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Röntgenlinien -
Sendboten von Loch und Scheibe
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Einführung in die Röntgenastronomie
Geschichte
Der deutsche Physiker Wilhelm Conrad Röntgen (1845 - 1923) entdeckte 1895
die Röntgenstrahlen. Er experimentierte mit Kathodenstrahlröhren und stellte fest, dass
ein entfernter Papierschirm aus Bariumplatinzyanid aufleuchtete, obwohl die Röhre mit
schwarzer Pappe abgedeckt war. Er nannte die neu entdeckten Strahlen X-Strahlen.
Im Englischen wird die Röntgenstrahlung auch heute noch mit X-rays bezeichnet.
Es stellte sich heraus, dass Röntgenstrahlung eine besonders energiereiche Form von
elektromagnetischer Strahlung ist, die jenseits der ultravioletten Strahlung liegt.
Diese hohen Energien erlauben es der Röntgenstrahlung
Materie sehr leicht zu durchdringen. Deshalb werden sie auch heute in der medizinischen
Diagnostik eingesetzt, um z.B. Knochenfrakturen abzubilden. Röntgens Entdeckung wurde
1901 mit dem ersten Nobelpreis überhaupt prämiert.
Röntgenquellen am Himmel
In der Astronomie wurden Quellen am Himmel entdeckt, die
Röntgenstrahlung aussenden. Die Messung und Interpretation dieser Röntgenquellen
ist gerade das Aufgabengebiet der Röntgenastronomie.
Schwarze Löcher im Kosmos stehen im Zusammenhang mit den
energetischsten Prozessen, die man überhaupt kennt. Es ist deshalb nicht verwunderlich,
dass Schwarze Löcher von Interesse für die Röntgenastronomie sind. Es gibt
zahlreiche Röntgenquellen, deren Spektren sehr gut mit der Existenz eines
Schwarzen Loches erklärt werden können. Dazu gehören sowohl viele Vertreter der
Röntgendoppelsterne, als auch die meisten
Aktiven Galaktischen Kerne. Eine neue Gruppe sind die
rätselhaften ultrahellen Röntgenquellen (engl. ultraluminous X-ray sources,
ULXs), die zurzeit intensiv erforscht werden. Die favorisierte Hypothese ist,
dass es sich um aktive Schwarze Löcher handelt, die von der Masse her gerade zwischen
stellaren und supermassereichen Schwarzen Löchern liegen.
Die Hochenergieastrophysik (engl. high-energy astrophysics, HEA) wertet
Spektren höchster Strahlungsenergien aus. Sie sind im Bereich der Röntgen-,
Gamma- und TeV-Strahlung angesiedelt, d.h. die Photonen
haben Energien von etwa 100 bis eine Billion Elektronenvolt
(eV).
Abbildung mit Röntgenstrahlen
In diesem Abschnitt soll es um Röntgenspektren gehen, also Lichtquanten, die mit
Energien von 0.1 bis zu einigen 100 keV detektiert werden. Diese Strahlung wird
von der Atmosphäre der Erde abgeschirmt, so dass der Röntgenastronom seine Teleskope
auf Satelliten montieren muss, die die Erde außerhalb der Atmosphäre umkreisen.
Aber wie macht man Bilder mit Röntgenstrahlung? Aus der geometrischen Optik weiß man,
dass man zur Abbildung einer Lichtquelle eine Linse braucht, die die Strahlen bündelt.
Vom Arztbesuch weiß man, dass Röntgenstrahlung sämtliche Materie bis auf Blei nahezu
ungehindert passiert. Das hört sich wie eine unlösbare Aufgabe an!
Zum Glück hat man entdeckt, dass Röntgenstrahlen bei streifendem Einfall zu einer
Metalloberfläche tatsächlich fokussiert werden können - allerdings mit miserablen
Abbildungseigenschaften und gravierenden Abbildungsfehlern. Der Trick besteht darin,
verschieden geformte Metallrohre aneinander zu stecken: eines weist eine parabolisch,
das andere eine hyperbolisch geformte Oberfläche auf. Diese Röhren bilden ein zusammen
ein Wolter-Teleskop, das die Grundlage der Röntgenteleskope ist. Die Fokussierung
und Abbildungseigenschaften bei dieser Bauweise sind so gut, dass die Röntgenphotonen
im Fokus auf eine CCD-Kamera treffen und dabei brauchbare Bilder von Röntgenquellen
gemacht werden können.
Röntgenastronomie: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
In den 1990er Jahre trat der deutsche Röntgensatellit ROSAT seinen Siegeszug
unter Federführung des MPE Garching an. Seither gibt es viele erfolgreiche Missionen
der Röntgenastronomie mit vergleichbarer Bauart der Teleskope, z.B. der japanische
ASCA-Satellit, das amerikanische
NASA-Teleskop Chandra oder das
europäische ESA-Teleskop XMM-Newton.
Die Zukunft der Röntgenastronomie verspricht ein paar neue Satellitenmissionen, die
aufregende Daten vom Himmel sammeln werden: Voraussichtlich ab dem Jahr 2011 ist der Start eines
Nachfolgers der ROSAT-Mission geplant: eRosita
ist das Akronym zu extended Roentgen Survey with an Imaging Telescope Array.
ROSITA soll Röntgenstrahlung im Energiebereich von 0.1 bis 12 keV messen können.
Frühestens 2014 soll die Mission von XEUS
(X-Ray Evolving Universe Spectrometer) starten, einem
ESA-Röntgensatellit. Etwa zeitgleich schickt die NASA ein vergleichbares Röntgenteleskop
namens Constellation-X (Con-X)
ins Rennen. Beides sind Röntgenteleskope der neusten Generation, die Röntgenstrahlen
von 0.1 bis 60 keV Energie vermessen sollen. Sie haben noch höhere Empfindlichkeit als aktuelle
Röntgenteleskope und werden damit noch tiefer in das Röntgen-Universum eindringen. Die
Astronomen hoffen mithilfe lang belichteter Röntgenfotos von den Tiefen des Alls (engl. X-ray
Deep Fields) z.B. das Wachstum der supermassereichen
Schwarzen Löcher sowie die Entwicklung aktiver Galaxien bei kosmologischen
Rotverschiebungen größer z = 10 zu erforschen.
AGN-Röntgenspektren
Die Röntgen- und Gammaspektren Aktiver Galaktischer Kerne bestehen aus
verschiedenen Komponenten, die auch auf unterschiedlichen physikalischen Prozessen beruhen. Nachfolgend
werden sie in Einzelheiten vorgestellt:
- Der weiche Exzess bezeichnet ein modifiziertes Schwarzkörper-Spektrum
(engl. black body). Ein Schwarzer Körper (Planck-Strahler)
ist ein thermischer Strahler, der ein charakteristisches Spektrum passend zu seiner Temperatur emittiert.
Ein modifizierter Schwarzkörper besteht nun aus einer Sequenz von Planckspektren, die
jeweils zu einer bestimmten Temperatur gehören (engl. multi-color black body).
Der weiche Exzess hat seinen Ursprung in der dünnen Akkretionsscheibe, der
Standardscheibe. Sie kann in Ringe mit nach innen ansteigender
Temperatur Ti zerlegt werden. Der Innenrand ist heißer als der Außenrand:
Tin größer Ti größer Tout. Wenn man nun
die einzelnen Schwarzkörperspektren der Ringe überlagert, ergibt sich ein charakteristischer
'Buckel' im Spektrum und zwar im Bereich von 0.1 und 1.0 keV: genau das entspricht dem weichen
Exzess.
Nicht alle AGN zeigen dieses Feature. Es hängt von der Ausprägung der Scheibe und deren
Temperaturbereich ab.
- Die warmen Absorber sind ionisierte Materie, die vor allem aus den Elementen
Sauerstoff und Neon bestehen. Diese Ionen absorbieren bei Energien unterhalb von 1.0 keV die
Photonen und sorgen so für signifikante Einbrüche im Spektrum (Absorptionslinien). Umgekehrt
schließt man im Allgemeinen aus diesen Einbrüchen im Spektrum auf die Ionenspezies.
Die Linienprofile der Ionen können relativistisch deformiert sein, falls die Absorption nahe
am Schwarzen Loch stattfand. Die Struktur der warmen Absorber ist sehr komplex und im Detail
noch unklar.
- Das Kontinuum bildet das harte Potenzgesetz der Röntgenstrahlung. Diese globale
Komponente mit dem charakteristischen exponentiellen Abfall bei einigen 100 keV wird durch
Comptonisierung weicher Eingangsstrahlung gebildet. Die
Eingangsstrahlung kann von der kalten, thermisch leuchtenden Akkretionsscheibe kommen oder
vom kosmischen Hintergrund (Drei-Kelvin-Strahlung).
Comptonisierung wird in der theoretischen Astrophysik mithilfe einer komplizierten
Integro-Differentialgleichung beschrieben, der so genannten Kompaneets-Gleichung.
Aufgrund ihrer Komplexität ist dies jedoch nur numerisch möglich. Der steile Abfall
des Spektrums bei hohen Energien (engl. cut-off) markiert gerade die Temperatur des
heißen Plasmas in der Korona. Die (zumindest zeitweise)
Existenz der Korona ist unbedingte Voraussetzung für die Comptonisierung. Generell ist die
Korona ein wesentliches strukturelles Element in Systemen aus Schwarzem Loch und
Akkretionsfluss. Unklar ist ihre genaue Form und Größe;
sicherlich variieren diese zeitlich, wie Röntgenspektren verraten. Sehr wahrscheinlich ist
die Korona physikalisch mit einem heißen, aufgeblähten Gebilde assoziiert. Die
Akkretionsphysik stellt ganz spezielle Formen von Akkretionsflüssen bereit, die als Korona
in Frage kommen: Favorit ist der so genannte ADAF (Advection
Dominated Accretion Flow), ein heißer, aufgeblähter Akkretionsfluss, der nicht
effizient durch Abstrahlung elektromagnetischer Wellen gekühlt wird. Er repräsentiert
die zweite wichtige Lösung neben der Standardscheibe repräsentiert. Als Alternative zum
klassischen ADAF wurde eine andere advektionsdominierte Lösung diskutiert. Sie trägt die
Bezeichnung TDAT (Truncated Disk - Advective Tori) und ist von der Morphologie her
schlauchförmig. Dieser Torus ist instabil, zerfällt und füttert schließlich das
Schwarze Loch.
- Die Reflexionskomponente befindet sich im Bereich von 5 bis etwa 100 keV und besteht
aus zwei prominenten Teilen: die niederenergetische Komponenten sind Emissionslinien
(Röntgen-K-Linien), die durch Fluoreszenz vor allem an Eisen, Nickel oder Chrom gebildet werden
(siehe Eisenlinie für Einzelheiten).
Andere Elemente sind weniger effizient. Die Emissionslinien werden im Detail im nächsten Abschnitt
beschrieben. Der breite Buckel bei höheren Energien ist die 'Antwort' der Akkretionsscheibe
auf die harte Primärstrahlung aus der Korona. D.h. die stark ionisierte Scheibe wirkt wie ein Spiegel
und reflektiert die koronale Strahlung. Der resultierende breite Reflexionsbuckel hat sein Maximum
typischerweise bei etwa 20 bis 30 keV im Röntgenspektrum.
Die gerade vorgestellten Komponenten können in Röntgenspektren von AGN gefunden werden. Die
Eigenheiten der Quelle bestimmen dabei, wie sehr die Spektralkomponente ausgeprägt ist.
Einschränkungen muss man beim weichen Exzess und den Emissionslinien machen. Beide werden
nicht in jeder Quelle beobachtet. Das liegt vor allem an der zeitlichen Variabilität der Strukturen,
ihrer Geometrie und ihrer relativen Orientierung zueinander. So beeinflussen Abstand und Orientierung
von Korona (Beleuchter) und kalter Standardscheibe (Reflektor), ob es überhaupt Emissionslinien
gibt. Tatsächlich beobachten die Röntgenastronomen in den meisten AGN keine Emissionslinie
von Eisen. Das deutet darauf hin, dass die Voraussetzungen für die Linienentstehung nicht überall
erfüllt zu sein scheinen. Beispielsweise kann die Ursache dafür sein, dass es keine Korona gibt oder
dass Korona und Scheibe sich räumlich nicht genügend nahe sind, damit es zur Reflexion kommt.
Nach einem gängigen Unifikationsmodell, das bereits im Artikel Aktive
Galaktische Kerne ausführlich vorgestellt wurde, unterscheiden sich Typ-1 und Typ-2 in der
Orientierung der inneren Scheibe zum Beobachter. Typ-1: geringe Neigung der Scheibe zum Beobachter
(engl. face-on), Typ-2: hohe Neigung (engl. edge-on). Gehen wir einmal von der Existenz
aller genannten Spektralkomponenten aus, so zeigt die folgende Abbildung ein typisches Röntgenspektrum
eines AGN vom Typ-1. Anschaulich besagt die Kurve wie hoch die Intensität der Strahlung (senkrechte
Achse) bei der jeweiligen Strahlungsenergie (waagerechte Achse) ist.
Physik der Emissionslinien
Bei der Beschreibung der Reflexionskomponente in Röntgenspektren wurde vorweggenommen,
dass es ein spezielles Feature gibt: einen Komplex von Emissionslinien bei einer
Ruheenergie von etwa 5 bis 8 keV. Es handelt sich dabei um Röntgen-K-Linien,
die durch Fluoreszenz gebildet werden. Verschiedene Elemente befinden sich an der
Oberfläche der reflektierenden Standardscheibe. Besonders wichtig sind Eisen (Fe),
Nickel (Ni) und Chrom (Cr). Der Linienkomplex wird von einer speziellen Emissionslinie,
der so genannten Fe-Kα dominiert, die bei etwa 6.4 keV Ruheenergie der Linie
zu finden ist. Der Begriff Ruheenergie ist so verstehen, dass er derjenigen Energie
entspricht, die die Linie im mitbewegten System, also im Ruhesystem
des emittierenden Plasmas hat.
So entsteht das Röntgenphoton
Die Linienstrahlung kommt aus der innersten Region der Akkretionsscheibe in unmittelbarer
Nähe zum Schwarzen Loch. Das ist ein Glück für die Astronomen, werden doch auf die Spektrallinie
Informationen über Loch und Scheibe geprägt. Die heiße Korona z.B. in Gestalt eines
heißen, advektionsdominierten Akkretionsflusses bestrahlt die kalte, geometrisch dünne
Akkretionsscheibe mit harter Röntgenstrahlung. Vor allem die Existenz ionisierten Eisens
im Scheibenplasma ist wesentlich, weil es aus atomphysikalischen Gründen besonders starke
Fluoreszenzlinien erzeugt. Ab einer Schwellenenergie von 7.1 keV wird die harte
Primärstrahlung der Korona absorbiert. Nach der Absorption eines Röntgenphotons
befindet sich ein Elektron im Eisenion in einem angeregten Zustand auf der L-Schale.
Nun kann sich das angeregte Ion auf zweierlei Weise abregen: Entweder emittiert es durch
Fluoreszenz, präzise gesagt einem Übergang des Elektrons von der L- zur K-Schale, ein
Photon der Ruheenergie von 6.4 keV. Dies geschieht mit einer Wahrscheinlichkeit von 34 %.
Oder das Ion transferiert seine Anregungsenergie auf ein Elektron. Dann hat es soviel kinetische
Energie, dass es den Atomverband als Auger-Elektron verlassen kann und das Plasma mit
weiteren heißen Elektronen anreichert. Dieser letztgenannte Auger-Effekt - benannt nach
dem französischen Physiker Pierre Auger (gesprochen 'Oschee') - ist mit einer
Wahrscheinlichkeit von 66 % dominant. Beide Zerfallskanäle sind in der Abbildung rechts
illustriert.
Was Linienprofile verraten
Falls es zur Fluoreszenz kommt, startet die Linienstrahlung am bewegten Plasma. Die Röntgenphotonen
breiten sich dann in der gekrümmten Raumzeit des Schwarzen Loches aus.
Die Lichtteilchen folgen den Nullgeodäten der Metrik. Deshalb ist klar,
dass die Linienstrahlung Informationen über die Plasmabewegung (den Akkretionsfluss) und die
gekrümmte Raumzeit enthält, sie ist Sendbote von Loch und Scheibe.
Wo steckt die Information in einer Spektrallinie? In ihrer charakteristischen Form im Spektrum.
Eine Spektrallinie kann auf vielfältige Weise aufgetragen werden: Die klassische Wahl ist eine
Auftragung der Intensität (y-Achse) über der Wellenlänge (x-Achse). Ebenso gut könnte
man den spektralen Fluss über der Frequenz, der Energie der Linie oder dem
Rotverschiebungsfaktor auftragen.
Zunächst ist es wichtig, in welchem Bezugssystem die Linienform diskutiert wird. 'Setzt man
sich auf ein Plasmateilchen' und betrachtet, welche Linie es emittiert, so wird sie relativ
langweilig und strukturlos sein. Denn der Betrachter bewegt sich mit dem Plasma und sieht die
Ruhelinie. Sie ist nur temperaturverbreitert und kann mit einer Gauß-Funktion in der
Theorie beschrieben werden. Noch einfacher ist der Ansatz einer unendlich dünnen monochromatischen
(d.h. bei einer festen Frequenz) Ruhelinie, die durch eine Diracsche Delta-Distribution beschrieben
werden kann (in der Abbildung oben auf der linken Seite).
Die reichhaltige Struktur der Linie offenbart sich erst im Laborsystem des entfernten irdischen
Beobachters. Die Form der Linie in solchen Diagrammen hängt nun im Falle der Röntgen-K-Linien, die
in der Nähe eines Schwarzen Loches emittiert werden von einer Reihe zu nennender Effekte ab.
Diese Effekte heißen
- Doppler-Effekt,
- Gravitationsrotverschiebung
- und Beaming
und wurden schon im letzten Artikel Gefangenes Licht -
Relativistisches Ray Tracing genau vorgestellt und anhand von Scheibenbildern illustriert.
Die Effekte können auch recht plausibel im Linienprofil abgelesen werden - sogar jeder Effekt
für sich genommen (in der Abbildung oben auf der rechten Seite, markiert mit roten Pfeilen).
Nachfolgend soll geklärt werden, welche physikalische Bedeutung diese Effekte im Einzelnen haben.
Der Doppler-Effekt ist ein klassischer, nicht-relativistischer
Effekt und von Newtonschen Scheiben bekannt und beruht auf der Rotation der emittierenden Scheibe: die
Strahlung, die von Plasma emittiert wird, das auf den Beobachter zu rotiert, ist blauverschoben,
während der vom Beobachter weg rotierende Teil rotverschoben ist. Allein aus der Rotation ergibt
sich also im Linienspektrum ein charakteristisches 'Doppelhöckerprofil', in dessen Mitte die
Ruhewellenlänge ist.
Die Gravitationsrotverschiebung ist ein Effekt der
Allgemeinen Relativitätstheorie:
die Photonen verlieren Energie, dadurch dass sie dem Gravitationsfeld des Schwarzen Loches zu entrinnen
versuchen. Dieser Verlust macht sich im Spektrum durch eine Verschiebung zu größeren
Wellenlängen, dem roten Ende des Spektrums bemerkbar.
Beaming ist ein Effekt der Speziellen Relativitätstheorie: dadurch
dass das Plasma in einer Akkretionsscheibe rotiert und die Rotationsgeschwindigkeiten sehr hoch (vergleichbar
mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit c) werden können, wird die Strahlung gebeamt, d.h. der
Strahlungskegel in Bewegungsrichtung gestaucht und die Energie der Strahlung
blauverschoben. Letztendlich wird also die Strahlung in Bewegungsrichtung
des emittierenden Plasmateilchens gebündelt. Diesen Effekt kennen Teilchenphysiker von strahlenden,
geladenen Teilchen in Teilchenbeschleunigern. Das innere Segment
der Akkretionsscheibe, das auf den Beobachter zu rotiert, wird besonders stark gebeamt und erscheint
in der Emission extrem hell. Im Fachjargon ist das der so genannte beaming spot (Beaming-Fleck).
Die andere Seite der Scheibe, das weg rotierende Segment wird jedoch unterdrückt, man sagt auch
'weggebeamt'. Hier macht sich Beaming in entgegengesetzter Richtung bemerkbar und heißt auch
back beaming. Die Strahlung der vom Beobachter weg rotierenden Seite wird somit unterdrückt.
Relativistische Spektrallinien sind breit und schief
Alle drei Effekte kann man am Linienprofil der Emissionslinien in Überlagerung ablesen. Das Resultat
ist eine asymmetrische, schiefe Emissionslinie mit weit ausgezogenem rotem Flügel der Linie
(Gravitationsrotverschiebung) und enorm verstärktem blauem Flügel (Beaming, nur stark bei hohen
Neigungswinkeln der Scheibe).
Der Einfluss der Effekte hängt von verschiedenen Parametern, wie Scheibenneigung (Inklination),
Scheibeninnen- und -außenrand und Rotationszustand des Schwarzen Loches ab.
Im Artikel über Schwarze Löcher wurde dargestellt, dass Schwarze Löcher
statisch sein (Schwarzschild-Metrik) oder rotieren können
(Kerr-Metrik). Die Rotation des Loches beeinflusst stark die Dynamik
des Akkretionsflusses, besonders in der Ergosphäre eines rotierenden
Loches, also ab einer Nähe von zwei Gravitationsradien zum Zentrum
des Loches (in unmittelbarer Nachbarschaft des Ereignishorizonts).
Denn die Rotation der Raumzeit zieht im Frame-Drag alles mit sich. Die Rotation
der Raumzeit spürt man nur in unmittelbarer Nähe zum Kerr-Loch. Die Frame-Dragging-Frequenz,
die gerade ein Maß dafür ist, wie schnell sich die Raumzeit bei welchem Abstand zur Quelle der
Gravitation dreht, nimmt nach außen mit r-3 ab. D.h. bei doppeltem Abstand hat die Rotation
des Loches um den Faktor 8 abgenommen.
Die Astronomen versuchen dennoch aus den Linienprofilen nachzuweisen, ob das Loch rotiert oder nicht. Dies
gestaltet sich als außerordentlich schwierig, weil in die Modelle eine Reihe von Voraussetzungen eingehen,
von denen man nicht weiß, ob sie in der speziellen, gerade beobachteten Quelle gelten. Außerdem geht
der Rotationsparameter des Loches (- der so genannte Kerr-Parameter - recht schwach in das Profil der
Linie ein, wie meine eigenen Ray-Tracing-Simulationen gezeigt haben. Die Abhängigkeit
des Linienprofils vom Kerr-Parameter ist nur dann ausgeprägter, wenn man annimmt, dass der Innenrand des Emissionsgebiets
mit der marginal stabilen Bahn identisch ist. Das ist allerdings nicht notwendig der
Fall, weil es auch Akkretionsscheiben gibt, die innen abgeschnitten sind, deren Innenrand also größer ist
als die marginal stabile Bahn. Solche Scheiben heißen trunkierte Akkretionsscheiben und sind salopp
gesagt 'innen abgefressen'.
Wesentliche Parameter der Linienform
Resümierend lässt sich sagen, dass Profile von Röntgenfluoreszenzlinien aus der Umgebung Schwarzer
Löcher unverkennbare Quelleneigenschaften wie in einem Fingerabdruck tragen:
- die Metrik (Schwarzschild, Kerr),
- die Inklination, also die Orientierung der Scheibe zum Beobachter,
- die relative Orientierung von Schwarzem Loch zu Scheibe,
- das Geschwindigkeitsfeld des Plasmas
- und das radiale Emissivitätsgesetz (dazu mehr im nächsten Abschnitt).
Den Einfluss dieser Parameter habe ich in meiner Diplomarbeit untersucht. Das fundamental
Neue daran ist die Einbettung komplizierter Geschwindigkeitsfelder und eine
tatsächliche Modellierung von akkretierenden Scheiben. Das Plasma driftet nämlich radial
in Richtung des Loches - ein Umstand der in bisherigen Modellen (reine Kepler-Rotation)
nicht Berücksichtigung fand. Die Materieausflüsse wie Jets
und Scheibenwinde können ebenfalls im Geschwindigkeitsfeld berücksichtigt werden, z.B.
durch eine nicht verschwindende poloidale Geschwindigkeitskomponente.
Technisch gesprochen steckt das Geschwindigkeitsfeld des Plasmas im
generalisierten Doppler-Faktor (die v-Komponenten,
wenn Sie dem Link folgen). Die Linienprofile ändern sich signifikant, je nachdem welches
komplexe Geschwindigkeitsfeld zugrunde liegt!
Weltraumgestützte Röntgenteleskope, wie ASCA, Chandra und XMM-Newton, detektieren diese Strahlung.
Nach einer Datenreduktion (Abzug des überlagerten Compton-Kontinuums) können die simulierten
und beobachteten Linienformen verglichen werden. Ziel ist es, eine tiefere Einsicht in die
starke Gravitation Schwarzer Löcher, die Kerr-Metrik, die Orientierung und Struktur dieser
Quellen sowie der Plasmakinematik um Schwarze Löcher zu erhalten. Die Emissionslinien dienen
in dieser Hinsicht als wertvolles diagnostisches Werkzeug.
Emissivität
In der bisherigen Betrachtung der Linienprofile wurde eine wichtige Größe unterschlagen: die
Emissivität. Sie ist ein Maß dafür, wie stark der jeweilige Ort auf der Scheibe in die Emission
eingeht. Die Emissivität gewichtet also die Abstrahlungseigenschaften der Standardscheibe. Kleine
Emissivität heißt geringer Beitrag zur Linienemission, große Emissivität heißt entsprechend hohes
Gewicht.
Physikalisch gesehen gibt es an sich keine große Wahl für das Emissivitätsgesetz. Denn die physikalischen
Bedingungen im Plasma wie Temperatur, Dichte und Zusammensetzung bestimmen den Wert der Emissivität
am jeweiligen Ort.
Eine selbstkonsistente, numerische Behandlung ist jedoch nicht so einfach. Zum Glück fanden die
Theoretiker eine einfache Gesetzmäßigkeit für die Standardscheibe: die radiale Emissivität verhält sich
wie ein Potenzgesetz und fällt mit dem Radius in der dritten Potenz ab. Anders gesagt: Bereiche, die
weit außen auf der Scheibe Linienstrahlung abgeben, tragen nur gering zum beobachteten Linienprofil bei.
Wichtiger sind die innersten Bereiche der strahlenden Scheibe.
Neben dem Potenzgesetz mit dritter Potenz wurden andere Modelle entwickelt. Zunächst wurden beliebige
Exponenten für ein einfaches Potenzgesetz in Erwägung gezogen (single power law, ein Einstellparameter,
nämlich der Exponent). Dann hat man vorgeschlagen, dass das radiale Emissivitätsgesetz bei einem bestimmten
Radius von einem auf den anderen Exponenten springen könnte (double power law, drei Einstellparameter:
zwei Exponenten und der Radius, an dem sich der Exponent ändert).
Ich habe im Rahmen meiner Diplomarbeit zusammen mit Max Camenzind (Landessternwarte Heidelberg)
zwei weitere Emissivitätsgesetze entwickelt:
- Das Gaußförmige Emissivitätsgesetz (Gaussian emissivity) kann herangezogen werden,
wenn die Emission an einem bestimmten Radius der Scheibe lokalisiert ist. Mit anderen Worten: die
Linienstrahlung kommt von einem speziellen Ring der Scheibe. Die Halbwertsbreite (FWHM) der Gauß-Funktion
regelt dabei die Breite des Rings. Je schärfer der Peak ist, umso schmaler ist der Ring, um so lokalisierter
ist die Emission.
- Das abgeschnittene Potenzgesetz (cut power law) modelliert auf geeignete
Weise den Innenrand der Scheibe bzw. den Innenrand des Emissionsgebietes. Ein Exponentialfaktor
dämpft das Potenzgesetz stark bei kleinen Radien. Das ist dadurch motiviert, weil innerhalb des Innenrands
keine Emission mehr zu erwarten ist. Standardscheiben haben einen Innenrand, der durch die
marginal stabile Bahn gegeben ist. In verallgemeinerten Scheibenmodellen kann (wie erwähnt) der Innenrand der
Scheibe auch größer sein, als die marginal stabile Bahn.
Alle gerade besprochenen radialen Emissivitätsgesetze sind in der Abbildung oben gegenübergestellt.
Eine dieser rein radialen Funktionen wird ausgewählt, um sie in das Integral zur Berechnung des Linienflusses
zu falten.
Simulierte Linienprofile und morphologische Klassifikation
Nach diesen Vorbereitungen ist es nachvollziehbar, wie ein theoretischer Astrophysiker
Röntgenfluoreszenzlinien simulieren würde, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem rotierenden
Schwarzen Loch emittiert werden und zum beobachtenden Astronomen gelangen. Mithilfe der
relativistischen Ray-Tracing-Methode wird zuerst simuliert,
wie eine leuchtende Akkretionsscheibe dem entfernten Beobachter erscheinen würde. In der Natur sind
die Scheiben allerdings so weit entfernt, dass die Astronomen leider diese relativistisch verbogenen
Scheiben (Gravitationslinseneffekt) nicht abbilden können.
Die Astronomen können jedoch Röntgenspektren aufnehmen, indem sie einige Zeit ihr Röntgenteleskop
auf die Quelle richten. Deshalb schließt sich bei der Simulation ein zweiter Schritt an: die
Berechnung des spektralen Flusses. Im Prinzip summiert man dabei über jedes Pixel des Scheibenbildes
und gewichtet eine deltafunktionsförmige Ruhelinie einerseits mit dem relativistisch verallgemeinerten
Doppler-Faktor (dem so genannten g-Faktor) und andererseits mit der Emissivität. Das Resultat ist eine
simulierte Fluoreszenzlinie im Beobachtersystem; also eine Linie, wie sie ein Astronom messen würde.
In einem einfachen Modell gehen die Theoretiker davon aus, dass eine Standardscheibe der Reflektor
für die harte Koronastrahlung, also der Emitter der Linie ist. Das Plasma, das die Linienstrahlung emittiert,
rotiert also in einer extrem dünnen Scheibe mit vernachlässigbarer vertikaler Ausdehnung. Zur Beschreibung
der Rotation benutzt man die Kepler-Gesetze. Man kann dem Plasma noch eine
kompliziertere Bewegung zuschreiben, z.B. die diskutierte radiale Drift zum Loch hin.
Bei der Simulation müssen verschiedene Eingangsparameter eingestellt werden. Dazu gehören:
- Lochrotation
- Scheibeninnenrand
- Scheibenaußenrand
- Scheibenneigung (Inklination)
- Geschwindigkeitsfeld, im einfachsten Fall reine Kepler-Rotation
- Emissivitätsgesetz
Diese Vielfalt an Einstellparametern lässt vermuten, dass eine ganze Reihe unterschiedlicher
Linienprofile resultieren. Man spricht auch in diesem Zusammenhang vom 'Linienzoo'. Seit meiner
Diplomarbeit untersuche ich diese Emissionslinienprofile und habe die Linien nach ihrer Form
klassifiziert. Die Terminologie dieser morphologischen Klassifikation lautet:
- dreieckige Linien (triangular lines),
- doppelköpfige Linien (double-horned lines),
- buckelige Linien (bumpy lines),
- schulterartige Linien (shoulder-like lines),
- doppelspitzige Linien (double-peaked lines).
Beschränkungen des Modells
Es ist wichtig zu betonen, dass diese Klassifikation auf den Annahmen beruht, dass
nur eine Quelle (z.B. ein einzelner AGN) beobachtet wird, dass die Fluoreszenzlinie
von einer dünnen Akkretionsscheibe und nicht einer komplizierteren Geometrie
kommt, dass es nur eine Region auf der Akkretionscheibe gibt, die die Linie abstrahlt,
dass nur ein Element (z.B. neutrales Eisen) fluoresziert und dass die Akkretionsscheibe
nicht in sich deformiert ist (so genannte warped disk). Das sind viele Einschränkungen,
und es ist anzunehmen, dass die Natur komplizierter ist. Es konnte mit anderen Simulationen
gezeigt werden, dass ein 'Zoo von Linien', also mehrere Spitzen im Spektrum entsteht, wenn
mehrere Elemente bei unterschiedlichen Energien fluoreszieren oder wenn die innere Scheibe
in sich verzogen ist.
exemplarische Beispiele
In den nächsten Abschnitten soll diese Linienklassifikation anhand von Beispielen
verdeutlicht werden. In allen Beispielen wurden die Achsen so beschriftet, dass
auf der Horizontalen (x-Achse) der verallgemeinerte Dopplerfaktor (g-Faktor)
aufgetragen wurde. Er ist ein gutes Maß für die Verschiebung der deltafunktionsförmigen
Ruhelinie. Denn g = 1 bedeutet, dass hier die unverschobenen Anteile der Ruhelinie
sind. g kleiner als 1 entspricht den rotverschobenen Anteilen der Linie, während
g größer als 1 den blauverschobenen Anteilen entspricht. Beispiel: Findet man
die beobachtete Linie komplett im Bereich g kleiner 1, so wurde sie komplett
rotverschoben, z.B. durch den Einfluss des Doppler-Effekts und/oder durch die
Gravitationsrotverschiebung. Üblicherweise verteilt sich die beobachtete Linie
über den Bereich von g = 0 bis g ~ 1.2. Teile der Linie werden also rot- und
Teile der Linie werden blauverschoben und resultieren in einem schiefen, asymmetrischen
Profil.
Auf der Vertikalen (y-Achse) ist der normalisierte spektrale Linienfluss aufgetragen.
Er ist letztendlich ein Maß für die Intensität der Linie bei einer bestimmten Energie
auf der x-Achse. Die Normalisierung hat technische Gründe, weil man leider keine
absoluten Flusseinheiten in der Simulation erhält. Absolute Einheiten könnte man erst
aus einer Eichung der simulierten/theoretischen Linie an einer beobachteten bekommen.
Letztendlich geht es aber um das Profil, und das bleibt gleich, egal wie man die Linie
als Ganzes in vertikaler Richtung verschiebt.
Dreieckige Linien
Wie nebenstehendes simuliertes Linienprofil zeigt, ähneln diese Spektrallinien tatsächlich einem Dreieck.
Es ist nur einer der Dopplerhöcker zu erkennen, nämlich der gebeamte blaue Flügel nahe
g = 1. Der Einfluss der Gravitationsrotverschiebung tritt hier als stark ausgezogener
roter Flügel zutage, der im Prinzip bis g = 0 reicht. Die physikalische Ursache ist, dass
der Scheibeninnenrand in diesem Beispiel direkt am äußeren Ereignishorizont des Loches
liegt, bei gut einem Gravitationsradius. Das ist dann möglich, wenn das Loch sehr schnell
rotiert und die marginal stabile Bahn (und somit der Scheibeninnenrand) nahe an den Horizont
rückt. Hier wurde der Kerr-Parameter zu a ~ M gewählt, also maximale Lochrotation. Das
Geschwindigkeitsfeld ist hier eine reine Kepler-Rotation. Die Emissivität ist ein klassisches
einfaches Potenzgesetz in dritter Potenz.
Dreieckige Linien sind typisch bei kleinen Neigungen der Standardscheibe zum Beobachter,
etwa Neigungen kleiner als 30°.
Doppelköpfige Linien
Doppelköpfige Linien sind durch zwei vorhandene, relativ breite Dopplerpeaks charakterisiert.
Naturgemäß ist der rote Dopplerhöcker etwas verkümmert, weil er von der Gravitationsrotverschiebung
'heruntergezogen' wird. Der blaue Linienflügel wird hingegen durch Beaming verstärkt und steigt
deshalb in der Intensität stark an (beaming peak). Aus Gründen der Vergleichbarkeit sind hier
ebenfalls ein rein Keplersches Geschwindigkeitsfeld und ein einfaches Potenzgesetz zugrunde gelegt
worden.
Doppelköpfige Linienprofile sind typisch bei mittleren Neigungswinkeln der Scheibe um 40°.
Buckelige Linien
Diese Linienform erinnert an ein auf dem Kopf stehenden U. Die Dopplerpeaks sind beide verschwunden
und die Linie hat ihr Maximum bei mittleren g-Faktoren bei etwa 0.6 bis 0.7. In den Simulationen konnte
gezeigt werden, dass diese charakteristischen Buckelprofile nur bei einer neuen Form von
Emissivitätsgesetzen reproduziert werden können, nämlich solchen die deutlich stärker nach außen
abfallen. Der Exponent des Potenzgesetzes liegt demnach nicht mehr bei -3, sondern bei -4 und weniger.
Diese Gestalt hängt fast exklusiv von dieser 'steilen Emissivität' ab und ist dann weitgehend
unabhängig von anderen Einstellparametern.
Schulterartige Linien
Die Linienprofile mit 'roter Schulter' sind in der Tat etwas ganz Besonderes. Denn in den Simulationen
treten sie nur unter ganz bestimmten Bedingungen auf. Es ist kaum möglich, sie aus klassischen
Einstellparametern (einfaches Potenzgesetz, reine Keplerrotation) zu generieren. Im vorliegenden
Fall resultiert die schulterartige Linie aus der Wahl eines Gaußförmigen Emissivitätsgesetzes, also
einer lokalisierten Emission auf einem Plasmaring, und unter weiterer Berücksichtigung einer
Driftbewegung des Plasmas. Die Inklination wurde mit 40° zu einem typischen Wert der AGN Typ-1 gewählt.
Geringfügig andere Parameter deformieren die sanft abfallende, rote Linienflanke, die 'rote Schulter'
und führen zum Verschwinden dieser charakteristischen Struktur. In der Schulter ändert sich mathematisch
gesehen das Krümmungsverhalten der Kurve: in diesem Wendepunkt springt das Vorzeichen der zweiten Ableitung, wie
aus der Schulmathematik im Rahmen der Kurvendiskussion bekannt ist.
Die Motivation für dieses einzigartige Profil rührte von einer astronomischen Beobachtung her: Röntgenastronomen
haben die Seyfert-1-Galaxie MCG-6-30-15 beobachtet und dabei dieses Profil gemessen
(Fabian et al. 2002). Mit den neuen Modellen für Plasmabewegung und Emissivität konnte diese Beobachtung
erklärt werden (Müller & Camenzind 2004). Es gibt allerdings aufgrund der Vielzahl der Parameter,
die die Linienform im Allgemeinen bestimmen, einen Spielraum, so dass der Parametersatz nicht zwingend ist.
Doppelspitzige Linien
Doppelspitzige Profile klingen sicherlich besser als englischer Begriff: double-peaked lines.
'Spitz' trifft die Morphologie der Linie tatsächlich am besten, denn die Linie ist bestimmt durch
zwei sehr ausgeprägte, messerscharfe Dopplerspitzen. Damit beide Dopplerspitzen in der Linie
sichtbar werden, darf die Inklination der Scheibe nicht zu klein werden. Typisch sind Werte
der Neigung im Bereich ab 30° und mehr.
Außerdem fällt auf, dass der Schwerpunkt der Linie ziemlich nahe bei g = 1 liegt und der breit
ausgeschmierte, rote Flügel fehlt. Stattdessen ist die rote Flanke scharf abgeschnitten. Das Linienprofil
ähnelt damit bereits sehr den Newtonschen Emissionslinien. Anders gesagt, die Linienstrahlung entsteht
schon zu weit entfernt vom Loch und ist nicht mehr der stark gekrümmten Raumzeit ausgesetzt. Vielmehr ist
hier die Metrik bereits asymptotisch flach. Anhand der Liniensimulationen lässt sich sagen, dass dieser
recht flache Bereich der Raumzeit schon ab einem Abstand ab 25 Gravitationsradien vom Zentrum des Loches
beginnt. Es ist klar, dass hier die Rotation der Raumzeit erst recht vernachlässigbar ist, obwohl im
Beispiel hier maximale Lochrotation eingestellt wurde.
Der aufmerksame Betrachter mag einen kleinen Unterschied bei den Dopplerspitzen registrieren: sie sind
unterschiedlich hoch. Hier manifestiert sich noch das Beaming, also der speziell relativistische Effekt.
Offensichtlich wird ein Teil der Linienstrahlung noch signifikant blauverschoben, so dass die blaue
Spitze die rote überragt. Die Klassifikation als doppelspitziges Linienprofil ist jedoch von diesem relativen
Unterschied der Peaks unabhängig.
Die Einstellparameter im Beispiel sind: 30° Scheibeninklination eines schmalen, leuchtenden Rings mit
Innenrand bei 28 und Außenrand bei 30 Gravitationsradien. Ebenfalls wurde reine Keplerrotation und ein
einfaches Potenzgesetz in dritter Potenz angenommen.
Schlussbetrachtung
Die kleine Auswahl an simulierten Linienprofilen im letzten Abschnitt hat sicherlich demonstriert
wie reichhaltig der Linienzoo ist und wie viel der Astrophysiker darin über die Röntgenquelle erfahren
kann. Als Quellen kommen bestimmte Vertreter der AGN in Betracht, wie die Seyfert-Galaxien
und die Quasare, aber auch stellare Kandidaten wie einige
Mikroquasare. Leider beobachtet man sie wie gesagt nicht in vielen
Quellen, weil eine Anzahl spezieller Voraussetzungen erfüllt sein muss, dass es zur Emission
der heißen, relativistisch verbreiterten Eisenlinie kommt.
Wie das typische Röntgenspektrum im Kapitel AGN Röntgenspektren
zeigt, ist der Komplex der Röntgen-K-Linien überlagert von anderen spektralen Komponenten, vor allem vom
Comptonisierten Kontinuum. Ein Vergleich von Beobachtung und Simulationsmodell erfordert, dass diese
superponierten Komponenten herausgerechnet werden müssen. Darin steckt jedoch eine weitere Unsicherheit,
ein weiteres Modell (diesmal für das Compton-Kontinuum), das sehr gut die Natur beschreiben muss. Diese
Unsicherheit überträgt sich so letztendlich auf das beobachtete Linienprofil - es ist mit einem weiteren
Fehler behaftet.
Eine weitere Komplikation ist die zeitliche Variabilität der Linien. Weder die Korona, noch die
Standardscheibe sind statische Objekte: sie ändern ihre Gestalt, sie rotieren (auch wenn es Modelle mit
statischen Koronen auf der Rotationsachse des Loches gibt, das so genannte lamp-post model), sie ändern
ihre Abstrahlcharakteristik, sie entleeren sich von Materie, werden durch Akkretion wieder aufgefüttert etc.
All das spiegelt sich in einer stark variablen Emissionslinie wider. Der Astronom merkt davon üblicherweise
nichts, weil er zu lange mit seinem Teleskop 'auf die Quelle hält'. Er mittelt sozusagen die Variabilität zeitlich
heraus. Aber auch dann kann er einige prinzipielle Aussagen über die Quelle machen - aber sie sind mit Vorsicht
zu genießen!
Aus theoretischer Sicht hat man längst begonnen, diese subtilen Informationen zu modellieren. Es wurde
bereits ein zeitabhängiges, magnetohydrodynamisches Akkretionsmodell
an einen relativistischen Ray Tracer gekoppelt (Armitage & Reynolds 2003, in meiner Dissertation auf
S.121). So kommt man als Betrachter der Simulationen in den Genuss, eine 'zappelnde Emissionslinie' zu bewundern.
Dennoch stehen diese Modelle erst am Anfang - ebenso wie ein sicheres Verständnis der Röntgenquellen.
Literaturauswahl
- Müller, A., Diplomarbeit, Landessternwarte Heidelberg, 2000
- Müller, A., Dissertation, Landessternwarte Heidelberg, 2004
- Müller & Camenzind, A&A 413, 861, 2004
- Tanaka et al., Nature 375, 659, 1995
- Fabian et al., MNRAS 335, L1, 2002
- Armitage & Reynolds, MNRAS 341, 1041, 2003
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© Andreas Müller, August 2007
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