Lexikon der Geographie: Agrobusiness
Agrobusiness, Agribusiness, Begriff, der einen über den traditionellen Agrarsektor hinausgehenden, übergreifenden Produktionskomplex bezeichnet. Agrobusiness umfasst demnach alle Wirtschaftsbereiche im Zusammenhang mit der Landwirtschaft. Viele Elemente des Agrobusiness finden sich auch in bestimmten Auffassungen des Begriffs Agrarsystem wieder, wobei dieser weit über den rein wirtschaftlichen Aspekt hinausgeht. Die gelegentlich anzutreffende Verengung des Begriffs Agrobusiness auf das deutsche Wort "Nahrungswirtschaft" ist angesichts der zunehmenden Bedeutung der Produktion von nachwachsenden Rohstoffen durch die Landwirtschaft nicht angemessen. Das Agrobusiness ist als Ergebnis der fortschreitenden Arbeitsteilung zu sehen. Im Verlauf dieser Entwicklung hat sich das vielseitige Produktionsprogramm des hauswirtschaftlich-landwirtschaftlichen Betriebes durch Ausgliederungen stark vereinfacht, der Landwirt wurde gleichzeitig auf die Rolle des Rohstofferzeugers reduziert. Ohne fachgerechte Homogenisierung, Stabilisierung und Konservierung und ohne Marketingstrategien bzw. moderne Vertriebslogistik, wie sie der Fachhandel und die großen Ladenketten erwarten, kann der Produzent seine Güter allenfalls in Nischenbereichen (z.B. Produkte des ökologischen Landbaus) absetzen. In der Regel wird die Produktionskette heute von ihrem Ende her gesteuert. In diesem nachgelagerten Bereich werden zugleich bei der Wertschöpfung die höchsten Gewinne erzielt, während in den Anfangsstufen nur noch geringe Gewinne zu erwirtschaften sind. Daneben gibt es einen – deutlich schwächeren – Vorgang der Eingliederung von industriellen Prozessen in die Landwirtschaft.
Der zur Beschreibung des Produktionssystems eigentlich wertneutrale Begriff Agrobusiness wurde zur Beschreibung der Expansion kapitalistischer Produktionsweisen und dem Vordringen transnationaler Nahrungsmittelkonzerne ideologisch befrachtet, sodass er heute nicht mehr nur für das Produktionssystem, sondern auch für die Institution Verwendung findet, die das System kontrolliert und die Gewinne abzweigt, d.h. insbesondere für die multinationalen Unternehmen (transnational agribusinesses). Insbesondere die Rolle, welche diese Agrobusiness-Unternehmen in Entwicklungsländern spielen, wird sehr kritisch gesehen.
In den USA beherrschen überbetriebliche Unternehmensformen in steigendem Maße den gesamten Produktions- und Vermarktungsprozess und schränken die Entscheidungsfreiheit des einzelnen Farmers, der den hohen Kapital- und Organisationsaufwand nicht mehr leisten kann, ein (corporate invasion). Große, z.T. nichtagrarische Kapitalgesellschaften (agribusiness firms) organisieren und finanzieren die horizontale Integration und vertikale Integration in der Agrarwirtschaft. Dabei werden die Produzenten durch Verträge (contract farmers) gebunden und die Produktionsstufen zentral koordiniert. Entsprechende Entwicklungen sind auch für Europa zu erwarten. Die europäische Landwirtschaftspolitik arbeitet dem Agrobusiness zu. Sie orientiert sich an dem industriellen Modell "rationeller Fertigung": Einheitlichkeit, Lagerfähigkeit, große Stückzahlen. Die Effektivität dieser Maßnahmen scheint außer Zweifel, die ha-Erträge steigen seit ihrer Umsetzung. Dieser vermeintlichen Effektivität des Agrobusiness stehen Fragen der Ethik und der Umweltwirkungen von landwirtschaftlicher Produktion kritisch gegenüber. Die nahbereichsorientierten Wirtschaftskreisläufe, die durch lokal und regional verwurzelte Unternehmen, Genossenschaften, Banken und Vertriebskanäle gesteuert wurden, befinden sich unter dem Einfluss technologischer und organisatorischer Innovationen sowie politischer Rahmensetzungen der EU in zunehmender Auflösung. Private Initiativen und staatliche Förderung versuchen dem entgegenzuwirken. Mithilfe der Biotechnologie wird eine umfassende Kontrolle und Standardisierung agrarbiologischer Systeme angestrebt. Es werden Technologiepakete entwickelt, die nur in einer integrierten Anwendung und unter Anleitung und unter Kontrollinstrumentarien der Industrie zum Erfolg führen.
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