Immunologie: Am Schalthebel des Todes
Auch ein Vierteljahrhundert nach seiner Entdeckung hat Aids nichts von seinem Schrecken verloren. Fieberhaft fahnden Wissenschaftler nach Wegen, die nach wie vor unheilbare Virusinfektion zu behandeln. Vielleicht hilft ein kürzlich entdeckter molekularer Schalter weiter.
Im Jahr 1980 bemerkte ein kanadischer Flugbegleiter einen braunen Fleck auf seiner Haut. Vermutlich machte er sich keine größeren Sorgen, da jedoch der Makel nicht mehr verschwand, fragte er seinen Arzt um Rat. Der Steward sollte als "Patient 0" in die Geschichte eingehen.
Denn zur gleichen Zeit häuften sich in den USA sowie in Europa merkwürdige Krankheitsfälle, die zunächst scheinbar nur homosexuelle Männer betrafen – darunter auch den "Patienten 0": Im Blut der Betroffenen gab es so gut wie keine T-Helferzellen mehr; ihre Immunabwehr war komplett zusammengebrochen. Als auch Empfänger von Bluttransfusionen erkrankten, kristallisierte sich der Verdacht heraus, ein Virus könne die erworbene Immunschwäche auslösen. 1982 erhielt die neue Krankheit einen Namen: Acquired Immune Deficiency Syndrome – abgekürzt: Aids.
1984 konnte der Krankheitserreger, das Humane Immunodefizienz-Virus HIV, dingfest gemacht werden – doch noch immer ist die Krankheit unheilbar und endet früher oder später tödlich. Inzwischen weiß man, dass sich das Virus in T-Helferzellen, mit denen der Körper eingedrungene Krankheitserreger aufspürt, vermehrt und damit das Immunsystem lahmlegt. Rätselhaft blieb bisher jedoch, warum die so genannten zytotoxischen T-Lymphozyten – die eigentlich die von Viren infizierten Zellen mit Zytokinen vernichten sollten und daher auch Killerzellen heißen – bei HIV-Patienten ihren Dienst verweigern. Insbesondere im Spätstadium der Krankheit existieren Massen dieser wegen eines spezifischen Oberflächenmoleküls auch CD8-Zellen genannten Lymphozyten – doch sie tun nichts.
Interessanterweise lässt sich PD-1, der bei den blockierten T-Zellen überaktiv ist, wieder abschalten. Die Lymphozyten erwachen daraufhin erneut zum Leben. Klappt das auch bei Aids?
Zwei Arbeitsgruppen – die Forscher um Bruce Walker vom Aids-Forschungszentrum in Boston [1] sowie die Kollegen um Rafick-Pierre Sekaly von der Universität Montréal [2] – befassten sich unabhängig voneinander mit der Sache. Während Sekalys Mannschaft im heimischen Kanada blieb, gingen Walker und Co nach Durban in der südafrikanischen Provinz Kwazulu-Natal, wo mehr als dreißig Prozent der Bevölkerung mit HIV infiziert sind.
In der Tat zeigte sich bei 71 Aids-Patienten, die noch nicht mit einer antiviralen Therapie begonnen hatten, eine erhöhte PD-1-Aktivität:
Daraufhin analysierten die Forscher aus den USA das Blut von vier Patienten vor und nach medikamentöser Bekämpfung der HI-Viren. Auch hier offenbarte sich die Bedeutung des "Todes-Schalters": Nach erfolgreicher Eindämmung der Viren nahmen die PD-1-Rezeptoren auf der Oberfläche der Killerzellen wieder ab.
Als die Wissenschaftler nun PD-1 mit Antikörpern blockierten, produzierten die Lymphozyten erneut fleißig Zytokine, um sie gegen die von Viren überfallenen Zellen einzusetzen. Die Killerzellen waren demnach nicht endgültig zerstört. "Sie bleiben funktionsfähig", betont Walker, "sie sind nur ausgeschaltet." Und dieser Schalter lässt sich offenbar wieder umschalten.
Könnte mit einer PD-1-Blockade auch eine HIV-Infektion bekämpft werden? Walker hofft das, mahnt allerdings zur Vorsicht: "Wir müssen hier mit äußerster Vorsicht vorgehen, denn wenn man einen Schalter des Immunsystems, den der Körper abgeschaltet hat, wieder zurückdreht, können ernsthafte immunologische Probleme wie Autoimmunkrankheiten folgen."
Die Frage bleibt, warum das Immunsystem seine Abwehr überhaupt so bereitwillig aufgibt. "Vielleicht erkennt der Körper in der Hitze des Gefechtes, dass er nicht mehr gewinnen kann und entscheidet sich für eine Koexistenz", spekuliert Walker. "Aber wir wissen es letztendlich nicht."
Denn zur gleichen Zeit häuften sich in den USA sowie in Europa merkwürdige Krankheitsfälle, die zunächst scheinbar nur homosexuelle Männer betrafen – darunter auch den "Patienten 0": Im Blut der Betroffenen gab es so gut wie keine T-Helferzellen mehr; ihre Immunabwehr war komplett zusammengebrochen. Als auch Empfänger von Bluttransfusionen erkrankten, kristallisierte sich der Verdacht heraus, ein Virus könne die erworbene Immunschwäche auslösen. 1982 erhielt die neue Krankheit einen Namen: Acquired Immune Deficiency Syndrome – abgekürzt: Aids.
1984 konnte der Krankheitserreger, das Humane Immunodefizienz-Virus HIV, dingfest gemacht werden – doch noch immer ist die Krankheit unheilbar und endet früher oder später tödlich. Inzwischen weiß man, dass sich das Virus in T-Helferzellen, mit denen der Körper eingedrungene Krankheitserreger aufspürt, vermehrt und damit das Immunsystem lahmlegt. Rätselhaft blieb bisher jedoch, warum die so genannten zytotoxischen T-Lymphozyten – die eigentlich die von Viren infizierten Zellen mit Zytokinen vernichten sollten und daher auch Killerzellen heißen – bei HIV-Patienten ihren Dienst verweigern. Insbesondere im Spätstadium der Krankheit existieren Massen dieser wegen eines spezifischen Oberflächenmoleküls auch CD8-Zellen genannten Lymphozyten – doch sie tun nichts.
Schließlich fand sich eine Erklärung für diese Arbeitsverweigerung: Die CD8-Lymphozyten besitzen einen Rezeptor, der die Zellen bei etlichen chronischen Virusinfektionen abschaltet. Die Forscher wählten für diesen molekularen Schalter den makabren Namen "programmierter Tod" oder Programmed Death 1 (PD-1).
Interessanterweise lässt sich PD-1, der bei den blockierten T-Zellen überaktiv ist, wieder abschalten. Die Lymphozyten erwachen daraufhin erneut zum Leben. Klappt das auch bei Aids?
Zwei Arbeitsgruppen – die Forscher um Bruce Walker vom Aids-Forschungszentrum in Boston [1] sowie die Kollegen um Rafick-Pierre Sekaly von der Universität Montréal [2] – befassten sich unabhängig voneinander mit der Sache. Während Sekalys Mannschaft im heimischen Kanada blieb, gingen Walker und Co nach Durban in der südafrikanischen Provinz Kwazulu-Natal, wo mehr als dreißig Prozent der Bevölkerung mit HIV infiziert sind.
In der Tat zeigte sich bei 71 Aids-Patienten, die noch nicht mit einer antiviralen Therapie begonnen hatten, eine erhöhte PD-1-Aktivität:
"Vielleicht erkennt der Körper in der Hitze des Gefechtes, dass er nicht mehr gewinnen kann und entscheidet sich für eine Koexistenz"
(Bruce Walker)
Je höher die Virenlast der Patienten lag, je stärker die Krankheit also schon fortgeschritten war, desto mehr PD-1-Rezeptoren konnten die Wissenschaftler auf den zytotoxischen Lmyphozyten nachweisen, und desto niedriger lag der Gehalt an T-Helferzellen. Zum gleichen Ergebnis kamen die kanadischen Kollegen bei 19 Aids-Patienten. (Bruce Walker)
Daraufhin analysierten die Forscher aus den USA das Blut von vier Patienten vor und nach medikamentöser Bekämpfung der HI-Viren. Auch hier offenbarte sich die Bedeutung des "Todes-Schalters": Nach erfolgreicher Eindämmung der Viren nahmen die PD-1-Rezeptoren auf der Oberfläche der Killerzellen wieder ab.
Als die Wissenschaftler nun PD-1 mit Antikörpern blockierten, produzierten die Lymphozyten erneut fleißig Zytokine, um sie gegen die von Viren überfallenen Zellen einzusetzen. Die Killerzellen waren demnach nicht endgültig zerstört. "Sie bleiben funktionsfähig", betont Walker, "sie sind nur ausgeschaltet." Und dieser Schalter lässt sich offenbar wieder umschalten.
Könnte mit einer PD-1-Blockade auch eine HIV-Infektion bekämpft werden? Walker hofft das, mahnt allerdings zur Vorsicht: "Wir müssen hier mit äußerster Vorsicht vorgehen, denn wenn man einen Schalter des Immunsystems, den der Körper abgeschaltet hat, wieder zurückdreht, können ernsthafte immunologische Probleme wie Autoimmunkrankheiten folgen."
Die Frage bleibt, warum das Immunsystem seine Abwehr überhaupt so bereitwillig aufgibt. "Vielleicht erkennt der Körper in der Hitze des Gefechtes, dass er nicht mehr gewinnen kann und entscheidet sich für eine Koexistenz", spekuliert Walker. "Aber wir wissen es letztendlich nicht."
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.