Lexikon der Neurowissenschaft: Capgras-Syndrom
Capgras-Syndrom [benannt nach dem franz. Psychiater Jean Marie Joseph Capgras, 1873-1950], ECapgras syndrome, cerebrale Erkrankung, bei der die Patienten Personen, die ihnen nahestehen, z.B. die Eltern oder den Ehepartner (mitunter auch einen Nachbarn, den eigenen Hund oder Photos von sich selbst), für betrügerische Doppelgänger halten, obwohl ihre intellektuellen Fähigkeiten nicht beeinträchtigt sind und sie auch nicht unter Verfolgungswahn leiden. Dieser kuriose Verdacht tritt nur bei visuellem Kontakt auf, nicht aber z.B. beim Telefonieren. Ursache ist eine Schädigung der rechten Großhirnhemisphäre, hauptsächlich des seitlichen vorderen Bereichs sowie des unteren Schläfenlappens. Wahrscheinlich wurde dabei die anatomische Verbindung zwischen Cortex und Amygdala unterbrochen, so daß die Gefühlstönung bei der Wahrnehmung und Erinnerung von Gesichtern ausfällt (Emotionen). Mangelt es an der gewohnten emotionalen Untermalung, werden die Patienten tief verunsichert und bemühen sich, eine Erklärung für den Ausfall zu finden, z.B. daß die Gesichter in Wirklichkeit gar nicht den Personen gehören, denen sie gleichen, sondern fremden Doppelgängern, gegenüber denen man selbstverständlich keine emotionale Nähe verspürt. Solche grotesken Rationalisierungen spielen sich hauptsächlich in der linken Hirnhälfte ab und werden, wie auch im Fall der Anosognosie, als wirklich angesehen, wenn die Zensurfunktion der rechten Hirnhälfte ausfällt (Asymmetrie des Gehirns). Für diese Hypothese spricht, daß sich der Hautleitwiderstand bei Capgras-Patienten nicht ändert, wenn sie vertraute Gesichter sehen, was bei Gesunden aber der Fall ist und eine emotionale Reaktion anzeigt. Das Capgras-Syndrom kann als Spiegelbild zur Prosopagnosie interpretiert werden, bei der Gesichter nicht mehr erkannt, wohl aber noch mit Emotionen assoziiert werden (und eine Änderung des Hautleitwiderstands hervorrufen).
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