Lexikon der Biologie: Darmflora
Darmflora w, zusammenfassende Bezeichnung der im Darm von Tieren und Menschen vorhandenen, regelmäßig nachweisbaren (autochthonen)Bakterien (Darmbakterien; vgl. Tab. ) und Pilze oder auch nur der Bakterien; vorwiegend im Dickdarm angesiedelt. Meist eine spezifische Mikroorganismenpopulation, deren Zusammensetzung von Organismenart, -alter, der Nahrung, weiteren Umweltbedingungen und den vorliegenden Mikroorganismen selber geregelt wird. Zusätzlich ist noch die Durchgangsflora (allochthone Darmflora) vorhanden, die z. B. mit der Nahrung aufgenommen wird (Nahrungsaufnahme). Die Normalflora wird in der Medizin als Eubakterie (Eubiose) und eine Fehlbesiedlung, die zu Verdauungsstörungen oder sogar zu Erkrankungen führen kann, als Dysbakterie (Dysbiose) bezeichnet. Die Darmflora kann die Darm-Schleimhaut besiedeln (Zelladhäsion), an Nahrungspartikeln haften oder frei im Darmlumen vorkommen. Oft ist die Darmflora für den Aufschluß der Nahrung und die Bildung verschiedener lebenswichtiger Verbindungen notwendig ( vgl. Tab. ). Außerdem kann sie eine Schutzfunktion gegen eine Besiedlung durch pathogene Keime ausüben. Die Darmflora ist meist nicht unersetzlich, aber nützlich, da sie zu einem besseren Wachstum der Tiere führt, auch bei einem Angebot von einseitigem und schlecht verwertbarem Futter. Andererseits können auch cancerogene Stoffe (z. B. aus Gallensäuren) gebildet werden, die unter bestimmten Bedingungen zu Darmkrebserkrankungen führen. – Bei pflanzenfressenden Tieren (Herbivoren), deren Nahrung hauptsächlich aus Pflanzenpolymeren (Cellulose, Hemicellulosen, Pektine) besteht, sind für die spezielle Verdauungsfunktion besondere Gärkammern ausgebildet (Darm, Pansensymbiose). Viele Insekten (z. B. Termiten, Schaben) beherbergen auch celluloseabbauende Mikroorganismen als Symbionten. In Meerestieren sind oft Chitinase bildende Leuchtbakterien (z. B. Photobacterium) in sehr hoher Anzahl vorhanden, in marinen Fischen 5 · 106 – 5 · 109 Keime pro ml Darminhalt. Im menschlichen Darm dominieren obligat anaerobe Bakterien. Aus Fäkalien sind über 400 verschiedene Bakterienarten isoliert worden. Da aber viele Darmbakterien noch nicht kultivierbar sind, wird angenommen, daß die Artenzahl noch sehr viel höher liegt. Die Darmflora besteht aus Kommensalen, nützlichen Symbionten, aber auch potentiell pathogenen Keimen. Im Magen sind wegen der sauren Bedingungen (pH ca. 2,0; Magensäure, Magensaft) und der Sekrete nur wenige Mikroorganismen angesiedelt (Hefen und Lactobacillus;Lactobacillaceae), doch kann sich hier gerade das sehr wichtige pathogene Bakterium Helicobacter pylori festsetzen. Auch im oberen, sauren Dünndarmabschnitt (Duodenum; Zwölffingerdarm) befinden sich relativ wenig Keime (103–105 pro g Inhalt), deren Anzahl im alkalischen Teil (Ileum, Krummdarm) auf 105–108 und im Dickdarm auf 108–1010 pro g Inhalt ansteigt; in Fäkalien sind wie im Mastdarm über 1011 Mikroorganismen pro g Feuchtgewicht bestimmt worden. Die tote und lebende Darmflora macht 20–30% (zum Teil bis 40%) der Stuhlmasse aus. Die Darmgase Erwachsener, 400–650 ml pro Tag, setzen sich aus Kohlendioxid (40%), etwas Methan (CH4), molekularem Wasserstoff (H2) und zu 50% aus Luft-Stickstoff (N2) zusammen. In den unteren Darmabschnitten finden sich überwiegend obligat anaerobe Bakterien (95%). Die wichtigsten Gruppen sind Arten von Bacteroides und Bifidobacterium (je 20–30%) sowie von Fusobacterium und Eubacterium (mit je 10–20%; vgl. Tab. ). Zu den 5% der fakultativen Anaerobier, die durch Verbrauch des Sauerstoffs völlig anaerobe Bedingungen schaffen, gehören Enterobacteriaceae (z. B. Escherichia coli, 1%), Pseudomonaden, Hefen (Candida), Trichomonaden (Trichomonadida) und andere Protozoen (Einzeller). Die Flora des Dünndarms besteht überwiegend aus Milchsäurebakterien, Lactobacillen und wenigen Enterokokken. Die Zusammensetzung der Darmflora wird beeinflußt durch die Ausbildung der Darmschleimhaut, die Darm-Sekretion, (wahrscheinlich) Erregung und Streß, immunologische Mechanismen, äußere Gegebenheiten (Klima, Ernährung usw.), besondere Lebensumstände sowie therapeutische Maßnahmen. Oral verabreichte Antibiotika reduzieren die normale Darmflora und führen zu einem starken Anstieg der antibiotikaresistenten Keime (z. B. gramnegative Stäbchen, Clostridium difficile und Hefen). Nach Absetzen des Antibiotikums stellt sich normalerweise bald die ursprüngliche Darmflora ein. Ein gestörtes biologisches Gleichgewicht im Darm kann auch durch verschiedene andere Medikamente (z. B. Cortisol) oder eine ungenügende Abwehr von Fremdkeimen bei Reisen in fremde Länder (Reise-Diarrhoe) auftreten. Inwieweit durch Präparate mit Milchsäurebakterien und anderen Darmbakterien (bakterielle Symbioselenkung) oder von probiotischen Sauermilchprodukten eine Darmsanierung beschleunigt werden kann, ist noch umstritten (Milchsäurebakterien). – Bei der Geburt ist der Darm des Säuglings keimfrei (Meconium); die erste Besiedlung von Keimen erfolgt von der Vagina (Vaginalflora) und der Umgebung. Bei Brustkindern dominiert Bifidobacterium infantis und Bifidobacterium bifidus (Bifidobacterium), bei Kindern mit Flaschennahrung andere Bifidobakterien (z. B. Bifidobacterium adolescentis) und Lactobacillen (Lactobacillaceae). Die Umstellung der Nahrung führt zu einer Veränderung der Bakterienpopulation mit vielen Fäulniskeimen, die dann für den typischen Stuhlgeruch verantwortlich sind. Bakterienflora, Vitamine.
G.S.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.