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Eulbergs tönende Tierwelt: Glücksvogel, ist es schon Herbst?

Der Kranich (Grus grus) ist nicht nur Europas größter Vogel, er hat auch ein ausgeprägtes meteorologisches Gespür. Im Frühling und Herbst bieten Tausende der eleganten Tiere ein unvergleichliches Naturspektakel. Sie gelten in vielen Kulturen als Sinnbild für Weisheit und Glück – und inspirieren ebenso unseren Kolumnisten.
Buntstiftzeichnung eines Kranichs
Charakteristisch sind die schwarz-weiße Kopf- und Halszeichnung und die federlose rote Kopfplatte. Die Augenfarbe der Kraniche kann unabhängig von anderen Körpermerkmalen individuell variieren. Hierbei gibt es zwei unterschiedliche Typen: rote oder gelbe Irisfärbung.
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Oder ein Reh? Warum der Pirol auch Regenkatze genannt wird? Vermutlich nicht – obwohl all diese Lebewesen Teil unserer heimischen Fauna sind. In der Kolumne »Eulbergs tönende Tierwelt« stellt der Techno-Künstler, Ökologe und Naturschützer Dominik Eulberg faszinierende Exemplare aus der Tierwelt vor unserer Haustür vor.

Jedes Jahr im Herbst läuten die majestätischen Vögel mit ihrem feinen meteorologischen Gespür das Ende der warmen Jahreszeit ein. Dann stehe ich gebannt vor meiner Haustür und schaue mit offenem Mund zu, »wie der Himmel brennt«, wenn tausende Kraniche (Grus grus) in aerodynamischer Keilformation vorbeiziehen und die Luft mit ihren durchdringenden, trompetengleichen Rufen erfüllen. Es gibt kaum ein Naturerlebnis in unseren Breiten, das eine solche Kraft hat und für mich persönlich eine so große Bedeutung. Diese Masse, diese Eleganz, diese Geräuschkulisse, die die Wahrnehmung komplett bis in jede Ritze erfüllt.

Wer genau hinhört, kann in dem Trompeten-Wirrwarr piepsige Stimmen erkennen, die auch von Singvögeln stammen könnten. Dabei handelt es sich um Jungvögel, die erst noch in den »Stimmbruch« kommen. Die Altvögel verdanken ihr gewaltiges Stimmvolumen dem Resonanzraum und der enormen Länge ihrer Luftröhre, die bis zu 1,30 Meter lang werden kann. Der Name Kranich geht auf eine lautmalende Wiedergabe seiner Rufe zurück, die als »krrou« beschrieben werden können. Für andere klingt es eher wie »grus grus« – daher sein wissenschaftlicher Name.

Die Tiere erreichen fast die Maße eines kleinen Menschen; sie sind mit einer Körperhöhe von bis zu 1,30 Meter die größten Vögel Europas. Zudem weisen sie eine erstaunliche Lebenserwartung von 40 Jahren auf. Diese menschenähnlichen Eigenschaften, gepaart mit ihrer Schönheit und Eleganz, haben dazu geführt, dass sie in der Mythologie, Literatur, Poesie und Heraldik vieler Völker eine wichtige Rolle spielen: als Frühlingsboten und Glücksvögel, als Symbol für Wachsamkeit und Weisheit sowie als Symbol für Treue und ein langes Leben. Auf Grund dieser kulturellen Allgegenwärtigkeit spielt der Kranich auch etymologisch eine interessante Rolle: So leitet sich der Name eines langhalsigen Hebegeräts, auch Kran genannt, vom schlangenförmigen Hals des Kranichs ab. Eine seiner Leibspeisen, die Cranberry (niederdeutsch: Kranbeere), verdankt dem Vogel ebenfalls ihren Namen.

Der Kranich | Im Gegensatz zu Reihern fliegen Kraniche mit ausgestrecktem Hals. Sie sind ausdauernde Flieger und können bis zu 2000 Kilometer nonstop zurücklegen.

Ähnlich wie bei uns Menschen kann die Augenfarbe der Kraniche unabhängig von anderen Körpermerkmalen individuell variieren. Hierbei gibt es zwei unterschiedliche Typen: Kraniche mit roter Irisfärbung und solche mit gelber. Es ist spannend, darauf bei der nächsten Kranichbeobachtung zu achten; Wissen erweitert den Erfahrungshorizont.

Kraniche sind sehr soziale Tiere. Sie verbringen meist ihr ganzes Leben mit demselben Partner und halten sich auch während des Zuges in Familienverbänden auf. Ihr Balzritual und Akt der Sozialbindung ist voller Anmut und Grazie. Bei dem so genannten Kranichtanz verneigen sich die Vögel mit gespreizten Flügeln voreinander, hüpfen auf und ab, heben und senken ihren Kopf, drehen sich im Kreis, schreiten tänzelnd umher, recken ihren Schnabel in die Luft. Mitunter schleudern sie dabei auch Pflanzenteile und Äste in die Höhe. Begleitet wird dieser auf mich sehr ergreifend wirkende Akt der Lebensfreude von inbrünstigem Trompeten.

  • Der Kranich
    Hier finden Sie alle wichtigen Eckdaten und Beobachtungstipps rund um den Kranich.
  • Steckbrief

    Klasse: Vögel

    Ordnung: Kranichvögel

    Familie: Kraniche

    Größe: 110 bis 130 Zentimeter

    Gewicht: 4000 bis 7000 Gramm

    Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 1

    Nachkommen pro Periode: 1 bis 3

    Höchstalter: 42 Jahre

    Bundesweiter Gefährdungsgrad (Rote Liste): nicht gefährdet

    Volkstümlicher Name: Vogel des Glücks

  • Beobachtungstipps

    Kraniche sieht man während des Frühjahr- und Herbstzuges in v-förmigen Trupps. Wer die scheuen Tiere an ihren Rastplätzen beobachten möchte, sollte darauf achten, sie nicht zu stören.

    Im Morgengrauen | Gruppe von Kranichen im feuchten Gras.

Die Brut findet am Boden in feuchten Gebieten, bevorzugt in Au-, Sumpf- oder Bruchwäldern statt. An solch versteckten Orten, umgeben von Wasser, fühlen sich die Tiere sicher gegenüber Fressfeinden, wie etwa Füchsen. Jedes Jahr im Herbst ziehen sie dann von ihren Brutgebieten in Skandinavien, Polen, den baltischen Staaten oder auch Nord- und Ostdeutschland in sehr schmalen Zugkorridoren gen Süden, um etwa in den Stieleichenwäldern der spanischen Extremadura zu überwintern. Im Zuge der Klimaerwärmung fliegen jedoch immer mehr Kraniche nur noch bis Südfrankreich oder überwintern gar in Deutschland, zum Beispiel in der Diepholzer Moorniederung. Die Westerwälder Seenplatte, an der ich jedes Jahr die anmutigen Vögel bestaune, ist seit jeher ein traditionelles Rastgebiet auf ihrer westlichen Route. Denn Kraniche übernachten gerne in flachen Gewässern. Vor dem Abflug in den Süden versammeln sie sich an angestammten Sammelplätzen zu Zehntausenden, wie etwa an der Müritz, der Vorpommerschen Boddenlandschaft oder in Linum.

Als wahrer Sympathieträger ist der Kranich ein Paradebeispiel für hervorragend funktionierenden Artenschutz. Seine Bestände konnten sich in Deutschland seit den 1970er Jahren prächtig erholen, von 800 auf fast 12 000 Brutpaare. Doch auch die weniger attraktiven Arten gilt es zu schützen. Menschliche Interpretationen von »sympathischen« oder »nützlichen« Tieren sind keine Währungen der Evolution. Jede existierende Art hat sich evolutionsbiologisch durchgesetzt und ihre Berechtigung, ist ein wertvolles Zahnrädchen im hochkomplexen Mechanismus der Natur.

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