Lexikon der Neurowissenschaft: Rhinencephalon
Rhinencephalons [von griech. rhis, Gen. rhinos = Nase, egkephalos = Gehirn], Riechhirn,Erhinencephalon,smell-brain, diejenigen Teile des Telencephalons und Diencephalons der Wirbeltiere, die primäre und sekundäre olfaktorische Projektionen erhalten. Das Rhinencephalon beinhaltet die paarigen Bulbi olfactorii (Riechkolben), die die primären, im Olfactorius verlaufenden Axone aus der Riechschleimhaut empfangen. In ihnen werden die olfaktorischen Impulse auf zweite Neurone umgeschaltet, deren Axone als sog. sekundärolfaktorische Projektionen im olfaktorischen Trakt (Riechbahn) zu verschiedenen Regionen des Tel- und Diencephalons ziehen. Die Zielorte der sekundärolfaktorischen Projektionen werden ebenfalls zum Riechhirn gezählt. Bei mikrosmatischen Wirbeltieren (z.B. dem Menschen) sind diese Zielgebiete relativ klein und wenige. Sie liegen an der Basis des Frontallappens (Tuberculum olfactorium) und an der vorderen Innenseite des Schläfenlappens (sog. praepiriformer Cortex an der oralen Spitze des Gyrus parahippocampalis, die vordersten Abschnitte des entorhinalen Cortex im Gyrus parahippocampalis und der corticomediale Teil der Amygdala). Insgesamt sind diese Areale beim Menschen nur quadratzentimetergroß. Man nahm ursprünglich an, daß beim Menschen die sekundärolfaktorischen Projektionen wie bei manchen makrosmatischen Säugetieren wesentlich ausgedehnter seien und bis in den Hippocampus, den gesamten Gyrus parahippocampalis (daher der Terminus "entorhinale Rinde" für dessen Cortexformation), in die Area subcallosa des Gyrus paraterminalis, sogar bis in den Gyrus cinguli ziehen. Deshalb wurden die Begriffe des Rhinencephalons und des limbischen Systems, zu dem all die genannten Strukturen gehören, noch bis vor wenigen Jahrzehnten fast gleichgesetzt, was heute jedoch nicht mehr berechtigt ist ( siehe Zusatzinfo ). olfaktorischer Cortex.
Rhinencephalon
Bis in die 1960er Jahre nahm man an, daß bei allen Wirbeltieren außerhalb der Säugetiere und der Vögel das Telencephalon insgesamt in allen seinen Arealen von sekundärolfaktorischen Projektionen bedeckt sei, mithin also ursprünglich ein rein olfaktorisches Hirnzentrum gewesen sei. Diese stammesgeschichtliche Auffassung wird als die Rhinencephalon-(Riechhirn-)Hypothese bezeichnet; sie trifft jedoch nicht zu. Zwar sind bei vielen (makrosmatischen) Wirbeltieren die sekundärolfaktorischen Projektionen wesentlich ausgeprägter und weitreichender als beim Menschen (sie erreichen dann das mediale und laterale Pallium und das Subpallium des Telencephalons, bei einigen Arten sogar den vorderen Hypothalamus des Diencephalons), jedoch gibt es bei allen Wirbeltieren im Telencephalon nennenswerte oder sogar sehr große Areale (z.B. bei Knorpelfischen), die von sekundärolfaktorischen Projektionen freibleiben und statt dessen andere, aufsteigende Projektionen aus dem Di- und Mesencephalon erhalten. Das Telencephalon der Wirbeltiere war also wohl nie ein reines "Riechhirn".
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.