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Krebs verstehen: Wie gefährlich ist Passivrauchen im Freien?

Passivrauchen erhöht die Gefahr für Herzinfarkte, Schlaganfälle und Krebs. Wie schädlich der Qualm im Freien oder selbst nach dem Erlöschen der Zigarette ist, erklärt Ärztin Marisa Kurz in »Krebs verstehen«.
Im Vordergrund eine Hand mit einer Zigarette, im Hintergrund ein kleines Kind, das sich wegdreht.
Säuglinge und Kinder, die Zigarettenrauch ausgesetzt sind, sind anfälliger für Erkrankungen wie Mittelohrentzündungen, Atemwegserkrankungen, Asthma und Allergien. Auch das Risiko für den plötzlichen Kindstod steigt.

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.

Einmal behandelte ich einen Patienten, dessen langjähriger Zigarettenkonsum seine Blutgefäße so stark geschädigt hatte, dass man ihm ein Bein amputieren musste. Er fragte mich, wo er das Raucherzimmer im Krankenhaus finden könne. Ein anderer Patient mit einem bösartigen Tumor im Mundbereich war so schwer krank, dass er kaum gehen konnte – dennoch fand er stets den Weg zur Raucherzone.

Morgens vor der Klinik sehe ich oft Patienten neben ihren Infusionsständern stehen und rauchen. Mitarbeiter stehen ebenfalls dort und greifen zur Zigarette. Kaum ein Ort zeigt so eindrücklich, wie sehr Rauchen schadet. Dennoch tun es auch hier viele. Das verdeutlicht, wie stark Rauchen abhängig macht. Nikotin ist eines der stärksten legal erhältlichen Suchtmittel. Wer früh mit dem Rauchen beginnt, dem fällt es besonders schwer, davon wieder loszukommen.

Wir brauchen Räume und Plätze für diese Menschen, wo sie rauchen können – ohne sie zu stigmatisieren. Gleichzeitig fehlt es meiner Meinung nach an Bewusstsein dafür, dass Raucher nicht nur sich, sondern auch anderen schaden.

Jedes Jahr sterben weltweit knapp neun Millionen Menschen an den Folgen ihres Tabakkonsums. Rauchen ist der wichtigste vermeidbare Risikofaktor für Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Krebs. In Deutschland lassen sich knapp 90 Prozent der Lungenkrebsfälle bei Männern und rund 80 Prozent bei Frauen auf Rauchen zurückführen. Doch es erhöht nicht nur das Risiko für Lungenkrebs, sondern auch für mindestens zwölf weitere Krebserkrankungen, darunter Kehlkopf-, Speiseröhren- und Mundhöhlenkrebs.

Im Jahr 2018 war Rauchen in Deutschland für rund 85 000 Krebsneuerkrankungen verantwortlich – also für etwa jeden fünften Fall. Im selben Jahr starben rund 127 000 Menschen in Deutschland an den gesundheitlichen Folgen des Rauchens, das entspricht mehr als 10 Prozent aller Todesfälle.

Passivrauchen als Ursache für Herzinfarkte und Krebs

Atmet eine Person unfreiwillig Tabakrauch aus ihrer Umgebung ein, spricht man von Passivrauchen. Der inhalierte Qualm besteht vor allem aus dem so genannten Nebenstromrauch, der beim Glimmen einer Zigarette entsteht, und zu einem kleineren Teil aus dem Hauptstromrauch, den Raucher ausatmen. Dieses Gemisch enthält giftige Substanzen wie Ammoniak, Stickstoffoxide, Schwefeldioxid sowie Krebs erzeugende Substanzen wie etwa Benzol, Arsen, Kadmium und Polonium-210. Kinder reagieren besonders empfindlich auf Tabakrauch, da sie schneller atmen als Erwachsene und ihr Entgiftungssystem noch nicht so gut arbeitet.

Passivrauchen erhöht das Risiko für Herzinfarkte um etwa acht Prozent, für Schlaganfälle um rund fünf Prozent, für Diabetes Typ II und Lungenkrebs um etwa ein Prozent. Ebenso steigt die Gefahr für Brustkrebs, Mittelohrentzündungen, Asthma, die chronisch obstruktive Lungenerkrankung COPD und Atemwegsinfektionen.

Schädliche Substanzen haften wochen-, monate- oder jahrelang an Möbeln, Wänden, Vorhängen, Teppichen sowie Kleidung

In Deutschland sind rund vier Prozent der Nichtraucher täglich passiv Rauch in geschlossenen Räumen ausgesetzt, mehr als acht Prozent mindestens einmal wöchentlich. Sogar wenn die Zigarette erloschen ist, bleibt die Gefahr: Denn Tabakrauch setzt sich auf Oberflächen und im Staub ab, auch bekannt als kalter Rauch oder so genannter thirdhand smoke. Schädliche Substanzen haften so wochen-, monate- oder jahrelang an Möbeln, Wänden, Vorhängen, Teppichen sowie Kleidung. Die Rückstände lassen sich oft nur schwer entfernen. Bislang wurde kein Grenzwert festgelegt, unterhalb dessen kalter Rauch harmlos ist.

Auch Passivrauchen von E-Zigaretten kann gesundheitsschädlich sein, obwohl Vaper im Gegensatz zu konventionellen Zigaretten keinen Nebenstromrauch erzeugen. Die American Association for Cancer Research und die American Society of Clinical Oncology warnen vor Krebs erregenden Substanzen im E-Zigaretten-Rauch.

Wie sehr schädigt Passivrauchen im Freien?

Anfang Dezember 2024 hat die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Empfehlung für Rauchverbote in bestimmten Außenbereichen ausgesprochen. Die konkrete Umsetzung der Maßnahmen liegt jedoch bei den Ländern selbst. Auch Experten in Deutschland sprachen sich Mitte Dezember 2024 für ein Rauchverbot in belebten Bereichen im Freien aus. Die Frage, wie gefährlich Passivrauchen ist, ist wissenschaftlich nicht einfach zu beantworten. Studien zeigen, dass Zigarettenrauch unter Laborbedingungen schädlich auf menschliche Zellen wirkt. Auch Tierversuche bestätigen dies. Doch die gesundheitlichen Auswirkungen von Rauchen auf Menschen zu untersuchen, gestaltet sich komplexer. Schließlich kann man keine kontrollierten Langzeitstudien durchführen, bei denen man Menschen in ein Labor einsperrt, einen Teil rauchen lässt, einen Teil Zigarettenrauch aussetzt, einen Teil rauchfrei leben lässt und dann beobachtet, wer welche gesundheitlichen Folgen davonträgt.

Stattdessen ziehen Forscherinnen und Forscher ihre Erkenntnisse aus Beobachtungen: Partner, Kollegen oder Kinder von Rauchern sind oft jahrelang Rauch in geschlossenen Räumen ausgesetzt. Sie leiden nachweislich häufiger an den oben aufgelisteten Krankheiten.

Noch schwieriger ist es, die Schädlichkeit von Passivrauchen im Freien zu untersuchen. Man müsste an verschiedenen Orten wie Bushaltestellen, Außenbereichen von Cafés oder Innenhöfen Messungen durchführen und dabei beachten, wie viele Raucher auf welcher Fläche gleichzeitig rauchen, in welche Richtung der Wind weht, wie lange die Personen dem Rauch ausgesetzt sind und ob andere schädliche Einflüsse wie etwa Autoabgase die Schadstoffkonzentration in der Luft erhöhen.

Trotz dieser Herausforderungen deuten Studien darauf hin, dass auch in Außenbereichen hohe Schadstoffkonzentrationen erreicht werden können. Angesichts der bekannten Gefahren des Passivrauchens in Innenräumen ist es daher plausibel, anzunehmen, dass es auch im Freien gesundheitsschädlich ist.

Vor allem in Bereichen, wo man länger an einer Stelle verweilt und womöglich mehrere Menschen gleichzeitig rauchen, lassen sich hohe, womöglich gesundheitsschädliche Schadstoffkonzentrationen nachweisen. Nichtraucher sollten deshalb im Zweifel lieber zu viel als zu wenig geschützt werden. Experten des Deutschen Krebsforschungszentrums gehen zudem davon aus, dass Rauchverbote im Freien noch einen zusätzlichen positiven Effekt haben könnten: Sie könnten dazu beitragen, dass weniger Jugendliche anfangen zu rauchen, da es weniger akzeptiert wird.

Wie man in einer freien Gesellschaft die Rechte von Rauchern und Nichtrauchern schützt, ist eine gesellschaftliche Frage. Die Medizin kann das in meinen Augen nicht vorgeben. Die Vorstellung, dass Raucher im Außenbereich eines Cafés, im Schwimmbad oder am Bahnsteig von Sicherheitspersonal abgeführt werden, gefällt mir nicht. Lieber wäre es mir, wenn solche Verbote überflüssig wären.

Das könnte gelingen, wenn Raucher sich bewusst machen, dass sie anderen schaden können. Ich bin mir nämlich sicher, dass die Mehrheit von ihnen das nicht beabsichtigt. Kleine Verhaltensänderungen wie zum Rauchen vom Tisch aufzustehen und sich ein paar Meter zu entfernen, können viel bewirken.

Meistens ist es doch so: Die Menschen, die den Zigarettenrauch draußen abbekommen, sind die Menschen, die man liebt. Die Kinder, mit denen man im Schwimmbad ist, oder die Freunde, mit denen man im Biergarten sitzt. Gerade in einer freien Gesellschaft fällt es schwer, anderen Vorschriften zu machen. Ich kenne es selbst: Wenn ich mit Rauchern unterwegs bin, bitte ich sie nicht, wegzugehen, während sie rauchen, weil ich nicht unfreundlich sein will. Aber ich wünschte mir, dass Raucher ebenso den Respekt zeigen und mehr Rücksicht nehmen, weil sie sonst ihren Mitmenschen schaden können. Ich möchte nicht, dass Menschen unfreiwillig zu meinen Patienten gemacht werden – kleine Gesten wie für eine Zigarette ein paar Meter auf die Seite zu gehen, können das verhindern.

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