Lexikon der Psychologie: autoritäre Persönlichkeit
autoritäre Persönlichkeit, Persönlichkeitsmuster, das sich durch seine Affinität zu autoritär-faschistischen politischen Lösungen auszeichnet; identifiziert durch eine der einflußreichsten Studien in der Geschichte der Sozialpsychologie: "The authoritarian personality", 1950, von Theodor W. Adorno, Else Frenkel-Brunswik, Daniel J. Levinson und R. Nevitt Sanford; in den USA gegen Ende des 2. Weltkriegs durchgeführt, aber mit gedanklichen und empirischen Vorläufern im vorfaschistischen Deutschland. Im Frankfurter Institut für Sozialforschung hatte sich um Max Horkheimer ein Kreis kritischer Sozialwissenschaftler versammelt, um die Gründe für die Rechtsentwicklung in der Weimarer Zeit zu untersuchen. Wie alle linken Intellektuellen hatten sie sich nach dem 1. Weltkrieg in Deutschland eine sozialistische Entwicklung erwartet. Nachdem stattdessen eine faschistische Bewegung zunehmend an Stärke gewann, wurde Erich Fromm, der Sozialpsychologe der frühen Frankfurter Schule, beauftragt, die später dann so genannte Studie "Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches" durchzuführen, um Gründe für diese Entwicklung zu finden. Die Erwartung, daß sich bei den Arbeitern und Angestellten ein revolutionärer Charakter ausmachen ließe, der durch ein solidarisches, nicht konkurrentes und liebendes Ich gekennzeichnet sein sollte, erfüllte sich nicht. Im Gegenteil: Viele Anhänger der politischen Linken waren gekennzeichnet durch den Widerspruch zwischen politischen Zielen, die auf eine Überwindung der Klassengesellschaft zielten, und persönlichen Haltungen, vor allem gegenüber Frauen und Kindern, die eindeutig einem autoritären Modell zuzurechnen sind.
Dieses Ergebnis begründete den Zweifel an politischen Meinungen als Indikator für "demokratisches Verhalten" und führte zu einer stärkeren Beachtung sozialpsychologischer Zusammenhänge in der Kritischen Theorie. Erich Fromm formulierte 1932 das Programm einer "analytischen Sozialpsychologie", in dem die Rolle der Familie als "psychologische Agentur" der Gesellschaft in den Mittelpunkt der Analyse gerückt wurde. In der Familie werden die grundlegenden Haltungen zur Welt geprägt, und wenn in den Familien ein autoritäres Modell bestimmend ist, dann wird darüber die Bereitschaft zur Unterwerfung begründet, auch wenn die bewußten politischen Überzeugungen dem widersprechen mögen.
In den "Studien über Autorität und Familie", die 1936 unter Leitung von Max Horkheimer schon in der Pariser Emigration veröffentlicht wurden, wird dieser Grundgedanke historisch und systematisch ausgearbeitet. Der Blick richtet sich jetzt vor allem auf die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft, die der väterlichen Autorität auch in den bürgerlichen Schichten die Basis entzieht. Die ökonomische Unabhängigkeit der Väter, als Basis für eine glaubhaft gelebte Autorität, geht im Zuge einer immer stärkeren Monopolisierung wirtschaftlicher Prozesse zunehmend verloren und es bleibt eine starre autoritäre Fassade, die für die Auseinandersetzung der nächsten Generation mit Autoritäten nicht mehr trägt. Es können sich keine Ich-starken Persönlichkeiten entfalten. Das starre Über-Ich bestimmt das Fühlen und Handeln.
In der Studie zur Autoritäten Persönlichkeit wird dann in den USA das Persönlichkeitsprofil eines "potentiell faschistischen Individuums" mit den Methoden der empirischen Sozialforschung und in einer Kombination quantitativer und qualitativer Methoden konstruiert. Es entsteht die F-Skala (das F steht für Faschismus). Es mißt ein Persönlichkeitssyndrom, das durch folgende Merkmale vor allem charakterisiert ist: durch die Gleichzeitigkeit von autoritärer Unterwürfigkeit und Aggression (das "Radfahrerprofil"), eine Abwehr aller Introspektion, durch stereotypes Denken, durch eine besondere Neigung zur Projektivität und durch ein ausgeprägtes Machtdenken.
Die Untersuchung zur Autoritären Persönlichkeit hat eine Fülle von nachfolgenden Studien angestoßen. Theoretische und methodische Kritik ist in vielen Varianten geübt worden. Trotzdem wird auf den von Adorno und seinen Mitarbeitern vorgezeichneten Bahnen intensiv weiter geforscht. Gerade in der Verbindung von soziohistorischer Analyse, psychonalytischer Persönlichkeitstheorie und dem Methodenmix aus der empirischen Sozialforschung sind hohe Standards interdisziplinärer Forschung gesetzt worden.
H.K.
Literatur
Hopf, C. & Hopf, W. (1998). Familie, Persönlichkeit, Politik. Eine Einführung in die politische Sozialisation. Weinheim: Juventa.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.