Wahrnehmung: Mein Schmerz, dein Schmerz
Es passiert ganz schnell: Die Zehe kracht gegen ein Tischbein, die Hand berührt den heißen Ofen oder die Haut am Knie ist aufgeschürft, nachdem man auf den Asphalt gestürzt ist. Das Gewebe um die Verletzung schwillt an, es wird warm und rötet sich. Meist tut es sofort weh, gelegentlich erst etwas später. Neben solchen Unfällen löst auch eine Vielzahl an internen Ursachen Schmerz aus – von Migräne über Muskelverspannungen bis hin zu entzündlichen Erkrankungen. Schmerzreize wandern dabei entlang der Nervenfasern von ihrem Ursprungsort zum Rückenmark und von dort aus ins Gehirn, das sie weiterverarbeitet. Dabei erfasst es die Schmerzart und seine Quelle und bewertet das Erlebnis emotional.
Wie unangenehm und störend jemand solche Erfahrungen empfindet, hängt allerdings nicht nur von der Stärke der eingehenden Reize ab. »Schmerz ist mehrdimensional«, erklärt Erika Sirsch, Professorin für Pflegewissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Früher glaubte man zwar, die Empfindungen seien rein physiologisch bedingt. »Doch heute wissen wir, dass ganz unterschiedliche Faktoren zusammenspielen.« Neben den biologischen tragen auch psychologische und soziale Aspekte bei. Fachleute sprechen in dem Zusammenhang von einem biopsychosozialen Krankheitsmodell. Zur Veranschaulichung nennt Sirsch das Beispiel eines angestoßenen Knies: Wer schlechte Laune hat, gestresst und genervt ist, empfinde die Kollision eher als schmerzhaft. »Das Knie tut möglicherweise noch den ganzen Tag weh«, fügt sie hinzu. Zieht die Person sich dieselbe Verletzung zu, während sie gut gelaunt und auf dem Weg in den langersehnten Urlaub ist, »dann kann es sein, dass sie erst am Abend einen blauen Fleck entdeckt und sich wundert, wo sie sich gestoßen hat.« Wer fröhlich ist, nimmt Schmerz also weniger wahr? »Genau« …
Die neue Gehirn&Geist-Serie »Schmerz« im Überblick:
Teil 1: Mein Schmerz, dein Schmerz (dieses Heft)
Teil 2: Ein Leben in Pein (G&G 8/2023)
Teil 3: Verletzte Gefühle (G&G 9/2023)
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