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»Der Unterschied«: Die Natur liebt Vielfalt

Der Primatologe Frans de Waal versöhnt Gender und Biologie. Hier schreibt nicht nur ein Tier-, sondern auch ein Menschenfreund. Eine Rezension.
Schimpansen (Symbolbild)

»Wir leben in einer Zeit, in der manche Leute systematisch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern aufbauschen […], während andere wiederum sämtliche Unterschiede auszuradieren versuchen, indem sie sie als bedeutungslos hinstellen«, schreibt Frans de Waal im Vorwort seines neuen Buchs. Der weltberühmte Primatologe schaltet sich damit in die Gender-Debatte und das viel diskutierte Thema »nature« versus »nurture« ein: Sind die typischen Verhaltenszüge von Männern und Frauen angeboren oder anerzogen? Wie sehr unterscheiden wir uns wirklich voneinander?

Der öffentliche Diskurs dazu wird emotional geführt und erhitzt die Gemüter. Sich auf dieses Minenfeld zu begeben, erfordert Mut – und gute Argumente. De Waals Anliegen: die Debatte zu entideologisieren. Das Ergebnis ist eine erfrischend rationale, unaufgeregte Auseinandersetzung mit dem Thema Gender. De Waal unterfüttert seine Thesen mit zahlreichen Beobachtungen unserer nächsten Verwandten: Schimpansen und Bonobos. Dabei wechselt er elegant zwischen Verhaltensforschung, Anekdoten aus Primatenkolonien und Beschreibungen unserer eigenen Spezies. Er stellt sich auf keine Seite, wägt sorgfältig ab, erzählt abwechslungsreich und humorvoll. Sein Talent dafür stellte de Waal bereits in zahlreichen früheren Veröffentlichungen unter Beweis. Ob Emotionen, Moral, Altruismus oder Kultur: Stets halten uns seine haarigen Protagonisten unterhaltsam den Spiegel vor.

Geschlechtsunterschiede nicht ignorieren

Manch einer wird sich fragen, was ein Primatologe über Gender lehren kann. Haben sich Menschen nicht dank ihrer hohen Intelligenz ihrer evolutionären Wurzeln entledigt? De Waal nennt das »Neo-Kreationismus«: »Als sei die Evolution in dem Moment, da sie unseren Hals erreichte, abrupt zum Stillstand gekommen.« Die reine Eitelkeit! Es gebe zahlreiche Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen, die auch bei anderen Primaten vorhanden seien. Ein Beispiel ist das bei Männern stärker ausgeprägte Aggressionspotenzial. Dem Autor zufolge ist deshalb eine Erziehung wichtig, die Geschlechtsunterschiede nicht ignoriert. Auch verfügten wir über eine angeborene Geschlechtsidentität, die sich nicht nach Belieben abstreifen lasse. Das zeige sich etwa in der Existenz von Transgender. Und junge Primaten, inklusive Menschen, orientieren sich eher an Vorbildern des gleichen (gefühlten oder biologischen) Geschlechts – ein Prozess, den der Autor »Selbstsozialisation« nennt.

Wer jedoch glaubt, Munition für eine biologistische Sicht auf die Geschlechter zu bekommen, wird enttäuscht. Denn de Waals Botschaft ist keine simple: Natürlich habe die Kultur einen großen Einfluss darauf, wie wir uns verhalten – mit all ihren Überformungen und negativen Auswirkungen auf die Gleichstellung von Mann und Frau. Die Selbstsozialisation orientiere sich aber sowohl an der Natur als auch an der Kultur. Vermeintliche Wahrheiten befördert er erbarmungslos ins Reich der Mythen, wie etwa die Mär von der sexuell zurückhaltenden Frau. Auch lässt der Biologe kein gutes Haar an stereotypen Darstellungen von Primatengesellschaften, die als Rechtfertigung für Ungleichbehandlungen von Männern und Frauen herangezogen werden. Hierzu gehört etwa das Zerrbild des repressiven Alphamanns oder das Vorurteil, Frauen seien von Natur aus weniger hierarchisch und daher eher ungeeignet als Führungspersönlichkeiten.

»Der Unterschied« ist auch ein starkes Plädoyer für mehr Toleranz gegenüber Vielfalt. Hierbei könnten wir viel von Tieren lernen: Homo-, Hetero-, Bisexualität und nicht genderkonforme Identitäten gibt es auch bei ihnen – mit einem Unterschied: Sie tolerieren es ohne Umschweife. Vielleicht auch, weil sie nicht alle Orientierungen mit Labels versehen. Auf jeder Seite des Buchs ist zu spüren: Hier schreibt nicht nur ein Tier-, sondern auch ein Menschenfreund. De Waal schließt mit den Worten: »Worauf es wirklich ankommt, sind Liebe, gegenseitiger Respekt und die Erkenntnis, dass Menschen nicht gleich sein müssen, um einander ebenbürtig zu sein.«

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