»Das Ende des Traumas«: Wir sind resilient
Es gibt wohl nur wenige Menschen, die nicht irgendwann in ihrem Leben eine potenziell traumatische Erfahrung machen. Dazu gehören schwere Unfälle, Gewalttaten, Krankheiten, eine schmerzvolle Trennung oder der Verlust eines geliebten Menschen. Gelingt es nicht, diese Erfahrung in einem bestimmten Zeitraum angemessen zu verarbeiten, kann sich daraus eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln, welche die Lebensqualität stark einschränkt und im schlimmsten Fall ein normales Leben weitgehend unmöglich macht.
Menschen, die derart belastende Erfahrungen ohne schwerwiegende psychische Folgen überstehen, werden als »resilient« bezeichnet. Kein Wunder, dass sich zahlreiche Ratgeber der Resilienz widmen – mit mehr oder weniger hilfreichen Definitionen und Handlungsanweisungen. Der US-amerikanische Trauma- und Resilienzforscher George A. Bonanno hat die Ergebnisse seiner mehr als drei Jahrzehnte währenden Forschungstätigkeit nun in einem Buch zu diesem Thema zusammengefasst. Seine Kernthese: Resilienz – definiert als Muster anhaltender psychischer Gesundheit nach potenziellem Trauma – ist weniger außergewöhnlich, als wir denken.
In gewisser Weise fordert der Professor für Klinische Psychologie und Leiter des »Loss, Trauma, and Emotion Lab« am Teachers College der Columbia University in New York damit einen Paradigmenwechsel in der Traumaforschung. Denn die herkömmliche Auffassung besagt, dass traumatische Erfahrungen fast immer zu einer PTBS führen. Bonanno zeigt dagegen, dass nur rund ein Drittel aller Traumaopfer eine Belastungsstörung entwickelt. Das gilt für Menschen mit ganz unterschiedlichen traumatisierenden Erfahrungen, etwa Augenzeugen der Anschläge vom 11. September 2001, Unfallopfer mit dauerhafter Querschnittslähmung oder Betroffene der COVID-19-Pandemie. Resilienz scheint also eher die Norm als die Ausnahme zu sein.
Auf die Flexibilität kommt es an
Was aber funktioniert bei resilienten Menschen gut und versagt bei solchen, die eine PTBS entwickeln? Diesen Fragen nähert sich Bonanno über Fallbeispiele. Anhand einer Liste von Eigenschaften, die Resilienz fördern sollen, macht der Autor zunächst deutlich, dass kein Mensch über all diese Eigenschaften verfügen kann. Zudem belegen Studien, dass viele dieser vermeintlich positiven Aspekte – wie Religionszugehörigkeit oder Achtsamkeitstraining – je nach Kontext auch negative Auswirkungen haben können. Und selbst unbestreitbar nützliche Faktoren wie soziale Unterstützung, eine optimistische Einstellung und eine Konzentration auf Problemlösungsstrategien tragen oft nur einen kleinen Teil zur Entwicklung von Resilienz bei. Tatsächlich lässt sich dieses Paradoxon lösen, wenn man davon ausgeht, dass Menschen in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Verhaltensmuster an den Tag legen, so der Autor. Entscheidend sei also letztlich das Gesamtbild: das richtige Verhalten in der richtigen Situation zur richtigen Zeit. Resilienz ergibt sich damit aus einem stabilen Reaktionsmuster gesunder Funktionsweisen über die Zeit.
Anhand eigener Untersuchungen und besagten Fallbeispielen arbeitet Bonanno heraus, dass ein flexibles Selbstbild von entscheidender Bedeutung für die Ausbildung von Resilienz ist. Dabei befähigen uns drei Komponenten zur flexiblen Anpassung an gegebene Herausforderungen: ein optimistischer Blick in die Zukunft, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sowie die Bereitschaft, eine Bedrohung als Herausforderung anzusehen. Den Anpassungsprozess selbst bezeichnet Bonanno als »Flexibilitätssequenz«. Am Anfang steht hier das Erfassen der eigenen Situation, begünstigt durch eine ausgeprägte Sensibilität für den Kontext. Anschließend wählt der Betroffene aus einem Repertoire an hilfreichen Verhaltensweisen aus und bewertet anschließend, ob dieses Verhalten geholfen hat (»Feedbacküberwachung«).
Am Schluss des Buchs dokumentiert Bonanno, dass das vorgestellte Wissen Patienten tatsächlich helfen kann. Dabei berichtet er von den Erfahrungen der Krankenhauspsychologin Wendy Lilienthal: Sie wendet die Methode der Flexibilitätssequenz im klinischen Alltag erfolgreich an. Es folgen konkrete Anleitungen zur Selbsthilfe, unter anderem zum strukturierten Selbstgespräch, das die Entwicklung eines flexiblen Selbstbilds befördern soll. Umfangreiche, nach Kapiteln geordnete Literaturhinweise sowie ein ausführliches Stichwortverzeichnis runden das Buch ab. So bietet »Das Ende des Traumas« fachlich deutlich mehr als gewöhnliche Ratgeber. Dabei liest es sich leicht und eignet sich so auch für Menschen ohne psychologisches Grundwissen.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben