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Krebs verstehen: Wie sich Krebs auf die Sexualität auswirkt

Krebs bringt oft körperliche und seelische Veränderungen mit sich, die auch das Sexualleben beeinträchtigen. Wie Patienten mit diesen Problemen umgehen und ihre Sexualität trotz der Krankheit ausleben können, erklärt Marisa Kurz in »Krebs verstehen«.
Ein Mann und eine Frau küssen sich. Der Mann trägt auf seiner Brust an seinem T-Shirt zwei rosafarbene Brustkrebs-Schleifen
Die Diagnose Krebs ist eine lebensverändernde Erfahrung, die nicht nur physisch, sondern auch psychisch tiefe Spuren hinterlässt – und sich auf eine Partnerschaft auswirken kann (Symbolfoto).

Vor einiger Zeit habe ich mit einer jungen Krebspatientin darüber gesprochen, ob sie neben der Standardtherapie an einer klinischen Studie zu einem neuen Krebsmedikament teilnehmen möchte. Ich erklärte ihr, dass sie mir dazu jedoch etwas versprechen müsste: Sie sollte sich verpflichten, entweder sexuell abstinent zu sein oder zusätzlich zu einem Kondom eine weitere Verhütungsmethode wie eine Pille oder eine Spirale zu verwenden. Es ist nämlich noch nicht bekannt, wie die neue Substanz auf ein ungeborenes Kind wirkt. Viele geläufige Medikamente können theoretisch Eizellen, Spermien und Embryonen schädigen – vor allem zu Beginn einer Schwangerschaft. Die Verantwortlichen der Studie wollen deshalb ganz sichergehen, dass Betroffene unter der Therapie nicht schwanger werden. Meinen Patienten vorzuschreiben, keinen Sex zu haben oder doppelt zu verhüten ist ein sehr großer Eingriff in ihr Privatleben. Doch eine Krebserkrankung wirkt sich auf so viele Dinge aus – natürlich auch auf die Sexualität der Betroffenen. Und darüber lohnt es sich zu sprechen.

Körperliche und seelische Spuren

Je nach Art der Krebserkrankung und Therapie können bei Patientinnen und Patienten ganz unterschiedliche körperliche Veränderungen auftreten. Während manche keine oder kaum Symptome bemerken, beobachten andere sichtbare Schwellungen am Körper, Haut- oder Schleimhautveränderungen oder einen Gewichtsverlust. Doch es sind vor allem bestimmte Krebstherapien wie etwa Operationen, die Spuren am Körper hinterlassen und sich auf das Körpergefühl von Betroffenen und auf ihre Sexualität auswirken können: Bei Brust- oder Hodenkrebs müssen in manchen Fällen eine oder sogar beide Brüste beziehungsweise Hoden entfernt werden. Bei Krebs an Vagina, Vulva oder Penis können ebenfalls Teil- oder Komplettentfernungen notwendig sein. Werden die Eierstöcke, Eileiter, Gebärmutter oder aber die Hoden operativ entfernt, kann es sein, dass Patientinnen und Patienten keine Kinder mehr bekommen können oder sie unter hormonellen Veränderungen leiden.

Nach Operationen bösartiger Tumoren im Kopf-Hals-Bereich muss Gewebe manchmal durch Knochen-, Muskel- oder Hauttransplante ersetzt werden. Bei Knochenkrebs werden manchmal sogar ganze Gliedmaßen amputiert, während nach einer Darmkrebs-OP viele Betroffene mit einem künstlichen Darmausgang leben. Andere OPs können eine Inkontinenz verursachen.

Chemotherapien wirken sich ebenfalls auf den Körper aus: So fallen manchen Patienten die Kopfhaare, Augenbrauen und Wimpern aus. Auch können sie die Fruchtbarkeit von Männern und Frauen einschränken und den Hormonhaushalt verändern. Dadurch kann es unter anderem zu einer verminderten Libido, Erektionsstörungen oder Scheidentrockenheit kommen. Bestrahlungen können zudem zu schmerzhaften und sichtbaren Rötungen, Schwellungen und Entzündungen führen.

Krebspatienten können also mit vielen körperlichen Veränderungen konfrontiert sein. Jeder Fall ist individuell – ob und in welcher Schwere sie auftreten und als wie belastend sie wahrgenommen werden, ist von Patient zu Patient ganz unterschiedlich. Viele Betroffene berichten über ein verringertes Selbstwertgefühl, geben an, sich nicht mehr für attraktiv zu fühlen. Manchen fällt es schwer, Intimität zuzulassen.

Zu den körperlichen Spuren kommen psychische: Patienten und ihre Angehörigen sind plötzlich mit einer lebensbedrohlichen Krankheit und dem Gedanken an den Tod konfrontiert. Aufkommende und sich abwechselnde Gefühle wie Trauer, Angst, Wut, Schuld, Scham können zwischenmenschliche Beziehungen beeinflussen und belasten. Und selbst wenn eine Krebserkrankung erfolgreich behandelt werden kann, bleibt bei den meisten die Angst vor einem Rückfall.

Was Betroffene tun können

All diese körperlichen und psychischen Veränderungen können sich auf die Sexualität und Intimität von Krebspatienten auswirken und sie beeinträchtigen.

Dass aus medizinischer Sicht Vorsicht vor Sexualkontakten geboten ist, ist erfreulicherweise nur in wenigen Situationen der Fall. Wenn Patienten etwa durch eine Chemotherapie phasenweise immungeschwächt sind, kann es sein, dass Behandler in diesem Zeitraum von Sex abraten, um Infektionen zu vermeiden. Auch sollten sich manche Betroffene nach bestimmten Operationen schonen. Sollte es irgendeinen Grund gegen Sexualität geben, werden die behandelnden Ärzte darüber informieren. Ansonsten müssen Krebspatienten nicht verzichten, wenn sie Lust darauf haben. Im Gegenteil: Krebspatienten sollten machen, was sich für sie gut anfühlt und ihnen Kraft gibt.

Betroffene und Behandler haben Denkanstöße dazu veröffentlicht, was Erkrankte und Angehörige tun können, wenn eine Krebserkrankung oder Therapie ihr Sexualleben beeinträchtigt. Sie betonen, wie wichtig Selbstakzeptanz ist und raten Patienten, mit ihren Partnern offen über ihre Sorgen, Ängste und Wünsche zu sprechen. Zudem kann es hilfreich sein, sich mit anderen Krebspatienten auszutauschen. Zum einen erkennt man dann, dass man nicht allein ist, zum anderen können Menschen, die selbst betroffen sind, oftmals besonders wertvolle Ratschläge geben. Ebenso kann man sich mit einem Psychoonkologen austauschen. Gerade Themen wie ein verändertes und vermindertes Selbstwertgefühl können hier eingehend erörtert werden.

Eine wichtige Empfehlung ist in meinen Augen, dass Patienten wissen, dass sie mit ihren behandelnden Ärzten über Probleme im Sexualleben sprechen können – dafür sind wir da. Als ich diesen Artikel geschrieben habe, ist mir klargeworden, dass das Thema in der Onkologie eine eher untergeordnete Rolle spielt. Dabei können die Auswirkungen von Krebs auf das Sexualleben groß und viele Patienten betroffen sein. Kinderwunsch, Verhütung und Schwangerschaft – diese Themen werden ausführlich besprochen. Doch wie die Krebserkrankung und Therapie die Sexualität und Intimität beeinflusst, gehört meiner Erfahrung nach leider nicht zu den Standardgesprächen, die von Ärzten initiiert werden.

Patienten werden ganz selbstverständlich nach dem Stuhlgang und Urin gefragt oder über Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Schmerzen, Fieber, Kribbel- und Taubheitsgefühle, Geschmacksstörungen, Schleimhautentzündungen oder nach dem Appetit. Aber Fragen nach dem Sexleben sind eher die Ausnahme. Betroffene, die Probleme mit der Sexualität bemerken und darüber reden wollen, rate ich deshalb, ihre Behandler aktiv darauf anzusprechen.

Manche Krebspatienten werden von Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen behandelt, zum Beispiel von einem Chirurgen operiert, von einem Strahlentherapeuten bestrahlt und erhalten von einem Onkologen eine medikamentöse Krebstherapie. Wer ist dann der richtige Ansprechpartner? In meinen Augen der Arzt oder die Ärztin, zu dem oder der ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht. Das kann jeder dieser Ärzte sein, in manchen Fällen aber auch der Hausarzt, der zwischen Patient und Behandler vermitteln kann. Bei Problemen, die direkt nach einem Eingriff wie einer Operation oder einer Bestrahlung entstanden sind, ist es sinnvoll, in der Nachsorge beim Chirurgen beziehungsweise Strahlentherapeuten das Thema anzuschneiden. Beschwerden wie Übelkeit, Erschöpfung oder Gefühlsstörungen an den Fingern und Zehen sind häufig eher auf Krebsmedikamente zurückzuführen. Hier können die behandelnden Onkologen helfen, zum Beispiel indem sie die Dosis von Medikamenten reduzieren oder die Therapie umstellen.

Patienten sollten in meinen Augen keine Scheu haben, Mediziner auf das Thema Sexualität anzusprechen. Ich denke, die allermeisten – hoffentlich sogar alle – Ärzte werden dankbar für das Vertrauen sein und werden versuchen zu helfen.

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