Therapieforschung: »Der Placeboeffekt ist besser als sein Ruf«
Herr Professor Rief, wie kamen Sie dazu, die Rolle der Erwartungen in der Psychotherapie zu ergründen?
Das begann 2004 bei einem Forschungsaufenthalt an der Harvard Medical School in Boston. Ich war damals ohne Impfausweis in die USA gereist, brauchte den aber, um an der Klinik zu arbeiten. In den fünf Wochen, die es dauerte, den Nachweis zu besorgen, saß ich stattdessen in der Bibliothek und analysierte Daten aus Arbeiten zum Nocebo- und Placeboeffekt (siehe »Kurz erklärt«, Anm. d. Red.). Es faszinierte mich, wie viel von der bloßen Überzeugung der Behandelten abhängt. Etwa bei Antidepressiva: Vergleicht man die Krankheitsverläufe von depressiven Menschen, die so ein Medikament erhielten, mit denen von Leuten, die ein wirkstofffreies Scheinpräparat schluckten, dann berichten Letztere im Schnitt von einer beinahe ebenso starken Besserung: Gut 70 Prozent der Wirkung gehen darauf zurück, dass die Menschen erwarten, die Pillen werden ihnen helfen.
Auf solche selbsterfüllenden Prophezeiungen in der Medizin und Psychotherapie hinzuweisen, wird von manchen sicher kritisch beäugt – hatten Sie keine Angst, als »Nestbeschmutzer« zu gelten, der die Wirksamkeit der Mittel selbst anzweifelt?
Ja, es gab und gibt durchaus solche Vorbehalte. Aber zunächst einmal finde ich: Heilung ist Heilung, gleichgültig worauf sie zurückgeht. Wenn ich plötzlich keine Schmerzen oder Traurigkeit mehr spüre, ist doch ziemlich egal, ob das nun vom Therapeutikum kommt, auf eine Spontanheilung zurückgeht oder auf meine persönliche Hoffnung ...
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