Weg frei für die Replikation, die Vervielfältigung genetischen Materials. Mit einer Zelle, die alle drei Fähigkeiten in sich vereinigte – Translation, Transcription und Replikation – konnte das Leben starten. Da hierbei immer wieder Fehler – sprich Mutationen – auftraten, spalteten sich die Nachfahren dieser Urzelle immer weiter auf, sodass hieraus letztendlich die Vielfalt der Lebensformen entstand, wie wir sie heute kennen.

Carl Woese hat jedoch an diesem Szenario seine Zweifel. Der Mikrobiologe von der University of Illinois revolutionierte schon einmal das biologische Weltbild, als er Ende der siebziger Jahre die Existenz eines Organismenreiches der "Archaebacteria" vorschlug, die er von den "echten" Bakterien, den "Eubacteria", abtrennte. Inzwischen hat sich seine Ansicht weitgehend durchgesetzt, und die Systematiker teilen heute die Vielfalt des Lebens in mindestens drei Domänen auf: die Bacteria, die Archaea und schließlich der große Rest, die Eukarya, zu denen alle Pflanzen und Tiere und damit auch wir Menschen gehören.

Auch Woese geht davon aus, dass die "Erfindung" der drei biologischen Informationsverarbeitungsprozesse Translation, Transcription und Replikation die wichtigsten Schritte für die Entstehung des Lebens waren. Er bezweifelt jedoch die Existenz einer einzigen Urzelle, aus der sich schrittweise zunächst die Bacteria, dann die Archaea und schließlich die Eukarya entwickelten. Vielmehr hätte jeder dieser Domänen seinen eigenen Vorfahren.

Doch auch Woese bestreitet nicht, dass Bacteria, Archaea und Eukarya untereinander verwandt sind. Wie können sie dann getrennte Vorfahren haben? Die Lösung liegt im so genannten horizontalen Gentransfer: Die damaligen Urzellen waren seiner Meinung nach im großen Maße in der Lage, Teile ihres Erbguts untereinander auszutauschen, so wie wir das auch von heutigen Bakterien kennen. Damit gab es einen gemeinsamen Genpool, über den alle mehr oder weniger frei verfügen konnten.

Im Laufe der Zeit wurden die Urzellen jedoch immer komplizierter, sodass sich der horizontale Gentransfer als immer schwieriger erwies. Die Evolution wechselte zum vertikalen Gentransfer über, bei dem das Erbgut nicht an die in der Nachbarschaft lebenden Zeitgenossen, sondern zunehmend an die Nachfahren weitergegeben wurde. Mit anderen Worten: Es entstanden Arten. Woese nennt diesen entscheidenden Schritt der Evolution die "Darwin'sche Schwelle".

Damit fordert Woese seine Kollegen heraus. Doch er ist davon überzeugt, dass die Evolutionsbiologen eingefahrene Denkwege verlassen müssen: "Wir können nicht erwarten, die zelluläre Evolution zu erklären, wenn wir an der klassischen Darwin'schen Denkweise festhalten. Es ist für die Biologie an der Zeit, die Doktrin des gemeinsamen Ursprungs zu überwinden."

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