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Lexikon der Geowissenschaften: Seitenverschiebung

Seitenverschiebung, Horizontalverschiebung, Blattverschiebung, Verwerfung mit überwiegend horizontalem Versatz entlang von steilstehenden bis vertikalen Störungsflächen. Der Bewegungssinn ist entweder sinistral oder dextral. Zu der horizontalen Deformationskomponete kommt meist noch eine Einengungs- oder Extensionskomponente hinzu; man bezeichnet die Verwerfung dann als konvergente bzw. divergente Seitenverschiebung. Ein generelles Anzeichen für Seitenverschiebungen im Gelände ist, daß diese, bedingt durch die steilstehenden Verschiebungsflächen, auch komplizierte Oberflächenreliefs klar queren und sich durch deutliche topographische Merkmale auszeichnen. Dies sind z.B. lineare Täler parallel zur Verwerfung und versetzte bzw. abgelenkte Täler/Flüsse, welche die Verwerfung kreuzen. Derartige Strukturen sind sehr gut auf Satelliten- und Luftbildern zu erkennen. Viele Seitenverschiebungen sind als Gebiete starker Erdbeben bekannt, wie z.B. die San Andreas-Verwerfungszone in Kalifornien oder die Nordanatolische Blattverschiebung in der Türkei.

Nach ihrer plattentektonischen Stellung lassen sich Seitenverschiebungen in zwei Hauptkategorien einteilen: a) Transformstörungen: Diese bilden Plattengrenzen und durchschneiden die gesamte Lithosphäre. Sie verbinden divergente Plattengrenzen (Mittelozeanische Rücken) und konvergente Plattengrenzen (Subduktionszonen) untereinander oder miteinander. b) Seitenverschiebungen, deren Deformationen auf die Erdkruste beschränkt sind (engl. transcurrent fault). Nach dem horizontalen Bewegungssinn werden für Transformstörungen jeweils sechs Klassen für dextrale und sechs Klassen für sinistrale Verschiebungen definiert. In Abb. 1 sind die sechs möglichen Arten für sinistrale Transformstörungen dargestellt. Eine besondere Eigenschaft von Transformstörungen ist, daß diese je nach Typ über geologische Zeiträume hinweg ihre Länge verändern. Während Typ 1, der zwei ozeanische Rückensegmente mit ähnlichen Spreizungsraten (Rücken-Rücken-Transform) miteinander verbindet, und Typ 4, der zwei Tiefseerinnen mit gleichgerichteter Subduktion verbindet (Tiefseerinne-Tiefseerinne-Transform), ihre Länge beibehalten, verändern die übrigen vier Transformstörungen diese. Typ 2 und 5 werden im Laufe der Zeit kürzer, Typ 3 und 6 werden länger. Komplexe Seitenverschiebungssysteme entwickeln sich bei der Kollision zweier kontinentaler Platten. Auf den Zusammenstoß reagiert der Intraplattenbereich der weniger starren Platte mit einem seitlichen Ausweichen ganzer Krustenbereiche, sogenannter Fluchtschollen, die von Seitenverschiebungen begrenzt werden. Regionale Beispiele für kontinentale Fluchtschollen finden sich in Zentral-Asien und der Türkei.

Zum Verständnis der Mechanik von Seitenverschiebungen und der damit verbundenen Entwicklung von Deformationsstrukturen in Horizontalverschiebungszonen wurden zahlreiche Laborversuche gemacht. Am bekanntesten geworden ist der Scherversuch von W. Riedel (1929) (Riedel-Scherfläche), der von J.S. Tschalenko (1970) erweitert wurde und die Mechanik und Ähnlichkeit zwischen Scherzonen unterschiedlicher Magnituden aufzeigt. Weitere Versuche verschiedener Bearbeiter lieferten die theoretische Basis, Seitenverschiebungen und deren Sekundärstrukturen reinen (pure shear) oder einfachen (simple shear) Scherprozessen zuzuordnen ( Abb. 2). Bei der reinen Scherung entwickeln sich konjugierte Scherflächen. In der Natur entstehen konjugierte Seitenverschiebungen z.B. quer zum Streichen von Gebirgsgürteln. Diese Seitenverschiebungen haben im allgemeinen eine Länge unter 100 km, die Horizontalversätze liegen im Kilometer- bis Zehner-Kilometer-Bereich. Große Seitenverschiebungen von regionaler Bedeutung mit mehreren hundert Kilometern Länge und mit Horizontalverschiebungsbeträgen von über hundert Kilometern entstehen bei der sogenannten einfachen Scherung.

Seitenverschiebungen sind vielfach durch ein komplexes System aus mehreren Segmenten und Sekundärstörungen gekennzeichnet ( Abb. 2 und 3), die bestimmte geometrische Beziehungen zur Hauptverschiebung aufweisen, aus denen sich der Verschiebungssinn der relativen Seitenbewegung ableiten läßt. Neben den Riedel-Scherflächen, konjugierten Riedel-Scherflächen und Fiederspalten entwickeln sich bei einfacher Scherung während der horizontalen Deformation weitere Scherflächen, die kompressiven P-Scherflächen, die mit der Hauptbewegungszone etwa denselben Winkel wie die Riedel-Scherflächen einschließen, jedoch entgegengesetzt orientiert sind. Als zusätzliche Sekundärstrukturen können sich, je nach dem Deformationsverhalten der Gesteinsfolge, Schleppfalten bilden. Charakteristisch für Seitenverschiebungszonen sind auch unter geringen Winkeln von den Hauptverschiebungen abzweigende und wieder in sie einmündende Störungssegmente, die ein zusammenhängendes Netz aus sogenannten anastomisierenden Zweigverschiebungen bilden ( Abb. 3). In einer Seitenverschiebungszone verteilt sich somit der Gesamtversatz über einen relativ breiten Bereich auf einzelne unterschiedliche Teilsegmente.

Querschnitte durch konvergente und divergente Seitenverschiebungen (Zonen von Transpression und Transtension) sowie durch kompressive und extensive Krümmungsbereiche von Seitenverschiebungen zeigen, daß in diesen Bereichen ein Teil der Horizontalbewegung in sekundäre Aufschiebungen oder Abschiebungen umgewandelt wird, und es entstehen positive bzw. negative Blumenstrukturen mit Aufpressungen bzw. Absenkungen ( Abb. 4). Die hochgepreßten Strukturen (engl. push-up) sind verstärkter Erosion ausgesetzt; die abgesenkten Bereiche (z.B. Pull-apart-Becken) werden von den sie ringsum umgebenden Hochgebieten mit Erosionsmaterial beliefert und können so sehr rasch aufgefüllt werden.

In den Übergangszonen zwischen einzelnen Segmenten einer Horizontalverwerfungszone können zwei Typen von Übertritten definiert werden: a) Übertritte, die bei einer En-échelon-Anordnung (en échelon) der Störungssegmente in ihrer Streichrichtung in der Horizontalebene entstehen. Je nach rechtstretender oder linkstretender Ausrichtung der Seitenverschiebungssegmente und deren sinistralen oder dextralen Bewegungssinn entstehen entweder divergente oder konvergente Verbindungsstrukturen ( Abb. 3), d.h. Pull-apart-Becken bzw. Aufpressungszonen mit Druckrücken, Falten und Aufschiebungen. b) Übertritte, die auf eine En-échelon-Anordnung der Störungssegmente im Querprofil zurückzuführen sind. Übertritte im Einfallen der Störungssegmente sind u.a. in Bergwerken zu beobachten. Untersuchungen der Seismizität in aktiven Horizontalverwerfungszonen zeigen, daß sich die in eine Profilebene projizierten Hypozentren der Beben rechts- bzw. linkstretenden Übertritten zuordnen lassen.

Am Ende einer Seitenverschiebung muß der horizontale Gesamtversatz abgebaut werden. Dazu spaltet sich die Horizontalverwerfung in bogenformige Zweigverwerfungen auf, die je nach Bewegungssinn der Haupthorizontalverschiebung Ausdehnungs – oder Einengungsstrukturen bilden ( Abb. 3). Als untergeordnete Strukturen entstehen Seitenverschiebungen als sogenannte Transferstörungen bei regionaler Einengung oder Krustenextension am Ende von Aufschiebungen oder Abschiebungen und bilden die Begrenzung von einzelnen Schollen. Die Transferstörungen streichen im allgemeinen senkrecht zu den Hauptauf- oder -überschiebungen bzw. zu den Hauptabschiebungen. In einem Überschiebungsgürtel kann so die Einengung eines Hauptüberschiebungssegments über horizontale Transferstörungen (konvergente Querverschiebungen) auf ein anderes Hauptüberschiebungssegment übertragen werden. In Grabenzonen kann die Extension über eine Transferstörung (Schrägabschiebung mit Horizontalkomponente) von einer Scholle zur anderen übertragen werden. [CDR]

Literatur: [1] Biddle, K.T. & Cristie-Blick (1985): Strike-slip deformation, basin formation, and sedimentation. – Soc. Economic Paleontologists and Mineralogists, Spec.Publ. 37. [2] Molnar, P. & Tapponnier, P. (1975): Cenozoic tectonics of Asia: Effects of a continental collision. – Science, 189: 419-426. [3] Reasenberg, P & Ellswort, W.L. (1982): Aftershocks of the Cayote Lake, California earthquake of August 6, 1979. A detailed study. – J. Geophys. Res., 87: 10637-10655. [4] Sylvester, A.G. (1988): Strike-slip faults. – Geol. Soc. Am. Bull., 100:1666-1703. [5] Wilson, J.T. (1965): A new class of faults and their beå on continental drift. – Nature 207: 343-347.


Seitenverschiebungen 1: sechs mögliche Typen von sinistralen Transformstörungen. Seitenverschiebungen 1:

Seitenverschiebungen 2: Strukturentwicklung an Seitenverschiebungen bei a) reiner Scherung (pure shear) und b) einfacher Scherung (simple shear); φ=innerer Reibungswinkel des Gesteins. Seitenverschiebungen 2:

Seitenverschiebungen 3: Haupt- und Sekundärstrukturen einer dextralen Seitenverschiebung. Seitenverschiebungen 3:

Seitenverschiebungen 4: a) positive Blumenstruktur mit Aufpressungen bei dextraler Konvergenz, b) negative Blumenstruktur mit Absenkungen bei dextraler Divergenz. Seitenverschiebungen 4:
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