Artenschutz: Ein Vogel, wertvoller als Elfenbein
Wer den Ruf des männlichen Schildhornvogels je zu hören bekam, vergisst ihn nie wieder: Die anfangs lang gezogenen Huh-Laute steigern sich nach und nach zu einem schadenfreudigen Gelächter, das bis zu zwei Kilometer durch den Urwald tönt. Laut einer Sage aus Borneo sind die Huh-Laute die Axtschläge eines verärgerten jungen Mannes, der die Pfähle des Langhauses seiner Schwiegermutter bearbeitet und in irres Gelächter ausbricht, als es in den Fluss gleitet und wegtreibt. Die Freude währt übrigens nicht lange: Die Götter verwandeln den jungen Mann zur Strafe in einen Schildhornvogel.
Der »helmeted hornbill« (Rhinoplax vigil), wie er auf Englisch heißt, ist eine eindrucksvolle Erscheinung: Mit über einem Meter Körperlänge ist er einer der größten Hornvögel Asiens. Wirklich auffällig und namensgebend ist sein massiger, gelb-roter Schnabel, der innen nicht hohl ist wie bei verwandten Arten, sondern aus dichtem Keratin besteht. Entsprechend schwer hat der Vogel an seinem Schnabel zu tragen, der rund zehn Prozent seines Körpergewichts von etwa drei Kilogramm ausmacht.
Eine Last ist der Schnabel auch im übertragenen Sinn: Das Keratin des Schnabels ist sehr hart, aber weicher als Elfenbein, und eignet sich damit hervorragend für die aufwändigen und feinen Schnitzereien, wie sie in China seit Jahrhunderten angefertigt werden. So wird der Schildhornvogel schon lange gejagt, um kunstvoll verzierte Figurinen, Gürtelschnallen, Schnupftabakdosen oder Knöpfe herzustellen, die seit jeher als kostbare Statussymbole gelten.
Der Schutz der Elefanten ist das Leid des Schildhornvogels
In der vergangenen Dekade ist die Nachfrage nach dem »roten Elfenbein« jedoch explosionsartig gestiegen. »Wir wissen nicht sicher, warum es plötzlich so begehrt ist. Wahrscheinlich liegt es zum einen daran, dass es schwieriger geworden ist, an echtes Elfenbein zu kommen, und zum anderen daran, dass der Wohlstand in China zugenommen hat und sich mehr Menschen Luxusartikel kaufen können«, sagt Anuj Jain von BirdLife International und Koordinator der Helmeted Hornbill Working Group der Weltnaturschutzunion (IUCN).
Die prekäre Situation des Vogels wurde im Januar 2015 bekannt. Damals schlug die Environmental Investigation Agency Alarm: Der Preis für das Schnabelkeratin war auf den Schwarzmärkten in China auf das Fünffache von Elfenbein gestiegen. Yokyok Hadiprakarsa, ein indonesischer Hornvogelexperte, enthüllte kurz darauf das Ausmaß der Wilderei: Innerhalb von 30 Monaten, von März 2012 bis August 2014, waren in Kalimantan, Indonesien, 1117 Schildhornvogelköpfe oder -schnäbel und in China 1053 beschlagnahmt worden.
Da solche Funde in aller Regel nur die Spitze des Eisbergs darstellen und die massive Wilderei eine Art traf und trifft, die auch mit dem Verlust ihres Lebensraums zu kämpfen hat, reagierte der internationale Artenschutz schnell: Schon im November 2015 wurde der Schildhornvogel auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion hochgestuft und gilt seitdem als »vom Aussterben bedroht«.
Erhaltungsmaschinerie dank Status auf der Roten Liste
An der tödlichen Kombination von Wilderei und Lebensraumverlust ändert der Status auf der Roten Liste erst einmal wenig. Er setzt allerdings eine »Erhaltungsmaschinerie« in Gang, denn er sorgt für eine größere öffentliche Aufmerksamkeit, informiert Fachleute, Entscheidungsträger sowie für Naturschutz zuständige Behörden und erleichtert den Zugang zu Geldtöpfen, die für solche Fälle reserviert sind.
»Die Situation hat sich um 180 Grad gewendet«, sagt auch Hadiprakarsa, Gründer der Hornvögel-Schutzorganisation Rangkong Indonesia. Früher hätte er allein für den Schutz der Vögel gekämpft, mittlerweile hätte das Interesse stark zugenommen. Die 2015 zunächst formlos gegründete Helmeted Hornbill Working Group koordiniert alle Artenschutzbemühungen rund um den Schildhornvogel. Ein Meilenstein ist der »Aktionsplan 2018-2027«, der mit Hilfe von 30 Naturschutzorganisationen entworfen und 2018 verabschiedet wurde.
Die To-do-Liste zur Rettung des Vogels ist lang: Die Vogelschützer planen breit angelegte Aufklärungskampagnen in China, um die Nachfrage nach Schnäbeln zu reduzieren. Sie setzen sich für die Einhaltung der bestehenden Artenschutzgesetze ein, etwa eine konsequente Strafverfolgung von Wilderern auch über Ländergrenzen hinweg. Sie führen Wiederaufforstungsmaßnahmen in degradierten, aber wertvollen Lebensräumen durch und schützen Gebiete mit einem hohen Vogelvorkommen – sofern bekannt – durch gut ausgebildete Ranger.
Wo genau leben die Vögel?
Erste Priorität hat aber das Monitoring der Vögel, um jene Gebiete zu identifizieren, in denen besonders viele davon leben. Schildhornvögel sind in Asien weit verbreitet und kommen in Indonesien, auf Borneo und auf der malayischen Halbinsel bis Myanmar vor. Wie viele Tiere allerdings wo genau leben, ist größtenteils noch unbekannt, was Schutzmaßnahmen erschwert.
Auch ihre eigene Biologie schlägt den Vögeln ein Schnippchen: Um zu überleben, sind sie auf ursprünglichen Tieflandregenwald angewiesen. Nur dort wachsen jene alten Baumriesen, in deren Stämmen sich passende Bruthöhlen finden. Die Bäume weisen einen Durchmesser von ein bis zwei Metern auf und können bis zu 70 Meter hoch wachsen, wofür sie etwa 100 Jahre benötigen. »Die Vögel können die Höhlen nicht selbst machen. Die entstehen durch Spechte oder Pilzinfektionen, und das braucht Jahre«, erklärt Ravinder Kaur von der Malaya-Universität in Kuala Lumpur, Malaysia, der im Rahmen seiner Doktorarbeit die erstaunliche Fortpflanzungsbiologie der Schildhornvögel erforscht.
»Die Vögel können die Höhlen nicht selbst machen. Die entstehen durch Spechte oder Pilzinfektionen, und das braucht Jahre«
Ravinder Kaur, Doktorand an der Malaya-Universität in Kuala Lumpur
Die Vögel paaren sich fürs Leben. Haben sie eine passende Bruthöhle gefunden, mauert sich das Weibchen bis auf eine kleine Öffnung darin ein. Rund 150 Tage, also fünf Monate, sitzt es in der Höhle und zieht ein Junges groß, bis dieses flügge ist. In dieser Zeit ist das Weibchen vollständig auf das Männchen angewiesen, das es durch die Öffnung füttert, so wie später auch das Junge.
Künstliche Bruthöhlen werden nicht akzeptiert
Wenig überraschend ist die Fortpflanzungsrate der Vögel gering, weswegen jeder gewilderte Vogel einer zu viel ist. Erschwerend kommt hinzu, dass sie künstliche Nisthöhlen nicht akzeptieren und bislang kein Fall einer erfolgreichen Nachzucht in Gefangenschaft bekannt wurde. »Vielleicht ist es die besondere Form ihrer natürlichen Bruthöhle, die wir nicht gut genug nachgebildet haben, vielleicht sind es andere Faktoren, die wir noch nicht kennen«, sagt Jain.
Einzigartig ist auch ein bislang noch nicht vollständig geklärtes Verhalten, das die Vögel in der Nähe von Feigenbäumen zeigen: Die Tiere fliegen zunächst voneinander weg, drehen um, fliegen aufeinander zu und knallen ihre Schnäbel frontal aufeinander. Die Wucht ist meist so groß, dass einer oder beide Vögel nach hinten geschleudert werden und durch die Luft wirbeln. Biologen vermuten, dass der Gewinner den besten Zutritt zu den Feigen erhält, die Hauptnahrungsquelle der Vögel. Die in den Früchten enthaltenen Samen verteilen die Vögel mit ihrem Kot und spielen somit als Samenverbreiter eine wichtige Rolle im Ökosystem Regenwald.
Wilderer kennen das Verhalten der Vögel und lauern ihnen an Feigenbäumen auf, wo sie die Tiere mit Luftgewehren erschießen und köpfen. Auch das Nistverhalten nutzen sie aus, denn das Männchen ist weniger aufmerksam, während es das Weibchen füttert. »Das eingeschlossene Weibchen und das Junge sind ebenfalls leichte Beute. Die Kletterpartie ist allerdings eine Herausforderung, denn das Nest befindet sich in mindestens 20 Meter Höhe«, erklärt Kaur.
Die Vögel nisten hauptsächlich in Bäumen aus der Familie der Dipterocarpaceae (Flügelfruchtgewächse), einer in Südostasien weit verbreiteten und sehr artenreichen Baumfamilie. »Dipterocarpus-Bäume sind in der Holzindustrie sehr nachgefragt«, sagt Kaur. Auf Grund der starken Abholzung stehen einige der Brutbaumarten selbst auf der Roten Liste.
Lebensraum der Vögel steht ebenfalls auf der Roten Liste
Von 1973 bis 2010 wurden allein auf Borneo 16,8 Millionen Hektar Regenwald abgeholzt, eine Fläche fast halb so groß wie Deutschland. »Aber Palmöl allein ist es nicht. Auf das Konto von Palmöl gehen 20 Prozent der Abholzung im Zeitraum 1973 bis 2017«, sagt Erik Meijaard, Gründer von Borneo Futures, einem Netzwerk aus 350 Wissenschaftlern, die den Naturschutz auf Borneo auf solide wissenschaftliche Füße stellen wollen. Regenwald wird auch für Gummi- und Kakaoplantagen, die Herstellung von Zellstoff und Papier sowie zum Bau von Minen geschlagen. Hinzu kommen Brände, die in den vergangenen Jahren große Flächen von Regenwald vernichtet haben.
Die Regierungen Borneos haben inzwischen erkannt, dass ihr Wald schützenswert ist. So kündigte Malaysias Regierung im September 2018 an, dass die verbliebenen gut 50 Prozent der Walddecke des Landes erhalten bleiben sollen. Ähnliches gilt für den indonesischen Teil von Borneo. Ein Hoffnungsschimmer für etliche bedrohte Arten.
»Der Verkauf eines Vogels kann eine Familie einen Monat lang ernähren«
Yokyok Hadiprakarsa, Hornvogelexperte
Auch der Wilderei haben die Vogelschützer entschieden den Kampf angesagt. Momentan werden die Vögel vor allem im indonesischen Teil von Borneo gewildert. Experten sorgen sich, dass die Wilderer bald auf den malaiischen Teil ausweichen könnten: »In Indonesien hat die Wilderei abgenommen, weil die Vögel selten geworden sind und die Strafverfolgung zunimmt«, sagt Hadiprakarsa, der auch die einheimische Bevölkerung im Blick hat: »Wir müssen die Lebensgrundlage der Menschen verbessern. Der Verkauf eines Vogels kann eine Familie einen Monat lang ernähren.«
So gibt es bereits Projekte, in denen ehemalige Wilderer Touristen durch die Wälder führen und ihnen die Vögel zeigen; Einheimische werden ausgebildet, um die Tiere zu identifizieren und ihre Nester zu überwachen. Gleichzeitig beobachten nun mehrere NGOs wie TRAFFIC China, TRAFFIC Southeast Asia und MONITOR den Schnabelhandel bei Auktionen und im Internet, um das Ausmaß sowie die Dynamik des Handels zu verstehen. »Die Artenschutzgemeinschaft arbeitet intensiv daran, die Wilderei zu stoppen und den Vogel vor dem Aussterben zu bewahren«, sagt Jain. »Ob unsere Bemühungen ausreichen, wird sich zeigen.«
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