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Gender-Forschung: Denkbremse

Frauen sind schlechter in Mathe als Männer - Sie glauben das auch? Als Frau dürfen Sie sich dann nicht wundern, wenn Sie tatsächlich im Rechentest unterdurchschnittlich abschneiden. Zum Trost: Es gibt Abhilfe - üben, üben, üben.
Natürlich können Frauen einparken, Karten lesen und Matherätsel lösen. Natürlich können Männer zuhören, Sprachen lernen und Frauen in Führungspositionen akzeptieren. Und natürlich sind selbst Menschen, die sich für absolut vorurteilsfrei halten, ganz und gar nicht frei davon – Stereotypen beherrschen unser Menschenbild und beeinflussen uns ständig auf subtilste Weise. Sogar solche vorgefassten Meinungen, die gegen uns selbst gerichtet sind.

Schön zu sehen am bereits genannten Beispiel Frauen und Mathematik. Ja, es gibt eine ganze Reihe von seriösen Studien, die tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Leistungsfähigkeit bei Rechenaufgaben und Geschlecht erkennen lassen. Unter den Erklärungen findet sich beispielsweise die These, dass die vorgeburtlichen Testosteron- und Östrogen-Gehalte die Gehirnentwicklung beeinflussen: Das männliche Geschlechtshormon soll Areale fördern, die häufig mit mathematischen und räumlichen Fähigkeiten in Verbindung gebracht werden, der weibliche Gegenpart ist stattdessen für die sprachlichen Kompetenzbereiche zuständig.

Rechnen ungenügend – aber warum?

Doch zurück zu den Stereotypen. Diese Beobachtungen sind natürlich Wasser auf den Mühlen aller begeisterten Anhänger der Meinung, Frauen generell könnten schlechter rechnen. Sogar Frauen fallen darauf herein: Müssen sie zum Mathetest und bekommen dies davor noch einmal gründlich zu hören, schneiden sie tatsächlich schlechter ab. Zwar kommt es noch darauf an, mit welcher Begründung: Soll die Ursache in den Genen liegen und damit kaum beeinflussbar sein, beeinträchtigt das die Resultate stärker als eine Erklärung, die Umweltfaktoren verantwortlich macht. Und wird dieses verbreitete Urteil sogar bestritten, steigern sich die Leistungen.

Nur – woran liegt das? Warum spornt diese abwertende Meinung Frauen nicht eher zu Höchstleistungen an? Weil sie genau dieser Anspruch – "denen muss ich es zeigen!" – daran hindert, berichten Sian Beilock von der Universität Chicago und seine Kollegen. Denn dieser Gedanke grummle nicht einfach nur im Hinterkopf, er belege wichtige Bereiche des Arbeitsgedächtnisses, die damit zur Lösung der Aufgaben blockiert seien [1].

Die Forscher stellten bei ihren Tests fest, dass offenbar die Sprachverarbeitung dadurch gestört ist. So konnten zuvor mit dem Stereotyp konfrontierte Studentinnen beispielsweise Aufgaben besser lösen, wenn sie nicht horizontal, sondern vertikal geschrieben waren. Auch berichteten sie häufiger, sie hätten sich während der Bearbeitung mehr Gedanken darüber gemacht, welchen Effekt ihr Ergebnis für das Gesamtresultat ausübe. Passend dazu, dass dabei vor allem sprachverarbeitende Regionen involviert sein dürften, schnitten sie insbesondere bei horizontal aufgezeichneten Aufgaben schlechter ab als Altersgenossinnen, die unbeeinflusst an den Rechenexempeln saßen.

Störende Gedanken

Die Wissenschaftler wollen mit diesem Speicherklau auch erklären, warum gerade schwierigere Aufgaben vergleichsweise noch seltener richtig gelöst wurden: Das innere Rekapitulieren der Zwischenschritte benötige auch sprachverarbeitende Regionen – die aber gerade damit beschäftigt waren, der Probandin Zweifel einzuflüstern. Und der Negativeffekt hielt sogar an: Sollten die Studentinnen anschließend nicht mathematische, sondern sprachliche Tests absolvieren, hielt sie das Vorurteil im "Hinterkopf" auch hier von normalen Leistungen ab.

Der einzige Ausweg: üben, üben, üben. Denn probten die Frauen bestimmte Rechenvorschriften, sodass sie im Ernstfall dann in eingebleuter Form aus dem Langzeitgedächtnis hervorgekramt werden konnten, während das Arbeitsgedächtnis – ein Teil des Kurzzeitgedächtnisses – sich ungestört mit dem Stereotyp auseinander setzen durfte, litten die Rechenkompetenzen nicht.

Das wird sicher vor allem den Lehrern gefallen, die Mitternachtsformeln vermitteln ("Die müssen Sie spontan aufsagen können, wenn man Sie um Mitternacht weckt!") und Sprachenlernen vor allem von Vokabelpauken abhängig machen – womit sie ja nicht unrecht haben. Freuen wird sie vielleicht auch, dass sie in Zukunft an den Fingern ihrer Schüler erkennen könnten, ob Mathe-Asse oder eher literarisch Begabte die Schulbank drücken.

Denn, nun nochmal zurück zu den Testosteron- und Östrogen-Gehalten im Mutterleib: Die Geschlechtshormone haben auch ihr Händchen im Spiel beim Fingerlängenwachstum. So bleibt das Verhältnis von Zeige- zu Ringfinger ab dem zweiten Lebensjahr konstant – also lange vor den ersten Rechenübungen. Das sollte sich doch als verlässlicher Anzeiger benutzen lassen – und in der Tat geben Forscher um Mark Brosnan von der Universität Bath nun bekannt, sie hätten sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen einen stabilen Zusammenhang zwischen Schulleistungen und Fingerlängenverhältnis festgestellt [2].

Eröffnen diese Erkenntnisse nicht ganz neue Horizonte? Wie wäre es beispielsweise mit einem neuen Bewertungssystem: Schulnote geteilt durch Fingerlängenindex ergäbe eine Einstufung, wie gut sich das Kind hinsichtlich seiner offensichtlich vorgeburtlich festgelegten Fähigkeiten geschlagen hat. Plötzlich hätten Jungs nicht dauernd die besseren Noten in Mathe und müssten nicht länger neidisch auf die Einser der Mädels in den Fremdsprachen schielen. Die durch Notenunterschiede schon früh geschürten Vorurteile, Frauen könnten nicht rechnen, lösten sich auf – bliebe noch die Herausforderung, Ähnliches für Parkplätze und Paartherapien zu entwickeln.

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