Emotionen: Sich um Furcht bemühen
Schreckensweite Augen beim Gegenüber sollten eigentlich ein unmissverständliches Signal sein, selbst besser aufzupassen. Offenbar aber muss das Gehirn zunächst bereit sein, den Wink an der richtigen Stelle auch einzuholen und wahrzunehmen.
Ralph Adolphs und seine Kollegen kennen die freundliche 38-Jährige schon lange – ihre Patientin "SM" war im Laufe der letzten zehn Jahre schon häufig zu Besuch in der neurologischen Abteilung der Universität von Iowa. Im Umgang mit anderen Menschen zeigt sich die Frau offen und entgegenkommend. Allerdings auch etwas zu unterschiedslos vertrauensvoll: SM ist nicht in der Lage, normale Angst und Furchtreaktionen zu entwickeln – sie leidet unter der Urbach-Wiethe-Krankheit, einer sehr seltenen Gehirnerkrankung, bei der das Emotionszentrum des Gehirns, die Amygdala, beidseitig stark geschädigt ist.
Die Bedeutung der kleinen mandelförmigen Region für eine Reihe von emotionalen Verarbeitungsprozessen ist längst bewiesen. Unter anderem gelingt uns mit Hilfe der Amygdala, am Gesicht eines Gegenübers dessen emotionalen Zustand abzulesen. Besonders deutlich wird dies bei starken Gefühlen, die sich auf gesunden Menschen schon allein durch den Anblick anderer übertragen können. Etwa der Angst – sie vermittelt sich, wie erst kürzlich Untersuchungen gezeigt haben, über die Weite der Augen eines Antlitz. Je mehr Augenweiß in den aufgerissenen Augen eines Gegenübers zu sehen ist, desto furchtvoller erscheint uns das Gesicht – und desto mehr sorgt unsere Amygdala für ähnliche Emotion beim mitfühlenden Betrachter selbst.
Bei SM funktioniert dieser Regelkreis allerdings überhaupt nicht: Sie denkt zwar durchaus logisch und zeigt ganz übliche Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Sprachleistungen – nur allerdings, wenn deren Verarbeitung keine emotionale Qualität berührt. Angst etwa, so zeigte sich in früheren Untersuchungen, kann sie optisch nur sehr schwer an anderen erkennen. Logisch, dachten die Forscher Atkins zunächst, denn die geschädigte Amygdala kann die üblichen eingehenden Signale einfach nicht umsetzten, um die Furchtemotion im Gehirn der Patientin auszulösen. Diese Hypothese stellte sich nun allerdings als unzureichend heraus.
Die Forscher hatten in neuen Untersuchungsreihen analysiert, was genau den visuellen Bearbeitungsprozess von SM und gesunden Experimentteilnehmern unterscheidet, die fröhliche und ängstliche Gesichter (oder Ausschnitte davon) erkennen und emotional bewerten sollten. Dazu wurde unter anderem festgehalten, wohin Probanden bei der Gesichtererkennung eigentlich genau achteten. Gesunde orientierten sich, wie sich zeigte, zur Einordnung ängstlicher Gesichter nahezu ausschließlich an der aufgerissenen Augenpartie: Sie zog die Blicke der Versuchsteilnehmer stets unmittelbar an. Ganz anders SM: Ihre Blicke schienen die angstgeweiteten Augen eines furchtsamen Gesichtes geradezu zu vermeiden und tanzten nur ziellos vage in der Mitte des zu bewertenden Gesichts.
Woran lag das? Fehlte der Patientin schlicht die schon Schimpansen und sieben Monate alten menschlichen Säuglingen verinnerlichte Regel, das Emotionen wie Angst an den Augen abzulesen sind? Dem wäre dann ja abzuhelfen, dachten die Wissenschaftler – und wiesen SM in einer weiteren Versuchsreihe an, insbesondere auf die Augen eines präsentierten Gesichtes zu achten, um die Emotion einzuordnen.
Verblüffend, aber das half eindeutig: Die Frau erkannte allein mit dieser kleinen Hilfestellung und einer daraufhin bewussten Blickkontrolle Richtung Augen plötzlich ängstliche Gesichter durchaus. Allerdings hielt diese Fähigkeit nicht lange vor – bald schon vergaß SM die bewusste Regelarbeit wieder, ohne sie automatisiert haben zu können.
Ängstlich aufgerissene Augen wahrnehmen und bewerten kann die Patientin also im Prinzip durchaus – der sonst offenbar eingebaute Automatismus des gehirneigenen Emotionserkennungsprogramms aber fehlt offenbar und kann nur notdürftig mit bewusster Anstrengung übertüncht werden.
Was bedeutet dies für die Rolle der Amygdala? Offensichtlich, so die Schlussfolgerung der Forscher, ist diese nicht nur ein Filter visueller Information, die sie dann in Emotion umsetzt. Vielmehr kommuniziert eine funktionsfähige Amygdala wohl auch mit dem optischen Sinn und weist ihn aktiv an, auf bestimmte wichtige Merkmale automatisch zu achten, um aus den dabei gezielt gesammelten Informationen nähere Aufschlüsse zu sammeln. Der Mandelkern ist also Befehlsgeber der köpereigenen Umwelt-Aufklärung.
Diese bislang unterschätzte Aufgabe des Emotionszentrums könnte vielleicht weit reichend nutzbringend eingesetzt werden, hoffen die Wissenschaftler um Adolphs. Vielleicht wäre beispielsweise Autisten mit einfachem und sinnvollem Regelwerk gedient, mit dem sie emotionale und soziale Kommunikationsdefizite zumindest teilweise kompensieren können? Davor sind allerdings noch einige Verständnislücken zu füllen, kommentiert etwa Patrick Vuilleumier von der Universität Genf – immerhin aber liefert die einzigartige SM genug Stoff zum Überdenken unserer Emotionsverarbeitung.
Die Bedeutung der kleinen mandelförmigen Region für eine Reihe von emotionalen Verarbeitungsprozessen ist längst bewiesen. Unter anderem gelingt uns mit Hilfe der Amygdala, am Gesicht eines Gegenübers dessen emotionalen Zustand abzulesen. Besonders deutlich wird dies bei starken Gefühlen, die sich auf gesunden Menschen schon allein durch den Anblick anderer übertragen können. Etwa der Angst – sie vermittelt sich, wie erst kürzlich Untersuchungen gezeigt haben, über die Weite der Augen eines Antlitz. Je mehr Augenweiß in den aufgerissenen Augen eines Gegenübers zu sehen ist, desto furchtvoller erscheint uns das Gesicht – und desto mehr sorgt unsere Amygdala für ähnliche Emotion beim mitfühlenden Betrachter selbst.
Bei SM funktioniert dieser Regelkreis allerdings überhaupt nicht: Sie denkt zwar durchaus logisch und zeigt ganz übliche Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Sprachleistungen – nur allerdings, wenn deren Verarbeitung keine emotionale Qualität berührt. Angst etwa, so zeigte sich in früheren Untersuchungen, kann sie optisch nur sehr schwer an anderen erkennen. Logisch, dachten die Forscher Atkins zunächst, denn die geschädigte Amygdala kann die üblichen eingehenden Signale einfach nicht umsetzten, um die Furchtemotion im Gehirn der Patientin auszulösen. Diese Hypothese stellte sich nun allerdings als unzureichend heraus.
Die Forscher hatten in neuen Untersuchungsreihen analysiert, was genau den visuellen Bearbeitungsprozess von SM und gesunden Experimentteilnehmern unterscheidet, die fröhliche und ängstliche Gesichter (oder Ausschnitte davon) erkennen und emotional bewerten sollten. Dazu wurde unter anderem festgehalten, wohin Probanden bei der Gesichtererkennung eigentlich genau achteten. Gesunde orientierten sich, wie sich zeigte, zur Einordnung ängstlicher Gesichter nahezu ausschließlich an der aufgerissenen Augenpartie: Sie zog die Blicke der Versuchsteilnehmer stets unmittelbar an. Ganz anders SM: Ihre Blicke schienen die angstgeweiteten Augen eines furchtsamen Gesichtes geradezu zu vermeiden und tanzten nur ziellos vage in der Mitte des zu bewertenden Gesichts.
Woran lag das? Fehlte der Patientin schlicht die schon Schimpansen und sieben Monate alten menschlichen Säuglingen verinnerlichte Regel, das Emotionen wie Angst an den Augen abzulesen sind? Dem wäre dann ja abzuhelfen, dachten die Wissenschaftler – und wiesen SM in einer weiteren Versuchsreihe an, insbesondere auf die Augen eines präsentierten Gesichtes zu achten, um die Emotion einzuordnen.
Verblüffend, aber das half eindeutig: Die Frau erkannte allein mit dieser kleinen Hilfestellung und einer daraufhin bewussten Blickkontrolle Richtung Augen plötzlich ängstliche Gesichter durchaus. Allerdings hielt diese Fähigkeit nicht lange vor – bald schon vergaß SM die bewusste Regelarbeit wieder, ohne sie automatisiert haben zu können.
Ängstlich aufgerissene Augen wahrnehmen und bewerten kann die Patientin also im Prinzip durchaus – der sonst offenbar eingebaute Automatismus des gehirneigenen Emotionserkennungsprogramms aber fehlt offenbar und kann nur notdürftig mit bewusster Anstrengung übertüncht werden.
Was bedeutet dies für die Rolle der Amygdala? Offensichtlich, so die Schlussfolgerung der Forscher, ist diese nicht nur ein Filter visueller Information, die sie dann in Emotion umsetzt. Vielmehr kommuniziert eine funktionsfähige Amygdala wohl auch mit dem optischen Sinn und weist ihn aktiv an, auf bestimmte wichtige Merkmale automatisch zu achten, um aus den dabei gezielt gesammelten Informationen nähere Aufschlüsse zu sammeln. Der Mandelkern ist also Befehlsgeber der köpereigenen Umwelt-Aufklärung.
Diese bislang unterschätzte Aufgabe des Emotionszentrums könnte vielleicht weit reichend nutzbringend eingesetzt werden, hoffen die Wissenschaftler um Adolphs. Vielleicht wäre beispielsweise Autisten mit einfachem und sinnvollem Regelwerk gedient, mit dem sie emotionale und soziale Kommunikationsdefizite zumindest teilweise kompensieren können? Davor sind allerdings noch einige Verständnislücken zu füllen, kommentiert etwa Patrick Vuilleumier von der Universität Genf – immerhin aber liefert die einzigartige SM genug Stoff zum Überdenken unserer Emotionsverarbeitung.
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