Lexikon der Neurowissenschaft: Neurodegeneration
Neurodegeneration w [von griech. neuron = Nerv, latein. degenerare = aus der Art schlagen], E neurodegeneration, 1)i.w.S. jede Form von Degeneration im Nervensystem. neurodegenerative Krankheiten, Polyneuropathien. 2) I.e.S. versteht man unter Neurodegeneration degenerative Vorgänge, die Nervenzellen bzw. Nervenzellfortsätze betreffen. Am häufigsten treten diese im Rahmen neurodegenerativer Krankheiten auf, kommen aber auch nach axonalen Verletzungen vor. Da axonale Fortsätze sehr lang sein können, können Degenerationserscheinungen in erheblicher Entfernung vom Ort der Läsion und teilweise sogar sekundär in Nervenzellen auftreten, die von der Schädigung nicht direkt betroffen sind. Es werden hierbei die folgenden Degenerationstypen unterschieden ( siehe Abb. 1 ): a) Waller-Degeneration: wird ein Axon durchtrennt (Axotomie), kommt es immer zur Degeneration des distalen axonalen Segments, das durch die Läsion vom versorgenden Zellkörper abgetrennt wurde. Im peripheren Nervensystem kann dieser Teil durch axonale Regeneration wieder hergestellt werden. b) retrograde Degeneration ( siehe Abb. 2 ): Durch die Läsion kann es auch zu einer gewissen Degeneration des proximalen Segments kommen, insbesondere wenn es, wie im Zentralnervensystem, zu keiner Regeneration des verletzten Axons kommt. Außerdem zeigen sich im Zellkörper typische Axotomie-induzierte Veränderungen, z.B. eine Umverteilung des endoplasmatischen Reticulums in die Peripherie der Zelle (Chromatolyse). c) Axotomie-induzierter Zelltod: Eine Reihe von Nervenzellen stirbt nach Läsion ihres Axons ab. Dies wurde z.B. für retinale Ganglienzellen sehr gut untersucht. Dort sind 4 Wochen nach einer Verletzung des Opticus ca. 90% aller Ganglienzellen abgestorben. Als Ursache wird die Abhängigkeit der Nervenzellen von retrograd durch das Axon transportierten (axonaler Transport) Überlebensfaktoren (z.B. Nervenwachstumsfaktor usw.) angesehen. d) transneuronale Degeneration: Axotomie und Zelltod können auch zu degenerativen Veränderungen in Neuronen führen, die mit den direkt betroffenen Neuronen synaptische Verbindungen unterhalten. Betrifft dies die Zielzellen der axotomierten Neurone, spricht man von einer aufsteigenden Degeneration oder anterograden Degeneration ( siehe Abb. 3 ). Sie ist Folge der Denervierung, d.h. des Verlusts der Afferenzen und der damit verbundenen elektrischen und trophischen Aktivität. In den meisten Fällen kommt es hierbei nur zu einer Atrophie, aber nicht zum Absterben der betroffenen postsynaptischen Zellen. Bei der transneuronalen Degeneration von Neuronen, die zu den primär betroffenen Neuronen präsynaptisch liegen, spricht man von einer absteigenden Degeneration oder retrograden Degeneration ( siehe Abb. 4 ). Sie kann z.B. Folge einer unterbrochenen Zufuhr von retrograd transportierten trophischen Faktoren sein, die in der Zelle benötigt werden. Häufig gibt es bestimmte Zeiträume (kritische Perioden), in denen präsynaptische Zellen besonders empfindlich auf den Verlust der Zielregion reagieren und in großer Zahl absterben. Diese Perioden fallen oft mit der Periode des physiologischen ontogenetischen Zelltods zusammen, in der die präsynaptischen Nervenzellen um Überlebensfaktoren aus der Zielregion konkurrieren.
J.P.K.
Neurodegeneration
schematische Darstellung vontypischen degenerativen Veränderungen nach Axotomie:
1 Nach Läsion eines Axons kommt es immer zur Degeneration des distalen Abschnitts, der nach der Durchtrennung des Axons nicht mehr durch den Zellkörper versorgt werden kann (Waller-Degeneration).
2 Auch retrograd kann es im axotomierten Neuron zu degenerativen Veränderungen kommen. Der proximale Anteil des Axons kann ebenfalls teilweise degenerieren, und es kommt häufig zu degenerativen Veränderungen im Zellkörper. Im Extremfall kann die gesamte Nervenzelle absterben.
3 Durch die Axotomie wird die Zielzelle des betroffenen Neurons denerviert. Dies kann dort zu degenerativen Veränderung, insbesondere einer Atrophie der betroffenen Nervenzellen führen (anterograde transneuronale Degeneration).
4 Die Degeneration der durch die Axotomie betroffenen Nervenzelle kann auch in den präsynaptischen Zellen zur Degeneration führen. Als Ursache wird der Verlust von retrograd transportierten Überlebensfaktoren angesehen (retrograde transneuronale Degeneration).
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