Lexikon der Biologie: Milchsäurebakterien
Milchsäurebakterien, physiologische, nicht-taxonomische Gruppe grampositiver, sporenloser, anaerober Stäbchen und Kokken ( ä vgl. Abb. ), die im Gärungsstoffwechsel (Gärung), beim Abbau von Kohlenhydraten, als Hauptendprodukt Milchsäure (Lactat) ausscheiden (Milchsäuregärung). Im Gegensatz zu anderen Milchsäureproduzenten (z.B. Escherichia coli) sind sie obligate Gärer, werden aber durch Luft-Sauerstoff nicht abgetötet (aerotolerant, Sauerstoffentgiftung durch Oxidasen und Peroxidasen). Sie besitzen normalerweise keine Porphyrine und Cytochrome. Früher wurden 5 Gattungen unterschieden ( ä vgl. Tab. 1 ), die taxonomisch unterschiedlichen Gruppen zugeordnet wurden. Aufgrund molekulargenetischer Untersuchungen erhielten einige Milchsäurebakterien mit niedrigem GC-Gehalt in der DNA einen neuen Gattungsnamen und wurden (vorläufig) in mehrere neue Familien eingeordnet ( ä vgl. Tab. 2 ). Die Bifidobakterien (Bifidobacterium) haben einen hohen GC-Gehalt in der DNA und gehören im Gegensatz zu fast allen anderen Milchsäurebakterien zu den Actinomyceten und verwandte Organismen (Actinobacteria). – Die Synthesefähigkeit der Milchsäurebakterien ist meist stark begrenzt, so daß die Nährböden eine Reihe von komplexen Wachstumsfaktoren (Supplinen; Ergänzungsstoffe) enthalten müssen, z.B. verschiedene Vitamine (Riboflavin, Thiamin, Pantothensäure, Biotin und andere) und Aminosäuren, auch Purine und Pyrimidine. So erfolgt die Anzucht z.B. in Nährböden mit Tomatensaft, Hefeextrakt, Blut. Dementsprechend sind Milchsäurebakterien in der Natur nur an wenigen Standorten zu finden ( ä vgl. Infobox ). Milchsäurebakterien vergären Kohlenhydrate; besonders wichtig ist die Verwertung von Lactose (Milchzucker). Da Lactose offenbar nicht im Pflanzenreich vorkommt, könnte die Lactosevergärung eine späte Anpassung an die im Säugerdarm vorliegenden Bedingungen sein (wie bei Enterobacteriaceae). Die homofermentativen Milchsäurebakterien bilden aus Glucose fast ausschließlich Milchsäure; die heterofermentativen Milchsäurebakterien nur zu ca. 50%, zusätzlich CO2 (Kohlendioxid) und Acetat oder Ethanol (Milchsäuregärung). Einen homofermentativen Gärungstyp besitzen z.B. die Arten der Gattungen Streptococcus, Pediococcus, Enterococcus, Lactococcus (Streptococcaceae), Lactobacillus (teilweise; Lactobacillaceae), einen heterofermentativen Typ die von Leuconostoc, Carnobacterium, Lactobacillus (teilweise). Die Art der gebildeten Milchsäure (D+, L–, DL) und der Aufbau des Mureins sind wichtige Bestimmungsmerkmale. – Milchsäurebakterien dienen seit alters her zum Haltbarmachen und Herstellen gesäuerter Nahrungsmittel und Futtermittel (Säuerung, Silage; ä vgl. Tab. 3 ). Dabei sind folgende Stoffwechselaktivitäten wichtig: 1) Die Vergärung von Milchzucker (oder anderen Zuckern) zu Milchsäure; der Abfall des Säurewerts auf 5,6–4,0 verhindert das Wachstum von Fäulnisbakterien (besonders Clostridium [Clostridien], Staphylococcus, Enterobacteriaceae und psychrophile, gramnegative Bakterien, wie Pseudomonas); in Milch wird durch diese Ansäuerung auch das Casein ausgefällt. 2) Die Bildung von Aromakomponenten; besonders wichtig ist Diacetyl (Butteraroma). 3) Die Abgabe von Proteasen, die zur Reifung von Käse beitragen und keine schädlichen oder unangenehmen Abbauprodukte bilden. Populär ist neuerdings der Verzehr von Joghurt und anderen Sauermilchprodukten, die mit probiotischen („lebensfördernden“) Stämmen von Milchsäurebakterien (z.B. Lactobacillus johnsonii, Lactobacillus casei, Streptococcus thermophilus, Bifidobacterium longum; Probiotika) hergestellt wurden. Diese Stämme, die aus der natürlichen menschlichen Darmflora isoliert wurden, sind aufgrund besonderer Eigenschaften isoliert worden (Joghurt). Viele der wichtigen Stoffwechseleigenschaften (Lactose-Stoffwechsel, Citratverwertung, proteolytische Aktivität) werden bei Streptokokken von Plasmiden codiert. Ein Problem bei der Anzucht von Streptokokken ist oft die Freisetzung von vorher temperenten Bakteriophagen. Viele Stämme der Milchsäurebakterien produzieren auch Bakteriocine oder Antibiotika, z.B. Nisin, Reutericyclin (Lantibiotika, Peptid-Antibiotika). – Unter den Lactobacillen gibt es bis auf wenige Ausnahmen keine Krankheitserreger, bei den Streptokokken dagegen finden sich wichtige pathogene Arten. Als Schädlinge können Milchsäurebakterien bei der Herstellung von Bier (Pediococcus cerevisiae), Wein und Fruchtsaft oder in Zuckerfabriken (Leuconostoc) auftreten. – Die Milchsäuregärung durch Milchsäurebakterien wurde 1857 von L. Pasteur entdeckt. J. Lister gelang die erste Reinkultur (1873) eines Milchsäurebakteriums (Bacterium lactis = Lactococcus lactis = Streptococcus lactis). Bereits 1905–08 wurden von Weigemann in Kiel und Storch in Kopenhagen Reinkulturen (Starterkulturen) von Milchsäurebakterien zur Herstellung von Sauermilchprodukten eingesetzt. Acetoin, Biotechnologie, Döderleinsche Scheidenbakterien, Konservierung.
G.S.
Milchsäurebakterien
Milchsäurebakterium Lactobacillus delbrueckii
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