Lexikon der Biologie: elektrische Organe
elektrische Organe, elektrische Spannung und/oder Stromstärken erzeugende Organe, die unabhängig voneinander bei vielen Knochenfischen und Knorpelfischen (elektrische Fische, Tab.) entwickelt wurden und der Orientierung (Elektroortung), Kommunikation (Elektrokommunikation), Verteidigung sowie dem Beutefang dienen. Nach der Leistung unterscheidet man zwischen starken elektrischen Organen (elektrische Spannungen 5–800 V oder Stromstärken bis zu mehreren Ampere), deren unregelmäßige Entladungen zum Beutefang oder zur Verteidigung eingesetzt werden, und schwachen elektrischen Organen (Entladungen von 1–5 V), die in stetigen, regelmäßigen Entladungen feuern und der Elektroortung und -kommunikation dienen. Bei allen bekannten elektrischen Fischen bestehen diese Organe aus parallelen und seriellen Anordnungen von hundert bis zu mehreren Millionen spezialisierter Zellen, den Elektrocyten ( vgl. Infobox ). Das Gesamtpotential (Spannung) und die Leistung der elektrischen Organe werden durch die Anordnung der Elektrocyten bestimmt: Eine serielle Anordnung bewirkt eine Summation der Potentiale der einzelnen Elektrocyten, eine parallele Lagerung erhöht den resultierenden Strom. Die Stromausbreitung beginnt an einem Ende des Organs, kreuzt die Haut, setzt sich im Wasser fort und kehrt über entfernte Hautgebiete zum anderen Ende des Organs zurück. Die Elektrocyten können muskulären Ursprungs sein oder aus myelinisierten Axonen bestehen. Beide Typen werden je nach ihrer Lage im Körper durch Motoneurone des Gehirns oder des Rückenmarks innerviert und synaptisch zur Entladung gebracht. Die gleichzeitige Entladung aller Einzelzellen eines elektrischen Organs wird EOD (Abk. für electric organ discharge = elektrische Organentladung) genannt; sie wird durch meist in der Medulla (verlängertes Mark) des Gehirns liegende Schrittmacherzentren gesteuert. Diese Schrittmacher bestehen aus einer Anzahl einzelner Zellen, die durch elektrische Synapsen gekoppelt sind: sie gleichen in ihrer Funktion den Herzschrittmachern (Herzautomatismus) und sind zu regenerativer zyklischer Eigenentladung befähigt. Eine Laufzeitkompensation der Erregungsimpulse zwischen dem Schrittmacher und den unterschiedlich weit entfernt liegenden Elektrocyten wird durch feinabgestufte Längen- und Durchmesseränderungen der verbindenden Axone gewährleistet (Erregungsleitung). Die regelmäßigen Entladungsmuster schwach elektrischer Fische sind in der Regel artspezifisch und können durch Umweltreize moduliert werden. Man unterscheidet je nach Grundtyp der EOD-Muster ( vgl. Abb. ) Pulsfische (Pulspausen lang, Frequenz der EODs immer kleiner als 100 Hz) und Wellenfische (Pulspausen kurz, Frequenz der EODs 50–1800 Hz; ). Als einziger bisher bekannter Fisch besitzt der Zitteraal (Messeraale) sowohl zwei starke als auch ein schwaches elektrisches Organ; man vermutet, daß er dadurch auch zur Elektroortung befähigt ist. Zur Perzeption elektrischer Potentiale besitzen alle Arten, die über elektrische Organe verfügen, Elektrorezeptoren. Diese Rezeptortypen, die auch bei vielen anderen Arten, wie Haien, Rochen, Stören, Lungenfischen, Welsen und Molch-Larven, vorkommen, leiten sich phylogenetisch aus dem Akustiko-Lateralis-System ab, dem auch das gewöhnliche Seitenliniensystem (Seitenlinienorgane) von Fischen und Amphibien, das Gehörsystem (Gehörorgane) und das Schweresinnes- und Beschleunigungssinnessystem (Gleichgewichtsorgane) des Labyrinths bei Amnioten angehören. elektrische Organe .
H.W./Ch.S.
elektrische Organe
Organ-Entladungsmuster von a Pulsfischen (Gnathonemus) und b Wellenfischen (Eigenmannia). Bei Pulsfischen sind die Pulspausen sehr lang, die EODs selber kurz; bei Wellenfischen sind die Pulspausen nie länger als zwei EODs.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.