Lexikon der Kartographie und Geomatik: Wahrnehmungstäuschungen in Karten
Wahrnehmungstäuschungen in Karten, Abweichungen zwischen Informationen, die bei der Wahrnehmung kartographischer Strukturen (vgl. Kartennutzung) vom Menschen durch sein perzeptiv-kognitives System aufgenommen und verarbeitet werden und der objektiven Zeichensituation auf der Karte. Es handelt sich somit um Objekten und Strukturen subjektiv zugeschriebene Eigenschaften, für die objektiv keine Entsprechung besteht. Teilkategorien sind die optischen Täuschungen und die Kontrasterscheinungen(Abb. 1).
Die Praxis der Kartennutzung lehrt, dass dem nicht mit den theoretischen Problemen der Wahrnehmung vertrauten Nutzer die Täuschungen i. a. unbewusst bleiben und selbst der mit diesen Erscheinungen vertraute Fachmann meist vergeblich nach klassischen Vergleichsfällen suchen wird. Trotzdem besteht kein Zweifel, dass insbesondere in thematischen Karten unter bestimmten Bedingungen, die u. a. von der graphischen Gefügestruktur, den angewandten kartographischen Darstellungsmethoden, und den verwendeten Farben abhängig sind, zahlreiche Fälle und Varianten von Wahrnehmungstäuschungen auftreten, die die Dekodierungssicherheit im Rahmen der visuellen Kartennutzung nicht unerheblich beeinträchtigen können. Diesbezügliche empirische Untersuchungen liegen vor. Die Wirkung geometrisch-optischer Täuschungen in Karten soll im folgenden an drei Beispielen beschrieben werden:
1. Titchener'sche Vergleichstäuschung bei Mengensignaturen und Diagrammfiguren(Abb. 2 ): Ein von kleineren Kreisen umgebener Mittelkreis A (Inkreis) wirkt visuell größer als ein in Wirklichkeit gleich großer Inkreis B, der von deutlich größeren Kreisen umgeben ist. Die Erscheinung kann in Abhängigkeit von der Anordnung und den Größenrelationen der Kreise mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. Diese Täuschung ist für Karten von Bedeutung, in denen kreisförmige Mengensignaturen in großem Umfang für die Darstellung absoluter Werte verwendet werden (z. B. in Bevölkerungskarten und Wirtschaftskarten). Damit es bei der Verwendung gestufter Größenskalen nicht infolge von Täuschungen zur Verwechslung mit einer benachbarten Größenklasse kommt, sollten die Größenintervalle ausreichend groß gewählt werden.
2. Wundt'sche Konfluxionstäuschung bei Diagrammsignaturen mit verschiedenartigen konzentrischen Ringen (Abb. 3): Der visuelle Vergleich bzw. die Größenschätzung von Innen- und von Außenkreises kann hier in Abhängigkeit von der Konfiguration und dem Abstand der Kreise/Ringe fehlerhaft ausfallen. Aus diesem Grunde sollten in thematischen Karten Ringdiagramme möglichst vermieden und durch vollflächige Kreissektorendiagramme ersetzt werden.
3. Poggendorf'sche Täuschung bei sich schneidenden doppellinigen Signaturen (Abb. 4): Bei schrägen Schnitten derartiger Linien kommt es zu deutlich sichtbaren, in Wirklichkeit nicht vorhandenen Lageversetzungen der Linienpaare.
Optische Täuschungen werden sich in Karten nie völlig vermeiden lassen, doch eine hinreichende Berücksichtigung dieser Phänomene kann die Gefahr fehlerhafter Informationsentnahme deutlich vermindern. Neben den bei der Figuralwahrnehmung auftretenden Täuschungserscheinungen, die sich (mit wenigen Ausnahmen) auf die metrischen Verhältnisse und weitere Komponenten der Formwahrnehmung beziehen, wird die Objektivität der Wahrnehmung bunter und unbunter Kartenzeichen unter bestimmten Bedingungen durch verschiedene Kontrasterscheinungen beeinflusst. Handelt es sich um bunte Strukturen oder Flächen, dann kann die visuelle Wirkung der Farbe (Komponenten Helligkeit, Farbton und Sättigung) mehr oder weniger verändert sein. Insbesondere ist der Simultankontrast recht häufig im Kartenbild wirksam. Analog den optischen Täuschungen lässt dieser sich nicht immer gestalterisch vermeiden, doch sollten die Farbkombinationen und Farbwertabstände so konzipiert werden, dass Farbverwechselungen bereits bei der redaktionellen Vorbereitung der Kartenbearbeitung vorgebeugt wird (vgl. Kontrast).
WKH
Literatur: [1] KOCH, W.G. (1986): Experimentelle Untersuchungen von Täuschungsbeträgen bei kreisförmigen Kartenzeichen. In: Petermanns Geograph. Mitteilungen, Gotha, 269-279. [2] KOCH, W.G. (1991): Der Kontrast im Bild thematischer Karten. In: Kartographische Forschungen und anwendungsorientierte Entwicklungen. Wien, 79-88 (= Geowiss. Mitteilungen TU Wien, H. 39).
Wahrnehmungstäuschungen in Karten 1:Wahrnehmungstäuschungen in Karten 1: Gliederung der Kontraste und Zusammenhänge zwischen ihnen.
Wahrnehmungstäuschungen in Karten 2:Wahrnehmungstäuschungen in Karten 2: Kartenausschnitt mit Titchener'scher Vergleichstäuschung: die geometrisch-optische Täuschung läßt die Signatur A größer erscheinen als die Signatur B. In Wirklichkeit ist B größer als A.
Wahrnehmungstäuschungen in Karten 3:Wahrnehmungstäuschungen in Karten 3: Kartenausschnitt mit Wundt'scher Konfluxionstäuschung.
Wahrnehmungstäuschungen in Karten 4:Wahrnehmungstäuschungen in Karten 4: Kartenausschnitt mit Poggendorf'scher Täuschung.
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