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Schwarze Löcher -Das dunkelste Geheimnis der Gravitation
Die Kerr-Lösung Erst 1963 folgte eine weitere wesentliche Lösung der Einsteinschen Gleichungen mit neuen physikalischen Eigenschaften: die Kerr-Lösung. Sie beschreibt rotierende, elektrisch ungeladene Schwarze Löcher und wurde von dem neuseeländischen Mathematiker Roy Patrick Kerr gefunden (Papier: Gravitational field of a spinning mass as an example of algebraically special metrics, 1963). Das Bild rechts zeigt Roy Kerr in den 1970er Jahren und zu seinem 70. Geburtstag am Kerr-Fest 2004 in Neuseeland (Fotos mit freundlicher Genehmigung von Roy Kerr). Kerrs Raumzeit in der Astronomie
Die Kerr-Geometrie ist von unschätzbarem Wert für die moderne, relativistische Astrophysik. Die Rotation
des Loches ist dabei nicht nur natürlich, sondern sogar notwendig. Denn nur mit dieser theoretischen, rotierenden
Lösung der Einstein-Gleichungen sind viele Effekte in der Nähe von Schwarzen Löchern zu verstehen. Zu
diesen Effekten gehören die magnetohydrodynamische Erzeugung von
Jets, die Quasi-periodischen Oszillationen bei
stellaren Schwarzen Löchern, die relativistische
Verbreiterung von Emissionslinien, der Lense-Thirring-Effekt in
Akkretionsscheiben, der Frame-Dragging-Effekt, der
Blandford-Znajek-Mechanismus und Penrose-Prozesse. Symmetrien des Kerr-Vakuums
Kommen wir nun zur Diskussion der Eigenschaften der Kerr-Lösung, die gelegentlich auch Kerr-Vakuum genannt wird, weil es
eine Vakuum-Raumzeit ist. Sie weist zwei Symmetrien auf: die zeitliche Symmetrie heißt
Stationarität und kann so verstanden werden, dass sich die Struktur der Raumzeit
mit der Zeit nicht weiter entwickelt ('keine explizite Zeitabhängigkeit'). Dennoch
rotiert die Raumzeit. Die räumliche Symmetrieeigenschaft ist eine Achsensymmetrie (Axialsymmetrie), also eine
Symmetrie zu einer Achse wie bei einem Zylinder. Um diese Symmetrieachse rotiert das Loch. Eine rotierende Raumzeit Das Linienelement ist in der ART eine Gleichung, die alle Eigenschaften einer Raumzeit festlegt. Im Linienelement stecken alle Komponenten des metrischen Tensors, die bei der betreffenden Koordinatenwahl nicht verschwinden. Eine Raumzeit kann immer in unterschiedlichen Koordinaten dargestellt werden, die in unterschiedlicher Ausprägung ein direktes, intuitives Verständnis der Eigenschaften der Raumzeit erleichtern können. Auch die Komplexität mathematischer Rechnungen mit Raumzeiten hängt von dieser Koordinatenwahl ab. Generell gilt in der Physik: Je besser die Koordinaten an die Symmetrie des Problems (hier: der Raumzeit) angepasst sind, umso einfacher die mathematische Behandlung. Das Linienelement der Kerr-Metrik (Gleichung rechts) ist komplizierter als im Schwarzschild-Fall und weist neue Kreuzterme auf. Mit Kreuztermen meint man Mischungen von Koordinaten in den metrischen Koeffizienten. Im Fall der Kerr-Lösung treten in Boyer-Lindquist-Koordinaten (einer Standardnotation der Kerr-Metrik) Mischungen zwischen der zeitlichen Komponente (t-Komponente) und der Azimutal-Komponente (Φ-Komponente) auf. Multipliziert man die Klammer im Linienelement aus, so findet man den Kreuzterm mit dΦ dt. Die Metrik geschrieben in Matrixform ist also nicht diagonal und weist von Null verschiedene Nebendiagonalelemente auf. Physikalisch ist das mit der rotierenden Raumzeit zu begründen. Die Kreuzterme mit zeitlichen Komponenten weisen darauf hin, dass die Metrik nicht statisch ist. Das ist schnell nachzuvollziehen, indem man gleichzeitig eine t- und eine Φ-Spiegelung durchführt: dann ist die Kerr-Geometrie unverändert (invariant). Es muss also zu einer drehenden Gravitationsquelle gehören! Roy Kerr hat historisch die Metrik dieser rotierenden, ringförmigen Gravitationsquelle in pseudo-kartesischen Koordinaten formuliert. Weil diese der Axialsymmetrie nicht angepasst sind, sieht die Metrik dann deutlich komplizierter aus, wie die historische Form der Kerr-Lösung belegt. Allerdings kann man die Ringsingularität (dazu später) geeignet im pseudo-kartesischen System ableiten. Boyer-Lindquist-Koordinaten - Die Standarddarstellung Eine Standarddarstellung rotierender Schwarzer Löcher ist die Boyer-Lindquist-Form. Diese Koordinaten sind pseudo-sphärisch und der Symmetrie deutlich besser angepasst. In dieser Darstellung werden eine Reihe typischer Funktionen verwendet, die auch oben im Linienelement der Kerr-Geometrie zu finden sind. Diese Notation wurde Ende der 1960er Jahre gefunden (siehe Historie). Das radiale Verhalten der Boyer-Lindquist-Funktionen in der Äquatorialebene (der Poloidalwinkel θ ist π/2, also 90°) und im Falle eines maximal rotierenden Schwarzen Loches a = M zeigt das Diagramm oben. Auf der Symmetrieachse der rotierenden Raumzeit (dort gilt θ = 0) gibt es in Boyer-Lindquist-Form eine Koordinatensingularität. Eine weitere, schlimmere Koordinatensingularität gibt es am (äußeren) Ereignishorizont: Die Lapse-Funktion α und das Delta-Potential Δ werden beide am (inneren und äußeren) Horizont null. Das ist nämlich gerade die Definition eines Horizonts. Deshalb divergiert die Komponente grr des metrischen Tensors am Horizont. Beide Koordinatensingularitäten des Boyer-Lindquist-Koordinatensystems lassen sich beheben, wenn man Kerr-Schild-Koordinaten verwendet. Der metrische Tensor der Kerr-Geometrie in Kerr-Schild-Form weist zwar mehr nicht-verschwindende Komponenten (mehr Nebendiagonalelemente) auf, bleibt aber konvergent. Das wird im Wesentlichen durch die neue Funktion z gewährleistet, die die Kerr-Schild-Funktionen enthalten (Quelle: S.S. Komissarov 2004). Kerr-Schild-Koordinaten sind komplexer, aber nicht komplizierter, vor allem verhalten sie sich 'gutartig' an den Horizonten.
Im Schwarzschild-Fall koinzidiert der innere Horizont mit der zentralen Singularität bei r = 0.
Bei maximaler Rotation eines Schwarzen Loches vom Kerr-Typ (a = -M oder a = M) koinzidieren innerer
und äußerer Horizont und liegen bei einem Gravitationsradius. Das ist die bereits angesprochene, verbotene
sichtbare Singularität. Für Zwischenwerte von a liegt der innere Horizont immer innerhalb
des äußeren Horizonts. Im Schlepptau des rotierenden Lochs
Ein interessanter Umstand ist, dass das rotierende Schwarze Loch am Horizont alles, Materie, Licht, Magnetfelder,
Beobachter etc. zwingt in seine Umlaufrichtung und mit gleicher Winkelgeschwindigkeit zu rotieren. Das verwundert
nicht, denn das Loch ist die Raumzeit selbst, die rotiert. Dieses 'Mitschleppen von Objekten und des
Bezugssystems' bezeichnen Relativitätstheoretiker mit dem englischen Fachbegriff frame dragging
(engl. frame: Bezugssystem; to drag: ziehen). Es kann deshalb auch keine statischen Beobachter mehr nahe
am Kerr-Loch geben. Das passende Beobachtersystem, das man dann in der Kerr-Metrik verwendet, nennt man den
Bardeen-Beobachter oder das lokal nicht rotierende Bezugssystem (engl. locally non-rotating frame,
LNRF) wie es James Bardeen selbst nannte. Heute sprechen die Experten meist
vom ZAMO-System, für Zero Angular Momentum
Observer. Dieser Beobachter rotiert mit der Raumzeit/mit dem Schwarzen Loch mit, deshalb verschwindet
sein Drehimpuls (engl. angular momentum) lokal. Der ZAMO rotiert nun aus dem Unendlichen betrachtet exakt mit dieser Winkelfrequenz ω. Sendet er einen Lichtblitz aus, propagiert ein Teil des Lichts in positive und der andere Teil in negative Richtung des Azimutwinkels Φ. Nur der ZAMO - und nur er - wird dann die getrennten Lichtblitze nach ihren Umläufen um das Loch exakt gleichzeitig bei sich empfangen. Andere Beobachter werden eine Verzögerung messen. Dieselbe Diskussion kann man für den Schwarzschild-Fall (keine Rotation, a = 0) wiederholen. Die Abbildung oben zeigt, dass das Verhalten der einzelnen Funktionen sehr ähnlich ist, wie im Kerr-Fall, nur dass der Horizont nun doppelt so groß ist und bei rH = 2 rg, dem Schwarzschildradius, liegt. Die Funktionen ρ und ω mit Tilde (~) sind im Schwarzschild-Fall identisch und liegen aufeinander (blaue und gelbe Kurve). Es gibt jedoch eine wesentliche Ausnahme: das Drehimpulspotential ω bleibt konstant null, weil es proportional zu a ist. Das bedeutet, dass aufgrund des Frame-Dragging-Effekts jede Rotation am Horizont des Schwarzschild-Loches stoppen muss! Diese Bedingung wird rotierender Materie in einer Akkretionsscheibe durch die statische Raumzeit auferlegt. Man kann sie als Anti-Frame-Drag bezeichnen. Bei Computersimulationen von Akkretionsflüssen in Pseudo-Newtonschen Potentialen (Potentiale, die den relativistischen Schwarzschild-Fall nachahmen) muss diese Bedingung extra berücksichtigt werden. In voll relativistischen Simulationen ist sie hingegen automatisch enthalten. Kerr-Löcher als Materieschleuder
Der Frame-Drag ist in der Magnetohydrodynamik (MHD) Schwarzer Löcher von
besonderer Relevanz. Denn Magnetfelder in der Akkretionsscheibe werden durch frame dragging mitgezogen und
verstärkt. Die Winkelfrequenz Ω, mit der die Raumzeit am Ereignishorizont r = rH
rotiert, ist gegeben durch die Gleichung rechts.
Anschaulich werden global poloidale Magnetfelder in der Nähe von Kerr-Löchern verdrillt (Torsion).
Die Feldlinien werden zusammengequetscht und in Rotation versetzt. Die Folge ist, dass die Magnetfeldstärke
signifikant erhöht wird! Astrophysiker sprechen in diesem Zusammenhang vom
ergosphärischen Dynamo, weil der magnetische Dynamo-Effekt in der Ergoregion eines rotierenden Loches
stattfindet. Bei einem Schwarzschild-Loch funktioniert das nicht! Durch diesen Effekt werden bereits vorhandene
Magnetfelder verstärkt und die Magnetfeldstruktur wird dominant toroidal ('schlauchartig'). Auch die Dynamik
solcher Magnetfelder ist ein interessantes Studienobjekt, denn das rotierende Loch treibt eine Form magnetischer Wellen,
also ein räumlich und zeitlich variables Magnetfeld. Diese so genannten Alfvén-Wellen pflanzen sich durch
die Raumzeit fort. Die magnetische Struktur, die ein schnell rotierendes Loch nach außen treibt heißt
torsionaler Alfvén-Wellenzug (engl. Torsional Alfvén Wave Train, TAWT). Es handelt sich
um eine MHD-Welle, die sich etwa entlang der Rotationsachse des Schwarzen Loches bewegt und dabei Plasma mitreißt.
Ihre Geschwindigkeit, die Alfvén-Geschwindigkeit, hängt von der Umgebungsdichte
ab: In einem dichteren Medium wird diese MHD-Welle langsamer, in einem dünneren wird die magnetische Welle beschleunigt.
Soweit die Theorie - dass das etwas mit der Natur zu tun hat, belegt eindrucksvoll das Bild links. Es zeigt eine
optische Fotografie der aktiven Galaxie M87 im Sternbild Virgo (dt.
Jungfrau), aufgenommen mit dem Weltraumteleskop Hubble (Credit: AURA/STScI/NASA 2000). Die helle Punktquelle
links oben ist der aktive Kern der Galaxie, wo Astronomen eine hohe, kompakte Masse von gewaltigen drei Milliarden
Sonnenmassen nachgewiesen haben. Das wird als supermassereiches Schwarzes Loch
interpretiert, das über Akkretion für die enorme Aktivität der Galaxie sorgt. Die Aktivität ist
nicht nur an der gleißend hellen Punktquelle erkennbar; M87 erzeugt auch einen gigantischen Materiestrahl, der
im Bild ebenfalls als bläulich-weißer Strahl zu sehen ist. Das ist ein spektakuläres Beispiel eines
Jets, der aus einem Aktiven Galaktischen Kern (AGN)
heraus geschossen wird. Die Astronomen kennen davon viele Beispiele, die sie in den unterschiedlichsten AGN-Typen, vor
allem in Quasaren, Blazaren und Radiogalaxien
beobachten. AGN-Jets sind großskalige Plasmaströme aus dem Herzen aktiver Galaxien. Sie erreichen unglaublich
hohe Distanzen vom Kern und erstrecken sich dann bis auf die kpc- oder Mpc-Skala. D.h. das
Plasma wird aus dem Kerngebiet bis Entfernungen von Millionen von Lichtjahren beschleunigt!
(Zum Vergleich: Unsere Milchstraße hat einen Durchmesser von etwa 100000
Lichtjahren.) Jets werden aber auch bei stellaren Quellen beobachtet und z.B. in abgeschwächter Form von Protosternen oder ebenfalls bei kompakten Objekten wie Weißen Zwergen, Neutronensternen oder stellaren Schwarzen Löchern in die Umgebung geschleudert. Ohne Schwarzes Loch ist die Physik der Jetentstehung eine andere (u.a. Blandford-Payne-Szenario) - wichtig ist in jedem Fall die Akkretion, weil sie die Materie zum Katapult befördert. Die Wechselwirkung von Akkretionsscheibe und kompakten Objekt treibt die Jets nach außen. Die Jets, die in der Umgebung Schwarzer Löcher erzeugt werden, sind besonders schnell - beinahe lichtschnell. Es sind relativistische Jets. Bei den extragalaktischen Makro-Jets der AGN und auch bei den Mikro-Jets von (stellaren) Mikroquasaren, Mikroblazaren und Gamma Ray Bursts (GRBs) werden relativistische Jets magnetisch getrieben! Wesentliche Zutaten für den Prozess sind eine schnell rotierende Raumzeit und Magnetfelder. Welche Bedeutung haben Jets für den kosmischen Materiekreislauf? Jets reichern schließlich durch ihre Ausbreitung das interstellare und intergalaktische Medium mit Materie an und sorgen für eine kräftige Durchmischung. Somit sind Jets auf allen Längenskalen für eine gleichmäßige Verteilung der Metalle mit verantwortlich. Aus diesem 'Materialmix' können durch Gravitationskollapse (gravitative Instabilitäten) wieder neue Sterne höherer Metallizität entstehen. Jets spielen im 'kosmischen Recycling' eine wichtige Rolle bei der Durchmischung und Verteilung chemischer Elemente, die in der stellaren Nukleosynthese, Roter Riese und in Supernovae erzeugt werden. Und wer weiß: Vielleicht war die jetgetriebene Durchmischung auch eine Voraussetzung für die Entstehung des irdischen Lebens... Diese Hypothese rückt die Rolle Schwarzer Löcher in ein neues Licht. Schwarze Löcher sind keine fernen 'Materieschlucker', die uns egal sein können - sie haben etwas mit uns und unserem Dasein zu tun! Bewegungen um den rotierenden Raumzeit-Schlund Genauso wie die Planeten im Sonnensystem um die Sonne kreisen, gibt es auch stabile Keplerbahnen um ein Schwarzes Loch. Mit anderen Worten: Schwarze Löcher verschlingen nicht alles; wenn ein Körper genug Drehimpuls besitzt, kann er am dunklen Abgrund unbehelligt seine Kreise ziehen. Es gibt neben diesen stabilen Orbits aber auch instabile Bahnen. Im Prinzip gibt es fünf Möglichkeiten für die Bewegung eines Teilchens mit Drehimpuls in der Umgebung eines rotierenden Schwarzen Loches:
Diese Überlegungen macht man sich leicht am Potentialverlauf klar (wie im Lexikon bei der marginal stabilen Bahn diskutiert wird). Die Diskussion läuft analog zum Newtonschen Fall, nur dass man verallgemeinerte effektive Potentiale der Kerr-Geometrie benutzen muss. Analytisch behandeln Relativisten die Teilchenbewegungen (Materieteilchen oder Lichtteilchen - Unterschied: Ruhemasse) mit der Geodätengleichung. Eine Lösung dieser Gleichung auf der Kerr-Geometrie führt zu den Geodäten für Materieteilchen und den Nullgeodäten für Strahlung. Numerisch nutzen die Theoretiker dabei die Erhaltungsgrößen aus: neben den klassischen, konservativen Größen Masse, Energie und Drehimpuls existiert - und das nur ganz speziell in der Kerr Metrik! - eine vierte Erhaltungsgröße: die Carter-Konstante. Brandon Carter fand diese Größe 1968 (Papier: Global structure of the Kerr family of gravitational fields) aus der Separabilität der Hamilton-Jacobi-Gleichung. Die Carter-Konstante ist mit dem radialen und poloidalen Impuls (des Materie- oder Lichtteilchens ) assoziiert. Licht in der Kerr-Metrik Mit diesem Satz aus vier Erhaltungsgrößen lässt sich die Geodätengleichung sehr einfach integrieren. Die Geodätengleichung ist eine Differentialgleichung zweiter Ordnung, die nach dem Existenz- und Eindeutigkeitssatz eine eindeutige Lösung besitzt: die Bahn des Materieteilchens oder Photons. Die Simulationen mit Kerr-Ray-Tracern zeigen, dass die Lichtteilchen nicht nur durch den klassischen Doppler-Effekt, sondern auch durch relativistische Effekte stark beeinflusst werden. Diese vollkommen neuen Effekte heißen:
Die Gleichung links zeigt, wie man allgemein relativistisch korrekt die Winkelgeschwindigkeit in der Kerr-Metrik
berechnet. Dieser Ausdruck ist ganz fundamental und gilt immer in der Kerr-Geometrie. Man sieht die Abhängigkeit von
den Boyer-Lindquist-Funktionen (ω mit ~ heißt 'Zylinderradius') und von dem Verhältnis der
Erhaltungsgrößen Drehimpuls L und Energie E eines einfallenden Materieteilchens oder Photons, das
in der Literatur häufig mit λ bezeichnet wird. Es ist der spezifische Drehimpuls des Teilchens. Die Winkelgeschwindigkeit
wird am Horizont gerade ω, weil - wie aus dem Diagramm oben ersichtlich - α am Horizont null wird. Das ist gerade der bereits
besprochene Frame-Dragging-Effekt: das Loch zwingt alles mit dem Horizont zu rotieren! Kurz notiert: Ω = ω. Ringsingularität und Ergosphäre - Neue Strukturen in der Kerr-Lösung Ein wesentlicher Unterschied zwischen rotierenden und nicht rotierenden Schwarzen Löchern ist, dass beim Kerr-Typus die intrinsische Punktsingularität durch die Ringsingularität in der Äquatorebene ersetzt wird. Die Auswertung der Krümmungsinvarianten wie dem Kretschmann-Skalar zeigt, dass die Krümmung der Raumzeit immer bei r = 0 divergiert, also unendlich wird. Die Krümmungssingularität bleibt am gleichen Ort, ändert aber ihren Typus. In der Kerr-Geometrie ist ein singulärer Massenstrom, der in einem unendlich dünnen Ring fließt, die Quelle des rotierenden Gravitationsfeldes. a nennt man den Rotations-, Spin- oder Kerr-Parameter, der den Drehimpuls des rotierenden Loches festlegt: a = 0 bedeutet keine Rotation (also Schwarzschild), a kleiner null (retrograd) bzw. a größer null (prograd) sind rotierende Kerr-Lösungen. Der Typus der Singularität folgt der globalen Symmetrie der Raumzeit: die kugelsymmetrische Schwarzschild-Metrik hat eine Punktsingularität, die achsensymmetrische Kerr-Metrik hat eine Ringsingularität. Außerdem gibt es in der Kerr-Metrik ein abgeplattetes Gebiet, das man Ergosphäre nennt. Sie liegt dicht am äußeren Horizont und hat eine Berandung, die vom Poloidalwinkel abhängt: An den Polen des maximal rotierenden Kerr-Lochs fällt sie mit dem Horizont zusammen und steigt mit dem Kosinus des Poloidalwinkels bis auf 2 Gravitationsradien (also einem Schwarzschildradius) in der Äquatorebene an. Diese Begrenzung in der Äquatorebene ist unabhängig vom Rotationszustand des Schwarzen Loches und heißt statisches Limit: Im Schwarzschildfall gibt es keine Ergosphäre, denn hier fällt die Berandungsfläche mit dem Horizont zusammen. Akkretionsscheiben, die im Bereich zwischen ein und zwei Gravitationsradien existieren, nennt man ergosphärische Scheiben. Teilchen können in der Ergosphäre negative Energien annehmen. Auf diese Weise wäre es zumindest theoretisch möglich dem Schwarzen Loch Energie zu entziehen: Man schießt ein Teilchen in die Ergosphäre hinein, lässt es dort zerfallen. Nun muss man dafür sorgen, dass das Teilchen, das negative Energie trägt ins Loch fällt, während das andere die Ergosphäre wieder verlässt und aufgefangen wird. Auf diese Weise hätte man Energie aus dem Loch gewonnen. Diesen Mechanismus nennt man Penrose-Prozess. Die Astrophysiker stellen sich heute vor, dass die Makro-Jets Aktiver Galaktischer Kerne in der Ergosphäre Energie erhalten und so ein elektromagnetischer Energiefluss, Poynting-Fluss genannt, unmittelbar vor dem Horizont des rotierenden Schwarzen Loches getrieben wird, der den Jet nach außen elektromagnetisch beschleunigt. Die Astrophysiker sagen, dass relativistische Jets magnetisch getrieben sind (Details dazu auch in meiner Doktorarbeit).
Die Abbildung oben zeigt die Morphologie Schwarzer Löcher, hier der allgemeine Fall eines
Kerr-Loches. Nähert man sich von außen diesem Objekt, so stößt man zunächst auf
den Radius marginaler Stabilität (grüner Orbit). Dieser Abstand
markiert den kleinstmöglichen Abstand, bei dem noch eine stabile Rotation um das Schwarze Loch
möglich ist. Also gibt es für Radien kleiner als den für marginale Stabilität keine
stabilen Kreisbahnen mehr. Kommt das Objekt näher heran, muss es entweder in das Schwarze Loch fallen
oder auf einer ungebundenen Bahn verlassen. Sämtliche charakteristische Radien Schwarzer Löcher wurden in ihrer Abhängigkeit vom Kerr-Parameter a, der die Rotation des Schwarzen Loches parametrisiert, in der Abbildung oben dargestellt. Die Radien heißen:
Üblicherweise ist a eine positive Größe, dann spricht
man von prograder Rotation, was bedeutet, dass der Drehsinn des rotierenden Schwarzen Loches
mit einem umlaufenden Testteilchen oder z.B. der Akkretionsscheibe übereinstimmt. Dies entspricht
also dem rechten Teil der Abbildung. Nimmt man hingegen für a negative Werte an, so handelt
es sich um retrograde Rotation: Scheibe und Loch rotieren gegenläufig. Während Horizont,
statisches Limit und auch die Ringsingularität unabhängig vom Vorzeichen von a
sind (Symmetrie zur Vertikalen durch a = 0 in der Abbildung), hängen Radius marginaler
Stabilität, Radius marginaler Bindung und Photonenradius stark vom Umlaufsinn ab. Retrograd
ist demnach der Bereich links in der Abbildung. Besonders wichtig wird das beim Radius marginaler
Stabilität, angewandt in der Akkretionstheorie, wo ein gegenläufig rotierendes Loch die
Standardscheibe (die Keplerrotation bis rms aufweist) weit nach außen drückt: im
Extremfall, a = -M, auf 9 Gravitationsradien! Die maximal rotierenden Schwarzen Löcher, a = +M, haben die verblüffende Eigenschaft, dass alle charakteristischen Radien (bis auf den der Ergosphäre bzw. des statischen Limits) zusammenfallen, nämlich beim Radius r = 1 rg! Aufgrund der kosmischen Zensur sind diese extremen Formen der Kerr-Lösung verboten. Wie die Abbildung zeigt, geht die gegenseitige Annäherung der charakteristischen Radien eines Kerr-Loches relativ glatt mit variablem Kerr-Parameter vonstatten (es gibt keine Sprünge/Unstetigkeiten der Radien als Funktion von a). Die Ergosphäre, also der Bereich negativer Energien, hat in diesem Fall (und ebenso für a = -M) ihr maximales Volumen, das Loch hingegen seinen kleinstmöglichen Radius des äußeren Horizonts. Dadurch dass Schwarze Löcher durch Akkretion schnell Drehimpuls gewinnen (engl. spin-up effect), ist zu erwarten, dass sehr viele von ihnen nahe an diesem Limit rotieren. Das legen auch aktuelle Computermodelle nahe (Volonteri et al. 2003; 2005). Rotation ist vital, um die Bildung von Poynting-Flüssen, die die Jets speisen, zu erklären. Ein Plädoyer für Löcher ohne Ladung
Wie in der Historie Schwarzer Löcher bereits angemerkt, haben auch
die Schwarzen Löcher der Kerr-Familie eine Verallgemeinerung erfahren: rotierende Schwarze Löcher
mit elektrischer Ladung. Diese Kerr-Newman-Lösungen
wurden 1965 von Newman et al. abgeleitet. Für Relativisten ist das Studium dieser Raumzeiten mit elektromagnetischen
Feldern außerordentlich interessant. Für Astrophysiker spielt sie eher eine untergeordnete Rolle, weil die
Ladung durch Akkretion von Plasma aus der Umgebung schnell kompensiert werden würde, sollte sich ein geladenes
Schwarzes Loch gebildet haben. Aus diesem Grund betrachten Astrophysiker in der Regel nur ungeladene Schwarze
Löcher vom Kerr-Typ.
© Andreas Müller, August 2007
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