Lexikon der Astronomie: Quantenkosmologie
Dieser Zweig der modernen Kosmologie verwendet Gesetzmäßigkeiten und Formalismen der Quantentheorie, um das Universum als Ganzes zu beschreiben.
Über den Ursprung der Welt
Vor allem ist sie eine wissenschaftliche Theorie der Kosmogonie, die also eine Entstehung des Universums zu erklären sucht. Die Urknall-Theorie ist hingegen streng genommen nur eine Theorie, die die Folgen des Urknalls erklärt und nicht dessen Ursache.
Der Kosmos als Wellenfunktion
Einen möglichen Zugang zur Quantenkosmologie eröffnet der Hamilton-Formalismus, den man auf die Einsteinsche Relativitätstheorie anwendet. Man verwendet den ADM-Formalismus, um die Raumzeit aufzubrechen und leitet die kanonischen Variablen aus der Lagrange-Dichte ab. Integration liefert die Hamilton-Dichte. Nun kann der kanonische Quantisierungsapparat, wie er auch exzessiv in den Quantenfeldtheorien angewendet wird, eingesetzt werden. Diesen Vorgang nennt man auch bisweilen Dritte Quantisierung. Auf diese Weise erhält man die kanonischen Vertauschungsrelationen und schließlich die Wheeler-DeWitt-Gleichung. Sie ist die relativistische (aber nicht kovariante!) Verallgemeinerung der Schrödinger-Gleichung für die Wellenfunktion des Universums.
Von Vakuum- und Baby-Universen
Die Quantenkosmologen können nun viele Analogien der mikroskopischen Quantentheorie auf den Kosmos übertragen: so gelangen sie zu einem Formalismus mit Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren, in dem nun nicht mehr Teilchen, sondern ganze Universen erzeugt bzw. vernichtet werden! Die erzeugten Mehrteilchenzustände (Fock-Zustände in der Quantentheorie) können Voids (Vakuum-Universen) sein, wenn man eine Quantenfeldtheorie mit freiem Wheeler-DeWitt-Operator aufzieht oder Baby-Universen sein, wenn man zum nichtlinearen Wheeler-DeWitt-Operator übergeht. Es sei angemerkt, dass die hier beschriebenen Voids einen Bedeutungsunterschied zu den (beobachteten) Voids der Kosmologie haben.
Mehr Freiheiten
Ein attraktiver Aspekt einer Quantenkosmologie ist, dass Kopplungskonstanten wie die kosmologische Konstante als dynamischer Parameter aufgefasst werden können. Diese Eigenschaft wurde zur Lösung des Koinzidenzproblem motiviert und mündete in Quintessenz-Modelle. Aber auch andere Parameter, die wir in unserem Universum als fundamentale Naturkonstanten (G, h, c, Feinstrukturkonstante α etc.) ansehen, könnten in anderen Universen andere Werte annehmen.
Schöne, neue Quantenwelt
Die Implikationen einer Quantenkosmologie sind mehr als erstaunlich. Eine Übertragung des Teilchenbegriffs auf Universen entführt uns in eine phantastische Welt, wie sie vielleicht nicht mal im Science-Fiction-Genre gedacht wurde. Neben einer Vielfalt an Universen, was man oft als Multiversum bezeichnet, sollten Vernichtung und Erzeugung von Universen ebenso realisiert sein, wie virtuelle Universen, analog zu virtuellen Teilchen (die in der Atomspektroskopie bei der Lamb-Shift experimentell verifiziert wurden).
Der Gehalt einer solchen Theorie ist enorm, aber noch nicht völlig verstanden. So bereiten die Randbedingungen, die man an eine kosmische Wellenfunktion knüpfen muss, Probleme. Die Pioniere der Quantenkosmologie sind Wheeler, Vilenkin, Linde, Hartle und Hawking.
Im Ekpyrotischen Modell von Steinhardt & Turok (2001) werden Konzepte der Stringtheorien benutzt (Branenkosmologie), um die Ursache des Big Bang abzuleiten.
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