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Flughafen-Aus: Die »beste Nachricht für Zugvögel seit Jahrzehnten«

Weltweit schwinden mit den Feuchtgebieten die Rast- und Brutplätze für Millionen Zugvögel. Doch ausgerechnet am ökologisch wertvollen Tejo-Delta plante Portugal einen Flughafen. Nach langem Streit wurde das Projekt nun beerdigt.
Streitende Uferschnepfen
Der Flughafen hätte den Schutz der Uferschnepfe (Limosa limosa) um Jahrzehnte zurückgeworfen: Die vom Aussterben bedrohte Art hat im Tejo-Delta einen ihrer wichtigsten Rastplätze.

Als ihr historischer Erfolg verkündet wird, weilen die Sieger des jahrelangen Streits tausende Kilometer weit entfernt im Norden: Sie kümmern sich um ihren Nachwuchs, schließlich ist gerade Vogelbrutzeit. Es wird noch viel Wasser den portugiesischen Tejo hinunterfließen, ehe sie wieder in sein einzigartiges Mündungsdelta fliegen.

Dann aber werden sie dort auch weiterhin ungestört Station machen können, in millionenfacher Anzahl, wie seit Tausenden von Jahren. Die Entscheidung gegen den Großflughafen Montijo, die am 14. Mai 2024 in Lissabon verkündet wurde, ist nichts weniger als die beste Nachricht für bedrohte Vogelarten seit Jahrzehnten, so sehen es viele Fachleute.

Zwar gibt die Mitte-rechts-Koalition um Regierungschef Luís Montenegro den Plan eines neuen Großflughafens vor den Toren Lissabons nicht ganz auf – das Milliardenprojekt soll nun wenige Kilometer entfernt verwirklicht werden. Aber sie hat eines der ökologisch umstrittensten Infrastrukturprojekte Europas gestoppt; ein Vorhaben, das Millionen Vögel ihres wichtigsten Rastgebiets auf ihrer Zugroute zwischen Europa, Asien und Afrika beraubt hätte – mit nicht absehbaren Folgen für den Vogelzug und damit sogar für das Überleben einiger Arten.

Wäre der Flughafen Montijo gebaut worden, hätte es das Todesurteil für die auch in Deutschland vom Aussterben bedrohte Uferschnepfe sein können.

Seit Jahrzehnten wollen portugiesische Regierungen den innenstadtnahen Hauptstadtflughafen Humberto Delgado ersetzen. Er kann die Flut von Billigfliegern kaum noch verkraften. In nur wenigen Städten werden mehr Einwohner vom Fluglärm gequält als in Lissabon. Nach jahrzehntelangen Debatten hatte schließlich sogar die Umweltbehörde grünes Licht gegeben, wenn auch nur unter Vorbehalt. Vielen Fachleuten in der Behörde bereiteten die Pläne schon damals Bauchschmerzen: Der Standort des neuen Flughafens reichte unmittelbar an das Delta des Tejo heran, das als Nationalpark, Feuchtgebiet internationaler Bedeutung und Europäisches Schutzgebiet höchstmöglichen Schutz genießt.

Ein Rastplatz mit Schlüsselfunktion für unzählige Ökosysteme

Seit tausenden Jahren ist das Mündungsgebiet des längsten Flusses der Iberischen Halbinsel eine zentrale Drehscheibe für den natürlichen Flugverkehr zwischen Nord- und Südhalbkugel. Millionen Zugvögel nutzen das weitläufige Delta mit seinen angrenzenden Reisfeldern zum Rasten und zum Auftanken ihrer Nahrungsreserven für den kräftezehrenden Flug aus den europäischen und arktischen Brutgebieten in die afrikanischen Winterquartiere und zurück. An guten Tagen während der Zugzeit können sich hier mehr als 300 000 Wasservögel aus drei Kontinenten gleichzeitig versammeln. Dadurch reicht seine Bedeutung weit über Portugal hinaus. Watvögel aus 30 verschiedenen Ländern besuchen regelmäßig das Gebiet. Experten zufolge ist es für das Funktionieren der Ökologie in 340 europäischen Schutzgebieten relevant, die teils tausende Kilometer entfernt liegen.

Rasten im Feuchtgebiet | Manchmal befindet sich die Hälfte aller europäischen Uferschnepfen in der Umgebung Lissabons. Die andere Hälfte zieht über das spanische Doñana-Gebiet, das zusehends unter Wassermangel leidet.

Vor allem auf Uferschnepfen haben die wattenmeerähnlichen Gezeitenzonen des Flusses zu Frühjahrsbeginn und im Herbst eine magische Anziehungskraft. »Manchmal hält sich hier die Hälfte aller Uferschnepfen Europas zur gleichen Zeit auf«, sagt Biologe José Alves von der Universität Aveiro, der die Vögel seit vielen Jahren erforscht. »Das gibt uns eine riesige Verantwortung, dafür einzutreten, dass die Vögel den Lebensraum behalten, den sie zum Überleben brauchen.« Der Anblick tausender Uferschnepfen auf engstem Raum ist andernorts kaum möglich. Denn die Vögel sind weltweit gefährdet. In Deutschland rangieren sie sogar in der höchsten Kategorie der Roten Liste als akut vom Aussterben bedroht. Nach Bestandseinbrüchen um 70 Prozent in den letzten drei Jahrzehnten brüten heute hier zu Lande kaum noch 3500 Paare.

Die Schönheit aus dem Schlamm ist niederländischer Nationalvogel

Ähnlich schlecht sieht der Trend in den Niederlanden aus, wo fast 80 Prozent aller europäischen Uferschnepfen brüten. Die schlanken, langbeinigen Watvögel mit leuchtend orange-braunem Gefieder und einem sehr langen Schnabel haben es dort vielen Menschen angetan. Denn ungeachtet ihres wissenschaftlichen Namens Limosa limosa, der als »die Schlammige« übersetzt werden kann und ihrer Vorliebe für feuchte Wiesen geschuldet ist, sind sie elegante Schönheiten. Mit großem Vorsprung wurde »Grutto«, wie die Art auf Niederländisch heißt, 2015 zum niederländischen Nationalvogel gewählt. Der Liedermacher Syb van der Ploeg widmete der »Königin der niederländischen Wiesen« sogar einen Song.

Nicht nur in den Niederlanden wird seit Jahren mit erheblichem Aufwand und Millionensummen versucht, den Niedergang der charismatischen Wiesenvögel aufzuhalten. Dass das kein hoffnungsloses Unterfangen sein muss, beweist das mit EU-Hilfe betriebene Schutzprojekt LIFE Godwit Flyway des Landes Niedersachsen am Dümmer-See bei Diepholz. Dort ist es durch Wiedervernässung trockengelegter Niedermoorwiesen gelungen, den Kollaps zu stoppen und die Bestände innerhalb von nur zwei Jahrzehnten auf inzwischen 250 Brutpaare zu verfünffachen.

Ein Flughafen Montijo hätte den Kampf um das Überleben der Vogelart um Jahrzehnte zurückgeworfen, sagt Andreas Barkow. Er koordiniert vom Dümmer aus das Projekt Flyway, mit dem für Uferschnepfen entlang ihres gesamten Zugwegs bis Westafrika bessere Bedingungen geschaffen werden sollen. »Für Uferschnepfen, die über tausende Kilometer Entfernung ziehen, ist es genauso wichtig, was mit ihrem Lebensraum in Portugal oder im Senegal geschieht, wie hier am Dümmer«, sagt er. Gerade Zugvögel, die auf Feuchtgebiete angewiesen sind, stünden durch den Klimawandel schon gewaltig unter Druck.

Auch das zeigt sich auf der Iberischen Halbinsel, nur gut 300 Kilometer südöstlich des jetzt geretteten portugiesischen Deltas. Dort trocknet seit Jahren der weltberühmte spanische Doñana-Nationalpark förmlich aus, ein noch wichtigeres Rastgebiet für Uferschnepfen und andere wassergebundene Vogelarten als die Tejo-Mündung. Die Doñana trocknet aus, weil es immer weniger Niederschlag gibt und gleichzeitig zu viel Wasser für die Landwirtschaft entnommen wird.

Auch in Afrika schwinden die Feuchtgebiete

In immer schnellerer Taktung müssten sich Zugvögel an eine durch Mensch und Klimawandel veränderte Umwelt anpassen, gibt Wouter Vanstellant zu bedenken. »Wenn Lebensräume wie Doñana und das Senegal-Delta in Westafrika zunehmend unter Druck geraten, nimmt die Bedeutung von Schutzgebieten wie dem Tejo-Delta sogar noch zu«, sagt der Zugvogelforscher von der niederländischen Universität Groningen. Gemeinsam mit Kollegen konnte Vanstellant nachweisen, dass immer mehr Uferschnepfen auf ihrem Zug in den Süden von der Doñana in das Tejo-Delta ausweichen, um Nahrung zu finden.

Solche Umwege werden Zugvögel in Zukunft noch häufiger machen müssen: Neun von zehn Feuchtgebieten in Afrika, die als Trittsteine für ziehende Wasservögel wichtig sind, werden bis 2050 deutlich an Qualität einbüßen. Das ergab eine im Fachjournal »Global Change Biology« veröffentlichte Studie. Etliche Feuchtgebiete dürften sogar ganz verloren gehen.

Tejo-Delta | Die 17,2 Kilometer lange Vasco-da-Gama-Brücke überquert das Delta und verbindet Lissabon mit der Stadt Montijo am anderen Ufer.

Umso wichtiger ist für den portugiesischen Wissenschaftler José Alves der Schutz der Vögel im Tejo-Delta. Der Biologe zählte von Anfang an zu den Kritikern des Flughafenprojekts. Zwar hätten die Planer darauf geachtet, die Infrastruktur des Airports haarscharf außerhalb des europarechtlich streng geschützten Feuchtgebiets zu planen, sagt er. Beim Starten und Landen hätten die Flugzeuge das Schutzgebiet aber ständig in niedrigster Höhe durchquert und so einen fast durchgängigen Tieffluglärm über den Nahrungsflächen der Uferschnepfen erzeugt.

In der Genehmigung hieß es ursprünglich, dass nur ein halbes Prozent der Vögel in der Schutzzone betroffen sei. Doch Alves und seine Kollegen hatten nachweisen können, dass die tatsächliche Zahl eher bei 60 Prozent und mehr lag. Die Toleranzschwelle, ab der die Vögel zum Beispiel bei der Nahrungssuche gestört werden, liegt deutlich niedriger als im Verfahren angesetzt, wie die Wissenschaftler um Alves mit umfangreichen eigenen Analysen darlegten.

Ungezählte Male stellten sie ihre Ergebnisse vor Gerichten, in Gutachten und in Fachpublikationen vor. Im Februar zeigte sich schließlich auch die Umweltbehörde überzeugt und widerrief ihre eigene Baugenehmigung. Mitte Mai konnte damit Regierungschef Montenegro nicht anders und zog mit der Entscheidung für einen anderen Standort endgültig einen Strich unter die Angelegenheit. »Es ist eine Entscheidung, die auf harten wissenschaftlichen Erkenntnissen fußt«, sagt Alves.

Gebaut werden soll der Hauptstadtflughafen nun wenige Kilometer landeinwärts nahe dem Touristenort Alcochete. Auch dafür müsse es eine wissenschaftlich fundierte Umweltverträglichkeitsprüfung geben, fordert Alves. Ein Plädoyer dafür hat der Forscher bereits veröffentlicht.

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