Lexikon der Biologie: Muscheln
Muscheln [von *muschel- ], Bivalvia, auch Acephala, Cormopoda, Lamellibranchia, Pelecypoda, Klasse wasserlebender Weichtiere ( vgl. Abb. ) mit weniger als 8000 Arten, die auf 5 Unterklassen ( vgl. Tab. ) verteilt werden. Muscheln haben einen reduzierten Kopf und seitlich abgeflachten Körper, der von 2 lateralen Mantel-Lappen (Mantel) eingehüllt wird. Diese scheiden eine 2klappige Schale ab, die den Weichkörper meist vollständig umschließt. Die Schale besteht überwiegend aus CaCO3-Schichten (Kalk) verschiedener Kristallisationsformen, außen von der Schalenhaut (Periostrakum) bedeckt. Die Klappen (Gehäuse) werden in Rückenmitte durch das elastische Ligament (Scharnierband) beweglich verbunden; der benachbarte Klappenrand bildet durch ineinandergreifende Leisten und Vorsprünge („Zähne“) ein Scharnier (früher: Schloß), das seitliche Verschiebung einschränkt (und Kriterien für die systematische Gliederung der Muscheln bietet). Der Flächenzuwachs der Schalen (Zuwachsstreifen) erfolgt am Rande; daher sind Muscheln meist konzentrisch zum ältesten Teil, den Wirbeln (Umbonen; Umbo), gestreift. Die Manteloberfläche lagert Kalk von innen an die Schalenflächen und verdickt sie dadurch. Die Klappen werden untereinander und mit dem Weichkörper durch ursprünglich 2 Schließmuskeln verbunden, von denen einer bei manchen Muscheln reduziert wird (Anisomyaria, Monomyaria). Ligament (oft unterstützt durch einen Schließknorpel = Resilium) und Schließmuskeln wirken beim Öffnen und Schließen der Klappen antagonistisch zusammen (Antagonismus); Steuerung durch die Cerebropleuralganglien. Die Schließmuskeln sind aus einem schnellen Schließer und einem trägen Sperrmuskel (Muskulatur) aufgebaut, der mit geringem Energieaufwand die Klappen lange geschlossen halten kann (Paramyosin). Der Mantelrand ist im allgemeinen in 3 Falten gegliedert: von der inneren gehen Muskelfasern aus, die in der Mantellinie an der Schale ansetzen; die mittlere enthält zahlreiche Sinneszellen, trägt manchmal Augen und Tentakeln; die äußere bildet die Schale. Meist verwachsen die Mantelränder so, daß nur 1 Durchtrittsstelle für den Fuß, 1 Ein- und 1 Ausströmöffnung für das Wasser offen bleiben. Die beiden letztgenannten Öffnungen können an die Spitze von röhrenförmigen Mantelrandfortsätzen, den Siphonen (Sipho), verlagert sein. Der Wassereinstrom wird durch Wimpern bewirkt, die auf den in der Mantelhöhle gelegenen Kiemen inserieren. Das Atemwasser führt gleichzeitig Partikel heran, die an den Kiemen durch Schleimnetze abfiltriert werden. Die unverdaulichen werden aussortiert und als „Pseudofaeces“ verworfen; die brauchbaren gelangen über Wimperbahnen zum Mund und durch den Oesophagus in den Magen. Hier wird die Nahrung mit Enzymen aus dem Kristallstiel vermischt und in den anschließenden Magendivertikeln resorbiert. Die Reste gelangen über Mitteldarm und Enddarm in die Mantelhöhle und ins Freie. Der Enddarm zieht bei vielen Muscheln durch das Herz, das aus 1 Kammer und 2 Vorhöfen besteht. Aus der Kammer gelangt das Blut in eine vordere und eine hintere Aorta, von da in Lakunen, sammelt sich in Sinus, kommt in Nieren, Kiemen und Vorhöfe. Blutfarbstoff ist Hämocyanin, selten Hämoglobin. Die Kiemen sind sehr verschieden und werden zur Gruppierung der Muscheln benutzt. Sie beherbergen oft Eier oder Embryonen, besonders bei Süßwassermuscheln. Die primäre Exkretion erfolgt in den Herzbeutel, aus dem die schlauchförmigen Nieren mit einem Wimpertrichter entspringen. Außerdem werden Exkretkonkremente im Gewebe eingelagert. Die Keimdrüsen sind paarig, oft gelappt oder verästelt. Getrenntgeschlechtliche und zwittrige Arten können in einer Gattung nebeneinander vorkommen; Austern wechseln ihr Geschlecht mehrmals. Die Genitalöffnungen liegen neben den Exkretionsöffnungen; die Keimzellen werden mit dem Atemwasserstrom ausgestoßen. Befruchtung erfolgt im Wasser (seltener in der Mantelhöhle); es entsteht nach einer Spiralfurchung eine Hüllglockenlarve oder eine Veliger-Larve (Veliger); beide leben planktisch (Ausnahme: Glochidien). Sie legen eine einheitliche Schale an, die später seitlich umbiegt und so zweiklappig wird. Der Fuß (Podium) ist früh entwickelt; er hat meist eine Drüse (Fußdrüsen), die Byssus produziert, mit dem sich die Jungmuschel festheftet. Anschließend können durch allometrisches Wachstum (Allometrie) auch sehr aberrante Formen entstehen (z.B. Schiffsbohrer). Das Nervensystem ist relativ einfach; Zentren sind die paarigen Cerebropleuralganglien, Pedalganglien und Visceralganglien, die weitgehend selbständig sind; nur erstere haben auch koordinierende Funktion. Sinneszellen sind im gesamten Weichkörper verteilt; an Sinnesorganen gibt es Statocysten (Gleichgewichtsorgane), Osphradien und Augen von unterschiedlicher Entwicklungsstufe (Kammuscheln). Das Verhaltensinventar ist einfacher als bei anderen Weichtieren und entspricht der überwiegend festsitzenden Lebensweise. – Die Muscheln leben auf oder im Sediment, im Süßwasser, Meerwasser und Brackwasser, auch in großen Tiefen; hohe Bestandsdichten werden in „Bänken“ erreicht (Austern, Miesmuscheln). Wenige Arten können schwimmen (Feilenmuscheln, Kammuscheln), viele bohren in weichem Substrat (Bohrmuscheln, Fortbewegung [Abb.]). Als Filtrierer bewirken die Muscheln die Festlegung von Schwebeteilchen des Wassers in ihren Faeces und Pseudofaeces und tragen damit zur Wasserreinigung und zur Sedimenterhöhung bei. Wegen ihrer spezifischen Ansprüche werden viele Muscheln als Leitformen für Biozönosen benutzt; viele dienen als menschliche Nahrung (Auster, Herzmuscheln, Miesmuscheln). Bojanussche Organe, Hautlichtsinn, Muschelgeld, Muschelgifte, Muschelhaufen, Muschelkulturen, Muschelpflaster; Muscheln , Weichtiere.
K.-J.G.
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