Krebs verstehen: Wie gut schützt die HPV-Impfung vor Krebs?
Vor einiger Zeit habe ich eine junge Patientin mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung behandelt. Der Krebs hatte bereits in ihrem Körper gestreut und war nicht mehr heilbar. Was mich damals besonders traurig machte: Ihre Erkrankung wäre heutzutage höchstwahrscheinlich vermeidbar gewesen.
Bösartige Tumoren entstehen meist durch ein komplexes Zusammenspiel aus angeborenen, nicht veränderbaren Faktoren sowie schädlichen, äußeren Einflüssen. Deswegen kann ich eigentlich nie mit großer Sicherheit sagen, dass eine Krebserkrankung durch irgendwelche Umstände hätte verhindert werden können. Doch bei einigen wenigen Tumorerkrankungen ist dies tatsächlich möglich: und zwar bei jenen, die durch eine Infektion mit dem humanen Papillomvirus (HPV) ausgelöst werden.
Das humane Papillomvirus verursacht Krebs an verschiedenen Stellen im Körper
HPV kann Krebs an Gebärmutterhals, Vagina, Vulva, Penis, Anus und im Rachen hervorrufen und ist an diesen Körperstellen jeweils ursächlich für die meisten Krebsfälle: So wird Gebärmutterhalskrebs und Analkrebs zu mehr als 90 Prozent durch eine HPV-Infektion ausgelöst. Krebs an Vulva und Vagina sind zu etwa 70 Prozent mit HPV assoziiert, am Penis zu rund 60 Prozent sowie im Rachen in etwa 70 Prozent der Fälle. In Deutschland erkranken jährlich rund 6250 Frauen und 1600 Männer an HPV-bedingten Krebserkrankungen. Weltweit sind es rund 620 000 Frauen und 70 000 Männer pro Jahr.
HPV wird durch Geschlechtsverkehr übertragen, die meisten sexuell aktiven Menschen infizieren sich im Lauf ihres Lebens mindestens einmal. Was viele nicht wissen: Selbst wenn man Kondome nutzt, kann man sich mit dem Virus anstecken, da eine Übertragung nicht nur durch Schleimhaut-, sondern auch durch Hautkontakt möglich ist.
Nach einer Ansteckung heilt die Infektion bei etwa 90 Prozent der Betroffenen von selbst aus. Doch bei rund zehn Prozent bleibt sie chronisch. Im Fall von Gebärmutterhalskrebs entwickelt sich über einen Zeitraum von etwa drei bis sechs Jahren nach Infektion eine Krebsvorstufe, eine so genannte höhergradige, zervikale, intraepitheliale Neoplasie. Solche Vorstufen können bei Krebsfrüherkennungsuntersuchungen in der frauenärztlichen Praxis erkannt werden. Zehntausende junge Frauen in Deutschland werden jährlich wegen einer Gebärmutterhalskrebsvorstufe behandelt. Nach der Therapie steigt jedoch unter anderem das Risiko für Frühgeburten. Unbehandelt entsteht aus den Krebsvorstufen in etwa 30 bis 50 Prozent der Fälle innerhalb von 10 bis 30 Jahren ein bösartiger Tumor.
HPV-Impfung schützt vor Krebs, Krebsvorstufen und Feigwarzen
Mehr als 200 Typen des humanen Papillomvirus sind bekannt. Eine einzige Impfung kann gegen insgesamt neun von ihnen schützen: Die so genannte Neunfach-Impfung bewahrt vor den HPV-Typen 6, 11, 16, 18, 31, 33, 45, 52 und 58. Rund 70 Prozent aller weltweiten Fälle von Gebärmutterhalskrebs werden von den Hochrisikotypen HPV 16 und 18 ausgelöst, etwa 20 Prozent von den Typen 31, 33, 45, 52 und 58. HPV 16 und 18 verursachen außerdem rund 90 Prozent aller Fälle von Analkrebs, zudem Krebs an Vulva, Vagina, Penis und im Rachen. Die HPV-Typen 6 und 11 sind für rund 90 Prozent der Fälle von Feigwarzen verantwortlich. Dabei handelt es sich um Warzen, die bei Frauen vor allem um den Scheideneingang, bei Männern vornehmlich zwischen Eichel und Penisschaft und im Bereich der Peniswurzel entstehen. Sie können auch die Haut und Schleimhaut am After befallen. Dabei handelt es sich zwar nicht um Krebs, jedoch können die Warzen jucken und beim Geschlechtsverkehr oder Stuhlgang stören.
Zusammengefasst schützt die Neunfach-Impfung Frauen und Männer vor insgesamt rund 90 Prozent der HPV-Virustypen, die Krebs auslösen können, sowie vor Viren, die Feigwarzen hervorrufen. Dass das HP-Virus Krebs Gebärmutterhalskrebs auslöst, hat ein deutscher Forscher – Harald zur Hausen – nachgewiesen und damit den Grundstein für die Entwicklung der Impfung gelegt. Im Jahr 2008 wurde er für diese Leistung mit dem Nobelpreis für Medizin oder Physiologie ausgezeichnet. Die erste HPV-Impfung wurde im Jahr 2006 in Europa zugelassen. 2007 sprach die Ständige Impfkommission in Deutschland die Empfehlung aus, junge Mädchen gegen HPV impfen zu lassen. Das erste zugelassene Präparat namens Gardasil schützte vor vier Virustypen, später folgte die heutige Neunfach-Impfung. In Deutschland sind die Impfstoffe Gardasil und Cervarix verfügbar.
Diese Impfungen können das Risiko einer Infektion deutlich senken. Dass dadurch auch die Anzahl der HPV-assoziierten Krebserkrankungen gesenkt wird, scheint nur logisch. Doch dies zu beweisen, braucht Zeit. Denn wie zuvor beschrieben, kann es bis zu 30 Jahre dauern, bis nach einer HPV-Infektion Krebs entsteht.
Obwohl seit der Zulassung der ersten Impfung erst knapp 20 Jahre vergangen sind, beweisen Studien bereits, dass das Auftreten von Gebärmutterhalskrebs und seinen Vorstufen drastisch reduziert werden konnte – und zwar um bis zu knapp 90 Prozent, wenn in jungem Alter geimpft wurde. Ich bin mir sicher: In den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird sich eine noch deutlichere Abnahme von HPV-assoziierten Krebsfällen bei Geimpften zeigen.
Mehrere hundert Millionen Menschen weltweit wurden seit Einführung der Impfstoffe bereits immunisiert. Die Sicherheit wurde nicht nur zuvor in Zulassungsstudien untersucht, sondern wird seit über 20 Jahren weiterhin überwacht. Dabei wurden keine bleibenden, schweren Nebenwirkungen beobachtet, die in ursächlichem Zusammenhang mit der HPV-Impfung stehen. Nebenwirkungen wie Schmerzen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen oder Abgeschlagenheit sind häufig und können ausgeprägt sein. Jedoch sind sie zeitlich begrenzt und bilden sich vollständig zurück. Wie bei anderen Impfungen auch kann in sehr seltenen Fällen eine schwere allergische Reaktion auftreten (etwa 1,7 Fälle pro eine Millionen Impfungen).
Es ist schade, wenn Menschen die Chance auf die Impfung verpassen
Leider hatte meine Patientin das Pech, dass sie zum Zeitpunkt, als die HPV-Impfung in Europa zugelassen wurde, schon »zu alt« dafür war. Die STIKO-Empfehlung wurde seit 2007 zweimal angepasst: Zunächst wurde Mädchen zwischen 12 bis 17 Jahren zur Impfung geraten. 2014 wurde das Alter heruntergesetzt auf 9 bis 14 Jahre. Erst seit 2018 wird sowohl Mädchen als auch Jungen zwischen 9 bis 14 Jahren empfohlen, sich impfen zu lassen.
Auch ich wurde als junge Frau nicht gegen HPV geimpft, weil ich nach der damaligen Einschätzung zu alt war – ich war bereits 18. Später im Erwachsenenalter habe ich mich nachimpfen lassen. Es gibt nämlich Hinweise darauf, dass die Impfung auch dann noch einen positiven Effekt haben kann – denn vielleicht ist man noch nicht mit allen Virustypen in Kontakt gekommen, gegen die die Impfung Schutz bietet. Nach ausgeheilter Infektion sind außerdem Reinfektionen möglich. Viele Krankenkassen in Deutschland erstatten die Kosten der Impfungen bis zum Alter von 26 Jahren, im Einzelfall sogar darüber hinaus. Meine gesetzliche Kasse hat die Kosten übernommen, obwohl ich bei der Impfung schon älter als 26 war. Ich hatte keinerlei Nebenwirkungen. In den USA wird die Impfung übrigens bis zu einem Alter von 26 Jahren empfohlen. Aber auch Personen, die zwischen 27 und 45 Jahre alt sind, können sie noch erhalten.
Impfung bietet Krebsschutz für alle Mädchen und Jungen
Die Wirkung der Impfung ist jedoch am größten, wenn sie vor dem ersten Sexualkontakt erfolgt. Mädchen und Jungen sind deshalb darauf angewiesen, dass sich ihre Eltern für ihre Impfung entscheiden. Im Alter zwischen 9 bis 14 Jahren sind zwei Dosen im Abstand von mindestens fünf Monaten notwendig. Ab 15 Jahren sind drei Dosen über einen Zeitraum von sechs Monaten vorgesehen. Derzeit sind in Deutschland aktuell nur rund 54 Prozent der 15-jährigen Mädchen und 27 Prozent der Jungen geimpft.
Ich finde es wahnsinnig schade, dass so viele nicht die Chance nutzen, sich gegen HPV impfen zu lassen. Im klinischen Alltag habe ich oft Patientinnen und Patienten mit HPV-assoziierten Krebserkrankungen gesehen, die unter den Nebenwirkungen der Therapien litten. Operationen und Bestrahlungen an Gebärmutterhals, Vulva, Vagina, Penis, Anus und im Rachenbereich können nicht nur Schmerzen verursachen, sondern auch Schwierigkeiten beim Essen, Stuhlgang und Geschlechtsverkehr auslösen und sogar zeugungsunfähig machen. Außerdem hinterlassen sie sichtbare Spuren. Die Chemo- und Immuntherapien können schwere Nebenwirkungen im gesamten Körper auslösen. In fortgeschrittenen Stadien sind die Heilungschancen der Erkrankungen schlecht. Ich habe schon mehrfach erlebt, dass viel zu junge Patientinnen und Patienten an fortgeschrittenen HPV-assoziierten Krebserkrankungen verstorben sind.
Dass es Impfungen gibt, die viele dieser Erkrankungen verhindern können, ist für mich eine der größten medizinischen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte. Ich wünschte, mehr Menschen würden die Impfungen wahrnehmen. Denn so sehr ich meinen Beruf mag: Ich freue mich über jeden, der nicht mein Patient wird.
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