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Schwarze Löcher -Das dunkelste Geheimnis der Gravitation
Schwarze Löcher in Teilchenbeschleunigern
Es klingt fantastisch, aber unter gewissen Voraussetzungen könnte es möglich sein, dass Schwarze
Löcher als Objekte des Himmels im irdischen Labor hergestellt werden können. Im Unterschied zu den
kosmischen Löchern hätten diese Löcher jedoch nur 'Teilchenformat': sie wären winzig klein
und vermutlich nur extrem kurzlebig. Die Grundidee ist, dass ab einer bestimmten kritischen Energiedichte ein sehr dunkles Objekt erzeugt werden muss, weil es aufgrund seiner Kompaktheit und der damit verbundenen hohen Gravitationsrotverschiebung Strahlung verschluckt. Als Argument muss man nicht einmal Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie (ART) bemühen, es genügt schon, die Gravitation im Rahmen so genannter metrischer Gravitationstheorien viel allgemeiner zu verstehen. D.h. sobald Gravitation geometrisch gedeutet wird und Massen Krümmungen von Raum und Zeit hervorrufen, muss ein nur genügend kompaktes Objekt die Fähigkeit haben, Licht einzufangen.
Die gemachte Einschränkung bezieht sich nun auf folgenden Aspekt: Ob sich tatsächlich ein
Ereignishorizont ausbildet oder ein Objekt, dessen Fluchtgeschwindigkeit
knapp unterhalb der Lichtgeschwindigkeit liegt, ist eine bisher unbeantwortete Frage. Denn es gibt Alternativen
zum klassischen Schwarzen Loch ohne Ereignishorizont, wie Gravastern,
Holostern, Bosonenstern oder
Fermionenstern. Sie haben eine Fluchtgeschwindigkeit unterhalb der Lichtgeschwindigkeit,
so dass sie nicht völlig schwarz sind. Extradimensionen und reduzierte Planck-Skala
Die entscheidende Frage ist nun, ab welchen Energien dies geschieht. Hier kommt eine fundamentale Skala
der Physik ins Spiel: die Planck-Skala. Bereits Max Planck (1858 - 1947), einer
der Gründerväter der Quantentheorie, konnte ableiten, dass bei einer kritischen Masse, der so genannten
Planck-Masse, weder Quantentheorie noch Relativitätstheorie eine korrekte Beschreibung liefern. Eine neue
quantisierte Gravitationstheorie sei dann nötig, die jedoch noch nicht gefunden wurde. Die
Stringtheorien und die Loop-Quantengravitation
sind - wie eingangs angedeutet - aussichtsreiche Kandidaten für diese gesuchte Quantengravitation. Die Planck-Masse kann man ableiten, indem man die charakteristischen Längenskalen der Theorien, Gravitationsradius bei der ART und Compton-Wellenlänge bei der Quantentheorie, gleichsetzt. Dann ergibt sich der exorbitant große Wert von 1.2 × 1019 GeV. Diese Energien sind auf absehbare Zeit von keinem Teilchenbeschleuniger zu erreichen. Das Faszinosum ist nun, dass die Extradimensionen die Planck-Skala reduzieren: Je mehr Extradimensionen existieren, umso kleiner ist die (nun reduziert genannte) Planck-Masse. Bei typischen angenommenen Werten von 10 Extradimensionen liegt die Planck-Masse bei nur 1 TeV, also einer Billion Elektronenvolt! Das ist gerade die Energieskala der elektroschwachen Theorie: In diesem Energiemilieu vereinigt sich die elektromagnetische mit der schwachen Kraft. Diese verhältnismäßig niedrigen Skalen eröffnen die aufregende Möglichkeit mit Teilchenbeschleunigern der neusten Generation in dieses Regime zu gelangen und die Extradimensionen zu zählen. Darüber hinaus wären gemessene Extradimensionen ein starker Hin-weis (kein Be-weis!) auf die Richtigkeit der Branenmodelle, also der Stringtheorien.
Die reduzierte Planck-Skala hat eine weitere wichtige Konsequenz: Bereits bei 1 TeV sollten Effekte der
Quantengravitation auftreten! Zum Beispiel könnte die Emission von Gravitonen
in Teilchenkollisionen angeregt werden. Weil diese wie gesagt nicht nur auf die 3-Bran beschränkt sind,
könnte der erstaunliche Effekt eintreten, dass Gravitonen Energie in die Extradimensionen befördern und
der Teilchenphysiker einen verletzten Energiesatz misst (siehe Abbildung oben, Vorlage von M. Cavaglia). Gefahr durch Mini-Löcher? Die Hoffnung vieler Teilchen- und Astrophysiker ist nun, dass bei den Kollisionen hochenergetischer Teilchenstrahlen im irdischen Labor Schwarze Löcher entstehen. Im Rahmen der Stringtheorien tragen sie den englischen Fachausdruck brane-world black holes. Wie Berechnungen zeigen, ist die Größe der zu erwartenden Schwarzen Löcher um viele Größenordnungen kleiner als die primordialen Schwarzen Löcher (siehe Die Massenskala Schwarzer Löcher). Der wesentliche Grund ist, dass diese Löcher aus Teilchenstrahlen hervorgehen und daher selbst nur 'Teilchenformat' haben können. Aber sind diese Mini-Löcher nicht trotzdem sehr gefährlich? Verschlingen sie nicht alles, was ihnen zu nahe kommt, sogar den ganzen Teilchenbeschleuniger und schließlich die ganze Erde? Bei diesen Fragen kommt ein weltbekannter Physiker ins Spiel: Stephen Hawking. Der theoretische Astrophysiker begründete in den 1970er Jahren die Thermodynamik Schwarzer Löcher, die im vorangehenden Kapitel besprochen wurde. Mit einem thermodynamischen Argument konnte er ableiten, dass Schwarze Löcher nicht ewig stabil bleiben, sondern durch Teilchenemission langsam zerfallen. Diese heute Hawking-Strahlung genannte Emission ist besonders wichtig bei sehr leichten Schwarzen Löchern, weil diese sehr schnell durch die Aussendung der Strahlung zerfallen (mathematische Einzelheiten unter primordiale Schwarze Löcher im Lexikon). Physiker sagen auch: Die Schwarzen Löcher evaporieren (zerstrahlen). Kurz vor dem Verschwinden des Loches ist die Emission auf sehr kurzen Zeitskalen, so dass es im Prinzip einer Explosion gleichkommt. Mit diesem Argument müssen alle primordialen, etwa bergschweren Schwarzen Löcher, über deren Existenz im frühen Universum spekuliert wird, heute verdampft sein. Die größeren Vertreter der stellaren, mittelschweren und supermassereichen Schwarzen Löcher hingegen können große Zeiträume überdauern.
Die Hawking-Strahlung wurde weder direkt noch indirekt nachgewiesen. Sie wäre jedoch von immenser Bedeutung für
künstlich erzeugte Schwarze Löcher in Beschleunigern. Diese 'anthropogenen' - von Menschenhand erzeugten -
Schwarzen Löcher sind aufgrund der (makroskopisch beurteilt) geringen Energie der kollidierenden Teilchenstrahlen
klein. Deshalb sorgt die Hawking-Strahlung für einen rapiden Zerfall dieser Schwarzen Löcher. Teilchenphysiker
berechneten eine Lebensdauer von nur etwa 10-24 Sekunden für ein Mini-Loch von 3 TeV Masse (z.B. Chamblin
et al. 2004). Diese Lebensdauer ist so kurz, dass die Mini-Löcher keine Gelegenheit haben, in erheblichem
Maße Materie aus ihrer Umgebung aufzusammeln. Mit anderen Worten: Mini-Löcher können kaum
akkretieren, ehe sie verschwinden.
Es gibt noch ein anderes, davon unabhängiges Argument gegen die Gefährdung der Menschheit: Nicht nur die
Menschen stellen energiereiche Strahlung in Teilchenbeschleunigern her; die Natur macht es selbst - und zwar in Form
von kosmischer Strahlung. Die dabei erreichten Energien kennen die Hochenergiephysiker
aus Beobachtungen mit Luftschauer-Detektoren: Mit 107 bis 1020 eV Teilchenenergie prasseln die
kosmischen Teilchen auf die Erdatmosphäre nieder. Das sind viele Größenordnungen mehr, als die Menschheit
wohl jemals künstlich erzeugen können wird. Bei der Wechselwirkung der kosmischen Strahlung mit der Erde kommt
es zu heftigen Kollisionen zwischen den Teilchen - und wer weiß: Vielleicht entstand dabei schon so manches Mini-Loch
über unseren Köpfen. Einige Forscher spekulieren darüber. In jedem Falle muss vom sicherheitstechnischen Standpunkt
festgehalten werden, dass diese Mini-Löcher - sollten sie entstanden sein - die Menschheit offensichtlich
nicht gefährdet haben (Carr & Giddings: 'Quantum Black Holes', Artikel in Scientific American
2005). Das kann die Hochenergiephysiker ermutigen ihre Teilchenenergien zu steigern. So verschwindet ein Mini-Loch Giddings & Thomas (hep-ph/0106219; neue Publikationen dazu: hep-ph/0205205, hep-th/0409131) stellen folgendes Szenario für den Ablauf des Zerstrahlens eines (möglicherweise rotierenden) Schwarzen Loches zusammen:
Sollte sich dieses Szenario als richtig erweisen, würde dies das Ende der Physik kurzer Distanzen
(Giddings & Thomas: end of short-distance physics) bedeuten, weil sämtliche kleinskalige
Effekte hinter dem Ereignishorizont eines Branenwelt-Loches verborgen wären. Möglicherweise wäre
dies auch das natürliche Ende der Beschleunigerphysik, weil die Messbarkeit der Teilchenspezies aus diesen
Gründen stark beeinträchtigt wäre. Moment - Und wenn die Planck-Skala nicht reduziert ist? Die Prämisse, dass Teilchenbeschleuniger zur 'Schwarzlochfabrik' (engl. black hole factory) oder noch allgemeiner gesprochen zur 'Branenfabrik' (engl. brane factory) werden, ist also, dass die fundamentale Planck-Skala durch die Existenz von Extradimensionen in den TeV-Bereich gedrückt werden kann (siehe auch ADD-Szenario, DGP-Szenario und Randall-Sundrum-Modelle). Die Dimensionalität ist noch unbekannt und geht als Parameter d ein, der zusätzliche Dimensionen (die Extradimensionen) neben den bekannten vier der klassischen ART zählt. So diskutiert man aktuell d = 2, 4 und 7 (entsprechend höherdimensionalen Raumzeiten mit 6, 8 oder 11 Dimensionen). Die kommenden Generationen moderner Teilchenbeschleuniger werden erweisen, wo die Planck-Skala anzusiedeln ist. Aufregend ist in der Tat, dass wir uns mit den modernsten Beschleunigern bereits an der Schwelle einer reduzierten Planck-Skala befinden, um Extradimensionen und Schwarze Löcher im Labor zu testen.
Natürlich ist es im Bereich des Möglichen, dass diese Tests in ein 'Negativ-Resultat'
münden, nämlich dass die Existenz von Extradimensionen nicht bestätigt werden kann -
das ist das Ergebnis aktueller Experimente zum Nachweis von Zusatzdimensionen (siehe dazu
Extradimension). Dies erinnert an das Michelson-Morley-Experiment, dessen
Negativ-Resultat die Nichtnachweisbarkeit eines Weltäthers war. Der Weltäther wurde damals
als das Medium angesehen, in dem sich elektromagnetische Strahlung fortpflanzen sollte. Das Negativ-Resultat
Es gibt keinen Weltäther. inspirierte Lorentz zur Lorentz-Transformation
und bestätigte Albert Einstein in seiner Konzeption einer Relativitätstheorie, die
ohne Äther als Trägermedium für Licht auskommt. Vertrauen Sie Hawking? Es bleibt in der Diskussion um die Schwarzen Löcher im Labor eine letzte Unsicherheit: Wer sagt, dass Hawking Recht hat? Hawking-Strahlung wurde bisher nicht experimentell nachgewiesen. Wenn es sie tatsächlich nicht geben sollte, so zerstrahlten Mini-Löcher nicht kurz nach ihrer Erzeugung und könnten grenzenlos wachsen! Diesem Schreckensszenario sind zwei Gegenargumente entgegenzuhalten: Einerseits muss gesagt werden, dass Hawkings theoretische Abhandlung sehr allgemein ist und auf sehr klaren, physikalischen Annahmen beruht. Es wäre sehr verwunderlich, wenn die gemachten Aussagen über Horizonte keine Gültigkeit hätten. Hawking-Strahlung bei klassischen Schwarzen Löchern sollte es tatsächlich geben. Die Hawking-Strahlung ist höchstwahrscheinlich von der Existenz eines Ereignishorizonts abhängig - zumindest ist das eine wesentliche Zutat bei der mathematischen Herleitung Hawkings gewesen. Sollte es klassische Schwarze Löcher mit Horizont nicht in der Natur geben, sondern z.B. die modernen Alternativen Gravastern oder Holostern ohne Horizont, so käme vermutlich nicht zur Aussendung von Hawking-Strahlung! Dieses wissenschaftliche Problem bedarf sicher noch einer weiteren Erörterung. Das klingt dramatisch. Die meisten Astrophysiker favorisieren allerdings nach wie vor die Modelle klassischer Schwarzer Löcher - das ist sozusagen scientific mainstream, die wissenschaftliche Hauptströmung. Selbst wenn die modernen horizontlosen Alternativen sich durchsetzen sollten, so gilt andererseits - als zweites Gegenargument - Eddingtons Akkretionsformel, nach der die leichten Mini-Löcher nun mal keine effizienten Akkretoren sind. Selbst ohne Zerstrahlung dauert das Aufsammeln von Material bei 'teilchenartigen Löchern' sehr lange. Deshalb muss aus heutiger Sicht gesagt werden, dass von Schwarzen Mini-Löchern im Labor keine Gefahr droht. Den letzten Skeptiker in Bezug auf diese Experimente wird beruhigen, dass die Teilchenphysiker an Beschleunigeranlagen sehr gründlich über diese Sicherheitsfragen nachdenken und die Risiken sowie die Betriebssicherheit abwägen. Anerkannte Experten aus verschiedenen Fachrichtungen prüfen sämtliche Eventualitäten, auch die so genannten Desasterszenarien. Es gibt ja nicht nur die potenzielle Gefährdung durch künstliche Schwarze Löcher. Daneben muss auch die Gefährdung durch andere Szenarien geprüft werden, z.B. die Bildung von Vakuuminstabilitäten und Strangelets. Auf der Website des amerikanischen Beschleunigers RHIC gibt es dazu einen interessanten Bericht über Deasterszenarien (in englischer Sprache). Bedeutung von Mini-Löchern Schwarze Löcher im Teilchenformat sind bislang eine Spekulation. Sollte die Produktion von Mini-Löchern gelingen, bietet sich den Physikern ein aufregendes, neues Forschungsfeld: Black new world! Dabei sollen die Gefahren wissenschaftlichen Handels klar benannt und Risiken abgewogen werden.
Physik am Rande des Denkbaren birgt immer eine gewisse Unsicherheit und auf experimenteller Seite auch ein gewisses
Gefahrenpotenzial. Letztendlich bildet die physikalische Grundlagenforschung keine Ausnahme unter allen Lebensbereichen,
wenn man beispielsweise das Gefahrenpotenzial der modernen Medizin (z.B. Gentechnik) oder der Weltpolitik (z.B. Krisenherde)
betrachtet.
Aktuell suchen die Teilchenphysiker bereits nach Spuren dieser Aspekte in Beschleunigerexperimenten, z.B. am amerikanischen Teilchenbeschleuniger RHIC oder am Tevatron des Fermi-Labs, ebenfalls in den USA. Bedeutsam werden wohl erst die Teilchenbeschleuniger der nächsten Generation sein, z.B. der LHC am CERN, der Ende 2007 den Forschungsbetrieb aufnehmen wird. Eine aufregende Zukunft wird bald Gegenwart: Die Beschleunigerphysik wird die Welt mit spektakulären Meldungen beeindrucken.
© Andreas Müller, August 2007
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