Darwinjahr 2009: Tod und Gott
Nichts erscheint widersinniger als ein Attentäter, der sich und andere in den Tod reißt. Evolutionsbiologen suchen nach einer Erklärung für dieses Verhalten.
200 Jahre nach seiner Geburt und 150 Jahre nach der Veröffentlichung seines Hauptwerks hat Charles Darwin (1809-1882) nichts von seiner Strahlkraft eingebüßt. Vor allem im Jubiläumsjahr diskutieren Wissenschaftler und Publizisten aller Fachrichtungen, welche Bedeutung seine revolutionären Thesen für unseren heutigen Alltag haben – so auch auf der Tagung "Die Fruchtbarkeit der Evolution", die das Nürnberger Museum "Turm der Sinne" im Mai 2009 durchgeführt hat.
Der Tübinger Evolutionsbiologe Thomas Junker hat sich hier einen besonderen Aspekt ausgesucht: die evolutionäre Logik der Selbstmordattentate. Evolutionsbiologisch erscheint es widersinnig, selbst in den Tod zu gehen und dabei möglichst viele Menschen mitzureißen. Welchen Selektionsvorteil sollte das haben?
Einer für alle
"Ziel" der Evolution ist, möglichst viele der eigenen Gene weiterzugeben. Deshalb scheuen Säugetiere weder Zeit noch Mühe, um ihre Jungen aufzuziehen, bis diese alleine überlebensfähig sind. Können die Gene jedoch auch weitergegeben werden, ohne dass sich das Individuum selbst fortpflanzt?
Diese These der Sippenselektion, die beispielsweise das scheinbar selbstlose Verhalten steriler Arbeiterinnen von Insektenstaaten erklären kann, lässt sich jedoch laut Junker nicht so ohne Weiteres auf den Menschen übertragen. Weil Kinderwunsch und Interesse an sexuellen Kontakten recht intensiv sind, interpretiert er die evolutionäre Motivation für Selbstmordattentäter als "Notfallstrategie, die zum Tragen kommt, wenn die Chancen auf eigenen Nachwuchs schwinden". So sind Frauen, die sich in Attentaten opfern, meist über 24 Jahre und damit in einem Alter, in dem die Heiratschancen in ihren traditionellen Gesellschaften rapide abnehmen. Ein weiteres Motiv könnte eine erlittene Vergewaltigung sein – ein Makel, der die Gründung einer Familie zunichte macht.
Nachteil als Vorteil
Rätsel geben aber vor allem die jungen Männer auf, die im besten Reproduktionsalter zwischen 19 und 23 Jahren freiwillig und spektakulär inszeniert in den Tod gehen. Junker zieht als Erklärung das "Handikap-Prinzip" des israelischen Zoologen Amotz Zahavi heran, das auf Darwins These der sexuellen Auslese basiert: Weibchen wählen ihre männlichen Geschlechtspartner nach auffälligen sexuellen Merkmalen oder Signalen aus, die aber nicht nur sie, sondern auch Feinde anlocken. Wenn ein Männchen trotz dieses Handikaps überleben kann, scheint es über besonders gute Gene zu verfügen. Für ein Weibchen verdient es also besondere Anerkennung.
Tatsächlich verhalten sich etliche junge Männer besonders risikoreich – sei es auf den Straßen, sei es im Sport. Untersuchungen ergaben, dass sich Frauen und Männer von diesem Verhalten beeindrucken lassen und Sexualpartner bevorzugt nach Mut und Risikobereitschaft auswählen.
Junge Selbstmordattentäter verhindern durch ihre Tat zwar ihre eigene Fortpflanzung. Sie erreichen aber dadurch hohe soziale Anerkennung in "Pseudofamilien" – politischen oder religiösen Gruppierungen, in denen sie sich geborgen fühlen.
Selbstmordattentäter sind meist tief religiös. Stellt Religiosität an sich bereits einen selektiven Vorteil dar, ist sie also das Ergebnis evolutionärer Anpassung oder doch eine rein kulturelle Erscheinung? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Philosoph, Biologe und Wissenschaftsjournalist Rüdiger Vaas. Dabei unterscheidet er zwischen Religiosität als Fähigkeit zu religiösem Erleben und Religion als kultureller Erscheinung. Wie die Neurotheologie zeigt, lässt sich religiöses Empfinden durch biochemische Substanzen und elektrische Reize auch bei Atheisten hervorrufen. Primär seien Atheisten jedoch "religiös unmusikalisch", wie Vaas es ausdrückt.
Die Gretchenfrage
Welche evolutionären Vorteile haben nun gläubige Menschen, die es ja in allen Kulturen gibt, wenn sie auch für die Götter der anderen jeweils Atheisten sind? Dem Individuum falle es durch seinen Glauben leichter, gravierende Erfahrungen, wie Angst vor Tod und Leid, zu bewältigen, ist Vaas überzeugt. Glaube gewähre Sinn, Orientierung und Ordnung zum Wohle der psychischen Gesundheit. Gleichzeitig forme er das Verhalten in Gruppen – was aber auch Machthaber ausnutzen können, um ihr Regime aufrechtzuerhalten. Für Vaas ist klar: Letztendlich erhöht Religiosität die Kooperationsbereitschaft und stabilisert damit die Gemeinschaft. Das engagierte Sozialverhalten kommt allen zugute und erweist sich so als gruppenselektiver Vorteil.
"Ist Religion aber auch sexy?", fragt Vaas. Stellt sie also aus evolutionsbiologischer Sicht ein begehrenswertes sexuelles Merkmal dar?
Dennoch lässt sich ein genetischer Faktor für Religiosität und Spiritualität nicht finden. Vaas hält Religiosität lediglich für ein Nebenprodukt der Evolution, das an sich keinen Überlebensvorteil bringt. Schließlich fehlt, so der Biologe, die Universalität innerhalb einer Art als bedeutendes Kriterium für evolutionäre Anpassung: Nicht alle Menschen sind religiös.
Der Tübinger Evolutionsbiologe Thomas Junker hat sich hier einen besonderen Aspekt ausgesucht: die evolutionäre Logik der Selbstmordattentate. Evolutionsbiologisch erscheint es widersinnig, selbst in den Tod zu gehen und dabei möglichst viele Menschen mitzureißen. Welchen Selektionsvorteil sollte das haben?
Einer für alle
"Ziel" der Evolution ist, möglichst viele der eigenen Gene weiterzugeben. Deshalb scheuen Säugetiere weder Zeit noch Mühe, um ihre Jungen aufzuziehen, bis diese alleine überlebensfähig sind. Können die Gene jedoch auch weitergegeben werden, ohne dass sich das Individuum selbst fortpflanzt?
Jedes Tier und jede Pflanze erhält von den Eltern sein Erbgut jeweils zur Hälfte, doch auch mit seinen nächsten Verwandten hat es einen Anteil an Erbinformation gemeinsam. Je näher die Verwandtschaft, desto mehr eigene Gene gibt das Individuum also indirekt weiter – auch wenn es sich nicht selbst vermehrt. Opfert sich der Einzelne für die Gruppe, indem er sie unter Einsatz seines Lebens schützt oder verteidigt, sichert er damit das Überleben der eigenen Familie und investiert somit indirekt in die Nachkommen der Verwandten. Damit ermöglicht er den Fortbestand seiner eigenen ererbten Eigenschaften. Sein Handeln ist also nicht selbstlos, sondern auf den zweiten Blick eine Form von reziprokem Altruismus.
Diese These der Sippenselektion, die beispielsweise das scheinbar selbstlose Verhalten steriler Arbeiterinnen von Insektenstaaten erklären kann, lässt sich jedoch laut Junker nicht so ohne Weiteres auf den Menschen übertragen. Weil Kinderwunsch und Interesse an sexuellen Kontakten recht intensiv sind, interpretiert er die evolutionäre Motivation für Selbstmordattentäter als "Notfallstrategie, die zum Tragen kommt, wenn die Chancen auf eigenen Nachwuchs schwinden". So sind Frauen, die sich in Attentaten opfern, meist über 24 Jahre und damit in einem Alter, in dem die Heiratschancen in ihren traditionellen Gesellschaften rapide abnehmen. Ein weiteres Motiv könnte eine erlittene Vergewaltigung sein – ein Makel, der die Gründung einer Familie zunichte macht.
Nachteil als Vorteil
Rätsel geben aber vor allem die jungen Männer auf, die im besten Reproduktionsalter zwischen 19 und 23 Jahren freiwillig und spektakulär inszeniert in den Tod gehen. Junker zieht als Erklärung das "Handikap-Prinzip" des israelischen Zoologen Amotz Zahavi heran, das auf Darwins These der sexuellen Auslese basiert: Weibchen wählen ihre männlichen Geschlechtspartner nach auffälligen sexuellen Merkmalen oder Signalen aus, die aber nicht nur sie, sondern auch Feinde anlocken. Wenn ein Männchen trotz dieses Handikaps überleben kann, scheint es über besonders gute Gene zu verfügen. Für ein Weibchen verdient es also besondere Anerkennung.
Tatsächlich verhalten sich etliche junge Männer besonders risikoreich – sei es auf den Straßen, sei es im Sport. Untersuchungen ergaben, dass sich Frauen und Männer von diesem Verhalten beeindrucken lassen und Sexualpartner bevorzugt nach Mut und Risikobereitschaft auswählen.
Junge Selbstmordattentäter verhindern durch ihre Tat zwar ihre eigene Fortpflanzung. Sie erreichen aber dadurch hohe soziale Anerkennung in "Pseudofamilien" – politischen oder religiösen Gruppierungen, in denen sie sich geborgen fühlen.
Selbstmordattentäter sind meist tief religiös. Stellt Religiosität an sich bereits einen selektiven Vorteil dar, ist sie also das Ergebnis evolutionärer Anpassung oder doch eine rein kulturelle Erscheinung? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Philosoph, Biologe und Wissenschaftsjournalist Rüdiger Vaas. Dabei unterscheidet er zwischen Religiosität als Fähigkeit zu religiösem Erleben und Religion als kultureller Erscheinung. Wie die Neurotheologie zeigt, lässt sich religiöses Empfinden durch biochemische Substanzen und elektrische Reize auch bei Atheisten hervorrufen. Primär seien Atheisten jedoch "religiös unmusikalisch", wie Vaas es ausdrückt.
Die Gretchenfrage
Welche evolutionären Vorteile haben nun gläubige Menschen, die es ja in allen Kulturen gibt, wenn sie auch für die Götter der anderen jeweils Atheisten sind? Dem Individuum falle es durch seinen Glauben leichter, gravierende Erfahrungen, wie Angst vor Tod und Leid, zu bewältigen, ist Vaas überzeugt. Glaube gewähre Sinn, Orientierung und Ordnung zum Wohle der psychischen Gesundheit. Gleichzeitig forme er das Verhalten in Gruppen – was aber auch Machthaber ausnutzen können, um ihr Regime aufrechtzuerhalten. Für Vaas ist klar: Letztendlich erhöht Religiosität die Kooperationsbereitschaft und stabilisert damit die Gemeinschaft. Das engagierte Sozialverhalten kommt allen zugute und erweist sich so als gruppenselektiver Vorteil.
"Ist Religion aber auch sexy?", fragt Vaas. Stellt sie also aus evolutionsbiologischer Sicht ein begehrenswertes sexuelles Merkmal dar?
"Ist Religion sexy?"
(Rüdiger Vaas)
Das erweist sich hier als Gretchenfrage ("Wie hast du's mit der Religion?"). Frauen sind offenbar eher geneigt, gläubige Männer als Agnostiker für treu zu halten; laut Vaas bietet Religion in den Veranstaltungen der Religionsgemeinschaften eine "Werbefläche". Zudem ließ sich feststellen, dass religiöse Menschen mehr Kinder in die Welt setzen als nicht gläubige. (Rüdiger Vaas)
Dennoch lässt sich ein genetischer Faktor für Religiosität und Spiritualität nicht finden. Vaas hält Religiosität lediglich für ein Nebenprodukt der Evolution, das an sich keinen Überlebensvorteil bringt. Schließlich fehlt, so der Biologe, die Universalität innerhalb einer Art als bedeutendes Kriterium für evolutionäre Anpassung: Nicht alle Menschen sind religiös.
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