Lexikon der Geographie: Lebensformen
Lebensformen, 1)Ökologie: Organisationstypen der Entwicklungsweise, Lebensweise oder Verhaltensweise von Organismen in Bezug auf abiotische und biotische ökologische Faktoren (Konvergenz). So bilden die Lebensformen eine physiognomische Kategorie, den Pflanzenbestand zu charakterisieren. Unter den verschiedenen Lebensformensystemen sind Differenzierungen in Anpassungstypen an den Wasserfaktor und an die wachstumshemmende Jahreszeit am gebräuchlichsten. Im ersten Fall werden in Abfolge von trocken- zu feuchteliebenden Lebensformen die Xerophyten, Mesophyten und Hygrophyten als Landpflanzen den Hydrophyten als Wasserpflanzen gegenübergestellt. Für die Zuordnung lassen sich alle morphologischen Merkmale heranziehen, die den Grad der Wasserversorgung anzeigen. Besonders variabel sind die Kennzeichen der xeromorphen Pflanzen (harte Blätter, Behaarung und Reduktion bis zur Blattlosigkeit, Rübenbildung und fleischige Speichergewebe bei Sprossen). Als "Normaltyp" können Mesophyten im Gegensatz zu Hygrophyten die Wasserabgabe vorübergehend durch Transpirationswiderstände einschränken. Ihre großen, dünnen und saftreichen Blätter belegen eine konstante Wasserversorgung. Untergetauchte Hydrophyten zeichnen sich durch das Fehlen von Stütz- und ein ausgeprägtes Durchlüftungsgewebe für den Auftrieb aus. Bei geographischen Fragestellungen am gebräuchlichsten ist aber die Einteilung nach den Raunkiaer'sche Lebensformen, bei denen die ungünstige Jahreszeit (Winter, Aridität) die ökologischen Anpassungsmerkmale vorgibt. Prägend ist hierbei vor allem das Faktorenbündel Temperatur, Licht und Wasserverfügbarkeit; aber auch Nährstoffmangel kann die Lebensform prägen (Zwergwuchs). Analysen der Lebensformen haben mit solchen der Wuchsformen nichts gemein, da diese strikt pflanzenmorphologischen Kriterien folgen, also genetisch fixiert sind und von ökologischen Anpassungen losgelöst betrachtet werden.
Bei den tierischen Lebensformen unterscheidet man drei Typen: a) Lebensformen der Ernährungsweise; b) Lebensformen des Aufenthaltstyps (in Beziehung zum Substrat): endobiotisch im Substrat, exobiotisch außerhalb des Substrats, epibiotisch auf der Substratoberfläche; terrestrisch auf dem Land, aquatisch im Wasser, differenziert in limnisch im Süßwasser, amphibisch zwischen Land und Wasser wechselnd, marin in Meeren. Terrestrische Lebensformen sind (eu-, hemi-) edaphisch im Boden (Edaphon), atmobiotisch (oberirdisch), epigäisch (auf der Bodenoberfläche), hypergäisch (in der Vegetationsschicht), aerobiotisch (im Luftraum, z.B. Aeroplankton). Limnische und marine Lebensformen sind die Bewohner des Benthos (des Gewässergrundes) und des Neuston (der Gewässeroberfläche); im Freiwasser leben Vertreter des Nekton und Plankton; c) Lebensformen der Fortbewegungsweise (terrestrisch: Läufer, Kletterer, Graber, Flieger; limnisch und marin: Nekton=aktiv schwimmende Organismen, Plankton=im Wasser schwebende Organismen). 2)Sozialgeographie: genres de vie als Grundbegriff der französischen Regionalgeographie und der deutschsprachigen Sozialgeographie, insbesondere der sozialgeographischen Landschaftsforschung. Lebensform bezeichnet dort die gesamte, regional spezifische, kulturell geprägte Art der Lebensweise mit spezifischen Formen des Wirtschaftens, der Tradition, des Brauchtums, der Religion usw. Nach Vidal de la Blache besteht das Ziel der anthropogeographischen Forschung in der Aufdeckung der erdräumlich gekammerten regionalen Lebensformen. Nach Bobek soll jede einzelne Kulturlandschaft als Ausdruck der materialisierten Ergebnisse des Zusammenwirkens der verschiedenen sozialgeographischen Gruppen mit ihren jeweils spezifischen Lebensformen verstanden werden. Um der Pluralisierung der Lebenswelten Rechnung zu tragen, wird in den zeitgenössischen Sozialwissenschaften und in der handlungstheoretischen Sozialgeographie Lebensform zunehmend subjektzentriert thematisiert und zusammen mit Lebensstil zu einer tragenden Kategorie der zeitgenössischen Gesellschaftsanalyse gemacht und ist dabei in einem die verschiedensten Lebensbereiche umfassenden Sinne zu verstehen, aus dem neue Formen der Politik der Lebensgestaltung und moderner Identitätsfindung (Identität) abgeleitet werden. Die Politisierung der Lebensformen äußert sich in den verschiedenen sozialen Bewegungen (soziale Bewegung) wie Feminismus, Friedens- und Ökobewegung usw.
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