Lexikon der Biologie: Selbstorganisation
Selbstorganisationw, Bezeichnung für verschiedene Phänomene von spontaner Strukturbildung (Struktur) in nichtlinearen dynamischen Systemen (nichtlineare Systeme). Solche Beispiele für die durch Selbstorganisation entstehenden zeitlich, räumlich oder funktional geordneten Strukturen sind in vielen Bereichen der Physik, Chemie, Technik und Biologie zu finden. – Die unter geeigneten Umweltbedingungen spontan und allein aufgrund der jeweiligen Moleküleigenschaften, d.h. ohne Wirkung von äußeren Faktoren, erfolgende Bildung komplexerer Strukturen bei Makromolekülen (besonders der Proteine und Nucleinsäuren; Biopolymere) und deren Konjugaten (Nucleoproteine), die Ausrichtung von Lipiden zu Lipiddoppelschichten (bimolekulare Lipidschicht, Membran, Membranlipide) oder die Umorganisation von Zellen oder Zellverbänden durch aktive Zellwanderung (morphogenetische Bewegungen) haben in der Biologie neben anderen Selbstorganisationsprozessen eine besondere Bedeutung. Bei linearen Makromolekülen beginnt die Selbstorganisation schon mit der stufenweisen Ausbildung von Sekundärstrukturen und zum Teil auchTertiärstrukturen. Diese sind sowohl in ihren Endzuständen als auch in den bis dahin durchlaufenen Faltungswegen (Polypeptidketten bindende Proteine) teilweise durch die jeweiligen Primärstrukturen determiniert, was den in den Primärstrukturen enthaltenen Informationsgehalt bezüglich der Selbstorganisation offenbart (Entropie, Information). Selbstorganisation durch spontane Aneinanderlagerung von Molekülen wird als self-assembly (assembly, assisted self-assembly) bezeichnet. Durch sie entstehen Quartärstrukturen der Proteine, Multienzymkomplexe und Nucleoprotein-Partikel (Selbstorganisation von Makromolekülen; Ribonucleoproteine, RNP-Welt), aber auch Lipiddoppelschichten (Selbstorganisation von niedermolekularen Lipiden). Besonders gut untersuchte Beispiele von Strukturen, die durch self-assembly entstehen, sind die Nucleosomen, Ribosomen, einzelne Bakteriophagen, wie T4 (T-Phagen; Genwirkketten I ), und andere Viren (Virusinfektion), wie das Tabakmosaikvirus (Farbtafel). Deren isolierte Nucleinsäuren und Proteine können sich außerhalb der lebenden Zelle im Reagenzglas zu biologisch aktiven Partikeln rekonstituieren (Rekonstitution). Durch Auslassen einzelner Komponenten werden diskrete Zwischenstufen der Selbstorganisation faßbar. Diese und andere Experimente (z.B. mit mutativ veränderten Einzelkomponenten) zeigen, daß die Aneinanderlagerung der einzelnen Bausteine nicht in beliebiger Reihenfolge, sondern nach einem ebenfalls den Molekülen inhärenten Konstruktionsplan (assembly pathway) erfolgt. Der Aufbau zunehmend komplexerer Zellkomponenten bis hin zur Bildung von Organellen, aber auch von vielzelligen Geweben und biologischen Mustern (Musterbildung) durch Selbstorganisation wird als eine der molekularen Grundlagen der Morphogenese angenommen (Reaktions-Diffusions-System). Die spontane und allein durch die physikochemischen Eigenschaften der Bausteinmoleküle bedingte Selbstorganisation komplexer Strukturen bei der Rekonstitution außerhalb der Zelle widerspricht einer „vis vitalis“ (Lebenskraft) und bildet daher ein Hauptargument gegen den Vitalismus (Vitalismus – Mechanismus). Außer zur Ontogenese molekularer Strukturen, für die die Selbstorganisation durch die genannten Beispiele experimentell gesichert ist, wird die Selbstorganisation der Materie auch als treibende Kraft der chemischen Evolution und, über die Mutationen, die zu einer besseren Anpassung von self-assembly-Prozessen führten, der Evolution im allgemeinen angenommen. Autopoiese, Bauer (E.), Chaos, dissipative Strukturen, Eigen (M.), Haken (H.), Hyperzyklus, Leben, molekulare Evolution, neuronale Netzwerke, Prigogine (I.), Sequenzraum, Symmetrie, Synergetik; Proteine II , Ribosomen .
H.K.
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