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»Pax«: Blutiger Frieden

Beststellerautor Tom Holland will eine Geschichte über »Krieg und Frieden« in Roms »Goldenem Zeitalter« vorlegen. An diesem Ziel schreibt er allerdings vorbei.

Für den britischen Historiker Edward Gibbon, der im 18. Jahrhundert über den »Verfall und Untergang des Römischen Imperiums« schrieb, war das 2. Jahrhundert n. Chr. das Goldene Zeitalter Roms. Es sei, so Gibbon, »jene Epoche in der Weltgeschichte, in der die Lage des Menschengeschlechts am glücklichsten und gedeihlichsten war« – jedenfalls für die Römer. Innen- und außenpolitisch herrschte unter den Kaisern Hadrian (117–138 n. Chr.) sowie seinem Nachfolger Antoninus Pius (138–161) weitgehend Frieden. Diese Zeit gilt als Höhepunkt der sogenannten Pax Romana. Erst unter Mark Aurel (161–180) sah sich das Reich wieder größeren militärischen Herausforderungen gegenüber, als germanische Gruppen in feindlicher Absicht die Grenzen überschritten. Jetzt widmet sich mit Bestsellerautor Tom Holland, ebenfalls ein britischer Historiker und Publizist, in »Pax« »Krieg und Frieden im Goldenen Zeitalter Roms«.

Im Unterschied zu Gibbon beschäftigt sich Holland in diesem und zwei bereits zuvor erschienenen Büchern jedoch nicht mit dem Ende, sondern mit dem Anfang des Römischen Reichs. In »Rubikon« (2003) zeichnete Holland die römische Geschichte bis zum Untergang der Republik nach, in »Dynastie« (2015) beschäftigte er sich dann mit der Errichtung der Monarchie unter Augustus und der auf ihn folgenden Kaiser bis Nero. Nun schreibt er die Geschichte fort: vom Selbstmord Neros im Jahr 68 bis zum Tode Hadrians genau 70 Jahre später. Obwohl Holland ein guter Erzähler ist, überzeugt das Buch allerdings nicht recht. Denn es wirkt so, als habe Holland beim Schreiben selbst nicht genau gewusst, welche Geschichte er hier eigentlich erzählen wollte.

Auf der Suche nach dem roten Faden

Das beginnt schon mit dem Titel. Erinnert »Pax« an die »Pax Romana«, stellt der Untertitel dann dem Frieden gleichberechtigt den Krieg gegenüber. Auch im Buch selbst nutzt Holland jede sich bietende Gelegenheit, blutrünstige und schaurige Details zu schildern. Von zum Tode Verurteilten ist zu lesen, die von Löwen lebendig gefressen werden, oder von bei der Eroberung Jerusalems Gefallenen, deren Gedärme sich aus aufgeschlitzten Bäuchen über die Stufen des Tempels ergossen. Und das annoncierte »Goldene Zeitalter« Roms ist allein rein zeitlich nur teilweise Gegenstand von Hollands Darstellung.

Gleichzeitig weiß Holland viel zu berichten – sehr viel. Der Autor beschreibt detailliert das Chaos der Bürgerkriege, die nach Neros Selbstmord Staat und Gesellschaft in eine tiefe Krise stürzten. Als die Dynastie der Flavier das Reich innenpolitisch wieder ordnete, mehrten sich die außenpolitischen Konflikte: Kriege mit Germanen, Britanniern, Judäern, Dakern, Persern und vielen weiteren Völkern verlangten die Aufmerksamkeit der Herrscher. Naturkatastrophen wie der Ausbruch des Vesuv, der die Städte Pompeji und Herculaneum verschüttete, fielen ebenso in die von Holland beschriebene Zeit wie der Bau des Kolosseums in Rom, das bis heute zu den bekanntesten Wahrzeichen der Stadt zählt.

Holland erzeugt durch die intensive Nutzung der Quellen und daraus entnommene Zitate, die wie Kommentare wirken, ein Gefühl der Nähe zu dieser eigentlich längst vergangenen Epoche. Dazu trägt auch bei, dass er lateinische Namen für Städte sowie die ursprünglichen Bezeichnungen für Gebäude nutzt. Mainz etwa heißt, nach einer ersten Übersetzung, konsequent Mogontiacum, und das Kolosseum bezeichnet er als »Flavisches Amphitheater«.

In die chronologisch fortlaufende Handlung webt Holland immer wieder Anekdoten und kleinere Geschichten ein – doch zu oft verliert er sich dabei in deren Details. Ganz als wäre er der russische Schriftsteller Lew Tolstoi, fügt Holland seinem Buch eine seitenlange Aufstellung handelnder Personen an. Nicht bei jeder der mehr als 100 Figuren wird klar, inwieweit sie wirklich zum Verständnis der Epoche beiträgt. Holland lässt sich hier von seiner Sachkenntnis davontragen.

Das Hauptproblem des Buchs liegt jedoch noch etwas tiefer. Bis zum Ende wird nicht deutlich, auf welche Leitfrage Holland eigentlich eine Antwort geben möchte – und damit auch, wieso die von ihm beschriebene Zeit uns heute interessieren sollte. Bei seinen vorigen Büchern war das anders. »Rubikon« etwa stand ganz im Zeichen des dramatischen Kampfes um die Zukunft der Römischen Republik und ihrer Demokratie.

Gerade weil Holland also eigentlich weiß, wie man historische Themen für die Gegenwart relevant beschreibt, bleibt unverständlich, warum er nicht tatsächlich das »Goldene Zeitalter« zum Thema und Finale seines Buches gemacht hat. Damit hätte die Frage nahe gelegen, wie es gelingen konnte, ein dermaßen instabiles Gebilde wie das Römische Reich in eine solche Ära zu führen – und im weiteren Sinne, was Stabilität in einer chaotischen Welt gegenläufiger Interessen überhaupt auszeichnet.

Hollands Verlag vermarktet »Pax« als abschließenden Teil seiner Trilogie zur römischen Geschichte. Wäre er dies tatsächlich, so wäre dies allerdings ausgesprochen bedauerlich. Denn in den Jahren nach dem »Goldenen Zeitalter« böte der Verfall römischer Macht unter den sogenannten Soldatenkaisern und schließlich der Untergang des Römischen Reichs Material für ein oder sogar zwei weitere Bücher. Schon damit Hollands Reihe nicht mit ihrem schwächsten Teil endet, wäre es zu begrüßen, würde er sich an Gibbon ein Vorbild nehmen und auch über den Verfall und Untergang des Römischen Reichs schreiben.

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