Lexikon der Neurowissenschaft: Emotionen
Essay
Rüdiger Vaas
Emotionen
Definitionen und Merkmale
Jeder scheint zu wissen, was Emotionen [von latein. emotio = heftige Bewegung, emovere = aufwühlen, heraustreiben; Eemotions], sind – bis er sie definieren soll. Doch es gibt weder eine einheitliche Theorie noch eine interdisziplinär akzeptierte Definition von Emotionen. Klaus R. Scherer spricht von einem "regelrechten Wildwuchs von Theorievorschlägen". Manche Forscher definieren Emotionen als körperliche Reaktionen, die sich im stammesgeschichtlichen Kampf ums Überleben entwickelt haben, andere als mentale Zustände, die einsetzen, wenn das Gehirn körperliche Reaktionen (oder neuronale Zustände) repräsentiert. Für manche sind unbewußte Impulse entscheidend, für andere dagegen bewußte Bewertungen und Klassifikationen. Manche halten körperliche Reaktionen für irrelevant und meinen, Emotionen spielen sich ausschließlich im Gehirn ab, andere sehen sie als Formen des Handelns oder Redens oder sogar als soziale Konstrukte, die sich nicht in Individuen ereignen, sondern gleichsam zwischen ihnen. – Der Begriff Emotionen wird ähnlich mehrdeutig verwendet wie der Begriff Gefühle (E feelings). Zuweilen besteht weitgehende Gleichbedeutung, doch häufig meint Gefühl lediglich die subjektive Erlebnisweise einer sich auch anders – nämlich physiologisch und behavioral – zeigenden Emotion. Intensive, heftige, kurzzeitig auftretende Emotionen mit desorganisierenden bzw. einengenden Wirkungen auf das Verhalten und Erleben werden auch Affekte genannt. Beispiele sind Freudentaumel, Wut- und Panikanfall. Längerfristige emotionale Tönungen des Erlebens ohne einen klaren Reiz-, Situations-, Tätigkeits- und Bedürfnisbezug heißen Stimmungen. Sie bilden gleichsam den "Hintergrund" des Erlebens. Beispiele hierfür sind Niedergeschlagenheit und Mutlosigkeit. – Erlebnisdeskriptive Ansätze gehen von der Klassifikation von Gefühlen im Situations- und Bedürfnisbezug aus. Einfache Gefühle werden ausgelöst von Sinnesempfindungen (z.B. unangenehm wirkende Gerüche), Körperempfindungen (z.B. Unbehagen bei Krankheit), Tätigkeitsempfindungen (z.B. Anspannung bei konzentrierter Arbeit) und konkreten Bedürfnissen (z.B. Lust am Essen). Komplexe Gefühle beruhen auf Vorstellungen oder Einstellungen (z.B. freudige Erwartung, Angst vor Mißerfolg), Gefühlen der Selbsteinschätzung und -besinnung (z.B. Scham, Schuld) sowie emotionalen Komponenten sozialer Einstellungen (z.B. Sympathie) und Werturteile. Wilhelm Wundt beschrieb ab 1902 Gefühle im dreidimensionalen Bezugssystem Lust-Unlust (als qualitative Verschiedenheit; philosophische Anthropologie), Beruhigung-Erregung (als Ausdruck der Intensität; Physiologie) und Lösung-Spannung (als zeitlicher Wirkungsaspekt; Psychologie); im subjektiven Erleben würden die verschiedenen Aspekte dann in einem Total-Gefühl vereinigt. – Emotionen sind überwiegend etwas, das uns zustößt, das von äußeren und inneren Reizen bedingt wird, ohne daß wir darauf einen direkten willentlichen Einfluß hätten (Willensfreiheit). Wir kennen unsere Emotionen dadurch, daß sie uns als Gefühle bewußt werden. Doch entwickelt haben sie sich nicht als bewußte Empfindungen, sondern als verhaltensmäßige und physiologische Spezialisierungen, als vom Gehirn gesteuerte und auf dieses zurückwirkende körperliche Reaktionen, die den Organismen, von denen wir abstammen, das Überleben und die Fortpflanzung in einer feindlichen Umwelt ermöglicht haben. Emotionen werden ganz oder überwiegend unbewußt erzeugt; das bewußte emotionale Erleben (Gefühlszustände) ist also nur ein Aspekt von Emotionen. Emotion im Singular ist eine Art Etikett, eine praktische Regelung, um über Funktionsweisen des Gehirns und Aspekte des Bewußtseins zu sprechen. Doch genausowenig wie das Gehirn kein System besitzt, das sich mit Wahrnehmung befaßt – sondern verschiedene abgrenzbare Systeme für einzelne Formen der Wahrnehmung wie Sehen, Hören usw. – hat es auch kein Allzweck-Emotionsvermögen; vielmehr ist es fähig, verschiedene einzelne Klassen von Emotionen zu verarbeiten, die aus neurobiologischer Sicht nicht ohne weiteres zusammengefaßt werden sollten, sondern als einzelne Systeme (Module) zu betrachten sind, die sich im Lauf der Evolution jeweils für eine bestimmte Funktion entwickelt haben. – Weitgehend unstrittig ist, daß an Emotionen verschiedene Reaktionskomponenten und -modalitäten beteiligt sind, die auf verschiedenen Ebenen beschrieben werden müssen. Sie sind aufeinander bezogen und synchronisiert, werden durch die Bewertung eines externen oder internen Reizes ausgelöst und sind wichtig für die wesentlichen Bedürfnisse und Ziele des Organismus ( siehe Tab. 1 ). Emotionen sind allerdings nicht notwendig bewußt. Bei welchen Organismen dies der Fall ist, läßt sich mit Gewißheit nicht feststellen, da bewußte Erlebnisse subjektiv, d.h. persönlich und privat sind, insofern nur durch Selbstbeobachtung (Introspektion) erfahren und von anderen Organismen allenfalls indirekt erschlossen werden können: durch Beobachtungen des Verhaltens, durch physiologische Messungen oder (beim Menschen) durch Befragen. Spekulationen über das Vorkommen subjektiver Empfindungen basieren häufig auf Analogieschlüssen, weshalb stammesgeschichtlich nahestehenden Organismen, z.B. Affen, eher ein ähnliches Gefühlsleben zugestanden oder zugeschrieben wird als phylogenetisch ferneren Tieren, z.B. Insekten. Doch strenggenommen sind bereits Vermutungen über die subjektive Befindlichkeit eines Zwillingsbruders prinzipiell nicht falsifizierbar. Dieses erkenntnistheoretische Problem des Fremdpsychischen(E other minds problem) hat dazu geführt, daß die Erforschung der Emotionen relativ lange vernachlässigt wurde. Ein weiterer Grund war, daß Denken im Rahmen der Kognitionswissenschaft zunächst vor allem mit logischen Operationen (Logik) gleichgesetzt wurde (was zu einseitig und strenggenommen sogar falsch ist). Die Frage, wie das bewußte emotionale Erlebnis zustande kommt, hat die Erforschung der Emotionen ebenfalls lange behindert, weil sie ein Spezialfall des schwierigen allgemeineren Problems ist, wie bewußte Erlebnisse entstehen. Die Annahme, daß die subjektive Erlebnisweise von Emotionen sich aufgrund der vermeintlichen Unlösbarkeit des Leib-Seele-Problems einer wissenschaftlichen Erforschung widersetzt, ist jedoch ein Irrtum, weil ein Großteil der neuronalen Aktivitäten bei Emotionen unabhängig vom Bewußtsein abläuft und weil auch Wahrnehmung, Gedächtnis usw. mit bewußtem Erleben einhergehen können, ohne deshalb aus dem Gegenstandsbereich der Wissenschaften zu fallen. – Weithin akzeptiert ist die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Gefühlen. Das primäreEmotionssystem(E basic emotional system) basiert auf angeborenen Grundgefühlen und benötigt keine kognitive Verarbeitung. Das sekundäre oder kognitiv-affektive Emotionssystem(E social emotional system) beruht auf der Verknüpfung primärer Emotionen mit spezifischen gelernten Informationen – sowohl im Kontext der eigenen Autobiographie (episodisches Gedächtnis), als auch des soziokulturellen Hintergrunds. Interkulturelle Vergleiche frühkindlicher Entwicklung sprechen für die interindividuelle Stabilität und zentralnervöse Determiniertheit der primären Emotionen ( siehe Tab. 2 und Tab. 3 ). Bestimmte Hirnläsionen gehen mit der Unfähigkeit zum willkürlichen Gesichtsausdruck einher, obwohl spontane emotionale Erregung noch zum Ausdruck von primären Emotionen führen kann. Umgekehrt können Läsionen des extrapyramidalen Systems den spontanen Ausdruck reduzieren, während eine willkürliche Expression von Emotionen möglich bleibt. – Emotionale Reaktionen gehen mit autonomen, neurohumoralen, zentralnervösen und neuromuskulären Veränderungen einher, die zusammenfassend als emotionale Erregung bezeichnet werden. Zu ihren äußeren Kennzeichen gehören der emotionale Ausdruck, die Orientierung am emotional erregenden Gegenstand bzw. Sachverhalt (Aufmerksamkeitswechsel), die damit einhergehende Unterbrechung bzw. Desorganisation des aktuellen Verhaltens und eventuell eine Annäherung oder Vermeidung. Aus physiologischer Sicht werden emotionale Zustände von Änderungen des vegetativen Nervensystems begleitet, die jedoch keine zuverlässigen Indikatoren für jeweils bestimmte Emotionen darstellen. So lassen eine erhöhte Herzschlagfrequenz oder Änderungen im hormonellen Gleichgewicht (z.B. des Cortisol-Spiegels) auf eine emotionale Erregung schließen; ob es sich dabei aber um Angst, Aggression oder sexuelle Empfindung handelt, läßt sich aus den physiologischen Parametern nicht ablesen. – In Teilen der analytischen Sprachphilosophie, die dem Behaviorismus nahestanden, wurde im Gefolge der Untersuchungen von Ludwig Wittgenstein und Gilbert Ryle versucht, Emotionen nicht mehr über Gefühle zu fassen, sondern als kontextabhängige Dispositionen für bestimmte Reaktionen nach einem bestimmten Reiz. Nicht die subjektiven und damit für andere letztlich unzugänglichen Erlebnisse sind hiernach entscheidend, sondern die kontextabhängige Beschreibung des Verhaltens. Doch ein solches Verhalten zählt nur als emotionaler Ausdruck, wenn er eben der Ausdruck von etwas ist, und das soziale Umfeld definiert die Emotionen nicht, sondern gibt nur einen Kontext für sie. Allerdings wollte die Sprachphilosophie die Existenz "innerer" Gefühle gar nicht leugnen, sondern lediglich erklären, wie wir sie identifizieren. Es ist aber der Gehalt von Emotionen, der sie zu bestimmten Emotionen macht – das Objekt, auf das sie gerichtet sind. Diese Intentionalität hängt von den übrigen Meinungen, Wünschen usw. des Subjekts ab, ist aber kein inneres Gefühl, braucht nicht strikt mit einer bestimmten physiologischen Aktivität zu korrelieren und kann sich auch auf imaginäre Objekte richten (z.B. die Angst vor Gespenstern, die Liebe zu einem bereits Verstorbenen usw.). Doch auch die Intentionalität ist als Erkennungsmerkmal nicht hinreichend; um eine Emotion zu fassen, muß auch ihre Ursache und Funktion berücksichtigt werden.
Funktionen
Früher wurde eine Funktion der Emotionen in der Abreaktion, dem Aufbau und der Freisetzung von Energie gesehen (z.B. Katharsis), oder den Emotionen wurde ein Vorteil ganz abgesprochen: im Rahmen der Konflikttheorie wurden sie als eine physiologische Störung interpretiert, die nur dann auftrete, wenn der Organismus nicht mehr adäquat auf die Umwelt reagieren könne. Heute wird jedoch die zentrale Bedeutung der Emotionen in der Organisation und Motivation des Verhaltens gesehen, die sich stammesgeschichtlich bewährt haben muß. Der Handlungsfluß bedarf eines Auswahlsystems, das die Entscheidung zu und zwischen Handlungszielen steuert (Wählen), und er bedarf eines Unterbrechungssystems, das bei veränderten Prioritäten schnelles Umschalten ermöglicht. Emotionen beeinflussen die Richtung des Verhaltens und ermöglichen dadurch eine Auswahl von verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten, abhängig von Situation, Zustand und Erfahrungen – sei es, daß bestimmte Verhaltensweisen durch positive Emotionen verstärkt und negative Emotionen gehemmt werden, sei es, daß zuvor erfahrene (d.h. sekundäre) Emotionen vorweggenommen werden. Reize erhalten dadurch eine Bedeutung: Eigene Verhaltensweisen, Handlungsfolgen oder Sachverhalte in der Umwelt werden emotional markiert und damit ein Bestandteil der inneren Repräsentation. Emotionen sind also "mächtige Motivatoren künftigen Verhaltens. Sie bestimmen ebenso den Kurs des Handelns von einem Moment zum nächsten, wie sie die Segel für langfristige Ziele setzen" (Joseph LeDoux). Dies ist eine Ursache für die gesteigerte Flexibilität der Reaktionen höherer Organismen auf ähnliche Reize, d.h., Emotionen erhöhen die "Freiheitsgrade" des Verhaltens (offene Verhaltensprogramme). – Emotionen beeinflussen auch das Verhalten anderer Organismen. Expressionstheorien betonen die Rolle der Emotionen als Anpassungsprozesse der Individuum-Umwelt-Schnittstelle. Emotionen dienen nämlich auch der Kommunikation zwischen Individuen, denn sie können anderen zeigen, in welchem Zustand sich ein Tier befindet (höhere Organismen sind in bestimmten Fällen allerdings in der Lage, den emotionalen Ausdruck willentlich zu unterdrücken, um Pläne oder Wissen nicht zu verraten). Passende Ausdrucksbewegungen haben sich im Lauf der Evolution für jene Emotionen entwickelt, deren soziale Botschaft für Artgenossen von Vorteil war, d.h. auf denen ein Selektionsdruck lag. So hat sich wahrscheinlich aus dem motorischen Reflex des Erbrechens der Gesichtsausdruck für Ekel entwickelt, um dem Sozialpartner die gleiche unangenehme, bedrohliche Erfahrung mit der unbekömmlichen Nahrung zu ersparen. "Die Mehrheit der ausdruckgebenden Handlungen, die der Mensch und die niederen Tiere zeigen, sind angeboren oder ererbt, daß heißt, sie wurden nicht vom Individuum erlernt", schrieb Charles Darwin 1872. Ihm zufolge liegen dem Ausdruck drei Prinzipien zugrunde: 1) Das Prinzip zweckmäßig assoziierter Gewohnheiten. 2) Das Prinzip, daß Handlungen durch die Konstitution des Nervensystems verursacht werden, unabhängig vom Willen und in einer gewissen Ausdehnung unabhängig von Gewohnheit (z.B. Muskelzittern, vegetative Reaktionen). 3) Das Prinzip des Gegensatzes. Z.B. besteht der aggressive Ausdruck des Hundes im Entblößen der Zähne, dem Aufrichten der Ohren und Aufstellen der Haare; die Ausdrucksform Unterwerfung besteht in entgegengesetzten Bewegungen wie Verdecken der Zähne und Anlegen der Haare. Unter funktionellen Aspekten läßt sich Ausdrucksverhalten deuten 1) als Teil der Erregungsregulierung (expressive Funktion), 2) als soziales Zeichen von Stimmungsübertragungen bis zur Auslösung spezifischer Verhaltensweisen (kommunikative Funktion), was z.B. beim Lachen der Fall ist, das bekanntlich "ansteckend" wirkt, 3) als Form der Darstellung (symbolische Funktion).
Elementare Emotionen und soziale Konstruktionen
Ausgehend von Charles Darwins Hypothese von angeborenen emotionalen Ausdrücken wurde immer wieder vermutet, daß es elementare Emotionen (Basisemotionen, Grundgefühle) gibt, die angeboren sind und auf spezifischen neuronalen Aktivitäten beruhen, und aus denen sich alle übrigen Emotionen zusammensetzen. Umstritten ist allerdings, wie viele und welche das sind. William McDougall hat bereits 1908 die Existenz von sieben erblichen "Hauptinstinkten" des Menschen postuliert, zu denen jeweils eine charakteristische Emotion gehört: Fluchtinstinkt mit Furcht, Abwehr mit Ekel, Neugier mit Staunen, Kampfesinstinkt mit Zorn, Selbstbehauptung mit positivem Selbstgefühl, Selbsterniedrigung mit negativem Selbstgefühl und Pflegeinstinkt mit Fürsorglichkeit. Jeffrey A. Gray unterschied 1982 drei primäre Emotionssysteme bei Säugetieren. Diese Basisgefühle werden über die Verhaltensreaktion als Annäherung, Verhaltenshemmung und Kampf-Flucht bezeichnet und von unterschiedlichen Umweltreizen aktiviert ( siehe Tab. 4 ). Verhaltenshemmung und das Kampf-Flucht-System können auch als Angst oder Furcht begriffen werden. Jaak Panksepp gelangte anhand der Verhaltensfolgen der elektrischen Reizung von Rattengehirnen zu vier elementaren emotionalen Reaktionsmustern: Panik, Wut, Erwartung und Furcht. Eine andere Klassifikation stammt von Wielant Machleidt, der die Hirnströme mit dem EEG (Elektroencephalogramm) maß, während die Versuchspersonen von starken emotionalen Erlebnissen oder Vorstellungen berichteten. Unabhängig von Geschlecht, Alter usw. ergaben sich fünf typische Muster hinsichtlich von Amplitude, Modus und Bandbreite der schnellen und langsamen Wellen ( siehe Tab. 5 ). Manche Gefühle erwiesen sich als Mischungen (Interferenzmuster im EEG), z.B. besteht Eifersucht aus intentionalen, ängstlichen und aggressiven Komponenten; auch unbewußte und vielleicht verdrängte Gefühle machen sich im EEG bemerkbar. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Grundgefühle beim Menschen anhand einer universellen, das heißt kulturunabhängigen Mimik zu klassifizieren. Sylvan Tomkins hat acht elementare Emotionen unterschieden: Überraschung, Interesse, Freude, Wut, Furcht, Ekel, Scham, Angst. Paul Ekman nannte sechs: Überraschung, Glück, Zorn, Furcht, Ekel, Traurigkeit ( siehe Tab. 6 ). Mick Power und Tim Dalgleish unterschieden aufgrund von kognitionspsychologischen Überlegungen und Studien emotionaler Störungen fünf Grundgefühle ( siehe Tab. 7 ). Philip Johnson-Laird und Keith Oatley kamen anhand von linguistischen Untersuchungen zu einer ähnlichen Liste. Robert Plutchik bezog neben dem mimischen Ausdruck auch Handlungstendenzen und Körperteile mit ein und fügte Ekmans Liste Akzeptanz, Erwartung und Erstaunen hinzu. Er ordnete sie kreisförmig an und vermutet, daß aus der Mischung zweier elementarer Emotionen abgeleitete Emotionen entstehen (analog zur Mischung von Grundfarben auf dem Farbkreis) ( siehe Abb. ). Da hierfür komplexe kognitive Operationen (einschließlich sozialer Konventionen) notwendig sind, dürften Gefühle wie Stolz, Scham, Dankbarkeit, Gemütlichkeit nur beim Menschen vorkommen und nicht einmal in allen Kulturen gleichermaßen. – Dieser universalistischen Tendenz in der Emotionsforschung entgegengesetzt ist die Auffassung der sozialen Konstruktivisten, wonach Gefühle weniger ein Produkt biologischer Vorgänge als eine gesellschaftliche Konvention und Interpretation sind – sie ereignen sich nicht in Individuen, sondern gleichsam zwischen ihnen. So soll es Kulturen geben, in denen nicht Frauen, sondern Männer die Schmerzen der Geburtswehen verspüren, während die Frauen gleich nach der Niederkunft wieder zu arbeiten beginnen. In Japan wird mit Amae ein emotionaler Zustand bezeichnet, der sich nicht wörtlich übersetzen läßt: Er bedeutet, die Liebe eines anderen auszunutzen, sich an seiner Freundlichkeit gütlich zu tun, das Gefühl der Hilflosigkeit und der Wunsch, ein passives Objekt der Liebe anderer zu sein. – Sicherlich haben Kultur und soziale Normen bzw. Interpretationen einen Einfluß auf die Emotionen, ihr Erleben und vor allem ihren Ausdruck. So gibt es Regeln der Darbietung, die angeben, wer gegenüber wem wann und mit welcher Intensität eine Emotion zeigen darf. Doch zum einen variiert der emotionale Ausdruck bei Mitgliedern derselben Kultur, zum anderen können selbst universale mimische Ausdrucksformen durch Lernprozesse modifiziert werden (z.B. beherrscht ein Japaner seine Mimik in Anwesenheit anderer stärker als ein US-Amerikaner, während beide in einer ähnlichen Situation dieselbe Intensität des Ausdrucks zeigen, wenn sie allein sind). Trotzdem ist nicht klar, ob es elementare emotionale Ausdrücke wirklich gibt. Emotionen könnten nämlich grundlegende angeborene Reaktionskomponenten einfach nur nutzen, die jedoch auch in nichtemotionalen Situationen vorkommen. Wenn man z.B. zittert, kann dies heißen, daß man friert oder daß man sich fürchtet, und wenn man die Augenbrauen hochzieht, kann dies daran liegen, daß man zornig ist oder aber besonders aufmerksam. Andererseits ähneln sich bestimmte emotionale Zustände wie z.B. Furcht in vielen Eigenschaften sehr, und zwar nicht nur innerhalb einer Art, sondern auch zwischen den Spezies.
Kulturgeschichtliche Aspekte
In der Antike und im Mittelalter, die keinen eigenen Namen für "Gefühl" hatten, wurde mit griech. pathos bzw. latein. passio oder den weitgehend synonymen Ausdrücken affectus und affectio sowohl Gemütszustände wie Lust und Unlust als auch Gemütsbewegungen wie Liebe, Haß, Freude und Furcht bezeichnet. In der Neuzeit wird der Begriff "Gefühl" zunächst unspezifisch verwendet: sowohl zur Bezeichnung von Gefühlen im Sinn von Gemütsbewegungen(E emotions) im weiteren und Leidenschaften(E passions) im engeren Sinn als auch zur Benennung von Sinnesempfindungen(E sensations), im deutschen Sprachraum insbesondere für den Tastsinn. David Hume unterschied zwischen feeling (das Empfinden von Eindrücken) und sentiment (emotive Zustände). Spätestens seit Platon werden Emotionen und Vernunft als antagonistische Bereiche des Geistes betrachtet, die einen beständigen Kampf um die Vorherrschaft über die menschliche Psyche führen. Platon verglich die Leidenschaften mit wilden Pferden, die vom Verstand gezügelt werden müssen. Diesen begriff er als eine Art Wagenlenker, den Begierden und Ängste am Denken hindern. In dieser Tradition stehen auch die Auffassungen von René Descartes, John Locke, David Hume und Immanuel Kant. Der Gegensatz zwischen Vernunft und Leidenschaft, Denken und Fühlen, Kognition und Emotion führte in der Regel zu einer Abwertung der Emotionen – zumindest im Zusammenhang mit Erkenntnisgewinnung und Entscheidungen. "Man kann jemanden bis zum Überdruß widerlegen, ohne ihn zu überzeugen. Das Gefühl überlebt die Einsicht", hat Jean Paul notiert, und Robert Musil schrieb: "Wahrheit entsteht bei kaltem Blut; das Gefühl ist ihr abträglich." Hume hielt die Vernunft für den Sklaven der Leidenschaften, bejahte dies aber. Und selbst Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der die Geschichte der Philosophie als eine Entwicklungsgeschichte der Vernunft und des Geistes zu bestimmen versuchte, räumte wie Kant ein, daß nichts Großes erreicht werden könne ohne Leidenschaft. Eine andere Tradition geht auf Aristoteles zurück, der den Menschen zwar als Vernunftwesen (animal rationale) betrachtete, aber auch die Notwendigkeit betonte, die richtigen Emotionen zu hegen und unangemessene zu überwinden. Er meinte, daß eine Emotion neben einer Empfindungskomponente immer auch ein Tatsachen- oder Werturteil enthält. Diese Auffassung ist ebenfalls bei den Stoikern Seneca und Chrysippus zu finden sowie später wieder bei Thomas von Aquin und Baruch de Spinoza. In den kognitiven Bewertungstheorien (siehe unten) lebt sie bis heute fort. Die Stoiker hielten Emotionen allerdings für fehlgeleitete Urteile in einer nicht zu ändernden Welt. Ein Ziel der Stoa – ebenso wie des Buddhismus – war daher die Leidenschaftslosigkeit (griech. apatheia), die Befreiung von Emotionen und Anhaftungen, um das menschliche Unglück zu minimieren; Spinoza hat ähnlich argumentiert. Spätestens mit Friedrich Nietzsche begann aber eine Aufwertung der Gefühle. Er schrieb den Emotionen sogar eine eigene Intelligenz zu, sah Rationalität und Emotionalität also nicht mehr als Gegensätze, sondern komplementär, und hielt einen Vernunftglauben für Eskapismus. Luc Ciompi argumentiert mit seiner Hypothese von der Affektlogik, daß das Denken nicht losgelöst von Emotionen begriffen werden kann, und der von Daniel Goleman geprägte Begriff der emotionalen Intelligenz weist ebenfalls auf den Beitrag von Emotionen im erfolgreichen Handeln und Problemlösen hin. Hirnschädigungen (insbesondere des Frontallappens, siehe unten) haben inzwischen hinlänglich erwiesen, daß "neuronale Kantianer der reinen Vernunft" nicht besser, sondern wesentlich schlechter im Alltag zurecht kommen (Frontallappensyndrom). Sartre ging sogar so weit, Emotionen als Glaubensphänomene zu interpretieren, die "eine magische Welt konstituieren, indem sie unseren Körper als Beschwörungsmittel benutzen", d.h. als willentliche Strategien für den Umgang mit einer schwierigen Welt, die die Welt zurechtdeuten, aber das Bewußtsein auch in eine Falle manövrieren können (z.B. Hysterie). – In der Romantik wird dem Gefühl sogar Vorrangigkeit eingeräumt. Für Friedrich Hölderlin ist Gefühl "Verstand und Wille zugleich", für Novalis das Denken "nur ein Traum des Fühlens, ein blaßgraues schwaches Leben". In der Dichtung gelten Gefühle häufig als eine Art Erkenntnisquelle wie umgekehrt die Kunst neue Gefühle hervorbringen soll. "Ein vollendetes Gedicht ist eines, bei dem eine Emotion seinen Gedanken und der Gedanke die Worte gefunden hat", schrieb Robert Frost. "Der einzige Sinn von Musik: Sie soll neue Emotionen schaffen", meinte Kodwo Eshun. Seit dem 18. Jahrhundert ist Gefühl außerdem zu einem Grundbegriff der Moralphilosophie sowie der Ästhetik geworden. Auch für eine philosophische Anthropologie und somit ein Verständnis des Menschen und seiner Bedingungen spielen Gefühle eine entscheidende Rolle, da fast alle Bereiche des menschlichen bewußten Lebens lust- und unlustbetont sind.
Theorien (Übersicht siehe Tab. 8 )
Die moderne Ära der Emotionsforschung begann 1884 mit William James, der sich fragte, ob Gefühle emotionale Reaktionen verursachen oder umgekehrt: Laufen wir von einem Bären weg, weil wir uns vor ihm fürchten, oder fürchten wir uns, weil wir laufen? James und unabhängig von ihm Carl Lange (1885) plädierten für letzteres, d.h. dafür, daß die Rückmeldung von den vom Reiz ausgelösten Reaktionen die Gefühle bestimmt: Die spezifische Beschaffenheit des sensorischen Feedbacks sollte der jeweiligen Emotion ihre spezifische Qualität verleihen, und die Unterschiede der Gefühle würden durch die Unterschiede der körperlichen Reaktionen bestimmt – kurz: Wir zittern nicht, weil wir uns fürchten, und wir weinen nicht, weil wir traurig sind, sondern wir fürchten uns, weil wir zittern, und wir sind traurig, weil wir weinen. Diese Hypothese wurde in den 20er Jahren von Walter Cannon kritisiert, der erkannte, daß die körperlichen Reaktionen entscheidend vom autonomen Nervensystem (ANS) vermittelt werden, z.B. die Kampf-oder-Flucht-Reaktion vom Sympathicus (vegetatives Nervensystem). Da Cannon zufolge ganz unterschiedliche Emotionen dieselbe oder doch eine ähnliche ANS-Signatur besitzen, d.h. zu unspezifisch und zu undifferenziert für die Auslösung bestimmter Gefühle sind, und da die ANS-Reaktion (z.B. Freisetzung von Hormonen) zu langsam ist, um Gefühle zu erzeugen, folgerte er, daß die Rückkopplungen zwar das Verhalten beeinflussen, nicht aber für die Entstehung der bewußten Gefühle verantwortlich seien, sondern diese allein vom Gehirn erzeugt würden. Heute weiß man, daß die visceralen Reaktionen spezifischer sind, als Cannon glaubte. Sie sind aber dennoch aufgrund ihrer glatten Muskulatur zu langsam, im Gegensatz zu den somatischen Reaktionen, die binnen weniger als einer Sekunde den Cortex erreichen. Tatsächlich kann die Rückmeldung expressiver Muskelaktivitäten des Gesichts, z.B. Lächeln, das Gefühlsleben beeinflussen (E facial feedback hypothesis). In den 60er Jahren versuchten Stanley Schachter und Jerome Singer die Hypothesen von James und Cannon durch die Annahme zu verbinden, die Lücke zwischen der unspezifischen Rückmeldung und den spezifisch erlebten Emotionen würde kognitiv, d.h. durch Gedanken, ausgefüllt. Die Rückmeldung sei ein verläßlicher Indikator dafür, daß etwas Wichtiges geschehe; das äußere sich in einer körperlichen Erregung, die zu einer kognitiven Beurteilung der Lage Anlaß gäbe, welche die Art des Gefühls bestimme. Dafür spricht, daß die Erregung, die mit einer Injektion des Hormons Adrenalin ausgelöst werden kann, je nach Kontext emotional unterschiedlich gedeutet wird (in einer erfreulichen Situation werden frohe, in einer unerfreulichen eher traurige Gefühle empfunden), was bei Placebo-Injektionen nicht bzw. nicht so deutlich der Fall ist. Gibt man Versuchspersonen unzutreffende Informationen über ihre körperlichen Reaktionen (z.B. Herzschlagfrequenz), beeinflußt dies ebenfalls die Beurteilung einer Situation (z.B. finden Männer Frauen attraktiver, wenn fiktive Messungen den Männern dabei einen höheren Puls suggerieren). Demnach ist nicht die physiologische Erregung selbst, sondern ihre kognitive Repräsentation und Interpretation für die Entstehung spezifischer Gefühle entscheidend – eine Idee, die schon Aristoteles, Descartes und Spinoza geäußert haben, und die als kognitive Bewertungstheorie der Emotionen insbesondere von Richard Lazarus verfochten wurde. Allerdings läßt auch dieser Ansatz offen, wie die körperlichen Reaktionen überhaupt zustande kommen. 1960 versuchte Magda Arnold dies mit der Annahme zu erklären, daß das Gehirn die Situation unbewußt bewertet; die Emotion sei die "empfundene Tendenz" zu etwas hin oder von etwas fort (bei positiver bzw. negativer Bewertung). Gefühle entstünden, wenn diese Emotionen durch Introspektion zugänglich, d.h. bewußt würden. Dafür spricht, daß z.B. die Betrachtung einer Gewaltszene abhängig von der Kommentierung des Films unterschiedlich schlimm empfunden wird. Viele Kognitionspsychologen sind bis heute der Auffassung, daß kognitive Bewertungen von Reizen entscheidend für die Entstehung spezifischer Gefühle sind. Allerdings stützt sich diese Auffassung stark auf Selbstauskünfte der Versuchspersonen (was die Gefahr von Selbsttäuschungen in sich birgt) und verwischt die Unterschiede von Kognition und Emotionen. Außerdem zeigten Experimente, daß unbewußte Wahrnehmungen (z.B. über subliminale, d.h. unterschwellige Stimuli) Emotionen verursachen bzw. beeinflussen können, ohne daß dabei explizite Bewertungen notwendigerweise eine Rolle spielen (was allerdings nicht bedeutet, Kognition und Emotion seien voneinander unabhängig). Robert Zajonc schloß daraus, daß nicht kognitive Bewertungen, sondern unbewußte Affekte für die Entstehung von Gefühlen entscheidend seien ("preferences need no inferences") – d.h., daß emotionale Reaktionen ohne vorherige kognitive Prozesse ablaufen können, und daß schon Wahrnehmungen emotional gefärbt seien. Emotionen werden insofern primär als handlungsanregende Motivationen, als Markierungen kognitiver Prozesse und als Anstifter für bestimmte Denkvorgänge begriffen. Inzwischen hat sich diese Auffassung weitgehend etabliert: Unbewußte Bewertungen stehen zwischen Reizen und Reaktionen und zwischen Reizen und Gefühlen, denn das Gehirn muß aus der Fülle der Reize auswählen und viele ignorieren. Dafür spricht auch, daß viele Menschen ihre Emotionen verwirrend finden und schwer in Worte kleiden können, und daß andere den emotionalen Zustand eines Menschen oft viel treffender einschätzen als der Betroffene selbst. Entgegen mancher Alltagserfahrung sind Introspektionen unzureichend und bewußte Prozesse bei den Bewertungen also nicht notwendig. Deshalb ist es nützlich, zwischen der scheinbaren Ursache einer Emotion (den unmittelbar vorhandenen und bewußt wahrgenommenen Reizen) und den wirklichen Ursachen zu unterscheiden (die nicht einmal unmittelbar gegenwärtige Reize sein müssen, sondern z.B. auch in der Aktivierung impliziter Inhalte des Gedächtnisses bestehen können). Insofern sind die kognitiven Bewertungstheorien zu einseitig: Sie haben sich eher mit Anlässen als mit Ursachen befaßt. – Gegenwärtige Ansätze gehen vor allem integrierend vor, d.h. versuchen möglichst viele empirische Befunde und theoretische Argumente in ein kohärentes Bild zu bringen und dies auf den aktuellen Kenntnisstand der Neurowissenschaft zu beziehen. Tatsächlich sind die Fortschritte hier so vielversprechend, daß sich eine neuronal fundierte Theorie einzelner Emotionen, insbesondere von Angst und Furcht, bereits abzuzeichnen beginnt. Viel spricht inzwischen auch dafür, Emotion und Kognition nicht gleichzusetzen, sondern als getrennte, aber miteinander wechselwirkende mentale Funktionen bzw. Hirnsysteme aufzufassen: 1) Die perzeptuelle Repräsentation eines Objekts wird vom Gehirn getrennt von der Bewertung der emotionalen Bedeutung dieses Objekts verarbeitet: Bestimmte Hirnläsionen unterbinden die Bewertung, nicht aber die Wahrnehmung. 2) Die Bewertung kann einsetzen, bevor die Wahrnehmungssysteme den Reiz vollständig verarbeitet haben. Mitunter weiß das Gehirn sogar, ob etwas gut oder schlecht ist, bevor es genau weiß, um was es sich überhaupt handelt. 3) Die neuronalen Grundlagen für die Erinnerungen an emotionale Bedeutungen von Reizen unterscheiden sich von jenen für die kognitive Verarbeitung dieser Reize. 4) Die emotionalen Bewertungssysteme sind enger mit den Systemen für die Steuerung emotionaler Reaktionen verknüpft als die Systeme für kognitive Prozesse. Letztere sind flexibler und geben einen Entscheidungsspielraum, während erstere fast automatisch zu den emotionalen Reaktionen führen.
Neuronale Grundlagen
Emotionen basieren sowohl auf corticalen (Großhirnrinde) als auch auf subcorticalen Strukturen. Die an Emotionen beteiligten Prozesse sind hierarchisch strukturiert und umfassen verschiedene Hirnteile, vom sensorischen Apparat bis zum Neocortex. Auf jeder Ebene gibt es automatische und selbstregulierende Mechanismen, die eine vollständige Kontrolle durch ein übergeordnetes System verhindern. Die Subsysteme sind durch positive und negative Rückkopplungs-Regelmechanismen verbunden (zur Lateralisierung von Emotionen siehe Zusatzinfo 1 ; zu den Effekten chemischer Substanzen siehe Zusatzinfo 2 ). – Katzen zeigen selbst nach der Entfernung der gesamten Großhirnrinde (Decortication) noch charakteristische emotionale Reaktionen: Werden sie provoziert, kauern sie sich hin, machen einen Buckel, legen die Ohren an, strecken die Krallen heraus, knurren, fauchen, beißen und zeigen Anzeichen der ANS-Erregung wie Fellsträuben, Pupillenerweiterung usw. Allerdings ist das Verhalten der Tiere nicht normal: Ihr Wutverhalten (Scheinwut) erfolgt gleichsam ungezügelt und schon bei geringsten Anlässen – die regulierende Kontrolle durch den Cortex fehlt. Wird auch der Hypothalamus entfernt (oder der Thalamus, der emotionale Reize sowohl an den Hypothalamus als auch an die Großhirnrinde weiterleitet), unterbleiben die Emotionen ganz oder erfolgen bei sehr schmerzhaften Reizen nur auf unkoordinierte Weise. Walter Cannon und Philip Bard schlossen aus solchen Experimenten schon 1929, daß der Hypothalamus über seine absteigenden Nervenbahnen zum Körper hin emotionale Reaktionen auslöst und über aufsteigende Bahnen zum Cortex an den emotionalen Empfindungen beteiligt zu sein scheint. D.B. Lindsleys Aktivierungstheorie (1951), die das aufsteigende reticuläre aktivierende System als zentrales emotionales Substrat vorschlug, erweiterte diese Vorstellung; sie ist noch heute im Rahmen der Erforschung der Emotionen mittels Elektroencephalogramm von Bedeutung. Die Rolle des Hypothalamus im emotionalen Geschehen wurde ab den 1930er Jahren u.a. von James Olds, Stephen Ranson und Walter Hess auch durch elektrische Stimulationen über eingeführte Elektroden deutlich. So ließen sich z.B. ANS-Reaktionen (Blutdruck, Herzrate, Beweglichkeit des Verdauungstrakts usw.) und verschiedene Verhaltensmuster (Wut, Verteidigung usw.) auslösen. Wo Stimulationen Ärger erzeugen (im lateralen Bereich) führen Läsionen zur Ruhe. Die Reizung bestimmter Orte offenbarte gleichsam die Existenz von "Vergnügungsvierteln" im Gehirn. Hierzu gehören insbesondere der laterale Hypothalamus und das mediale Vorderhirnbündel, ein diffuses, weitverzweigtes Nervenfasergeflecht, das vom Hypothalamus ausgehend weite Gehirnbereiche miteinander verbindet, ferner bestimmte Regionen im Bulbus olfactorius, Hippocampus, entorhinalen Cortex, Gyrus cinguli, Putamen, Thalamus, Caudatum und in der Amygdala. Ratten, die über den Druck einer Taste Gelegenheit hatten, diese "pure Lust" erzeugenden Regionen elektrisch zu stimulieren, praktizierten diese Selbstreizung bis zur Erschöpfung. Sie verzichteten auf Nahrung, ließen ihre Jungen und Sexualpartner im Stich und drückten unermüdlich die Taste, oft viele hundert Mal pro Stunde in Folge. Diese Hirnregionen sind nicht unbedingt der "Sitz der Lust", wie zunächst angenommen wurde, sondern eher Verbindungsorte, die die Lust anderswo auslösen. Aber es gibt auch Hirnregionen, die die Tiere nur ein einziges Mal reizten, weil sie offenbar starke Aversionen auslösten. Auch beim Menschen können elektrische Stimulationen Gefühle hervorrufen, z.B. erzeugen Reizungen des anterioren und medialen Schläfenlappens Angst und Trauer. Allerdings wurden diese Gefühle als "nicht echt" empfunden. – 1937 erweiterte James Papez die Hypothese vom Hypothalamus als Emotionszentrum und versuchte die Entstehung des subjektiven Erlebens der Emotionen durch einen Kreis anatomischer Verbindungen zu erklären. Danach aktiviert ein emotionaler Reiz über mehrere Zwischenstufen den Thalamus. Dieser aktiviert einerseits den Hypothalamus ("Gefühlsstrom"), der körperliche emotionale Reaktionen auslöst, und andererseits den sensorischen Cortex ("Denkstrom"), der über den Gyrus cinguli (ein Teil des stammesgeschichtlich alten medialen Cortex) emotionale Empfindungen generiert. Er projiziert außerdem zum Hippocampus, dieser zum Hypothalamus, dieser zum anterioren Thalamus, und dieser zurück zum Gyrus cinguli (Papez-Kreis). Dem Gyrus cinguli wurde schon damals eine zentrale Rolle zugeschrieben, weil seine Schädigung Apathie, Benommenheit, Delirium, Depression, Verlust der emotionalen Spontaneität, Desorientiertheit in Zeit und Raum sowie gelegentlich Koma zur Folge hatte. Nach heutiger Kenntnis spielt dieses neuronale Netzwerk allerdings für Emotionen eine untergeordnete Rolle; es ist jedoch eine wichtige Grundlage für das explizite Gedächtnis. – In zwei in der Geschichte der Neurowissenschaft bedeutenden Veröffentlichungen in den Jahren 1949 und 1952 erweiterte Paul MacLean Papez´ Hypothese unter Berücksichtigung der inzwischen bekannten Befunde, daß Läsionen des Schläfenlappens bestimmte Emotionen wie Zorn und Furcht verschwinden lassen (Klüver-Bucy-Syndrom). Er nahm an, daß für die Entstehung emotionaler Empfindungen evolutionär alte Teile des medialen Cortex entscheidend waren, das sogenannte Rhinencephalon, das mit dem Hypothalamus in Verbindung steht. MacLean taufte es in viscerales Gehirn um und faßte es später mit anderen Hirnstrukturen (denen des Papez-Kreises sowie Amygdala, Septum, Mamillarkörper, präfrontaler Cortex) unter den Begriff des limbischen Systems. Dieses betrachtete er als die stammesgeschichtlich ursprüngliche Hirnregion, die für die Sicherung des Überlebens und der damit verbundenen affektiven Verhaltensweisen (Nahrungserwerb, Fortpflanzungstrieb, Flucht und Kampf) zuständig sei. Gefühle beruhen MacLean zufolge auf der Verknüpfung von Sinnesempfindungen, die aus der Umwelt kommen, mit visceralen Empfindungen aus dem Körperinneren, und diese Integration erfolgt im limbischen System, dessen Zentrum er im Hippocampus sah. Die dort nebeneinander angeordneten Pyramidenzellen bezeichnete MacLean auch als "emotionale Klaviatur". 1970 hat er diese große Synthese sogar noch erweitert. Nach seiner Spekulation vom dreieinigen Gehirn hat sich das Vorderhirn in drei Stufen entwickelt: vom Reptilienhirn (das auch Fische, Amphibien und Vögel besitzen) über das Gehirn der Paläosäuger, das zusätzlich das limbische System "aufgesattelt" bekam, zum Gehirn der Neosäuger (Primaten und andere höhere Säuger) mit dem Neocortex. Neuroanatomisch läßt sich diese Vorstellung nicht halten, und auch vom Konzept des limbischen Systems ist man mangels unabhängiger Definitionskriterien sowie seiner Unschärfe und Mißverständlichkeit inzwischen ebenfalls abgerückt. Auch spielt der Hippocampus nur eine Nebenrolle im emotionalen Geschehen, und dieses beruht nicht auf einem einheitlichen neuronalen System. MacLeans Verdienst war jedoch, das emotionale Gehirn aus einer evolutionären Perspektive zu betrachten, seine eigenständige Funktion neben den bewußten kognitiven Prozessen (er sprach vom "Wortgehirn") deutlich hervorzuheben sowie die Erkenntnis, daß viele psychiatrische Probleme (z.B. psychosomatische Störungen) auf Beeinträchtigungen des emotionalen Systems beruhen und einer kognitiven Verarbeitung nur schwer zugänglich sind. – Ein entscheidender Fortschritt beim Verständnis der neuronalen Grundlagen von Emotionen erbrachte das Studium von Läsionen im ventromedialen Frontallappen. Sie führen zu Gefühlsarmut und Beeinträchtigungen des Soziallebens, nicht aber zu Einbußen der kognitiven Fähigkeiten (z.B. Intelligenz, Wortschatz, Rechnen, räumliches Vorstellungsvermögen). Die Betroffenen verändern sich jedoch stark in ihrer Persönlichkeit; sie fallen z.B. durch störrisches Verhalten, Stehlen, Wutausbrüche und einen Mangel an Schuldbewußtsein oder Mitgefühl auf (Frontallappensyndrom). Außerdem haben sie erhebliche Schwierigkeiten, in komplexen Situationen Entscheidungen zu treffen. Der Grund ist, daß sie die Probleme nur verstandesmäßig angehen, was aufgrund der meist knappen Zeit und der faktischen Unberechenbarkeit der Situation nicht zu befriedigenden Resultaten führt. In Experimenten mit Spielkarten (z.B. Wahl zwischen zwei Stapeln mit unterschiedlichen Gewinnen und Verlusten) lernen gesunde Versuchspersonen schnell, auf Intuition und die Gefühle "im Bauch" zu horchen und verhalten sich alsbald richtig – und zwar häufig sogar, bevor ihnen bewußt wird, welche Entscheidung die bessere ist. Den Hirngeschädigten gelingt dies nicht, und oft handeln sie sogar wider besseres Wissen. Es zeigt sich, daß ihnen die sekundären, d.h. erlernten Emotionen fehlen. Emotionale Reize, die nicht angeborenermaßen sondern erst zusammen mit dem Hintergrundwissen Gefühle auslösen (z.B. Bestürzung oder Trauer beim Ansehen von KZ-Fotos), bleiben wirkungslos. Die Patienten wundern sich allenfalls, warum sie gegenüber früher bei der Betrachtung solcher Bilder so gleichgültig sind. Auch ändert sich ihr elektrischer Hautwiderstand (elektrodermale Aktivität) nicht, was bei emotionalen Erregungen normalerweise der Fall ist. Antonio R. Damasio zufolge entstehen sekundäre Emotionen über "somatische Marker": physiologische Körperzustände (insbesondere Blutdruck, Herzschlag, Aktivität der Eingeweide usw.), die im Gehirn repräsentiert werden und eine Art Bewertung bestimmter Vorgänge markieren ( siehe Abb. ). Diese oft unbewußten Signale werden vom emotionalen Gedächtnis miterzeugt und beeinflussen wesentlich die Entscheidungsfindung in komplexen Situationen, d.h. insbesondere in sozialen Bereichen, sofern sie nicht völlig unvertraut sind. Einmal etabliert, kann die Überlagerung von kognitiven Inhalten und somatischen Markern auch ohne die körperlichen Vorgänge erfolgen. Im Stirnhirn werden dann Vorstellungen kontrafaktischer Situationen generiert, "Als-ob-Schleifen", die die Körperrepräsentation im Gehirn beeinflussen, gleichsam in Form einer Simulation der körperlichen Rückmeldung. Dies erlaubt eine emotionale Bewertung auch fiktiver Situationen, was für weitreichende Planungen von großer Hilfe ist. Diese Hypothese wird durch Positronenemissionstomographie-Aufnahmen gestützt, die zeigen, daß der frontale Cortex umso aktiver ist, je unkontrollierbarer eine Aufgabe ist, d.h. je mehr eine Entscheidung von intuitiven Einschätzungen abhängt. Eine "reine Vernunft" nach Kant ohne Emotionen führt also keinesfalls zu besseren Entscheidungen sondern im Fall von ventromedialen Defiziten sogar zu Psycho- und Soziopathie. Kinder mit präfrontalen Schädigungen haben ethische Entwicklungsstörungen und zeigen lebenslang Beeinträchtigungen bei moralischen Entscheidungen und sozialem Denken. – Joseph LeDoux zufolge setzen sich bewußte emotionale Erlebnisse aus verschiedenen Bestandteilen zusammen: 1) Ein spezialisiertes Emotionssystem, das sensorische Inputs erhält und behaviorale, autonome und hormonale Reaktionen hervorbringt; 2) Corticale sensorische Puffer, die Informationen über die aktuell gegebenen Reize festhalten (Kurzzeitgedächtnis); 3) Das Arbeitsgedächtnis, in dem der Inhalt der Kurzzeitgedächtnisse repräsentiert und aktualisiert wird; 4) Corticale Erregung; 5) Körperliche Rückmeldung von visceralen und somatischen Informationen ans Gehirn. Bei der Entstehung von Angst und Furcht sind die neuronalen Grundlagen dieses allgemeinen Schemas schon recht gut entschlüsselt (Angst). Eine zentrale Rolle hat die Amygdala. Sie wird vom sensorischen Thalamus und sensorischen Großhirnrindenfeldern aktiviert und projiziert sowohl zu den corticalen sensorischen Bereichen zurück, von denen sie Inputs erhält, als auch zu anderen sensorischen Rindenfeldern. Außerdem projiziert sie zu unspezifischen Erregungssystemen (Acetylcholin-Transmittersystem), die das allgemeine Aktivierungsniveau des Cortex erhöhen, und von diesen zu verschiedenen Bereichen des Vorderhirns (Frontallappen und subcorticale Regionen). So kann sie in gefahrvollen Situationen auf Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Gedächtnis Einfluß nehmen. Hinzu kommen die Rückmeldungen des körperlichen Ausdrucks der Emotionen zur Amygdala und zu den corticalen Bereichen, wobei diese visceralen und muskulären Reaktionen selbst von der Amygdala beeinflußt werden. Demzufolge gibt es keine körperlosen Emotionen, wie William James schon vermutet hat (zumindest eine Als-ob-Schleife muß aktiviert sein, die auf frühere Körperreaktionen referiert). James war es auch, der bereits 1890 vermutet hatte: "Ein Erlebnis kann unsere Gefühle so aufwühlen, daß es fast eine Narbe im cerebralen Gewebe hinterläßt." Bei Angststörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen beginnt man inzwischen zu verstehen, wie sich solche neuronalen "Narben" bilden und auswirken können. Insofern eröffnet die Erforschung der Emotionen auch Grund zur Hoffnung, schwere psychische Leiden eines Tages besser behandeln zu können. Doch ein genaueres Verständnis der Emotionen und Gefühle ist auch ein Beitrag zur Anthropologie im Sinn des antiken Mottos "Erkenne dich selbst", denn sie sind, wie Joseph LeDoux es formuliert hat, "die Fäden, die das mentale Geschehen zusammenhalten. Sie legen fest, wer wir sind – in unseren eigenen Augen und in den Augen anderer."
Lit.:Aggleton, J. (Hrsg.): The Amygdala. New York 1992. Averill, J.R., Nunley, E.P.: Die Entdeckung der Gefühle. Hamburg 1993. Birbaumer, N., Öhman, A. (Hrsg.): The Structure of Emotion. Seattle 1993. Calhoun, C., Solomon, R. (Hrsg.): What is an Emotion? New York 1984. Ciompi, L.: Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Göttingen 1997. Cognition & Emotion 13, Nr. 5 (1999). Damasio, A.R.: Descartes' Irrtum. München 1998. Damasio, A.R.: The Feeling of What Happens. New York 1999. Davidson, R.J., Sutton, S.K.: Current Opinion in Neurobiology 5, 217-224 (1995). de Sousa, R.: The rationality of emotions. Cambridge 1997. Ermisch, A.: Gehirne und Gefühle. Leipzig 1985. Fink-Eitel, H., Lohmann, G.: Zur Philosophie der Gefühle. Frankfurt am Main 1993. Friedlmeier, W., Holodynski, M. (Hrsg.): Emotionale Entwicklung. Heidelberg, Berlin 1999. Goleman, D.: EQ – Emotionale Intelligenz. München, Wien 1996. Goller, H.: Emotionspsychologie und Leib-Seele-Problem. Stuttgart 1992. Hjort, M., Laver, S. (Hrsg.): Emotions and the Arts. Oxford 1997. Izard, C.E.: The psychology of emotions. New York 1991. Izard, C.E., Kagan, J., Zajonc, R.B. (Hrsg.): Emotions, Cognition and Behavior. New York 1984. LeDoux, J.E.: Das Netz der Gefühle. München, Wien 1998. Lewis, M., Haviland, J.M. (Hrsg.): Handbook of the emotions. New York 1992. Lyons, W.: Emotion. London 1980. Machleidt, W., Gutjahr, L., Mügge, A.: Grundgefühle. Berlin, Heidelberg 1989. Pert, C.B.: Molecules of Emotion. New York 1997. Plutchik, R.: Emotion. New York 1980. Pöppel, E.: Lust und Schmerz. München 1995. Power, M., Dalgleish, T.: Cognition and Emotion. Hove 1997. Rolls, E.T.: The brain and emotion. Oxford 1999. Rorty, A.O.(Hrsg.): Explaining Emotions. Berkeley 1980. Rost, W.: Emotionen. Berlin, New York. Scherer, K.R. (Hrsg.): Psychologie der Emotionen. Göttingen, Toronto, Zürich 1990. Schmidt-Atzert, L: Die Entstehung von Gefühlen. Berlin 1993. Vaas, R.: Masse, Macht und der Verlust der Einheit. In Krüger, M. (Hrsg.): Einladung zur Verwandlung. München, Wien 1995, S. 219-260.
Emotionen
Tab. 1:Komponenten und Funktionen von Emotionen und die dafür notwendigen organismischen Subsysteme
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Kognition | Zentralnervensystem | interne und externe Reizbewertung | Informationsverarbeitungssystem | |
Neurophysiologie | neuroendokrines System, autonomes Nervensystem | Systemregulation | Versorgungssystem | |
Motivation | Zentralnervensystem | Handlungsvorbereitung | Steuerungssystem | |
Ausdruck | animales Nervensystem, quergestreifte Muskulatur | Kommunikation von Reaktion und Intention | Aktionssystem | |
Gefühl | Zentralnervensystem | Reflexion und Kontrolle | Monitorsystem |
Emotionen
Tab. 2:Ontogenese der Emotionen: erstes Auftreten ihres Ausdrucks beim Menschen
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Lächeln Lachen, Freude Schreck Interesse Überraschung Unlust, Unmut Ekel, Abscheu Ärger, Wut Kummer, Trauer Furcht Schüchternheit Schuldgefühl Verachtung | <2-3 4-5 0 0-2 1-5 0 0-5 3-6 6-30 5-9 12-18 12-15 15-18 |
Emotionen
Tab. 3:kognitive, emotionale und soziale Entwicklung des Menschen; Altersangaben in Monaten
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0-1 Phase der Reflexe minimale Generalisierung/Akkommodation angeborener Verhaltensweisen | 0-1 absolute Reizabweisung angeborener Schutzmechanismus | 0-3 Anfangsregulation Schlafen, Essen, Beruhigung, Erregung; Einsetzen selektiver Responsivität gegenüber Pflegepersonen | |
1-4 primäre Kreisreaktion erste erworbene Adaptationen (körperbezogen); Antizipation auf Grundlage visueller Reize; Beginn der Koordination von Schemata | 1-3 Zuwendung Orientierung zur Umwelt; hohe Anfälligkeit für Reizungen; soziales Lächeln | ||
4-8 sekundäre Kreisreaktion Verhalten zur Außenwelt orientiert (sensomotorische Kategorien und Wiedererkennung); Beginn zielgerichteten Handelns (Versuche, interessante Reize zu verfolgen) | 3-6 positiver Affekt inhaltsbestimmte emotionale Reaktionen (lustbetonte Assimilation, Fehlschlagen von Versuchen zur Assimilation, Enttäuschung, Frustration); Lust als Erregungsfaktor (Lachen, soziale Responsivität); aktive Reizabwehr (Kontrolle der Affektreagibilität) | 4-6 reziproker Austausch Mutter und Kind koordinieren Füttern und Pflegeverhalten; emotional getöntes Spielverhalten | |
7-9 aktive Teilnahme Freude über eigene Urheberschaft (Kompetenz, Initiierung sozialer Spiele); Fehlschlagen von Verhaltensabsichten (Erfahrung der Unterbrechung von Handlungsentwürfen); Differenzierung der emotionalen Reaktionen (anfängliches Zögern, positive und negative soziale Reaktionen und Kategorien) | 7-9 Initiative frühes zielgerichtetes Verhalten (Initiierung sozialer Interaktionen, bevorzugte Tätigkeiten); Erfolgs- und Mißerfolgserlebnisse bei zielgerichtetem Verhalten | ||
8-12 Koordination sekundärer Schemata und Anwendung auf neue Situationen Objektorientierung (Interesse an Eigenschaften und Beziehungen von Objekten, Suche nach verborgenen Objekten); echte Intentionalität (differenzierte Mittel-Ziel-Relation, Werkzeuggebrauch); Nachahmung neuer Verhaltensweisen; beginnende Einsicht in Kausalbeziehungen (Wahrnehmung anderer als Verursacher, Voraussehen von Folgen) | 9-12 Bindung emotional getönte Schemata (spezifische affektive Bindungen, kategoriale Reaktionen); Integration und Koordination emotionaler Reaktionen (kontextbestimmte Verhaltensweise einschließlich Bewertung und erster Bewältigungsversuche) | 10-13 Fokussierung Testen der Verfügbarkeit und der Responsivität der Mutter (Forderungen); Exploration von sicherer Basis aus; Reziprozität abhängig von Kontextinformationen | |
12-18 tertiäre Kreisreaktion Suche nach Neuheit (aktives Experimentieren); Problemlösung durch Versuch und Irrtum (Erfindung neuer Mittel); erstes Verständnis physischer Kausalität unabhängig von eigenen Aktionen | 12-18 Üben Mutter als sichere Basis für Exploration; Freude über Kompetenz; Affekte als Teil des Kontextes (Stimmungen, verzögerte Gefühle); Kontrolle des emotionalen Ausdrucks | 12-20 Selbstbehauptung Weiterreichende Initiative; Erreichen von Erfolg und Befriedigung unabhängig von der Mutter | |
18-24 Erfindung neuer Mittel durch mentale Kombination symbolische Repräsentation (Sprache, verzögerte Nachahmung, symbolisches Spiel); Problemlösen durch neuartige Kombination von Schemata | 18-36 Entstehen des Selbstkonzepts Wahrnehmung des Selbst als selbständigem Akteur (aktive Bewältigung, positive Selbstbewertung, Scham); Gefühl der Eigenständigkeit (Zuneigung, Ambivalenz, Willenskonflikt, Trotz) |
Emotionen
Tab. 4:primäre Emotionssysteme bei Säugetieren
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Annäherung (E behavioural activation system) | konditionierte Reize für Bestrafung, Belohnung und Bestrafungsentzug | Annäherungslernen, aktive Vermeidung; zielgerichtete, konditionierte Flucht; Beuteaggression | |
Verhaltenshemmung (E behavioural inhibition system) | konditionierte Reize für Bestrafung und konditionierte Nicht-Belohung; Erregung auch durch neue Reize und angeborene Furchtreize | passive Vermeidung, Löschung | |
Kampf-Flucht-System | unkonditionierte Bestrafung und unkonditionierte Nicht-Belohnung | unkonditionierte Flucht, defensive Aggression |
Emotionen
Tab. 5:EEG-Merkmale zur Klassifikation von Grundgefühlen
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intentionale Gefühle, Hunger, Bedürfnis, Wunsch, Antrieb, Drang, Gier, Neugier | groß/hoch | |
Freude, Wonne, Behagen, Genuß, Manie | groß/hoch und klein/niedrig | |
Furcht, Angst, Vorsicht, Besorgnis, Scheu, Scham, Panik | klein/hoch und groß/niedrig | |
Aggression, Schmerz, Ärger, Wut | groß/niedrig | |
Trauer, Mutlosigkeit, Trostlosigkeit | klein/niedrig |
Emotionen
Tab. 6:emotionaler Ausdruck – Mimik für Grundgefühle
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Überraschung | Heben der Augenbrauen und der oberen Augenlider, Senken des Unterkiefers | |
Ärger/Wut/Zorn | Zusammenziehen der Augenbrauen, Zusammenpressen der Lippen, Spannung der Lider | |
Abscheu/Ekel | Rümpfen der Nase, Herunterziehen der Unterlippe | |
Freude/Glück | Heben der Mundwinkel | |
Furcht/Angst | Heben der Oberlippe, Spannung der Lider, Mundwinkel zur Seite gezogen | |
Trauer | Senken der Mundwinkel, Heben des inneren Teils der Augenbrauen, Herunterziehen der Unterlippe |
Emotionen
Tab. 7:Grundgefühle, abgeleitete Gefühle und emotionale Störungen
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Furcht | Verlegenheit, Sorge | Panik, Phobie, Zwangsstörung, posttraumatische Belastungsstörung | |
Traurigkeit | Gram, Kummer | pathologischer Kummer, Depression | |
Ärger, Zorn | Neid, Eifersucht, Verachtung | pathologischer Zorn, morbide Eifersucht | |
Freude | Lust, Liebe, Nostalgie | Manie | |
Ekel | Schuld, Scham | Phobie, Zwangsstörung, Eßstörungen |
Emotionen
Emotionen
Tab. 8:Übersicht über die verschiedenen Deutungen der Entstehung von Gefühlen (vgl. Text)
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Behaviorismus | Reiz → Reaktion | |
sprachanalytischer Behaviorismus | Reiz → Emotion → kontextabhängige Dispositionen zu Reaktionen | |
Überlegung von James | Reiz → Reaktion → Gefühl | |
James-Lange-Theorie | Reiz → Reaktion → Rückmeldung → Gefühl | |
Cannon-Theorie | Reiz 1) → Gehirn → Gefühl 2) → autonomes Nervensystem | |
Schachter-Singer-Theorie | Reiz → Erregung → Kognition → Gefühl | |
Arnold-Theorie | Reiz → Bewertung → Handlungstendenz → Introspektion → Gefühl | |
kognitive Bewertungstheorie | Reiz → Bewertung → Gefühl | |
Zajonc-Theorie | Reiz → unbewußter Affekt → Gefühl | |
sozialer Konstruktivismus | Reiz/Reaktion → soziale Interpretation → Gefühl | |
somatic marker-Theorie | Reiz → Gehirn → viscerale/somatische Reaktionen → Gehirn → Gefühl |
Emotionen
1 emotionale Asymmetrien:
Es gibt Hinweise für eine gewisse Lateralisierung der Emotionen, doch hat sich die Hypothese, daß die linke Gehirnhälfte vor allem positive und die rechte Hemisphäre negative Emotionen erzeugt, als zu simplifizierend erwiesen (Asymmetrie des Gehirns). Das Studium von einseitigen Schädigungen sowie Aktivitätsmessungen bei gesunden Versuchspersonen (insbesondere mit EEG und PET) geben noch kein völlig eindeutiges Bild des emotionalen Geschehens, zeigen aber bestimmte Tendenzen. So kommen z.B. nach linkshemisphärischen Schädigungen (insbesondere in der Nähe des frontalen Pols) schwere depressive Reaktionen (Weinen, Verzweiflung, Wut) häufiger vor als bei Läsionen auf der rechten Seite, die eher Indifferenz oder mitunter sogar Euphorie zur Folge haben. Linkshemisphärische Schädigungen führen auch öfter zu pathologischem Weinen als rechtshemisphärische, umgekehrt verhält es sich beim pathologischen Lachen.
Die rechte (hintere) Hemisphäre ist schneller und besser in der Verarbeitung emotionaler Perzeptionen, insbesondere von emotionalen Wörtern und Gesichtsausdrücken. Läsionen rechts gehen daher mit mehr Schwierigkeiten einher, sich an emotional gefärbte Geschichten zu erinnern im Vergleich zu gefühlsneutralen Berichten.
Es gibt Hinweise darauf, daß der linke vordere Cortex und damit verschaltete subcorticale Regionen verstärkt für Annäherungen (Absicht, Planen, Wille) zuständig sind, während die rechte Seite vorwiegend Rückzugsprozesse initiiert. Dazu paßt, daß verminderte neuronale Aktivitäten links vorne mit Trauer und Depression, erhöhte rechts mit Furcht, Ekel und Angststörungen in Zusammenhang stehen. Diese Asymmetrie könnte mit einer ungleichmäßigen Verteilung von Benzodiazepinrezeptoren im Stirnhirn zusammenhängen.
Gefühle werden intensiver auf der linken Gesichtsseite ausgedrückt (die von der rechten Hemisphäre kontrolliert wird), und Läsionen rechts führen zu einer stärkeren Verminderung emotionaler Mimik als links. Künstler haben diese Asymmetrie überzufällig häufig begriffen (zumindest unbewußt) und emotionale Szenen oft in die linke Bildhälfte verlegt und bei Porträts häufig die linke Gesichtshälfte dargestellt. Experimente mit halbseitigen Porträts, die durch Spiegelung und Montage zu "Links-" bzw. "Rechtsgesichtern" zusammengestellt werden können, zeigten auch, daß die rechte Gesichtshälfte "typischer" (und leichter erinnerbar), die linke dagegen dynamischer und emotionaler ist.
Werden Menschen mit durchtrenntem Balken(split-brain) emotional aufgeladene Reize so präsentiert, daß sie nur in die rechte Hirnhälfte gelangen, konnte die normalerweise allein zur Sprache befähigte linke Hemisphäre nicht sagen, worum es sich handelte, war aber dennoch in der Lage, emotionale Urteile zu treffen (obwohl sie nicht wußte, worüber sie urteilte). Wurde ins Gesichtsfeld der rechten Hemisphäre z.B. das Wort "Mama" eingeblendet, bewertete die linke Hemisphäre den emotionalen Zustand, von dem sie offenbar über subcorticale Verbindungen unbewußt Kenntnis genommen hatte, als "gut", ein Wort wie "Teufel" dagegen als "schlecht".
Emotionen
2 Chemie der Psyche:
Es gibt zahlreiche chemische Substanzen, die Emotionen beeinflussen oder erzeugen (z.B. Dopamin, Noradrenalin, Serotonin, Oxytocin, Neuromodulator-Peptide und körpereigene Opiate). Ihre Wirkung erklärt allerdings noch nicht, wie und warum wir fühlen. Zu wissen, daß ein Stoff ein Gefühl verursacht, heißt noch nicht zu wissen, wie er es verursacht – man muß auch das System, die Schaltkreise, die Rezeptoren, die Nervenzellen und das Gefühl selbst kennen. Cocain und Amphetamine z.B. verstärken die Wirkung von Dopamin, Noradrenalin und Serotonin im Gehirn und vermitteln so Gefühle von Freude, Glück und großer Energie. Sie steigern auch Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit, führen aber später zu Angst, Schlafstörungen, Reizbarkeit und häufig lang anhaltenden Psychosen. Auch andere Drogen beeinflussen die "Chemie der Psyche", wodurch ihre Suchtwirkung erklärt werden kann. Zu den "Belohnungszentren" im Gehirn zählt neben der Amygdala der mit ihr eng vernetzte äußere Bereich (Schale) des Nucleus accumbens, wo Dopamin ausgeschüttet wird. Hier befinden sich auch molekulare Bindungsstellen für Drogen wie Haschisch, Cocain, Morphine, Amphetamine, Nicotin und Alkohol. Sie erhöhen die Dopamin-Ausschüttung, was eine Assoziation zwischen den als lustvoll erlebten Wirkungen der Droge und anderen Reizen auslöst (etwa dem Geschmack des Tabaks und dem Geruch von Zigarettenrauch).
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