Lexikon der Neurowissenschaft: HIV-Encephalopathie
HIV-Encephalopathie, AIDS-Encephalopathie, Abk. HIVE,Encephalopathie, die im Verlauf einer HIV-Infektion (AIDS) bei 20 bis 30% der Patienten auftritt. Sie kann sich durch kognitive, motorische, Verhaltens- und vegetative Störungen manifestieren und wird zu den subcorticalen Demenzen gezählt. Andere Bezeichnungen, die weitgehend synonym für dieses Krankheitsbild verwendet werden, sind die subakute HIV-Encephalitis, der HIV-assoziierte kognitiv-motorische Komplex und der AIDS-Demenz-Komplex, der einer HIVE schwerer Ausprägung und mit erheblicher Beeinträchtigung der Tätigkeiten des Alltags entspricht. Die HIVE entwickelt sich meist langsam, über Wochen bis Monate. Typisch sind Gedächtnis- und/oder Konzentrationsstörungen, eine psychomotorische Verlangsamung und depressive Verstimmungen. Die kognitiven Defizite können zur Beeinträchtigung der beruflichen und sozialen Kompetenz führen (z.B. Umgang mit Geld, Kontakt mit Behörden), in ausgeprägten Fällen gehen Initiative und Antrieb verloren bis hin zur völligen Apathie. Motorische Störungen beginnen mit einer Gangunsicherheit oder einer Ungeschicklichkeit bei feinmotorischen Anforderungen. In fortgeschrittenen Fällen kann eine HIV-bedingte Schädigung des Rückenmarks (HIV-Myelopathie) hinzutreten, mit Lähmungen (an den Beinen ausgeprägter als an den Armen), Störungen der Blasenentleerung, Libido, und Erektion sowie unsicherem, spastisch-ataktischem Gang. Es besteht eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen den klinisch-neurologischen Befunden, der relativ kleinen Zahl infizierter Virus-produzierender Hirnzellen und den zum Teil ausgeprägten neuropathologischen Veränderungen. Dies beruht sehr wahrscheinlich auf einer komplexen Interaktion verschiedener Pathomechanismen. Aktuelle Hypothesen zur Pathogenese der HIV-Encephalopathie beinhalten u.a. eine indirekte Schädigung des Nervengewebes durch HIV-Genprodukte, die Synthese von neurotoxischen Substanzen (Neurotoxinen), Cytokinen, Eikosanoiden, Quinolinsäuremetaboliten und Stickoxid nach Kontakt von HIV-infizierten Makrophagen mit Gliazellen sowie Störungen im Neuropeptid Y- und Endothelin-Stoffwechsel. Für die Bestimmung des klinischen Schweregrads der HIVE kann die Memorial-Sloan-Kettering-Skala verwendet werden ( siehe Tab. ).
HIV-Encephalopathie
Memorial-Sloan-Kettering-Skala
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Stadium 0,5 (unklar/ subklinisch) | Keine Beeinträchtigung der Arbeit oder der täglichen Verrichtungen. Normaler Gang. Eventuell gering gestörte Okulo- und/oder Extremitätenmotorik. | |
Stadium 1 (leicht) | Alle, außer besonders anspruchsvolle, Tätigkeiten des Berufs und täglichen Lebens können geleistet werden. Eindeutige Hinweise auf kognitive (eventuell unter Zuhilfenahme neuropsychologischer Verfahren) oder motorische Störungen. Freier Gang ohne Hilfe möglich. | |
Stadium 2 (mittelgradig) | Nicht mehr arbeitsfähig. Nur die einfacheren Tätigkeiten des täglichen Lebens können geleistet werden. Oft Gangstörung, eventuell auf Gehstock angewiesen. | |
Stadium 3 (schwer) | Ausgeprägte kognitive Störungen (auch wichtigen Mitteilungen kann nicht mehr gefolgt werden, komplexe Unterhaltung nicht möglich, erhebliche psychomotorische Verlangsamung) oder ausgeprägte motorische Störung (Gang nicht mehr selbständig, sondern nur noch mit z.B. Rollator, Verlangsamung und Ungeschicklichkeit der Armmotorik). | |
Stadium 4 (Endzustand) | Nahezu oder komplett mutistisch (ohne sprachliche Entäußerungen). Stark beinbetont spastisch tetraparetisch bis -plegisch. Harn- und Stuhlinkontinenz. Ausdrücken und Verstehen nur noch einfachster Inhalte möglich. |
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