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Schwarze Löcher -
Das dunkelste Geheimnis der Gravitation
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Schwarze Löcher und Kosmologie
Im Kapitel Massenskala Schwarzer Löcher wurden zuletzt die schwersten Löcher vorgestellt,
die so viel Masse haben wie Milliarden Sonnen. Die kosmologisch brisanten Fragen sind: Woher kommen die
supermassereichen Schwarzen Löcher, die schon im jungen Kosmos extrem aktiv in Gestalt der Aktiven
Galaktischen Kerne (AGN) in Erscheinung treten? Und wie entwickeln sich die superschweren Löcher weiter? Weshalb gibt es im lokalen
Kosmos keine Quasare mehr?
Wachstum supermassereicher Schwarzer Löcher
Die Beobachtung von AGN in allen möglichen Wellenlängenbereichen elektromagnetischer
Strahlung bei sehr hohen kosmologischen Rotverschiebungen legt nahe, dass sie sich schon recht bald im Frühen Universum
gebildet haben müssen. AGN sind nichts anderes als aktive, supermassereiche Schwarze Löcher. Damit
gestattet die Beobachtung von AGN in unterschiedlichen Epochen (d.h. bei unterschiedlicher kosmologischer Rotverschiebung) ein
direktes Studium der AGN-Entwicklung und des Wachstums Schwarzer Löcher.
Die unmittelbare Umgebung des Schwarzen Loches gibt intensive Röntgenstrahlung ab. Es bietet sich daher an, bei den Beobachtungen
weltraumgestützte Röntgenteleskope zu benutzen. Wie im historischen Abriss kurz beschrieben
wurde, erlauben lang belichtete Röntgenfotos von Himmelsausschnitten, die so genannten Tiefenfeldbeobachtungen
(engl. X-ray deep fields), eine genaue Analyse der AGN-Ära.
Die aktuellen Beobachtungen der Röntgengruppe am MPE sprechen dafür, dass sich die AGN nicht alle auf die gleiche
Weise entwickelt haben, sondern die Entwicklung von ihrer Leuchtkraft abhängt! Ein großer
Datensatz von knapp 1000 AGN Typ 1, die mit den Röntgensatelliten ROSAT, XMM-Newton und Chandra beobachtet wurden, führt
im Energieband von 0.5 bis 2 keV zu folgendem, erstaunlichem Resultat: Bei kosmologisch großen
Entfernungen (z ~ 2) gibt es besonders viele leuchtkräftige AGN wie die Quasare. Bei kosmologisch
kleinen Entfernungen z ~ 0.7) gibt es hingegen besonders viele leuchtschwache AGN wie die Seyfert-Galaxien
(Hasinger, Miyaji & Schmidt 2005). Die Leuchtkraft ist jedoch ein Maß für die Masse des zentralen Schwarzen
Loches, das diese Leuchtkraft über Akkretion erzeugt, wie aus der Eddington-Relation
hervorgeht. Macht man sich diesen Zusammenhang zunutze, so folgt, dass sich offensichtlich zuerst die schweren, großen
Schwarzen Löcher gebildet haben. Deutlich später bildete sich das Gros der leuchtschwachen AGN. Dieses Phänomen nennt
die Fachwelt antihierarchisches Wachstum Schwarzer Löcher.
Die Röntgenbeobachtungen wurden auch mit Modellen aus der Theorie erklärt (Merloni 2004). Die Modelle zeigen, dass die
gemittelte Akkretionsrate aller Schwarzen Löcher zu kleiner kosmologischer Rotverschiebung hin abnimmt. Erst in diesen Epochen kleiner
Rotverschiebung können daher die Akkretionsmoden mit kleiner Einfallrate (wie der ADAF und andere radiatively
inefficient accretion flows, so genannte RIAFs) dominieren - das sind die Seyfert-Galaxien. Die Akkretionsmoden mit hoher Akkretionsrate, wie die
Standardscheibe, dominieren in Epochen mit höherer Rotverschiebung - das sind gerade die Quasare.
Was passiert mit den viel schwereren Löchern der leuchtkräftigen AGN im lokalen Universum, bei z ~ 0?
Sie sind noch da! Astronomen beobachten sie in den Zentren der größten Galaxienhaufen, den Galaxiensuperhaufen. Zum
Beispiel ist die elliptische Zentralgalaxie M87 im Zentrum des Virgohaufens (z ~ 0.004)
ein solcher Gigant vom Kaliber der Milliarden-Sonnenmassen-Klasse. Die Beobachtungen beruhen vor allem auf kinematischen Methoden
wie der M-σ-Relation (beschrieben im Lexikon unter supermassereiches Schwarzes Loch).
Von theoretischer Seite kommt weitere Unterstützung für dieses Szenario: Im Sommer 2005 wurden die Ergebnisse der
Millennium-Simulation vorgestellt (Springel et al. 2005). Mithilfe von Hochleistungsrechnern wurde die zeitliche
Entwicklung eines riesigen Ausschnitts des Universums simuliert. Die Simulation startet bei einer kosmologischen
Rotverschiebung von z = 127 und berechnet, wie sich knapp zehn Milliarden Teilchen in einem
würfelförmigen Volumen mit einer Kantenlänge von knapp 700 Mpc bis zu einer Rotverschiebung von z ~ 0
formiert haben. Das wichtigste Ergebnis ist, dass der kalten Dunklen Materie die Schlüsselrolle
bei der Entstehung großräumiger, kosmischer Strukturen zukommt. Und es stellte sich heraus - um an die Beobachtung im
Virgohaufen anzuknüpfen - dass die Zentren der schwersten Galaxienhaufen die besten Orte im Universum sind, um nach den
'Nachfahren' der ersten supermassereichen Schwarzen Löcher zu suchen. Denn in solchen Knotenpunkten hatten sich auch in der
Simulation die größten Massen angesammelt.
Wie im Lexikoneintrag Dunklen Materie detaillierter ausgeführt wird, ist es kürzlich
auch gelungen, die 3D-Struktur der Dunklen Materie zu kartographieren (Massey et al. 2007). Dabei zeigte sich, dass die
Dunkle Materie mehr und mehr bei kleiner Rotverschiebung zusammenklumpt, weil sie sich über die
Gravitation anzieht.
Huhn oder Ei?
Nun wissen wir, dass in der Entstehungsgeschichte des Universums anscheinend zuerst die ganz hellen AGN und entsprechend die ganz
großen Schwarzen Löcher auftauchten. Aber war zuerst das Loch da oder die umgebende Galaxie? Diese Fragestellung kursiert
in der Fachwelt als hen-egg problem, also Huhn-oder-Ei-Frage. Denn auch die Biologie fragt sich, ob zuerst ein Huhn da war,
das Eier legte, oder zuerst das Ei, aus dem sich ein Huhn entwickelte.
Um diese Frage beantworten zu können, muss ein weiterer Befund angeführt werden: Es muss klar, werden wie sich Sterne
entwickelt haben, denn eine Galaxie ist nichts anderes als eine große Ansammlung von Sternen.
Letztendlich müssen die Astronomen nun so vorgehen, dass sie die Anzahl (junger d.h. vor allem blauer) Sterne bei großen
kosmologischen Rotverschiebungen zählen. Das gestattet ihnen die Sternentstehungsrate (engl. star formation rate,
SFR) im kosmologischen Rahmen zu bestimmen. Diese Beobachtungen sind optisch durchzuführen und benötigen die
scharfen Augen des Weltraumteleskops Hubble (HST). Auch hier müssen die Astronomen sehr lange belichten und erhalten
Bilder, die Hubble Deep Fields genannt werden.
Aus der Analyse dieser tiefen Einblicke ins Universum folgt die Entwicklung der Sternentstehungsrate mit der Rotverschiebungen
(Madau 1996, Connolly et al. 1997). Der Clou ist nun, dass die SFR bei z ~ 1 ein Maximum hat - das ist
entwicklungsgeschichtlich deutlich später, als das Maximum der Anzahldichte der Quasare (Hasinger 1997)! Mit anderen
Worten: Diese Vergleiche von tiefen optischen mit tiefen Röntgenbeobachtungen sprechen dafür, dass die meisten
supermassereichen Schwarzen Löcher sich vor den meisten Sternen entwickelt haben!
Woher kam das Ei?
Die supermassereichen Schwarzen Löcher erschienen zuerst auf der kosmischen Bildfläche. Wie sind sie genau entstanden?
Wie dieser Prozess genau ablief, ist nach wie vor unverstanden. Die Millennium-Simulation lässt darüber spekulieren,
ob der Kollaps von Halos aus Dunkle Materie auf Schwarze Löcher geschehen ist. Theoretiker stellen die Hypothese auf,
das kleine Saatlöcher von nur etwa zehn oder vielleicht auch hundert Sonnenmassen bei z ~ 20 genug Zeit gehabt
hätten, um exponentiell auf die großen Massen im lokalen Universum über Akkretion zu wachsen. In diesem konservativen
Szenario wird angenommen, dass die ersten Schwarzen Löcher im Gravitationskollaps extrem
massereicher Sterne der Population III entstanden. Die Halos aus Dunkler Materie
stießen zusammen und verschmolzen miteinander. In diesen Gebilden sanken die aus PopIII-Sternen entstandenen kleineren Löcher
(PopIII-Remnants) in das Zentrum. Gemäß diesem Vorschlag wuchsen die kleinen Löcher in den Halozentren
durch Akkretion auf der kosmologischen Skala an. Am Ende einer Milliarden Jahre dauernden Entwicklung stehen dann die superschweren
Löcher in den Galaxienzentren, wie sie Astronomen beobachten.
In einem spekulativeren Modell wäre denkbar, dass Mini-Löcher von der atomaren Längenskala über einen
Inflationsmechanismus wie ihn das Universum selbst in der Frühphase durchmachte, exponentiell
gewachsen sind und über Akkretion schließlich zu den gigantischen Vertretern in AGN wie den Quasaren oder den kleineren
Seyfert-Galaxien oder den Zentren normaler Galaxien wurden.
Ebenso darf spekuliert werden, ob superkritische Brill-Wellen kollabiert sind und so die ersten 'Saatlöcher' lieferten.
Eine klassische Idee ist, dass relativistische Sternhaufen auf schwere stellare Schwarze Löcher kollabieren, dadurch dass die
Sterne miteinander kollidierten und verschmolzen. Dieser Vorgang heißt in der Astrophysik Zel'dovich-Podurets-Instabilität,
benannt nach Y.B. Zel'dovich und M.A. Podurets (Papier: The evolution of a system of gravitationally interacting
point masses, 1965).
In der Klärung der Entstehung der supermassereichen Schwarzen Löcher ist noch viel Raum für mutige, aber
physikalisch fundierte Spekulationen.
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Übersicht
© Andreas Müller, August 2007
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