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Schwarze Löcher -

Das dunkelste Geheimnis der Gravitation


Computersimulation einer leuchtenden, um 40 Grad geneigten Materiescheibe um rotierendes Schwarzes Loch

pdfpdf (1.8 MB)

Zukunft Schwarzer Löcher

Schwarze Löcher haben in unserem Wissen erst vor gut 200 Jahren einen Platz gefunden. Von einer anfangs nebulösen Vorahnung von John Michell nahmen sie knapp 100 Jahren in der theoretischen Physik eine wohl definierte Form durch Karl Schwarzschild an. Vor etwa 40 Jahren bekamen sie den Namen von John A. Wheeler verliehen, unter dem wir sie heute alle kennen und dem wir mit einer Mischung aus Ehrfurcht, Faszination und Unglaubwürdigkeit begegnen.
Schwarze Löcher haben einen festen Platz in der Astrophysik. Viele astronomische Beobachtungen kommen nicht ohne diese dunklen, kompakten Massen aus. Die Astronomen vermuten Schwarze Löcher in Röntgendoppelsternen, wie den Mikroquasaren, eventuell sogar in Kugelsternhaufen, jungen Sternhaufen und ULXs, in den Zentren von Galaxien und Aktiven Galaktischen Kernen. Schwarze Löcher unterschiedlicher Massen sind nach herrschender Lehrmeinung unverzichtbar für diese Himmelsobjekte und bisher konkurrenzlos. Die Rotation der Schwarzen Löcher spielt in vielen Fällen eine Schlüsselrolle - und ist auch eine natürliche Eigenschaft, weil alle möglichen kosmischen Objekte rotieren.

Löcher bald im Labor?

Die aktuelle Erforschung Schwarzer Löcher ist auf zwei Bereiche ausgerichtet: Naturgemäß auf das Weltall, aber neuerdings auch auf das irdische Labor, den Teilchenbeschleunigern. Der unzweifelhafte Nachweis künstlich generierter Schwarzer Löcher auf subatomaren Skalen wäre eine physikalische Revolution! Dieser neue Zweig der Laborphysik Schwarzer Löcher wäre ein neuer Meilenstein der Physik. Freilich muss dabei die mögliche Gefährdung durch solche Experimente gründlich erörtert werden.
Die aktuellen Modelle der modernen Physik klingen sicherlich abenteuerlich - damit haben sie viel mit avantgardistischen Modellen der Kosmologie gemein. Trotzdem bewegen sie sich im Rahmen des physikalisch Möglichen. Retrospektiv lässt sich sagen, dass es nie einfach war, neue physikalische Konzepte abseits der Hauptforschungstrends zu etablieren. Einsteins Relativitätstheorie sei beispielhaft erwähnt und ist heute über jeden Zweifel erhaben.

Moderne Alternativen

Neben den klassischen Schwarzen Löchern gibt es weitere kompakte, dunkle Objekte wie Gravasterne, Holosterne, Bosonensterne und Fermionensterne. Diese modernen Alternativen zum klassischen Loch weisen zum Teil sehr attraktive Eigenschaften auf, die die Pathologien Schwarzer Löcher beseitigen: So kommen die Holosterne ohne Ereignishorizont aus, und Grava-, Bosonen- und Fermionensterne haben darüber hinaus keine Krümmungssingularität. Dennoch ist der Außenraum von der Struktur her vergleichbar zur klassischen, äußeren Schwarzschild-Lösung.
Eine klare Unzulänglichkeit von Grava- und Holostern ist ihre statische Eigenschaft. Das betont die Dominanz der klassischen Kerr-Lösung, die zwar mit Horizont und Singularität ausgestattet ist, die aber rotiert. Rotation ist in der Astrophysik die treibende Kraft für beobachtete Phänomene wie Jets. Längst sind die Eigenschaften der Kerr-Geometrie und deren Komplexität nicht vollständig ausgelotet, in Computersimulationen numerisch stabil abgebildet und damit insgesamt verstanden worden. Im Speziellen wird die Berücksichtigung der Strahlungsprozesse in der Akkretionstheorie in Form einer radiativen Hydrodynamik und die Magnetohydrodynamik auf dem Hintergrund der Kerr-Metrik der nächste Meilenstein in der theoretischen Forschung Schwarzer Löcher sein. Die Forscher müssen hier zahlreiche Herausforderungen bewältigen, so zum Beispiel kovarianten Strahlungstransport und die komplexe Rückwirkung auf das akkretierte Plasma in Form von Kühlung und Heizung.

Die kosmologische Bedeutung

In der Kosmologie ist die globale Rolle der Schwarzen Löcher auch noch nicht völlig klar. Ein Hauptproblem ist, wie sie sich und damit die Galaxien in so kurzen Zeiträumen bilden konnten. Wie konnten supermassereiche Schwarze Löcher so schnell entstehen und in so kurzer Zeit so viel Materie ansammeln? Sind die supermassereichen Schwarzen Löcher die 'Geburtshelfer' für Galaxien?
Eine wichtige Erkenntnis ist in diesem Zusammenhang das Schließen der Massenlücke zwischen stellaren und supermassereichen Schwarzen Löchern, indem Astronomen Anzeichen für mittelschwere Schwarze Löcher in Sternhaufen und ULXs fanden. Dieser intermediäre Typus auf der Massenskala könnte durch Verschmelzungsprozesse (merging) auf die supermassereichen Spezies führen. Dann wäre hierarchisches Wachstum ein favorisiertes Szenario in der Evolution Schwarzer Löcher. Doch die aktuellen Röntgenbeobachtungen von aktiven Galaxien in den Tiefen des Alls widersprechen dieser Sichtweise: Das Auftreten der leuchtkräftigen Quasare auf der kosmischen Bühne lange bevor Seyfert-Galaxien und normale Galaxien auftauchten, sprechen für ein antihierarchisches Wachstum der schwersten Löcher! Diese Form des Wachstums ist mittlerweile auch theoretisch verstanden.

Im Frühen Universum könnten Schwarze Löcher Kondensationskeime für Galaxien, Galaxienhaufen und Supergalaxienhaufen gewesen sein. Hier ergibt sich eine ähnliche Problematik, wie bei der Frage: Wer war zuerst da? Die Henne oder das Ei?. Denn haben sich zuerst Schwarze Löcher gebildet, die die gravitative Instabilität verstärkten und an denen die Galaxien 'kondensierten'? Oder bildeten sich zuerst die Galaxien, in dessen Zentren dann durch einen Gravitationskollaps und sukzessive Akkretion ein supermassereiches Schwarzes Loch entstand?
Auch auf diese Fragen gibt es Dank moderner Beobachtungstechnologien und Computersimulationen in der Theorie erste Antworten: Die Sternentstehungsrate kulminiert zu deutlich späteren Epochen im Kosmos als die Quasarära! Offensichtlich waren zuerst die Schwarzen Löcher da, und dann erst kamen die ersten Sterne. Diese Resultate sind jedoch noch vorläufig - die Fragen werden in Zukunft mit noch aufwendigeren Beobachtungskampagnen weiterhin gründlich erforscht werden.

Die primordialen Schwarzen Löcher sind noch mehr im Bereich der Spekulationen. Sollten sie tatsächlich existiert haben und sind mittlerweile durch Hawking-Emission zerstrahlt? Könnten sie eine Schlüsselrolle in der Galaxienentstehung oder Kosmologie gespielt haben? Zumindest stellt der Mechanismus der superkritischen Brill-Wellen einen möglichen Formationsprozess der primordialen Löcher dar. Fortschritt in dieser Problematik versprechen die noch viel kleineren Mini-Löcher der Branenwelt. Ihre mögliche Entdeckung in Teilchenbeschleunigern wird die Erkenntnisse bezüglich Hawking-Strahlung und primordialen Schwarzen Löchern befruchten.

Eine beunruhigende Vorstellung ist es auch, dass Materie und Strahlung, also Energie, im Schwarzen Loch verschwinden. Auf diese Weise wachsen Schwarze Löcher und deren Masseparameter. Damit wächst auch ihr Ereignishorizont, also gewissermaßen die physische Größe Schwarzer Löcher. Wie endet ein Universum? Gibt es irgendwann nur noch einen finsteren Ort, nur noch Schwarze Löcher? Oder sorgt vorher die Kosmologie für einen neuen Urknall, so dass auf wundersame Weise sich der Zyklus des Universums und vielleicht der des Lebens wiederholt? Dem ästhetischen Reiz dieser Idee kann man sich schwer entziehen, doch sollte auf diese Fragen die Physik Antworten liefern. Die aktuelle Antwort der experimentellen Kosmologie ist, dass wir in einem von Dunkler Energie dominierten Kosmos leben, der ewig und sogar beschleunigt expandieren wird. Das Schicksal des Universums ist nach aktuellen Erkenntnissen ein weiteres Auskühlen, an dessen Ende nur noch Schwarze Löcher stehen.

Masse ohne Materie?

Wenn Materie hinter den Ereignishorizont gelangt: In welcher Form liegt sie dort vor? Kann man irgendwann eine Zustandsgleichung formulieren? Die Gravasterne bieten genau das an: gravitatives Bose-Einstein-Kondensat in Form Dunkler Energie und eine ideale Flüssigkeit - wohl definierte Materiezustände. Auch bei Holosternen ist die Zustandsgleichung im Innern bekannt, nur wird hier ein Konglomerat aus Strings favorisiert. In einfacher Weise bekommt man in beiden Fällen eine Zustandsgleichung. Nach den Erkenntnissen der Quantentheorie wurde es klar, dass die Ringsingularität (Kerr) und auch die Punktsingularität (Schwarzschild) eher eine mathematische Idealisierung als physikalisch, reale Objekte sind. Denn allein aus quantentheoretischen Überlegungen (Unschärferelation) heraus, sollten diese Gebilde eine vielleicht sehr kleine, aber dennoch endliche Ausdehnung haben.
Leider können die Astronomen bisher beobachtungstechnisch weder den Horizont, noch die Singularitäten nachweisen oder widerlegen. Es wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten spannend sein, den Wissenswettlauf zu verfolgen, um zu sehen, welche Vorstellung sich durchsetzen wird. Eine mögliche Erkenntnis könnte dann sein, dass wir uns von der bisherigen Vorstellung Schwarzer Löcher verabschieden müssen.

Schlussworte

Vor gut 200 Jahren keimte die Idee auf, dass es Schwarze Löcher geben könnte. Vor fast 100 Jahren wurde eine Theorie entdeckt, die eine wissenschaftliche Beschreibung von Schwarzen Löchern gestattet. Vor etwa 40 Jahren wurde den Astrophysikern klar, dass sie ein akkretierendes Schwarzes Loch brauchen, um die hellsten Galaxien im Kosmos verstehen zu können. Vor gut drei Dekaden wurde das erste Objekt am Himmel entdeckt, das die Astronomen für ein Schwarzes Loch halten. Erst seit wenigen Jahren sind sich die Astrophysiker sehr sicher, dass im Zentrum unserer Heimatgalaxie nichts anderes sein kann als ein Schwarzes Loch. In den letzten Jahren wurden Alternativen zum klassischen Schwarzen Loch vorgeschlagen. Wie geht es weiter?

Es gibt kompakte, dunkle Objekte - daran besteht kein Zweifel! Die Kernfrage dabei ist, ob es sich dabei um klassische Schwarze Löcher handelt. Skepsis ist bei neuen Vorschlägen und Ideen ein guter Ratgeber. Mit naturwissenschaftlichen Methoden müssen die Forscher untersuchen, welches Modell schlüssig und überzeugend ist. Dann muss sich diese Theorie erst bewähren - so wie es bei Einsteins Relativitätstheorie der Fall war.

Die Menschen haben in den vergangenen 200 Jahren viel über Schwarze Löcher gelernt. Viele Rätsel bleiben und neue kommen mit jeder gefundenen Antwort hinzu. So ist Wissenschaft.
Wir dürfen versichert sein, dass Schwarze Löcher als das dunkelste Geheimnis der Gravitation für die eine oder andere Schlagzeile immer gut sein werden.

Hinweis

Im Astro-Lexikon werden online und als pdf-Druckversion 550 Begriffe zum Thema Schwarze Löcher und einiges mehr erläutert. Viele hier genannte Fachbegriffe werden dort eingehend erklärt - viele Links finden Sie bereits im Aufsatz.

Ein dickes Dankeschön!

  • Dieser Aufsatz über Schwarze Löcher wäre ohne den Fleiß und die Neugier der vielen Forscher nie zustande gekommen. Ihnen gebührt Dank und Anerkennung.
  • Ich möchte meinen ehemaligen Kollegen an der Landessternwarte Heidelberg danken, insbesondere der Theoriegruppe und meinem Doktorvater Prof. Dr. Max Camenzind. Viel hier Gesagtes ist das Resultat meiner Ausbildung, die ich dort genossen habe.
  • Ein großes Dankeschön an Werner Kasper und Sönke Derlin! Unsere mittlerweile langjährigen Diskussionen zu unserem 'Lieblingsthema' und unsere Freude daran die kniffligen Fragen lösen zu wollen, haben diesen Aufsatz sehr befruchtet.
  • Ebenso danke ich den vielen aufmerksamen Lesern meiner Website, die mit fast unzählbaren Hinweisen und Anfragen zum Gelingen dieses Artikels beigetragen haben. Neugier ist der Motor für Fortschritt und Erkenntnis.
  • Ich fühle mich Dr. Michael Petri (Bundesamt für Strahlenschutz) zu großem Dank verpflichtet, weil wir einige spannende, moderne Aspekte der Schwarzen Löcher erörtern, die im Spannungsfeld zwischen klassischem Schwarzes Loch und Holostern stehen.
  • Besten Dank an Dr. Bernd Aschenbach (MPE) für die aufschlussreichen Diskussionen über die Kerr-Geometrie.
  • Mit Prof. Dr. Richard Conn Henry (Johns Hopkins University, USA), habe ich sehr interessante Diskussionen über Krümmungsinvarianten führen können. Diese Verfahren tragen besonders zum Verständnis des Inneren Schwarzer Löcher bei - vielen Dank dafür.
  • Ich danke besonders Prof. Dr. Günther Hasinger, Direktor der Abteilung für Röntgen- und Gammaastronomie am MPE Garching. Durch sein Engagement und Vertrauen ist es mir möglich, weiterhin an der aktuellen Erforschung Schwarzer Löcher mitzuwirken.
  • Schließlich danke ich herzlich Prof. Dr. Roy Patrick Kerr (University of Canterbury, Christchurch, Neuseeland), dass er die Astrophysik mit einer so bedeutenden Lösung der Einstein-Gleichung beglückt hat. Es war ein ganz besonderes Erlebnis für mich persönlich, beim Black Hole Meeting 2006 in Santa Fe mit Roy zu plaudern. Vielen Dank auch für die Autorisation zum Abdruck seines Fotos.

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Übersicht

Schwarze Löcher - Teilchenbeschleuniger Literatur und Danksagungen


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Andreas Müller © Andreas Müller, August 2007