Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Vibrionen
Ich liebe das Meer. Zugleich fürchte ich das, was unter der Wasseroberfläche lauert. Meine kindliche Begeisterung für den Film »Der weiße Hai« hat womöglich zu meiner Angst vor offenen Gewässern beigetragen. Eine Panik vor den Raubfischen ist zwar überzogen. Doch im Meer treiben sich allerhand andere Wesen herum, die einen das Gruseln lehren können. Und manche von ihnen findet man sogar vor der deutschen Ostseeküste.
Im August 2024 starben zwei Menschen in Mecklenburg-Vorpommern nach der Begegnung mit solchen Organismen. Die Killer sind unsichtbar und lautlos, und der Kontakt mit ihnen ist anfangs völlig schmerzlos. Erst im Nachgang lösen sie eine Reihe von Beschwerden aus. Diese unterscheiden sich, je nachdem, wo die Winzlinge in den Körper eingedrungen sind. In den Atemwegen können sie eine Lungenentzündung verursachen, im Magen-Darm-Trakt Erbrechen, Durchfall und Schmerzen. Und wenn sie in Wunden geraten, bringen sie mitunter das umliegende Gewebe zum Absterben. Die Rede ist von »Vibrionen«, also Bakterien, die zur Gattung Vibrio zählen.
Über ihre jüngsten Todesopfer ist nur wenig bekannt. Laut dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Mecklenburg-Vorpommern handelte es sich um zwei Männer im Alter von 59 und 81 Jahren. Der ältere der beiden hatte sich wohl beim Baden in der Ostsee angesteckt. Er hatte Vorerkrankungen, die einen schweren Krankheitsverlauf bei ihm wahrscheinlicher machten, und war mit offenen Wunden ins Wasser gegangen. Beim anderen weiß man aktuell von keinen Risikofaktoren und auch über den Infektionsweg ist nichts Näheres bekannt. Bei ihm wies man die Keime im Blut nach und er starb an einer Blutvergiftung. Landesweit sind sie die beiden ersten Todesopfer im Jahr 2024; insgesamt gab es bisher fünf nachgewiesene Erkrankungen.
Seit mehr als 20 Jahren ein Problem
Dass Vibrionen in der Ostsee zur Gefahr werden können, wurde bereits vor 20 Jahren deutlich. Damals beschrieben Fachleute von der Universität Greifswald erstmals den Fall einer Patientin, die nach Kontakt mit norddeutschen Gewässern an einer Wundinfektion mit Vibrio vulnificus verstorben war. Ein weiterer Betroffener, der wenige Tage zuvor im selben Krankenhaus behandelt wurde, überlebte dank einer Beinamputation. Bei beiden entstanden nach der Ansteckung tief unter der Haut Nekrosen, also Bereiche von abgestorbenem Gewebe. Teile der befallenen Gliedmaßen färbten sich schwarz und begannen sich zu zersetzen. Hautblasen am Bein des Mannes platzten auf und aus ihnen triefte eine übel riechende Flüssigkeit. Beide hatten sich inmitten einer Hitzewelle im August 2003 im Wasser vor der Insel Usedom angesteckt, in das sie mit offenen Wunden gewatet waren. Die Meerestemperatur betrug damals über zwei Wochen lang mehr als 20 Grad Celsius.
Seither zählte man insgesamt 93 derartige Krankheitsfälle in Mecklenburg-Vorpommern. 13 der Betroffenen überlebten die Infektion nicht. Bis auf eine Ausnahme hatten die Verstorbenen alle eine Gemeinsamkeit: Sie hatten Vorerkrankungen, die zum schweren Verlauf beigetragen haben könnten. Personen mit geschwächtem Immunsystem, das etwa infolge von chronischen Erkrankungen entstehen kann, haben nämlich ein deutlich erhöhtes Krankheits- und Sterberisiko. Sie sollten also beim hochsommerlichen Bad in der Ostsee besonders vorsichtig sein. Bei offenen oder schlecht verheilenden Wunden verzichten sie besser auf die Abkühlung, selbst dann, wenn die Läsionen nur klein und nicht schmerzhaft sind.
Vibrio vulnificus kommt übrigens weltweit vor und macht auch andernorts immer wieder Probleme. Die Art fühlt sich jedoch im sommerlich warmen Brackwasser der Ostsee besonders wohl. Infolge der durch den Klimawandel steigenden Luft- und Wassertemperaturen dürften Vibrionen in norddeutschen Gewässern immer häufiger ideale Wachstumsbedingungen finden und für Badende zum Problem werden, sagen Fachleute voraus. Deshalb ist es wichtig, sich die Gefahr bewusst zu machen und beim Ostseebad entsprechend achtsam zu sein. Doch Panik ist wie bei den Haien auch hier nicht angebracht: Schließlich sterben in Deutschland wöchentlich immer noch mehr Menschen an Covid-19 als jene 13, die seit 2003 in Mecklenburg-Vorpommern einer Vibrioneninfektion erlagen.
- Steckbrief: Vibrionenerkrankungen
Auslöser: Mindestens zwölf humanpathogene Bakterien der Gattung Vibrio, zu der auch der Choleraerreger Vibrio cholerae zählt; in Norddeutschland findet man eine Häufung von Wundinfekten mit Vibrio vulnificus.
Vorkommen: Vibrio vulnificus und verwandte Nichtcholeravibrionen kommen weltweit in salzhaltigen Gewässern vor. An der Ostsee vermehrt sich Vibrio vulnificus besonders stark bei Wassertemperaturen von über 20 Grad Celsius und den dort vorherrschenden niedrigen Salzkonzentrationen von 0,5 bis 1,5 Prozent.
Krankheitspotenzial: Vibrionen lösen unterschiedliche Krankheiten aus. So gehört der Erreger der Cholera ebenso zu dieser Gattung wie Vibrio parahaemolyticus, der vor allem über rohe Meeresfrüchte in den menschlichen Magen-Darm-Trakt gelangt und zu schweren Brechdurchfällen führen kann. Vibrio vulnificus kann ebenfalls Magen-Darm-Beschwerden verursachen, doch in der Ostsee dringt der Keim häufig in Wunden ein und löst dort mitunter lebensgefährliche Weichteileinfektionen aus. Unbehandelt kann die Erkrankung dann innerhalb weniger Tage zum Tod führen.
Häufigkeit: Das RKI geht von etwa 0 bis 20 Vibrionenfällen pro Jahr in Deutschland aus, mit tendenziell mehr Infektionen in besonders warmen Sommern; seit 2020 besteht eine Meldepflicht.
Behandlung: Einerseits chirurgische Reinigung der Wunde und Entfernen von abgestorbenem Gewebe bis hin zur Amputation; andererseits eine Antibiotikabehandlung, etwa eine Kombination aus Wirkstoffen aus der Klasse der Cephalosporine und Tetrazykline.
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