Krebs verstehen: Kann man mehrfach Krebs bekommen?
Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.
Viele meiner Patientinnen und Patienten fragen mich nach überstandener Erkrankung, ob sie noch mal Krebs bekommen können. Ich sage ihnen dann, dass die meisten nur einmal diese Diagnose erhalten. Doch man ist nicht davor geschützt: Manche Menschen erkranken später noch einmal. Dabei kann es sich um einen Rückfall handeln oder aber um einen ganz anderen, neuen Krebs. In seltenen Fällen trifft es Patienten sogar mehrmals gleichzeitig.
So genannte Zweitmalignome sind keine Metastasen oder ein Rezidiv der ersten, sondern unabhängig entstandene, neue Krebserkrankungen. Sie können in derselben Körperregion auftreten wie die erste oder an anderen Stellen. So entwickeln etwa manche Betroffene mit Brust- oder Hodenkrebs einen Zweittumor auf der jeweils anderen, bislang gesunden Seite. Trotzdem hängt der eine Krebs nicht mit dem anderen zusammen. Die Tumoren können dabei gleichzeitig, kurz nacheinander oder mit einem Abstand von vielen Jahren entstehen.
Das Risiko, an einem zweiten Krebs zu erkranken, unterscheidet sich von Person zu Person erheblich. Es liegt zwischen 1 und rund 15 Prozent.
Angeborene Faktoren und Verhaltensweisen erhöhen das Krebsrisiko
Dass Menschen mehrfach Krebs bekommen, hat verschiedene Ursachen. Sowohl innere, individuelle Risikofaktoren als auch äußere Einflüsse können die Krankheit begünstigen. Bei den inneren Faktoren handelt es sich um angeborene Eigenschaften des Körpers. So haben manche Menschen familiär bedingt ein erhöhtes Krebsrisiko. In ihrem Körper funktioniert beispielsweise die Reparatur von Erbgutschäden nicht so gut, was sie anfälliger für Krebs macht. Während unseres Lebens prasseln viele schädliche Einflüsse auf unser Erbgut ein und können dort zufällig Mutationen verursachen. Das verändert später unter Umständen die Eigenschaften bestimmter Zellen, führt etwa dazu, dass sie sich unkontrolliert vermehren.
Bei den meisten Patienten lässt sich keine angeborene Anfälligkeit für Krebs nachweisen. Doch möglicherweise haben bestimmte Menschen ein höheres Risiko, das heute noch nicht bekannt und identifizierbar ist.
Ein erblich bedingt erhöhtes Krebsrisiko muss nicht unbedingt mit einer fehlerhaften Reparatur von DNA-Schäden zusammenhängen. Auch andere genetische Faktoren können das Krebsrisiko steigern. Wer etwa bestimmte Giftstoffe langsamer verstoffwechselt und ausscheidet, kann ebenfalls ein größeres Risiko besitzen.
In der Regel entsteht Krebs durch ein Zusammenspiel innerer und äußerer Faktoren wie bestimmter Umwelteinflüsse und Verhaltensweisen, etwa Rauchen oder exzessivem Alkoholkonsum. Sie steigern das Risiko erheblich. Betrachtet man krebserkrankte Erwachsene ab 40 Jahren, entwickelt sich bei rund 10 Prozent von ihnen innerhalb der nächsten 15 Jahre erneut Krebs. Bei Patienten mit Kehlkopfkrebs – viele von ihnen Raucher – ist die Gefahr sogar weitaus höher. 20 Prozent von ihnen trifft es innerhalb von zehn Jahren erneut. Die meisten von ihnen leiden dann unter einer Krebsform, die ebenfalls durch Rauchen begünstigt wird. Auch Infektionen mit Krankheitserregern wie dem humanen Papillomvirus (HPV) können die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass mehrfach Krebs entsteht.
»Das Risiko, an einem zweiten Krebs zu erkranken, unterscheidet sich erheblich von Person zu Person«
Krebs nach der Therapie
Manchmal fragen mich Patienten auch, wie hoch das Risiko ist, durch die Behandlung erneut Krebs zu bekommen. Leider kann eine Chemotherapie, Bestrahlung, zellbasierte oder zielgerichtete Therapie tatsächlich eine zweite Erkrankung auslösen. Je nachdem, welche Medikamente der Patient erhalten hat und in welcher Körperregion welche Art der Bestrahlung erfolgte, steigt die Gefahr für bestimmte Krebsformen unterschiedlich stark. So treten Blutkrebserkrankungen nach einer Therapie vergleichsweise häufig auf. Allerdings liegt laut Studien das Risiko, durch eine Chemotherapie an Krebs zu erkranken, über alle Krebserkrankungen hinweg bei unter einem Prozent. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die allermeisten Patienten nicht auf Grund einer Krebstherapie erneut erkranken. Wenn eine Behandlung das Krebsrisiko erhöhen kann, werden Patienten vor Therapiebeginn darüber aufgeklärt. Ich habe bisher noch nicht erlebt, dass ein Betroffener deshalb eine Therapie abgelehnt hat. Denn eine Krebserkrankung verläuft unbehandelt tödlich. Eine wirksame, potenziell lebensrettende Therapie sollte deshalb nie ausgeschlagen werden, nur weil sie die Wahrscheinlichkeit für eine zweite Krebserkrankung in der Zukunft etwas erhöht.
Krebs früh erkennen und Risiko minimieren
So ernst und bedrückend dieses Thema ist, möchte ich hervorheben, dass die meisten Patienten statistisch gesehen nur ein einziges Mal an Krebs erkranken. Menschen, die den Krebs überstanden haben, haben in der Regel noch ein langes Leben vor sich. Doch auch – oder gerade – dann lohnt es sich, Risikofaktoren zu verringern und beispielsweise mit dem Rauchen aufzuhören.
Wichtig ist zudem zu wissen, dass Nachsorgeuntersuchungen bei Betroffenen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nicht ersetzen. In der Nachsorge liegt der Fokus darauf, Anzeichen für einen Rückfall der Krebserkrankung und Spätfolgen von Therapien zu erkennen. Dabei wird aber nicht umfassend untersucht, ob vielleicht ein ganz anderer Krebs entsteht. Denn dazu braucht es Spezialuntersuchungen wie Darmspiegelungen, Mammografien oder hautärztliche Untersuchungen. Ich ermutige deshalb Überlebende, unbedingt die für ihr Alter empfohlenen Krebsfrüherkennungsuntersuchungen wahrzunehmen.
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