Direkt zum Inhalt

(A)soziale Insekten: Schwarz-gelbe Regierungskrise

Warnung: In diesem Text könnten politisch unkorrekte Ausdrücke enthalten sein ("Fremdarbeiter", "Sozialschmarotzer") und/oder unzulässige Vergleiche gezogen werden ("Regierungsbildung", "Koalitionsverhandlungen"). Wo möglich, wurde auf den Gebrauch derartigen Vokabulars verzichtet. Machen Sie diesen Text dennoch nur Personen mit ausreichender sittlicher Reife zugänglich.
Gelbschwarz
Ein Staatsbegräbnis stellt man sich irgendwie anders vor: Keine Träne wird dem toten Monarchen nachgeweint; kaum ist seine Leiche ohne viel Federlesens entsorgt, ist er vergessen. Schnell entbrennen heftige Diadochenkämpfe um die Erbfolge. Unmenschlich, unsentimental und pragmatisch eben, so ein Insektenstaat.

Allerdings: Die hierarchischste Diktatur wird zur anfälligsten Staatsform in dem Augenblick, in dem der omnipotente Alleinherrscher unvermutet ausfällt. Ein Interregnum zwischen zwei Staatenlenkern rüttelt demnach auch das straffe Kastenwesen einer Kerfe-Nation ziemlich durcheinander. Klingt spannend, fanden Piyamas Nanork von der Universität Sydney und seine Kollegen – und säten gezielt eben dieses regierungslose Chaos in Staaten der asiatischen Zwergbiene Apis florea, indem sie die herrschende Königin einfach mal entfernten.

Ohne Kontrolle durch die Monarchin und die von ihr ausströmenden Pheromon-Befehle quittierten bei den Bienen zuerst die treuesten Staatsdiener ihren Dienst: die Arbeiterinnen. Da im Normalfall nur die Königin Nachkommen produzieren darf, müssen die in seltenen Fällen auch von Arbeiterinnen produzierten Eier immer schnellstens entsorgt werden – eine für den strikten Erhalt der königlichen Erbfolge notwendige genealogische Säuberungsmaßnahme, welche die Arbeitstiere selbst übernehmen, indem sie alle nicht königlichen Eier verspeisen. Fehlen nun aber Königin und Pheromongängelung, stellen sie diese sanitäre Tätigkeit ein. Überhaupt bleibt im anarchischen Wirrwarr manche Aufgabe unerledigt: Ohne Führungspersönlichkeit mickert ein Staat lustlos dahin, bis er schließlich untergeht. Einige Ex-Arbeiter dieser "failed states" setzten da auf einen radikal alternativen Lebensentwurf, nehmen ihr zuvor fremdgesteuertes Dasein in die eigene Hand und verlassen ihren Stock für immer. Kann das gut enden?

Durchaus: Die Agonie der einen führerlosen Nation ist offenbar zugleich die Selbstverwirklichungs-Chance für die Individuen eines anderen Staates, stellen die Bienentod-Beobachter um Nanork fest. In den von einigen verlassenen, königinnenlosen Anarcho-Staaten stieg, wie genetische Untersuchungen zeigten, wiederum die Zahl von Fremdarbeitern, die aus anderen Staaten eingewandert sein mussten. Zudem hatten diese Migrantinnen weitaus häufiger ihre Ovarien reaktiviert, die bei königlicher Anwesenheit per Pheromon kastriert sind. Das blieb nicht ohne Folgen: Der absterbende Staat wurde zugleich zur Wiege für die Nachkommen der eingewanderten Bienen: Mehr als 35 Prozent der nach dem Ende der Monarchie neu gelegten Eier und 22 Prozent der neu geschlüpften Larven waren Kinder der Einwanderer.

Somit ergreifen also ein paar handlungsstarke Arbeiterinnen den Augenblick, um einen eigenen Sohn zu produzieren – alle Nachkommen aus unbefruchteten Eiern von Arbeiterinnen sind Männchen. Dieser ist dann die personifizierte Chance, das Erbgut in die nächste Generation zu retten, wenn er sich mit einer zukünftigen Königin verpaart. Kein Szenario mit überragenden Erfolgsaussichten, immerhin aber eine Chance größer Null. Sich für einen Staat aufzuarbeiten, der zum Tode verurteilt ist, bringt A. florea jedenfalls auch nicht weiter.

Noch kurz zurück nach Deutschland: Hier ist man nicht anarchieanfällig, selbst in Zeiten der Führerlosigkeit. Apis mellifera, die heimische Honigbiene, kennt weder eine vergleichbare Chance zur individuellen Verwirklichung der arbeitenden Schichten noch die damit einhergehende Unterwanderung ihrer Staaten von außen. Liegt vielleicht daran, dass sie besser abgeschottet sind, meinen die Wissenschaftler: Die asiatische Wildbiene lebt schließlich in einem wahrlich nach allen Seiten offenen Nest.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.