Großmutter-Effekt: Oma im Statistik-Test
Gehört eine Oma zur Familie, profitieren davon in der Regel alle: Kind ist gut behütet, und Mama kann schnell das nächste zur Welt bringen. Mit dieser einfachen Formel erklären Evolutionsbiologen gern, warum Frauen noch lange Jahre nach Ende ihrer fruchtbaren Phase weiterleben. Doch was wäre, wenn die Menopause zehn, fünfzehn Jahre später einträte?
Mit gut fünfzig ist Schluss – im Schnitt. Dann liegt die letzte Regelblutung ein Jahr zurück, die meisten Follikel in den Eierstöcken sind aufgebraucht, die Hormonproduktion stellt sich um: Die fruchtbare Phase der Frau, die schon die Jahre zuvor rapide abgenommen hatte, gilt als endgültig beendet. Das Leben jedoch geht weiter, auch nach der Menopause, die weltweit etwa zum selben Zeitpunkt auftritt, ganz unabhängig von der jeweiligen Lebenserwartung.
Der Mensch ist nicht allein mit diesem Modell, in dem das Ende der Fortpflanzungsphase nicht den baldigen Tod bedeutet. Und auch ein möglicher Sinn ist längst erkannt: Oma umsorgt die älteren Kinder, sichert ihr Überleben und ermöglicht so der Mutter, schnell weiteren Nachwuchs zu bekommen – das kann sie aber nur, wenn sie nicht noch eigene kleine Sprösslinge zu füttern hat. Eine andere Erklärung zielt darauf ab, dass die Menopause die bisherigen Kinder schützt – indem sie ihnen die Mutter erhält, für die jede Schwangerschaft und Geburt mit dem Alter riskanter wird. Der Stopp der Menstruation markiere damit den Punkt, an dem die Gefahr durch weiteren Nachwuchs den Vorteil einer zahlreichen Kinderschar übersteige.
Omas helfende Hand ...
Theoretische Überlegungen hätten gezeigt, dass beide Aspekte nötig seien, um einen evolutionsbiologischen Vorteil des Menopause-Modells ableiten zu können, erklären Daryl Shanley von der Universität Newcastle und seine Kollegen. Grund genug, es einmal mit realistischen Daten zu testen und sich dabei anzusehen, wie sich die betroffene Bevölkerung entwickelt hätte, wenn die Menopause bei den Frauen erst mit 65 eintreten würde. Dieser späte Zeitpunkt würde bei niedriger Lebenserwartung bedeuten, dass fast alle Frauen sich bis zu ihrem Tod fortpflanzen könnten und damit als typische Oma ausfielen – eine Probe aufs Exempel also für den Großmutter-Effekt.
Die genannten Daten stammten aus vier Dörfern in Gambia, in denen ab 1950 für tausende Menschen entsprechende Aufzeichnungen gemacht wurden. Da 1975 mit der Einrichtung einer medizinischen Station die Kindersterblichkeit dramatisch sank, beschränkten die Forscher ihre Analyse der Bevölkerungsentwicklung auf diese 25 Jahre, in denen, so die Vermutung, die natürlichen Faktoren den größten Effekt auf Leben und Sterben der Dorfbewohner hatte.
Den stärksten Einfluss hatte der Tod der Mutter: Er steigerte die Sterblichkeit der Ein- und Zweijährigen dramatisch. Da es sich dabei aber insgesamt um nur wenige Fälle handelte, prägte er sich in der Gesamtentwicklung nur wenig durch. Ganz im Sinne der Großmutter-Hypothese senkte die Anwesenheit einer Oma mütterlicherseits die Kindersterblichkeit im zweiten Lebensjahr deutlich. Weitere Familienangehörige blieben wirkungslos, nur die Oma väterlicherseits zeigte noch einen geringen positiven Einfluss auf die Häufigkeit der Schwiegertochter, überhaupt Kinder zu bekommen. Doch das untersuchten die Wissenschaftler nicht weiter.
Sie modellierten stattdessen den Lauf der Dinge bei einer späteren Menopause, indem sie das steigende Sterblichkeitsrisiko der Frauen bei späteren Schwangerschaften und Geburten aus den bekannten Daten hochrechneten und auch die verringerte Einsatzfähigkeit der Großmütter durch noch vorhandene eigene Kinder berücksichtigten. Als Kontrollmaß für eine eventuelle positive Selektion der Menopause mit Anfang 50 wählten sie den Bevölkerungszuwachs: Würde die Individuenzahl in den Dörfern bei späterem Reproduktionsstopp schwächer zunehmen, spräche das für Vorteile durch den Verzicht auf eigenen Nachwuchs mit Erreichen eines gewissen Alters, aber darüber hinaus reichender Lebensspanne. Stiege die Bevölkerungszahl stärker, sollte es keinen Selektionseinfluss gegeben haben – und der Sinn der Menopause stünde in Frage.
... hilft Kindern zu überleben
Angesichts des herausragenden Faktors "Tod der Mutter" für das Überleben der Kinder war zu erwarten, dass dieser nun bei möglicher später Schwangerschaft noch deutlicher hervortreten würde. Tatsächlich spielt er auch hier die bedeutendste Rolle. Für die gesamte Bevölkerungsentwicklung jedoch war die Anzahl der Fälle noch immer zu gering: die Zuwachsrate stieg stärker als zuvor. Menopause als Schutz der jüngsten Kinder einer älteren Mutter scheidet damit zumindest als alleinige Erklärung für das Phänomen aus.
Zwar schwächer als bei einer früheren Menopause, aber deutlich zeigte sich zudem der schützende Effekt einer Großmutter für das Überleben ihrer Enkelkinder. Schwächer deshalb, weil nur 16 Prozent der Kleinkinder in diesen Oma-Genuss kamen gegenüber 58 Prozent, wenn die Menopause schon mit 50 einsetzte. Die Bevölkerungszuwachsrate blieb dabei gleich: Der Vorteil, noch spät Nachwuchs zu bekommen, hob sich also auf mit dem Nachteil, dass mehr Enkelkinder mangels großmütterlicher Fürsorge starben.
Als die Forscher jedoch beide Effekte kombinierten, spuckte das Modell, wenn auch etwas zaghaft, die 50 als optimalen Zeitpunkt für das Ende der Fortpflanzungsfähigkeit aus: Zusammen veränderten sie die gesamte Bevölkerungsstruktur stärker als jeder für sich allein. Und als sie den Mutter- und Großmuttereffekt auf das Überleben der Kinder nicht nur für die ersten beiden, sondern – sich langsam abschwächend – auch für die folgenden Jahre betrachteten, kristallisierte sich dieses Alter noch deutlicher heraus.
Demnach stützt das Modell die Beobachtungen von Afrika über Taiwan bis Finnland, wo Kirchenbücher aus dem 18. Jahrhundert entscheidend zur Großmutter-These beigetragen hatten. Und Omas weltweit dürfen sich freuen, wie wichtig sie wirklich für ihre Enkelkinder sind. Vielleicht hilft ihnen das ja über so manche Wechseljahrsbeschwerden hinweg.
Der Mensch ist nicht allein mit diesem Modell, in dem das Ende der Fortpflanzungsphase nicht den baldigen Tod bedeutet. Und auch ein möglicher Sinn ist längst erkannt: Oma umsorgt die älteren Kinder, sichert ihr Überleben und ermöglicht so der Mutter, schnell weiteren Nachwuchs zu bekommen – das kann sie aber nur, wenn sie nicht noch eigene kleine Sprösslinge zu füttern hat. Eine andere Erklärung zielt darauf ab, dass die Menopause die bisherigen Kinder schützt – indem sie ihnen die Mutter erhält, für die jede Schwangerschaft und Geburt mit dem Alter riskanter wird. Der Stopp der Menstruation markiere damit den Punkt, an dem die Gefahr durch weiteren Nachwuchs den Vorteil einer zahlreichen Kinderschar übersteige.
Omas helfende Hand ...
Theoretische Überlegungen hätten gezeigt, dass beide Aspekte nötig seien, um einen evolutionsbiologischen Vorteil des Menopause-Modells ableiten zu können, erklären Daryl Shanley von der Universität Newcastle und seine Kollegen. Grund genug, es einmal mit realistischen Daten zu testen und sich dabei anzusehen, wie sich die betroffene Bevölkerung entwickelt hätte, wenn die Menopause bei den Frauen erst mit 65 eintreten würde. Dieser späte Zeitpunkt würde bei niedriger Lebenserwartung bedeuten, dass fast alle Frauen sich bis zu ihrem Tod fortpflanzen könnten und damit als typische Oma ausfielen – eine Probe aufs Exempel also für den Großmutter-Effekt.
Die genannten Daten stammten aus vier Dörfern in Gambia, in denen ab 1950 für tausende Menschen entsprechende Aufzeichnungen gemacht wurden. Da 1975 mit der Einrichtung einer medizinischen Station die Kindersterblichkeit dramatisch sank, beschränkten die Forscher ihre Analyse der Bevölkerungsentwicklung auf diese 25 Jahre, in denen, so die Vermutung, die natürlichen Faktoren den größten Effekt auf Leben und Sterben der Dorfbewohner hatte.
Den stärksten Einfluss hatte der Tod der Mutter: Er steigerte die Sterblichkeit der Ein- und Zweijährigen dramatisch. Da es sich dabei aber insgesamt um nur wenige Fälle handelte, prägte er sich in der Gesamtentwicklung nur wenig durch. Ganz im Sinne der Großmutter-Hypothese senkte die Anwesenheit einer Oma mütterlicherseits die Kindersterblichkeit im zweiten Lebensjahr deutlich. Weitere Familienangehörige blieben wirkungslos, nur die Oma väterlicherseits zeigte noch einen geringen positiven Einfluss auf die Häufigkeit der Schwiegertochter, überhaupt Kinder zu bekommen. Doch das untersuchten die Wissenschaftler nicht weiter.
Sie modellierten stattdessen den Lauf der Dinge bei einer späteren Menopause, indem sie das steigende Sterblichkeitsrisiko der Frauen bei späteren Schwangerschaften und Geburten aus den bekannten Daten hochrechneten und auch die verringerte Einsatzfähigkeit der Großmütter durch noch vorhandene eigene Kinder berücksichtigten. Als Kontrollmaß für eine eventuelle positive Selektion der Menopause mit Anfang 50 wählten sie den Bevölkerungszuwachs: Würde die Individuenzahl in den Dörfern bei späterem Reproduktionsstopp schwächer zunehmen, spräche das für Vorteile durch den Verzicht auf eigenen Nachwuchs mit Erreichen eines gewissen Alters, aber darüber hinaus reichender Lebensspanne. Stiege die Bevölkerungszahl stärker, sollte es keinen Selektionseinfluss gegeben haben – und der Sinn der Menopause stünde in Frage.
... hilft Kindern zu überleben
Angesichts des herausragenden Faktors "Tod der Mutter" für das Überleben der Kinder war zu erwarten, dass dieser nun bei möglicher später Schwangerschaft noch deutlicher hervortreten würde. Tatsächlich spielt er auch hier die bedeutendste Rolle. Für die gesamte Bevölkerungsentwicklung jedoch war die Anzahl der Fälle noch immer zu gering: die Zuwachsrate stieg stärker als zuvor. Menopause als Schutz der jüngsten Kinder einer älteren Mutter scheidet damit zumindest als alleinige Erklärung für das Phänomen aus.
Zwar schwächer als bei einer früheren Menopause, aber deutlich zeigte sich zudem der schützende Effekt einer Großmutter für das Überleben ihrer Enkelkinder. Schwächer deshalb, weil nur 16 Prozent der Kleinkinder in diesen Oma-Genuss kamen gegenüber 58 Prozent, wenn die Menopause schon mit 50 einsetzte. Die Bevölkerungszuwachsrate blieb dabei gleich: Der Vorteil, noch spät Nachwuchs zu bekommen, hob sich also auf mit dem Nachteil, dass mehr Enkelkinder mangels großmütterlicher Fürsorge starben.
Als die Forscher jedoch beide Effekte kombinierten, spuckte das Modell, wenn auch etwas zaghaft, die 50 als optimalen Zeitpunkt für das Ende der Fortpflanzungsfähigkeit aus: Zusammen veränderten sie die gesamte Bevölkerungsstruktur stärker als jeder für sich allein. Und als sie den Mutter- und Großmuttereffekt auf das Überleben der Kinder nicht nur für die ersten beiden, sondern – sich langsam abschwächend – auch für die folgenden Jahre betrachteten, kristallisierte sich dieses Alter noch deutlicher heraus.
Demnach stützt das Modell die Beobachtungen von Afrika über Taiwan bis Finnland, wo Kirchenbücher aus dem 18. Jahrhundert entscheidend zur Großmutter-These beigetragen hatten. Und Omas weltweit dürfen sich freuen, wie wichtig sie wirklich für ihre Enkelkinder sind. Vielleicht hilft ihnen das ja über so manche Wechseljahrsbeschwerden hinweg.
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