Lexikon der Chemie: Gleichgewicht
Gleichgewicht, 1) in der Mechanik der Zustand eines Körpers in einem Minimum der potentiellen Energie;
2) in der Elektrochemie elektrochemisches Gleichgewicht;
3) thermodynamischesG., in der Thermodynamik der Zustand eines abgeschlossenen thermodynamischen Systems, bei dem makroskopisch keine zeitlichen Veränderungen auftreten, wenn die äußeren Bedingungen, z. B. Druck und Temperatur, konstant gehalten werden. Ein System im thermodynamischen G. verhält sich gegenüber Störungen stabil: Kleine (differentielle) Störungen der äußeren Bedingungen führen zu einer Veränderung des Gleichgewichtszustandes. Wird die Störung aufgehoben, so kehrt das System in die ursprüngliche Gleichgewichtslage zurück. Die Einstellung eines G. erfolgt nicht momentan, sondern erfordert Zeiten, die sich je nach der Art des Systems um viele Zehnerpotenzen unterscheiden können (Diffusion, Reaktionskinetik). Werden Zustandsvariablen sehr schnell im Vergleich zur Einstellgeschwindigkeit des G. verändert, so kann das System dieser Änderung nicht folgen. Der ursprüngliche Zustand wird bei einer anderen Temperatur oder einem anderen Druck "eingefroren". Es liegt ein metastabiler Zustand vor. Beispiele dafür sind die Gläser, stark fehlgeordnete Kristalle, übersättigte Dämpfe oder Lösungen und viele chem. Verbindungen. In der Werkstofftechnik und der Glasindustrie erzeugt man durch plötzliche Temperaturabsenkung (Abschrecken) gezielt metastabile Zustände mit besonderen Werkstoffeigenschaften. Metastabile Zustände bleiben bei kleinen Änderungen der äußeren Bedingungen dabei meist unverändert, können aber auch aufgrund einer plötzlichen Überwindung der inneren Hemmungen sprunghaft in das G. übergehen (z. B. Siedeverzug bei überhitzten Flüssigkeiten, Kristallisation nach der Bildung von Kristallkeimen).
Wichtige thermodynamische G. sind die Phasengleichgewichte, die sich zwischen den verschiedenen Phasen von Ein- oder Mehrstoffsystemen ausbilden, und das chem. G. beim Ablauf chem. Reaktionen. Sie stellen nur aus makroskopischer Sicht zeitlich unveränderliche Ruhezustände dar. Mikroskopisch findet z. B. bei einem eingestellten Dampfdruckgleichgewicht ein ständiger Stoffaustausch zwischen der gasförmigen und der flüssigen Phase statt, aber die Stoffströme sind in beide Richtungen gleich. Es liegt ein dynamisches G. vor. Analog sind im chem. G. die Geschwindigkeiten der Hin- und der Rückreaktion einander gleich, so daß makroskopisch eine Stoffumwandlungsgeschwindigkeit von Null beobachtet wird. Diese Tatsache nutzten Guldberg und Waage zur kinetischen Herleitung des Massenwirkungsgesetzes.
Zur Ableitung von Gesetzmäßigkeiten können die verschiedenen Gleichgewichtskriterien (Thermodynamik) genutzt werden: a) in abgeschlossenen Systemen hat die Entropie S ein Maximum, d. h. dS = 0; b) in geschlossenen Systemen haben bei konstanter Temperatur die freie Energie F und die freie Enthalpie G Minima, d. h. dF = 0 und dG = 0; c) in Mehrstoffsystemen gilt für jede einzelne Komponente i Konstanz seines chem. Potentials, d. h. dμi = 0.
Als gekoppeltes G. bezeichnet man einen im thermodynamischen G. befindlichen Vorgang, an dem mehrere Teilschritte beteiligt sind. Das können mehrere chem. Reaktionen, aber auch physikalische Prozesse, wie Phasenübergänge oder Adsorptionsprozesse, sein. Für gekoppelte G. gilt das Prinzip des detaillierten G. oder der mikroskopischen Reversibilität: Ein aus mehreren Teilschritten zusammengesetzter Vorgang befindet sich dann und nur dann im G., wenn jeder Teilschritt in sich im G. vorliegt.
4) Fließgleichgewicht, besser stationärer Zustand, ein zeitlich konstanter Zustand, der sich einstellt, wenn durch ein nicht abgeschlossenes System ein Energie- und/oder Stoffstrom fließt. Die Energie- bzw. Stoffzufuhr, der Vorgang im Inneren des Systems und der Energie- bzw. Stoffabtransport kompensieren sich so, daß keine zeitliche Veränderung auftritt (z. B. in technischen durchströmten Reaktoren oder biologischen Systemen). Auch das radioaktiveG. innerhalb radioaktiver Zerfallsreihen ist ein stationärer Zustand.
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