Lebensgemeinschaften: Das Grauen kehrt immer zurück
Er ist dünn und gemein, heimtückisch, hinterlistig und bringt den Tod; seine Opfer treibt er in Wahnsinn und Selbstmord. Dann aber - endlich! - lauern tödliche Bedrohung und damit Gerechtigkeit auch auf ihn. Dachte man bislang.
Sein Name ist Paragordius tricuspidatus, und er lebt sein wildes Leben ohne Rücksicht auf Verluste. Geburt und Tod ereilen den Gordischen Schmarotzer-Wurm im freien Wasser von Tümpeln, Bächen und Seen, wo erwachsene Exemplare am Ende nur noch an das Eine denken. Männchen und Weibchen der langen, peitschenförmigen "Nematomorpha" ballen sich bei erster Gelegenheit massenhaft in zuckenden, wilden Knäueln, paaren sich – und sterben. Knapp zuvor bringen die Weibchen noch die Laich-Saat der nächsten Generation aus. Mit ihr wird das Unglück erneut seinen Lauf nehmen.
Zumindest aus Sicht von unvorsichtig am Ufer flanierenden Insekten-Passanten – der Zielgruppe der Jung-Saitenwürmer. Während manche der Würmer des trockenen Wartens an Land überdrüssig werden und unter einer Zysten-Schutzkappe auf bessere Zeiten warten, sind andere quicklebendig: Sie entern vorbeikommende Käfer oder Heuschrecken und bohren sich mit Hilfe des harter Penetrationssporns ihrer Vorderseite durch nachgiebige Gelenkhäute ins Insekten-Innere. Die wartenden Zysten dienen sich indes als Appetithappen an und können so – gerne auch über von hungrigen Räubern verspeiste Krabbler-Zwischenstationen – in ein landlebendes Insekt gelangen.
Hier dann, endlich am Ziel aller Wünsche, parasitieren die Jungwürmer eine glückliche Adoleszenz lang am Nährstoffreichtum ihrer Wirte, werden fett, rundlich und schließlich sehr, sehr lang gestreckte Erwachsene. Eine vergleichsweise ruhige Zeit des Wohlstands – die aber spätestens mit dem Erwachen sexueller Appetenz des Wurmes schlagartig beendet ist. Ihr Trieb zwingt Weibchen und Männchen zurück ins Wasser, um dort dem anderen Geschlecht zu begegnen und ihren Lebenszyklus zu beschließen. Doch davor haben die Würmer offensichtlich ein Problem.
Das zweithäufigste Schicksal: Tod durch Gefressenwerden, diesmal von Frosch, Fisch oder anderen hungrigen Wasserwesen. Und das nun, so dachten sich Thomas und seine Kollegen, sollte tatsächlich auch ein Problem der Saitenwürmer sein. Denn verlassen bummelnde Parasiten ihren absaufenden Sechsbeiner nicht rechtzeitig, so werden am Ende auch sie Beute eines hungrigen Räubers.
Für das Kunststück nahmen sich die Würmer durchschnittlich 8,6 Minuten, stoppten die Wissenschaftler. Traten die Würmer aber nicht spätestens nach fünf Minuten von außen sichtbar auf den Plan, so kehrten sie nie wieder – wohl sterbend zerlegt im "feindseligen Milieu des Räuber-Verdauungstraktes", wie die Wissenschaftler eher kühl formulieren. Mitleid ist für solche Schmarotzer-Versager allerdings kaum angebracht: Auch sie hatte die Evolution schließlich mehr als gut auf alle Eventualitäten vorbereitet, auch sie hatten ihre Chance. Die Grillen wären darüber schon froh gewesen.
Zumindest aus Sicht von unvorsichtig am Ufer flanierenden Insekten-Passanten – der Zielgruppe der Jung-Saitenwürmer. Während manche der Würmer des trockenen Wartens an Land überdrüssig werden und unter einer Zysten-Schutzkappe auf bessere Zeiten warten, sind andere quicklebendig: Sie entern vorbeikommende Käfer oder Heuschrecken und bohren sich mit Hilfe des harter Penetrationssporns ihrer Vorderseite durch nachgiebige Gelenkhäute ins Insekten-Innere. Die wartenden Zysten dienen sich indes als Appetithappen an und können so – gerne auch über von hungrigen Räubern verspeiste Krabbler-Zwischenstationen – in ein landlebendes Insekt gelangen.
Hier dann, endlich am Ziel aller Wünsche, parasitieren die Jungwürmer eine glückliche Adoleszenz lang am Nährstoffreichtum ihrer Wirte, werden fett, rundlich und schließlich sehr, sehr lang gestreckte Erwachsene. Eine vergleichsweise ruhige Zeit des Wohlstands – die aber spätestens mit dem Erwachen sexueller Appetenz des Wurmes schlagartig beendet ist. Ihr Trieb zwingt Weibchen und Männchen zurück ins Wasser, um dort dem anderen Geschlecht zu begegnen und ihren Lebenszyklus zu beschließen. Doch davor haben die Würmer offensichtlich ein Problem.
Wie sie es lösen – wie also ein Saitenwurm es vom Inneren wasserscheuer, landlebender Insekten in den nächsten Tümpel schafft – ist ein parasitologisches Kunststück für sich, von dem Frédéric Thomas und seine Kollegen einem staunenden Interessentenkreis bereits vor drei Jahren berichteten. Die Forscher des staatlichen wissenschaftlichen Forschungszentrum Frankreichs CNRS hatten eine perfide molekulare Geistesmanipulation befallener Insekten entdeckt, die von den vom Sexualtrieb gereizten Saitenwürmer eingefädelt wird.
Unter dem Einfluss bestimmter wurmproduzierter Neuroproteine verlieren die wasserscheuen Wirte plötzlich jede Abneigung gegen feuchtes Nass – Videofilme belegen etwa einen kühnen, ohne Zögern ausgeführten Sprung vom Rand eines Swimmingpools, den ein nüchtern kalkulierendes Insekt sicher nie gewagt hätte. Die Saitenwürmer hatten das Gehirn und damit das Verhaltensprogramm sicher im Griff und offenbar nach ihrem Sinn umprogrammiert – kaum im feuchten Element angekommen, verlassen die Würmer dann ihre zappelnde, innen angefressene Ex-Unterkunft zügig. Und während die frei gewordenen Würmer längst unterwegs sind, um sich bald massenorgiastisch sexuell zu verlustieren, ist das häufigste traurige Schicksal des miss- und verbrauchten, hektisch im Wasser zappelnden Insektenlebens der Tod durch Ertrinken.
Das zweithäufigste Schicksal: Tod durch Gefressenwerden, diesmal von Frosch, Fisch oder anderen hungrigen Wasserwesen. Und das nun, so dachten sich Thomas und seine Kollegen, sollte tatsächlich auch ein Problem der Saitenwürmer sein. Denn verlassen bummelnde Parasiten ihren absaufenden Sechsbeiner nicht rechtzeitig, so werden am Ende auch sie Beute eines hungrigen Räubers.
Oder nicht? Thomas, seine Kollegin Fleur Ponton und Kollegen legen nach und berichten nun von einer weiteren Problemlösungsstrategie der erstaunlichen Schmarotzer. Dazu holten sie sich Vertreter aller drei beteiligten Parteien ins Labor: Hungrige wasserlebende Räuber (Forellen, Barsche und Frösche), bedauernswerte Insekten (Grillen) und, in deren Inneren, eben Paragordius tricuspidatus. Räuber, Beute und Parasit schubsten die Forscher dann in ein gemeinsames Becken – und harrten insgesamt 477 Mal der Dinge, die da unweigerlich passieren werden.
Tatsächlich geschah, mal abgesehen vom wenig überraschenden schnellen Ende der Insekten, völlig Unvorhergesehenes: In rund zwanzig Prozent aller Fälle, in denen Fische Insekt und darin hausenden Wurm verschlangen, schlängelte sich der fadenförmige Schmarotzer vor den Augen der erstaunten Beobachter bald wieder durch Maul, Kiemen oder Nase aus dem Räuber heraus – bei Fröschen gelang das sogar 35 Prozent aller gefressenen Paragordiusse.
Für das Kunststück nahmen sich die Würmer durchschnittlich 8,6 Minuten, stoppten die Wissenschaftler. Traten die Würmer aber nicht spätestens nach fünf Minuten von außen sichtbar auf den Plan, so kehrten sie nie wieder – wohl sterbend zerlegt im "feindseligen Milieu des Räuber-Verdauungstraktes", wie die Wissenschaftler eher kühl formulieren. Mitleid ist für solche Schmarotzer-Versager allerdings kaum angebracht: Auch sie hatte die Evolution schließlich mehr als gut auf alle Eventualitäten vorbereitet, auch sie hatten ihre Chance. Die Grillen wären darüber schon froh gewesen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.