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Metzler Lexikon Philosophie: Geist

gilt allgemein als immaterielles Lebensprinzip und speziell als Denkkraft; beides trifft zu, da die ihm etymologisch zugrundeliegende »Erregung« und damit das »Außersichsein« jegliche Innerlichkeit und jedweden Selbstbezug ermöglicht.

(1) Anaxagoras versteht unter G. (griech. nous) das »dünnste« und »reinste«, dennoch alles durchdringende und sogar erkennende Element, das sich durch Unbeschränktheit sowie Autokratie auszeichnet und die Weltordnung so begründet, dass seine Selbstbewegung die kosmische Kreisbewegung und daraufhin die Aussonderung der trägen Elemente verursacht (VS Fr. B 12). In Anlehnung daran definiert Aristoteles den G. als die höchste Vollkommenheit der Seele, deren Denk- oder Erkenntnisvollzug. Während der G. als mögliche Vernunft (nous pathetikos), einer unbeschriebenen Tafel gleich, alles durch Aufnehmen der Formen werden kann, bewirkt der G. als tätige Vernunft (nous poietikos) alles durch Erhellen derselben, wie das Licht die Farben verwirklicht. Letzterer ist »unvermischt«, »leidensunfähig« bezüglich seines Objekts und vom Körper »getrennt«, als wesentlich tätige Wirklichkeit sogar »unsterblich« und »immerwährend«. Nach Plotin geht der G. aus der Vollkommenheit des Einen als sein »Bild« durch reflexives Erblicken seiner selbst hervor; er beinhaltet die Zweiheit von Erkennen und Erkanntem und damit die Vielheit selbst, insbesondere die Gattungen »Sein«, »Ruhe«, »Bewegung«, »Selbigkeit« und »Andersheit« (Enneaden V 1, 7; 4). In der für ihn konstitutiven Hinwendung zum Einen denkt der G. mit diesem sich selbst als Einheit von Denken und Sein; dieser »zweite Gott« ist sogar alles, da er alles in sich enthält (Enneaden V 9, 5; V 5, 3). Für Augustin entdeckt der G. (lat. mens) als »Prinzip des Menschen, d.h. Haupt der menschlichen Substanz« in sich die Gewissheit seiner selbst; der G. bestimmt sich als »Gedächtnis, Intelligenz und Wille« (De trinitate VI 9; X 10 f.). Nur mögliches Bild Gottes ist aber der G. in seinem immer aktiven, jeder diskursiven Tätigkeit vorausgesetzten »Versteck«, da er allein durch die Erkenntnis seiner selbst als Geschöpf vervollkommnet wird. Gegenüber Thomas von Aquin, der den G. als höchste Potenz der Seele versteht (S. th. I 77, 6 ad 2), setzt Dietrich von Freiberg den Intellectus agens mit dem abditum mentis Augustins identisch und begreift den G. so als Effizienzgrund der Seele. Dieser erkennt drei Inhalte: seinen göttlichen Ursprung, aus dem er durch Erkennen hervorgeht, sein ihm eigentümliches Wesen und die Gesamtheit des Seienden, jedoch in einem einzigen Akt; somit erkennt er alles in Gott auf göttliche Weise (De intellectu II 37 ff.). Cusanus definiert den G. als das, »aus dem Grenze und Maß aller Dinge stammt« (Idiota de mente I). Nach seiner radikalsten Theorie besteht der alles umgreifende, alles erleuchtende und erfassende G. aus vier Einheiten, nämlich Gott (reine Negation), der Intelligenz (Konkordanz von Affirmation und Negation), der Seele (Unvereinbarkeit von Affirmation und Negation) und dem Körper (reine Affirmation) (De coniecturis I, 4–8).

(2) Aufgrund seiner wörtlichen Bedeutung von Atem bzw. Wind begreifen Anaximenes und dann die Stoiker unter »G.« (griech. pneuma; lat. spiritus) einen lebendigen Grundstoff, sogar die Weltseele. Anschließend behält »G.« die Bedeutungen »Gemüt« und »Lebenskraft« bei, obwohl er bisweilen mit der mens, etwa bei Augustin, identifiziert wird; Thomas von Aquin definiert den G. als »immaterielle Erkenntniskraft« (S. th. I 97, 3). – Dieselbe Etymologie liegt dem »G.« (heb. ruah ) im AT zugrunde; der G. Jahwes ist seine überwältigende schöpferisch-zerstörerische Macht, die auch die Propheten und die Führer seines Volkes inspiriert. Darüber hinaus bedeutet »G.« im NT die in Jesu geoffenbarte und im Glauben an ihn erfahrene Gottesgabe des neuen Lebens. Im Christentum wird die dritte Person der göttlichen Trinität, die laut Basileios (Spir. 9, 23) sogar das »Gott-Werden« des Menschen und nach Augustin (De trinitate XV 26 f.) die gegenseitige Liebe von Vater und Sohn vermittelt, »Heiliger G.« genannt.

(3) In seiner Phänomenologie des Geistes stellt Hegel die Entstehung des selbst denkenden Denkens aus dem endlichen, seinem Gegenstand entgegengesetzten, Wissen dar. Der G. besteht in Selbstunterscheidung und Zurückführung dieser Unterschiede zur Einheit. Als die Vernunft, die »sich ihrer selbst als ihrer Welt, und der Welt als ihrer selbst bewußt ist«, erscheint der G. in Sittlichkeit, Bildung und Moralität, dann in Religion und absolutem Wissen (Ges. Werke 9, S. 238). Gemäß Hegels enzyklopädischem System entwickelt sich der subjektive G. im individuellen Erkennen als Seele, Bewusstsein und Vernunft, die sich theoretisch als Anschauung, Vorstellen und Denken, praktisch als Gefühl, Trieb und Glückseligkeit, frei und damit einheitlich als vernünftiger Wille gestaltet. Im Anschluss an diesen entfaltet sich der objektive G. im kollektiven Handeln als Recht, Moralität und Sittlichkeit. Der absolute G. bestimmt sich durch Kunst, Religion und Philosophie, also durch angeschautes, vorgestelltes und begriffenes Denken des Denkens.

(4) Ryle verwirft jegliche dualistische Theorie vom G., die in ihm die privaten Ursachen beobachtbaren menschlichen Verhaltens ansiedeln will, als Kategorienfehler: Die Intelligenz befindet sich in der Praxis selbst. Vernunft.

Literatur:

  • H. J. Krämer: Der Ursprung der Geistmetaphysik. Amsterdam 21967
  • B. Mojsisch: Die Theorie des Intellekts bei Dietrich von Freiberg. Hamburg 1977
  • A. Peperzak: Selbsterkenntnis des Absoluten. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987
  • O. Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg/München 21993.
  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
FBS Franz-Bernhard Stammkötter, Bochum
FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
GSO Gianfranco Soldati, Tübingen
HB Harald Berger, Graz
HD Horst Dreier, Würzburg
HDH Han-Ding Hong, Düsseldorf
HG Helmut Glück, Bamberg
HGR Horst Gronke, Berlin
HL Hilge Landweer, Berlin
HND Herta Nagl-Docekal, Wien
HPS Helke Pankin-Schappert, Mainz
HS Herbert Schnädelbach, Berlin
IR Ines Riemer, Hamburg
JA Johann S. Ach, Münster
JC Jürgen Court, Köln
JH Jörg Hardy, Münster
JHI Jens Hinkmann, Bad Tölz
JK Jörg Klawitter, Würzburg
JM Jörg F. Maas, Hannover
JOP Jeff Owen Prudhomme, Macon/Georgia
JP Jörg Pannier, Münster
JPB Jens Peter Brune
JQ Josef Quitterer, Innsbruck
JR Josef Rauscher, Mainz
JRO Johannes Rohbeck, Dresden
JS Joachim Söder, Bonn
JSC Jörg Schmidt, München
JV Jürgen Villers, Aachen
KDZ Klaus-Dieter Zacher, Berlin
KE Klaus Eck, Würzburg
KG Kerstin Gevatter, Bochum
KH Kai-Uwe Hellmann, Berlin
KHG Karl-Heinz Gerschmann, Münster
KHL Karl-Heinz Lembeck, Würzburg
KJG Klaus-Jürgen Grün, Frankfurt a.M.
KK Klaus Kahnert, Bochum
KRL Karl-Reinhard Lohmann, Witten
KS Kathrin Schulz, Würzburg
KSH Klaus Sachs-Hombach, Magdeburg
LG Lutz Geldsetzer, Düsseldorf
LR Leonhard Richter, Würzburg
MA Mauro Antonelli, Graz
MB Martin Beisler, Gerbrunn
MBI Marcus Birke, Münster
MBO Marco Bonato, Tübingen
MD Max Deeg, Cardiff
MDB Matthias Bloch, Bochum
ME Michael Esfeld, Münster
MFM Martin F. Meyer, Koblenz/Landau
MK Matthias Kunz, München
MKL Martin Kleinsorge, Aachen
MKO Mathias Koßler, Mainz
ML Mark Lekarew, Berlin
MLE Michael Leibold, Würzburg
MM Matthias Maring, Karlsruhe
MN Marcel Niquet, Frankfurt a.M.
MQ Michael Quante, Köln
MR Mathias Richter, Berlin
MRM Marie-Luise Raters-Mohr, Potsdam
MS Manfred Stöckler, Bremen
MSI Mark Siebel, Hamburg
MSP Michael Spang, Ellwangen
MSU Martin Suhr, Hamburg
MW Markus Willaschek, Münster
MWÖ Matthias Wörther, München
NM Norbert Meuter, Berlin
OB Oliver Baum, Bochum
OFS Orrin F. Summerell, Bochum
PE Peter Eisenhardt, Frankfurt a.M.
PCL Peter Ch. Lang, Frankfurt a.M.
PK Peter Kunzmann, Jena
PN Peter Nitschke, Vechta
PP Peter Prechtl †
RD Ruth Dommaschk, Würzburg
RDÜ Renate Dürr, Karlsruhe
RE Rolf Elberfeld, Hildesheim
REW Ruth Ewertowski, Stuttgart
RH Reiner Hedrich, Gießen
RHI Reinhard Hiltscher, Stegaurach
RK Reinhard Kottmann, Münster
RL Rudolf Lüthe, Koblenz
RLA Rolf-Jürgen Lachmann, Berlin
RM Reinhard Mehring, Berlin
RP Roland Popp, Bremen
RS Regina Srowig, Würzburg
RTH Robert Theis, Strassen
RW Raymund Weyers, Köln
SD Steffen Dietzsch, Berlin
SIK Simone Koch, Bochum
SP Stephan Pohl, Dresden
SZ Snjezana Zoric, Würzburg
TB Thomas Bausch, Berlin
TBL Thomas Blume, Dresden
TF Thomas Friedrich, Mannheim
TG Thomas Grundmann, Köln
TH Thomas Hammer, Frankfurt a.M.
TK Thomas Kisser, München
TM Thomas Mormann, Unterhaching
TN Thomas Noetzel, Marburg
TP Tony Pacyna, Jena
TW Thomas Welt, Bochum
UB Ulrich Baltzer, München
UT Udo Tietz, Berlin
UM Ulrich Metschl, München/Leonberg
VG Volker Gerhardt, Berlin
VM Verena Mayer, München
VP Veit Pittioni, Innsbruck
VR Virginie Riant, Vechta
WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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