Metzler Lexikon Philosophie: Akt
Unter einem A. versteht man zunächst eine (nicht weiter spezifizierte) Tätigkeit. Eine vollziehende Tätigkeit schließt die Möglichkeit und Fähigkeit zur Ausführung derselben ein. Ein Aktvollzug kann mithin als eine Einheit bezeichnet werden aus dem A. selbst und der ihm (als Bestandteil) inhärierenden Potenz zu dessen Aktualisierung. – Die klassische Distinktion von A. (energeia, actus) und Potenz (dynamis, potentia) stützt sich auf sachliche und begriffliche Gründe. Sachlich scheint diese Differenz motiviert dadurch, dass eine Potenz rein für sich existent statuiert werden kann, unabhängig vom A., oder, wenn sie mit bzw. im A. statthat, als diesen in seinem Bestand (ontisch) ermöglichend bzw. fundierend ausgewiesen scheint. Die begriffliche (logische) Differenz von A. und Potenz scheint somit sachlich fundiert. Man kann jedoch Zweifel hegen daran, ob die Differenz gerechtfertigt ist; denn wenn ein A. seine Möglichkeit einschließt, liegt wohl ein logisch wechselseitiges, nicht notwendigerweise aber ein sachlich (ontisch) reziprokes Verhältnis der Termini vor. Eine Potenz für sich kann nicht eigentlich bestehen, sie ist (nach Aristoteles) anzusiedeln zwischen Sein und Nichtsein und sie entzieht sich direkter Wahrnehmung; sie ist spezifisch auf denjenigen A. verwiesen, in dem sie erst zur Realisierung kommt. Das Problem kann somit reduziert werden auf die Unterscheidung von möglichem und wirklichem A. Ein bloß möglicher A. ist aber eigentlich gar kein A. und kann als nichtrelevant erachtet werden. Ein verwirklichter A. ist jedoch konstatierbar, auch ohne besonderen Ausweis der ihm zugeschriebenen inhärenten Möglichkeit oder Fähigkeit. Immer wenn ein A. stattfindet, ist seine implizite Möglichkeit mit ihm präsent und kommt nur in ihm, in einseitiger Abhängigkeit von ihm zur Erfüllung; sie kann mithin nicht real, sondern nur durch begriffliche Distinktion als von ihm getrennt erachtet werden. Zudem hat die Potenz in ihrem Aufgehen im A. sozusagen ihren »Dienst« erfüllt und ist zu ihrem »Ende« gekommen; eine »unvollkommene Wirklichkeit« wurde in »wirkliche Wirklichkeit« transformiert, wurde »aufgehoben« im Sinne Hegels. In der Linie dieser Argumentation wird die transzendentalphilosophische Begründungsfrage (im Sinne Kants), die Frage nach der Potenz als Ermöglichungsgrund des ihr folgenden A.s, von manchen als redundant bzw. als obsolet betrachtet. Andererseits tritt auch das scholastische scholion vom actus purus (Gott), d.i. der unabhängig von aller bloßen Potenz voll aktualisierte zeitlos-ewige Zustand, in den Hintergrund.
Unter A. in psychologischer Hinsicht versteht man die psychischen »Erscheinungen«, »Phänomene« oder »Funktionen« (F. Brentano, C. Stumpf, E. Husserl), in denen Psychisches zum Ausdruck kommt bzw. sich offenkundig präsentiert, weil es sich unmittelbar evident einem jeden in seiner inneren Erfahrung zeigt als das, was es ist. Deshalb werden psychische A.e (»Aktpsychologie«) in der philosophischen Psychologie und Phänomenologie auch als »Tatsachen in der Wahrnehmung« (Th. Fechner) bezeichnet. Sie können bemerkt, methodisch beschrieben und klassifiziert werden analog naturwissenschaftlichen Fakten, doch sind »psychische Phänomene« ihrer Natur und ihrem Gegenstandsbereich nach von »physischen« zu unterscheiden. Als Charakteristika psychischer A.e gelten ihre intentionale Beziehung auf einen (mentalen) Inhalt und auf ein (immanentes) Objekt, ihre exklusive Wahrnehmbarkeit in sog. innerer Wahrnehmung, ihre Selbstreferenz, ihre Evidenz und ihre Wirklichkeit. Physischen Phänomenen fehlen diese Eigenschaften; deshalb kann über sie nicht die gleiche Wissenssicherheit bestehen. – Zu seinen psychischen A.en hat jeder privilegierten direkten Zugang, zu den der anderen, zu Anderem überhaupt, nur indirekt. Der Vorwurf des Psychologismus als Subjektivismus an die Adresse einer so verstandenen Aktpsychologie lag nahe und wurde (u.a. von Husserl) auch erhoben. Verfeinerte Untersuchungen über die bipolare Struktur der Intentionalität als actio immanens und actio transcendens (nach Thomas v. Aquin) und ihre Leistung für Intersubjektivität und Sprache haben diesen Vorwurf entkräftet. actus/potentia, Dynamis, Energeia.
Literatur:
- Aristoteles: Metaphysik IX, 8, 1049 b u. XII, 6, 1072 a
- F. Brentano: Psychologie vom empirischen Standpunkt I. (1874). Hamburg 31973
- Ders.: Deskriptive Psychologie. Hamburg 1982
- E. Husserl: Logische Untersuchungen (Hua XVIII). Den Haag 1975
- J. R. Searle: Intentionality. Cambridge 1983
- C. Stumpf: Erscheinungen und psychische Funktionen. In: Abh. der preußischen Akademie der Wissenschaften 1906 (1907). S. 3–39
- Thomas. v. Aquin: S. Th. I,18,3 ad 1.
WB
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