Metzler Lexikon Philosophie: Ereignis
raumzeitlich bestimmter Vorgang, der in Kausalrelationen zu anderen E.sen steht. (1) In der Physik ein Raum-Zeit-Punkt im Minkowski-Raum; in der Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung Bezeichnung für eine Teilmenge aller möglichen Ausfälle eines Zufallsexperiments. (2) In der analytischen Handlungstheorie und Philosophie des Geistes wird E. im Zusammenhang mit der Dichotomie von physikalischen und mentalen E.sen diskutiert (Leib-Seele-Problem). Das Unterscheidungskriterium liegt auf der semantischen Ebene: Physikalische E.se sind physikalisch beschreibbar, mentale E.se werden als intentional beschriebene Akte im Sinne Brentanos aufgefasst und stehen in der mittelalterlichen Tradition der Intentio als Geistesakt (Ockham). Auf ontologischer Ebene argumentieren die meisten Autoren der analytischen Philosophie für einen Physikalismus, demzufolge alle E.se physikalisch sind (Monismus). E.se werden abgegrenzt von materiellen Gegenständen und Personen. Als spezifische Identitätsbedingungen für E.se werden genannt: kausale Ereignisindividuation, d.h. Identität von E.sen mit identischen Ursachen und Wirkungen (Davidson); raumzeitliche Ereignisindividuation (Quine, Stoecker, später: Davidson); E. als Sachverhalte (Chisholm); E. als Eigenschaftsexemplifikationen (Kim). (3) Den genannten Bedeutungen diametral entgegengesetzt, bezeichnet E. als Grundbegriff der Spätphilosophie Heideggers das nicht lokalisierbare, nicht objektivierbare Wesen des Seins.
ARE
E. ist ein Leitmotiv der späten Philosophie Heideggers: Insofern der von ihm immer wieder thematisierte Seinsbegriff in einer metaphysischen Konstruktion der ›Seiendheit‹ verfangen zu bleiben droht, die die zeitbedingte ontologische Differenz verkehren würde, versucht er, das Sein vom E. her neu zu denken. Dabei beruft sich Heidegger nicht nur auf dessen Herkunft aus dem mittelhochdeutschen ›eräugnen‹ bzw. ›vor Augen stellen‹ und somit auf die Bedeutung von ›sich zeigen‹, er greift vielmehr zurück auf die etymologisch verfehlte, jedoch für ihn sachlich treffende Anlehnung des Wortes an ›eignen‹, um das »Einfache« herauszustellen, das Denken und Sein miteinander ursprünglich vermittelt: Heidegger konzipiert das Geschehnis der »Er-eignung« als die elementare Zusammensetzung der Welt durch die anfängliche und d.h. wesenhafte Beziehung von Sein und Dasein; diese gehören zusammen, insofern die Erschlossenheit des Daseins einerseits der Unverborgenheit des Seins »übereignet« ist, während das Sein andererseits der Eröffnung dieser Erschlossenheit »zugeeignet« ist – sie stehen in einem Entsprechungsverhältnis (Identität und Differenz, 24 ff.). Die Stätte der geschichtlichen Zusammengehörigkeit von Sein und Dasein ist dann für Heidegger die Sprache; denn die wesentlichen Worte der Dichter und Denker geben das E. in seiner jeweiligen epochalen Bestimmtheit kund.
Literatur:
- R. Casati/A. C. Varzi (Hg.): Events. Dartmouth 1996
- D. Davidson: Essays on actions and events. Oxford 1980
- M. Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis). GA Bd. 65. Frankfurt 1989
- F.-W. v. Herrmann: Wege ins Ereignis. Zu Heideggers »Beiträge zur Philosophie«. Frankfurt 1994
- O. Pöggeler: Neue Wege mit Heidegger. Freiburg/München 1992
- J. O. Prudhomme: God and Being. Heidegger’s Relation to Theology 1997
- R. Stoecker: Was sind Ereignisse? Berlin 1992
- J. A. Wheeler: Gravitation und Raumzeit: die vierdimensionale Ereigniswelt der Relativitätstheorie. Heidelberg 1991.
ARE/JOP
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