Start
Web-Artikel
Lexikon
Vorträge
Ausbildung
Essays
Rhetorik
Links
Autor
Kontakt
|
Wie eine Flüssigkeit -
Hydrodynamik in der Astrophysik
pdf
Strömendes Wasser und Fluide
Fließendes Wasser besteht aus Teilchen, die paarweise miteinander wechselwirken. Ein
Resultat dieser anziehenden Wechselwirkung (Attraktion) ist die Oberflächenspannung
zwischen den Wassermolekülen. Es handelt sich um eine molekulare Bindung, die
allerdings nicht besonders stark ist und leicht aufgebrochen werden kann. Immerhin reicht
die Oberflächenspannung aus, um Wasserläufern einen imposanten Gang über das Wasser zu
ermöglichen.
Die Kräfte zwischen den Wassermolekülen verleihen flüssigem Wasser die unvergleichlichen
Fließeigenschaften und den typischen lockeren Zusammenhalt von Wassertropfen.
Physikalisch beschreibt man Wasserströmungen mit der Hydrodynamik, seltener auch
Strömungsmechanik, Kontinuumsmechanik oder Mechanik deformierbarer Körper genannt. Die
Gesetze der Hydrodynamik sind allerdings viel fundamentaler und erlauben ebenso eine
Beschreibung strömender Gase, Gasgemische wie Luft oder Rauch und sogar Plasmen. Die
strömenden Gebilde subsumiert man unter dem allgemeinen Begriff Fluide. Deshalb
spricht man auch manchmal von der Fluiddynamik.
Hydrodynamik in den Wissenschaften
Dieser Sachverhalt eröffnet der Hydrodynamik ein weites Feld an Anwendungsbereichen:
- In der Meteorologie wird das Wettergeschehen, das Strömen der Luftmassen
in der Erdatmosphäre, erfolgreich mit der Hydrodynamik modelliert. Auf Supercomputern
werden sowohl lokales Wetter, als auch globales Klima simuliert, um ein Verständnis
für das komplexe Zusammenwirken von Erwärmung und Abkühlung der Erd-, Wasser- und
Gasmassen zu erlangen. Die tägliche Wettervorhersage gründet sich einerseits auf
präzise Datennahme von Temperatur, Dichte, Zusammensetzung der Erdatmosphäre durch
Satelliten und andererseits auf die Kenntnisse, die man aus Computersimulationen
gewonnen hat.
- Strömende Gewässer werden im Kleinen, im Rahmen der Hydrologie, und im
Großen, in der Ozeanographie, mit den hydrodynamischen Gesetzen untersucht.
- In Strömungslaboratorien werden sowohl praktische Versuche an Modellen, als auch
Computersimulationen durchgeführt. Dies ist von praktischem Nutzen für die Schifffahrt
und die Autoindustrie (z.B. Messung des Windwiderstands).
- Selbst die Kernphysiker nutzen die Gleichungen der Hydrodynamik, um Atomkerne,
also einen Verband aus einigen hundert Nukleonen zu beschreiben. Im so genannten
Tröpfchenmodell kann man Schwingungen des Atomkerns erfolgreich auf diese Art
beschreiben.
- Schließlich benötigt man in der Astrophysik die hydrodynamischen Gesetzmäßigkeiten,
um die Dynamik vieler kosmischer Quellen nachvollziehen zu können. Besondere Anwendung
finden die astrophysikalischen Plasmen, die allerdings mit einer Art 'erweiterten Hydrodynamik',
der Magnetohydrodynamik, beschrieben werden müssen. Dies ist erforderlich,
weil, die Magnetfelder stark die Dynamik von Plasmen beeinflussen, z.B. durch Lorentz-Kräfte.
Der Anwendungsbereich ist vielfältig: Vom stellaren Plasma im Innern von Sternen
wie der Sonne, über die Ausbreitung von Schockwellen in Sternexplosionen
wie den Supernovae, die Ausbreitung von Jets,
der Aufsammlung von Materie durch Schwarze Löcher oder andere Akkretoren,
bis zur Bildung der ersten großräumigen Strukturen im Universum -
in allen Beispielen sind die Gesetze der Fluiddynamik involviert.
Hydrodynamische Gleichungen
Der Satz hydrodynamischer Gleichungen, die mathematisch gesehen partielle Differentialgleichungen
sind, umfasst im Wesentlichen
- die Navier-Stokes-Gleichung, die im Prinzip eine Kräftebilanz in einer strömenden,
viskosen Flüssigkeit ist;
- die Kontinuitätsgleichung, die auf die Massenerhaltung zurückzuführen ist;
- die Impulsgleichung oder Euler-Gleichung
- und die Energiegleichung oder Bernoulli-Gleichung.
Relativistische Hydrodynamik
Die klassische Hydrodynamik kann auch relativistisch verallgemeinert werden, so dass
sie mit den Gesetzen der Speziellen Relativitätstheorie (SRT)
bzw. Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) vereinbar ist. Je nach
Regime spricht man von der Speziell Relativistischen Hydrodynamik (Special Relativistic
Hydrodynamics, SRHD) oder Allgemein Relativistischen Hydrodynamik (General Relativistic
Hydrodynamics, GRHD). Beide sind exklusive Zweige der Astrophysik, weil nur im Kosmos
die Bedingungen für ihre Anwendbarkeit erfüllt sind.
Jede Materie- oder Energieform wird in der ART durch einen bestimmten
Energie-Impuls-Tensor ausgedrückt. Für eine ideale Flüssigkeit
beispielsweise (siehe Formel in der Graphik oben rechts), liefert der Formalismus der
Relativitätstheorie über den Energie-Impuls-Erhaltungssatz selbstkonsistent die hydrodynamischen
Bewegungsgleichungen.
Hydrodynamische Kennzahlen
In der Hydrodynamik und Magnetohydrodynamik nutzt man eine Reihe charakteristischer, dimensionsloser
Zahlen, um ein physikalisches Regime zu bestimmen bzw. eine Strömung zu charakterisieren.
Diese Zahlen helfen abzuschätzen, wie relevant einzelne physikalische Prozesse sind. Zu diesen
Zahlen gehören:
Sie hängen mit charakteristischen Längen-, Dichte- oder Feldskalen sowie Viskosität,
Resistivität und Konduktivität zusammen und können schnell bestimmt werden. Sie können die
Definition und Bedeutung dieser Zahlen im Astro-Lexikon nachschlagen.
Numerische Hydrodynamik
Nun ist man in der Regel an Dichte- und Druckverteilungen im strömenden Fluidum interessiert
und muss mathematisch gesprochen ein Anfangswert- oder Randwertproblem für die partiellen
Differentialgleichungen in einem wohldefinierten Gebiet lösen.
Numerische Standardmethoden sehen vor, das Gebiet in ein Gitter zu zerlegen, die
Differential- und andere Operatoren zu diskretisieren und mithilfe Finiter Differenzen (FDM),
Finiter Volumen (FVM) oder Finiter Elemente Methoden (FEM) eine approximative Lösungsfunktion
aufzufinden.
Für terrestrische Problemstellungen, wie Strömungs-, Kontinuums- und Elastomechanik sowie
Meteorologie stehen zahlreiche Computercodes zur Verfügung, die das bewerkstelligen. Üblicherweise
erfordern diese komplexen Kalkulationen Hochleistungsrechner, wie die Cray, Origin
NEC-SX oder Earthsimulator Baureihen, um die Daten auf hochauflösenden oder sogar
adaptiven Gittern zu berechnen. Für eine hohe Geschwindigkeit der Kalkulationen sorgen gleich
mehrere Prozessoren (in der Größenordnung 10 bis 100), die parallel angesprochen werden. Die
Daten werden im Arbeitsspeicher gehalten; aus diesem Grund muss dieser viel größer sein, als
bei herkömmlichen PCs, nämlich einige Gigabyte groß!
Die Codes für irdische Anwendungen können - zum Teil mit Einschränkungen - auch auf astrophysikalische
Probleme angewandt werden. Die Anforderungen sind meist jedoch hoch! Effekte der Speziellen
Relativitätstheorie (hohe Geschwindigkeiten des Plasmas) und Allgemeinen Relativitätstheorie
(gekrümmte Raumzeit bei Schwarzen Löchern oder anderen Kompakten
Objekten) müssen berücksichtigt werden. Es stellt sich heraus, dass meistens Magnetfelder
eine wichtige Rolle in der Natur spielen, so dass ein Zugang mittels der
Magnetohydrodynamik gewählt werden muss. Zudem können
Strahlungsmechanismen (Comptonisierung, Strahlungstransport,
Bremsstrahlung, Rekombination, Linienemission etc.) die Gleichungen
in hohem Maße verkomplizieren. In diesen Fällen müssen anspruchsvolle, so genannte radiative Codes
entwickelt und intensiv getestet werden, die zum Teil völlig neue mathematische und numerische Zugänge
erfordern. So hat sich zum Beispiel für Effekte der ART der so genannte 3+1 Split oder auch
ADM-Formalismus genannte Methode bewährt, der die Symmetrie von Raum
und Zeit wieder aufbricht. Diese Methode löst das Problem, dass es keine globale
Zeit mehr gibt, nach der integriert werden könnte: in jedem Punkt der
Raumzeit kann der Ablauf der Zeit anders verlaufen.
Hydrodynamische Probleme der Astrophysik
Zusammenfassend kann man festhalten, dass folgende astrophysikalischen Probleme mit hydrodynamischen
Gleichungen behandelt werden:
- Stellardynamik und Sonnenphysik
- Supernova-Kollaps und Supernova-Schockwellenausbreitung
- Planetenentstehung
- Propagation der Jets von AGN und YSOs
- Akkretion auf kompakte Objekte
- Galaxienentstehung und Galaxiendynamik
Das letztgenannte Beispiel nutzt eine Variante hydrodynamischer Simulationen, die so genannte Smoothed Particles
Hydrodynamics (SPH). Eine Alternative hierzu sind N-Körper Rechnungen (N body calculations), die
aus der Kenntnis von Ort, Geschwindigkeit und Masse die gravitativen Kräfte zwischen etwa 105 (!) Körpern
berechnen, um so deren Dynamik zu bestimmen. Mit solchen Rechnungen können die Balken in Balkenspiralgalaxien
oder auch die Verteilung von Galaxien im Universum berechnet werden.
In den Plasmen spielen auch elektrische Felder und Magnetfelder eine entscheidende Rolle, weil sie die Ladungsträger im Plasma
(Elektronen und Ionen) beeinflussen. Dann sind auch Gleichungen der Elektrodynamik relevant, so dass sich für diese
Beschreibungsweise der Begriff Magnetohydrodynamik (MHD) eingebürgert hat.
pdf
nach oben
© Andreas Müller, August 2007
|
|